Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 10.03.1976) |
LG Hannover (Teilurteil vom 31.07.1975) |
Tenor
I. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. März 1976 aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Teilurteil des Landgerichts Hannover vom 31. Juli 1975 dahin abgeändert, daß die Schmerzensgeldklage des Klägers abgewiesen wird. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten der Revision und des Berufungsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger beförderte als selbständiger Transportunternehmer mit seinem Lastkraftwagen am 13. November 1973 im Auftrage eines Herstellerwerkes Betonteile zu einer Baustelle. Diese waren als Baumaterial für die in den Vorinstanzen als weitere Beklagte am Rechtsstreit beteiligte Fa. S.-T.-G. mbH (STG) bestimmt und von dieser entsprechend den Geschäftsbedingungen des Lieferanten, jenes Herstellerwerkes, am Bestimmungsort abzuladen.
Der Beklagte, Vorarbeiter bei der STG, empfing den Kläger an der Baustelle und wies ihm den Platz zu, an den er seinen Lastkraftwagen zum Abladen fahren sollte. Er war bei der Vorbereitung des Entladens in der Weise behilflich, daß er den hinteren rechten Sperrhaken der Bordwand öffnete; er ließ ihn auch geöffnet, als er bemerkte, daß der Kläger zur linken Seite hin ausladen lassen wollte und zu diesem Zweck die beiden Sperrhaken der linken Bordwand aushakte und diese herunterklappte. Als dieser sich dann im Zuge des Ausladens, bei dem er dem Beklagten half, hinter der rückwärtigen Bordwand befand, fiel deren hintere Klappe herunter, weil sie infolge des Lösens beider hinterer Sperrhaken keinen Halt mehr hatte; sie verletzte den Kläger erheblich.
Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an, und zwar im Betrieb des Klägers, und erbrachte für diesen Leistungen.
Der Kläger verlangt mit seiner Klage von dem Beklagten u.a. Schmerzensgeld.
Das Landgericht hat diesem Begehren mit Teilurteil dem Grunde nach stattgegeben, jedoch mit der Einschränkung, daß drei Viertel eigenes Verschulden bei der Bemessung zugrunde zu legen sind. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Mithaftungsquote auf ein Viertel herabgesetzt und die Anschlußberufung des Beklagten, mit der dieser völlige Klagabweisung beantragt hatte, zurückgewiesen.
Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht davon aus, der Beklagte habe den Unfall und damit die vom Kläger erlittenen Verletzungen fahrlässig verursacht, weil er den rechten hinteren Sperrhaken der Bordwand des Lastkraftwagens geöffnet und es trotz Erkennbarkeit der dadurch geschaffenen Gefahr unterlassen habe, den Haken wieder einzuhängen, als er sah, daß der Kläger die andere Bordwand geöffnet hatte.
Dagegen wendet sich die Revision nicht; sie rügt auch nicht die Quotierung (§ 254 BGB) des Berufungsgerichts. Sie wendet sich jedoch dagegen, daß das Oberlandesgericht einen Haftungsausschluß aufgrund der §§ 636, 637 RVO verneint hat.
II.
Der Angriff der Revision muß Erfolg haben.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall durch die Berufsgenossenschaft des Klägers zwar gemäß § 638 RVO bindend wirkt, daß ihm aber deswegen nicht die Prüfung der Frage verwehrt ist, ob der Unfall nicht auch dem Betrieb der Firma STG als Arbeitsunfall zugerechnet werden muß, so daß zu deren Gunsten und zugunsten des Beklagten die §§ 636, 637 RVO in Betracht kommen können (vgl. BGHZ 24, 247, 248; Senatsurteile vom 18. Mai 1971 – VI ZR 242/69 = VersR 1971, 735 und vom 1. Juli 1975 – VI ZR 87/74 = VersR 1975, 1002).
Das Oberlandesgericht erwägt weiter: der Kläger sei im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses, nämlich des Herunterfallens der rückwärtigen Bordwand seines Lastkraftwagens, i.S. von § 539 Abs. 2 RVO wie ein nach Abs. 1 Versicherter im Betriebe der Fa. STG tätig geworden. Denn das Abladen der Betonteile, bei dem er dem Beklagten geholfen habe, sei nicht seine Aufgabe als Transportunternehmer, sondern diejenige der Empfängerin des Frachtguts gewesen; er wäre dann, käme es darauf an, rechtlich wie ein Arbeitskollege des Beklagten zu behandeln, so daß diesem an sich die Haftungsfreistellung des § 637 RVO zugute komme.
Auch diese Auffassung begegnet entgegen der Revisionserwiderung des Klägers keinen rechtlichen Bedenken; sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger das Abladen der Betonteile nicht als eigene Verpflichtung übernommen; er verrichtete vielmehr aufgrund eigenen Entschlusses durch seine Mithilfe einen Teil der Aufgabe, die der Beklagte für die Fa. STG als deren Arbeiter zu erfüllen hatte. Handelte es sich dabei auch nur um ein vorübergehendes Tätigwerden, so gehörte dieses gleichwohl zu den Arbeiten, die typischerweise mit dem Abladen als Aufgabe der Arbeitgeberin des Beklagten verbunden waren. Hätte der Kläger nicht geholfen, so hätte diese Hilfe von einem weiteren Arbeitnehmer der Fa. STG geleistet werden müssen. Demnach kann an dem Vorliegen eines inneren Zusammenhangs mit dem genannten Unternehmen ebenso wenig gezweifelt werden wie daran, daß die Tätigkeit des Klägers wirtschaftlich als Arbeit zu werten ist und tatsächlich dem fremden Betrieb dienlich war (Senatsurteile vom 14. Dezember 1965 – VI ZR 153/64 = VersR 1966, 182 und vom 1. Juli 1975 a.a.O.). Ob das Tätigwerden des Klägers – es war durch den Unfall notwendigerweise beendet worden – nach dessen Vorstellung und Willen längere Zeit hindurch andauern sollte oder nur auf eine kurzfristige einmalige Handreichung beschränkt war, ist unerheblich; auch eine solche nämlich kann, wenn sie wie im vorliegenden Fall nützlich und arbeitserleichternd war, unter § 539 Abs. 2 RVO fallen (Senatsurteile vom 16. Dezember 1958 – VI ZR 251/57 = VersR 1959, 109 und vom 14. Dezember 1965 a.a.O.; vgl. auch Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl. § 539 RVO Rz. 101 Anm. 1 c). Für die Annahme einer Eingliederung des Klägers, der selbständiger Unternehmer war, in den Betrieb der Fa. STG kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob dadurch ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis begründet wurde (vgl. das genannte Senatsurteil vom 16. Dezember 1958) und ob dessen Tätigkeit dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprach; es genügt, daß sie diesem Willen nicht entgegenstand.
Auch der kann als eingegliedert angesehen werden, der unaufgefordert und ohne vorherige Absprache aus eigenem Entschluß und aus Gefälligkeit gegenüber einem Arbeiter des fremden Unternehmens helfend eingreift (vgl. auch Migsch, VersR 1972, 109, 112; Lauterbach a.a.O. Rz. 101).
b) Schließlich steht der Annahme einer Eingliederung nicht entgegen, daß der Kläger selbst Unternehmer war. Das hat der erkennende Senat bereits in BGHZ 24, 247, 252 ausgeführt und ist herrschende Meinung (RVO-Gesamtkommentar, Anm. 64 zu § 539 m.w.Nachw.). Wesentlich ist nur – und das steht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts außer Zweifel –, daß die maßgebliche Tätigkeit des Klägers nicht zu seinem eigenen Aufgabenbereich als Unternehmer gehörte, so daß er nicht im Rahmen seines eigenen Unternehmens tätig wurde (BSGE 5, 168 = NJW 1958, 158; ebenso Senatsurteil vom 16. Dezember 1958 – VI ZR 251/57 – VersR 1959, 109).
2. Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht gefolgt werden, wenn es meint, die Freistellung des Beklagten von den Ersatzansprüchen des Klägers nach § 637 RVO scheitere daran, daß dessen Unfall nicht durch eine betriebliche Tätigkeit dieses Arbeiters in dem dann als „Unfallbetrieb” anzusehenden Betrieb der STG verursacht worden sei. Dies begründet das Berufungsgericht mit der Erwägung, im Streitfall komme als Tätigkeit in diesem Sinne lediglich das Lösen des Sperrhakens durch den Beklagten in Betracht; das lasse sich aber deshalb nicht als haftungsausschließend werten, weil der Beklagte diese Ursache zu einem Zeitpunkt gesetzt habe, als der Kläger noch sein Fahrzeug zum Entladen vorbereitet, demnach eine ihm als dem Fuhrunternehmer zukommende Verrichtung vorgenommen habe, so daß er in diesem entscheidenden Augenblick noch nicht in den Betrieb der STG eingegliedert gewesen sei.
a) Diese Auffassung des Berufungsgerichts hält die Revision für eine lebensfremde Differenzierung eines einheitlich zu behandelnden Lebensvorgangs. Ihrer Meinung nach ist es zwar richtig, daß bei „sezierender Betrachtung” der Beklagte den Unfall verursachte, als er im Betrieb des Klägers tätig war. Maßgebend könne aber für das Eingreifen des Haftungsprivilegs nicht der Vorstoß des Beklagten gegen seine Sorgfaltspflicht sein, sondern der Eintritt des Schadensereignisses, demnach des vom Kläger anschließend beim Abladen erlittenen Unfalls.
Für die Richtigkeit dieser Ansicht mag die Dichte der hier wesentlichen Umstände sprechen, die einer scharfen Trennung in rechtlich verschieden zu bewertende Phasen entgegenstehen könnte. So beginnt auch der Schutz des § 539 Abs. 2 RVO nicht erst in dem Augenblick, in welchem der Helfende tatsächlich hilft, sondern wird schon dann wirksam, wenn dieser sich zur Hilfeleistung anschickt (vgl. Lauterbach a.a.O. Rdn. 99 a.E.). Indessen kommt es darauf entscheidend nicht an.
Das Berufungsgericht hat nämlich selbst den wesentlichen Gesichtspunkt für die Bejahung des Haftungsausschlusses hervorgehoben, es dann allerdings unterlassen, die richtige Folgerung daraus zu ziehen. Es sieht nämlich (BU S. 9, 10) ein auf Fahrlässigkeit beruhendes, für die Verletzung des Klägers ursächliches Unterlassen des Beklagten noch in einem Stadium des Geschehensablaufs, in dem bereits die dem Unternehmen der STG zuzurechnenden Tätigkeiten begonnen hatten, wenn es – insoweit durchaus zutreffend – meint, letzterem hätte nach Beginn des von ihm und dem Kläger gemeinsam vorgenommenen Abladens bewußt werden müssen, daß das Ausklinken des rechten hinteren Sperrhakens ein Fehlgriff war, und er hätte daher die Pflicht gehabt, den Haken umgehend wieder einzuhängen oder sich zu vergewissern, ob der Kläger seinen Fehler schon bemerkt und behoben hatte. Damit verlegt das Berufungsgericht selbst ein wesentliches Verhalten des Beklagten in den zeitlichen Bereich des Entladens, übersieht aber, daß dann der Arbeitsunfall des Klägers in diesem Stadium der Verrichtungen durch eine betriebliche Tätigkeit – sie besteht im vorliegenden Fall in dem Unterlassen einer erwarteten Handlung – verursacht wurde. Zu dieser Feststellung bedarf es nicht einmal einer weiten Auslegung des Begriffes der betrieblichen Tätigkeit, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestünden (vgl. Senatsurteil vom 2. März 1971 – VI ZR 146/69 = VersR 1971, 564, 565). Das Entladen des vom Kläger angelieferten Materials war Aufgabe des Beklagten; dazu war er von seinem Arbeitgeber bestellt worden. Ihm oblag es daher auch, dafür Sorge zu tragen, daß dabei helfende Arbeitskollegen, auch wenn sie wie der Kläger nur i.S. von § 539 Abs. 2 RVO als vorübergehend Eingegliederte tätig wurden, keinen körperlichen Schaden erlitten. Vernachlässigte der Beklagte diese Pflicht zur Gefahrabwendung und führte dies zu einem Betriebsunfall, so fällt diese Pflichtverletzung in den Rahmen des ihm zugewiesenen betrieblichen Aufgabenkreises. Aus diesem Grunde stellt sich hier nicht die Frage, ob bei der Einordnung einer schadenstiftenden Tätigkeit in den Bereich eines Unternehmens auf den Zeitpunkt des Handelns oder auf denjenigen des Erfolgseintritts abgestellt werden muß, wie der Kläger unter Hinweis auf die im Privatversicherungsrecht geltende „Ereignistheorie” (BGHZ 25, 34 meint. Eine Stellungnahme zu dieser Frage wäre nur dann erforderlich, wenn keine betriebliche Tätigkeit des Beklagten im Zuge des Abladens als Ursache des Unfalls festgestellt werden könnte und wenn man daher wie das Berufungsgericht allein in dem Lösen des Sperrhakens die schadenstiftende Handlung sehen müßte.
b) Auf die Erwägungen des Berufungsgerichts zu der von ihm für entscheidungserheblich angesehenen Frage, ob § 636 RVO in „umgekehrter Anwendung” auch einen Unternehmer hindert, Schadensersatzansprüche gegen einen seiner Arbeitnehmer geltend zu machen, falls dieser ihn schuldhaft durch einen Arbeitsunfall verletzt hat, kann es nicht mehr ankommen. Es erübrigt sich daher, auf die darauf bezogenen Rügen der Revision einzugehen.
III.
Das Berufungsurteil mußte daher aufgehoben und auf die Berufung des Beklagten das landgerichtliche Grundurteil dahin abgeändert werden, daß die Schmerzensgeldklage abzuweisen ist.
Der Senat hatte eine Kostenentscheidung nur für die Rechtsmittelverfahren zu treffen, über die Kosten des ersten Rechtszugs wird das Landgericht in der noch ausstehenden Endentscheidung zu befinden haben.
Unterschriften
Dr. Weber, Dunz, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Deinhardt
Fundstellen