Leitsatz (amtlich)
Ein Vertrag, mit dem einer Theatergruppe die städtische Theaterbühne kostenlos für Aufführungen zur Verfügung gestellt wird, ist ein Vertrag eigener Art, auf den im Fall der Nichteinhaltung von Aufführungszusagen nicht die mietvertraglichen Vorschriften über Kündigung anzuwenden sind, sondern die allgemeinen Grundsätze über die Lösung von Dauerschuldverhältnissen.
Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 07.05.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. Mai 1990 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der im wesentlichen aus Schauspielern, Regisseuren und Musikern besteht und freie Theaterarbeit betreibt. Die beklagte Stadt ist Eigentümerin eines Theaters. Sie unterhält kein eigenes Ensemble. In dem Theater finden Gastspiele von Bühnen und Theatergruppen, Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen statt.
Durch Vertrag vom 11. März 1988 stellte die Beklagte dem Kläger das Theater auf die Dauer von zunächst zwei Spielzeiten (1988/89 und 1989/90, jeweils vom 1. September bis 31. Mai) unentgeltlich zur Benutzung für bis zu je 16 Proben- und Aufführungstage pro Saison zur Verfügung (§ 2 (1) des Vertrages). Nach § 11 Satz 2 des Vertrages ist eine Kündigung aus wichtigem Grund "für beide Vertragspartner jederzeit möglich".
Mit Schreiben vom 22. Februar 1989 kündigte die Beklagte den Vertrag fristlos. Als Gründe gab sie an, daß die mit ihr abgesprochene Premiere eines öffentlich subventionierten "Ägypten-Projekts" von Ende Oktober auf Anfang Dezember 1988 verschoben worden sei. Dadurch sei es auch bei einer anderen Inszenierung ("König Lear"; Theatergruppe des Regisseurs L.) zu einer Verzögerung gekommen und so - wiederum - eine mehrmonatige Inszenierungspause entstanden. Zudem habe der Kläger statt einer geplanten Zweitaufführung des "Ägypten-Projekts" im Januar 1989 kurzfristig einen Brecht-Abend angesetzt. Weiterhin habe er entgegen einer mit ihr getroffenen Absprache nur vorübergehend mit einem zweiten künstlerischen Leiter gearbeitet. Schließlich stimme der tatsächliche Personaleinsatz bei dem "Ägypten-Projekt" nicht mit früheren Angaben des Klägers zur Kostenkalkulation überein, die die Grundlage für die Bewilligung öffentlicher Mittel gewesen seien.
Die Klage auf Feststellung, daß die fristlose Kündigung rechtsunwirksam sei, hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin, ihre Abweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, bei dem Vertragsverhältnis der Parteien handele es sich um einen Vertrag eigener Art, der neben Elementen der Kunstförderung auch solche mit mietrechtlichem Einschlag enthalte. Das rechtfertige eine entsprechende Anwendung der §§ 553, 554a BGB, wonach ein Mietverhältnis bei vertragswidrigem Gebrauch der Mietsache bzw. bei Unzumutbarkeit infolge schuldhafter sonstiger Pflichtverletzung fristlos gekündigt werden könne. Die Verpflichtungen des Klägers aus dem Vertrag vom 11. März 1988 ergäben sich im wesentlichen aus seiner darin näher geregelten Einbindung in das kulturelle Angebot der Beklagten. Demnach habe er sich jedenfalls in der Regel an die von ihm selbst vorgegebenen oder mit der Beklagten abgestimmten Proben- und Aufführungstermine sowie an seinen Spielplan halten müssen.
Ob bereits die Verschiebung der Premiere des "Ägypten-Projekts" und die Ersetzung einer Wiederholungsaufführung durch einen Brecht-Abend wichtige Gründe für eine fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses seien, könne dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls habe die Beklagte den Kläger vor Ausspruch einer Kündigung abmahnen müssen. Selbst wenn sie von der Verschiebung der Premiere erst so spät erfahren habe, daß auch eine Abmahnung nicht mehr zu einer termingerechten Aufführung geführt hätte, oder wenn der Kläger auch nach Abmahnung von einer rechtzeitigen Aufführung abgesehen hätte, so hätte ihm doch mit der Abmahnung klargemacht werden können, daß die Beklagte die Einhaltung der Termine als wesentliches Element und als Grundlage der Förderung ansehe und diesem Gesichtspunkt den Vorrang vor etwaiger künstlerischer Freiheit einräume.
In dem Ausscheiden des zweiten künstlerischen Leiters hat das Berufungsgericht - mit dem Landgericht - keinen Kündigungsgrund erblickt, weil der Kläger auch beim Abschluß des Vertrages nur einen künstlerischen Leiter gehabt habe und nicht ersichtlich sei, daß seine Theaterarbeit einen zweiten Regisseur oder Dramaturgen erfordere. Zu der Verwendung öffentlicher Mittel habe die Beklagte bisher nur den Verdacht eines nicht ordnungsgemäßen Ausgabenverhaltens geäußert, diesen aber nicht durch konkrete Einzelheiten belegt.
2.
Die Revision bekämpft allein die Annahme des Berufungsgerichts, wegen der Terminverschiebung und der kurzfristigen Ansetzung des Brecht-Abends anstelle einer Wiederholungsaufführung des "Ägypten-Projekts" im Januar 1989 habe die Beklagte den Vertrag jedenfalls nicht ohne vorherige Abmahnung kündigen dürfen. Ihr kann der Erfolg nicht versagt bleiben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird durch den bisher festgestellten Sachverhalt nicht getragen.
a)
Das Berufungsgericht hat für zwei der von der Beklagten beanstandeten Vorgänge offengelassen, ob sie - je für sich oder zusammen - wichtige Gründe für eine fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses sind. Da der festgestellte Sachverhalt nichts Gegenteiliges ergibt, hat der Senat daher für dieses Revisionsverfahren davon auszugehen, daß die genannten Gründe als solche geeignet sind, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
b)
Seine Auffassung, die Beklagte habe nicht ohne vorherige Abmahnung kündigen dürfen, hat das Berufungsgericht außer auf § 242 BGB auf eine entsprechende Anwendung des § 553 BGB gestützt, wonach die fristlose Kündigung eines Mietvertrages wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache voraussetzt, daß der Mieter den vertragswidrigen Gebrauch trotz Abmahnung fortsetzt. Nach allgemeinen Auslegungsregeln hätte es jedoch in erster Reihe den Vertrag der Parteien heranziehen müssen, der in § 11 Satz 2 bestimmt, daß eine Kündigung aus wichtigem Grund für beide Vertragspartner "jederzeit möglich" ist. Diese Bestimmung, deren Auslegung das Berufungsgericht unterlassen hat, spricht nach ihrem Wortlaut gegen seine Ansicht, die Beklagte habe den Kläger vor einer Kündigung "jedenfalls" abmahnen müssen. Denn wenn sie auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zur fristlosen Kündigung notwenig erst abmahnen und - was daraus folgt - die Reaktion des Klägers abwarten mußte, ehe sie die Kündigung aussprach, konnte sie nicht "jederzeit" kündigen.
Allerdings unterliegt die genannte Vertragsbestimmung - wie jeder Vertrag - gemäß § 157 BGB der Auslegung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte, bei der auch Wertungen, die in gesetzlichen Vorschriften zum Ausdruck kommen, herangezogen werden können. Falls das angefochtene Urteil so zu verstehen ist, daß das Berufungsgericht diesen Weg hat beschreiten wollen, begegnet ihm indessen das Bedenken, daß die Vorschrift des § 553 BGB einen Sachverhalt regelt, der von dem hier zu beurteilenden zu verschieden ist, als daß ihm eine einschlägige gesetzliche Wertung entnommen werden kann. Das macht die Revision zu Recht geltend.
§ 553 BGB ist eine Vorschrift des Mietrechts, während der Vertrag vom 11. März 1988 nach der eigenen, insoweit zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichts kein Mietvertrag, sondern ein Vertrag eigener Art ist. Soweit das Berufungsgericht in ihm einen "mietrechtlichen Einschlag" erblickt hat, kann sich dies - etwas anderes ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen - nur darauf beziehen, daß die Beklagte dem Kläger in bestimmtem Umfang ihr Theater zur Benutzung zur Verfügung gestellt hat. Darin kann eine Gebrauchsgewährung im Sinne des § 535 Satz 1 BGB erblickt werden. Anders als bei einem Mietverhältnis hatte der Kläger dafür jedoch kein Entgelt zu leisten. Vielmehr bestimmt der Vertrag in § 2 (1) und § 3 (1) ausdrücklich, daß er das Theater "unentgeltlich" benutzen konnte. Zwar hatte der Kläger in dem Vertrag auch Pflichten übernommen, einschließlich derjenigen, die das Berufungsgericht aus einer "Einbindung in das kulturelle Angebot der Beklagten" hergeleitet hat. Diese Pflichten stehen aber nach dem Gesamtinhalt des Vertrages nicht derart in einem Austauschverhältnis zu der - ausdrücklich "unentgeltlich" eingeräumten -Benutzung des Theaters, daß die Parteien sie als "Nutzungsentgelt" verstanden haben. Anstelle des § 553 BGB wären daher eher die Vorschriften der Leihe heranzuziehen, die dem Verleiher in § 605 Nr. 2 BGB bei vertragswidrigem Gebrauch ein Kündigungsrecht ohne vorherige Abmahnung geben.
Außerdem läßt sich das Verhalten des Klägers, mit dem die Beklagte die fristlose Kündigung begründet hat, nicht ohne weiteres einem "vertragswidrigen Gebrauch der Sache" im Sinne des § 553 BGB gleichsetzen. Der Kläger hat in dem Theater, wie im Vertrag vorgesehen, Vorstellungen geprobt und dem Publikum dargeboten. Zwar hat er teilweise Termine und Spielplan nicht eingehalten, die Beklagte behauptet aber nicht, er habe das Theater etwa zu Zeiten benutzt oder zu benutzen versucht, zu denen es für ihn nicht vorgesehen war. Ihre Beanstandungen gehen vielmehr eher dahin, daß er das Theater zu vorgesehenen Terminen abredewidrig nicht benutzt habe. Die Vertragsverletzungen, die die Beklagte dem Kläger vorwirft, bestehen also nicht eigentlich in einem vertragswidrigen Gebrauch der Sache, sondern in der Verletzung sonstiger Pflichten, die er nach ihrer Ansicht aufgrund des Vertrages zu erfüllen hatte. Soweit überhaupt mietrechtliche Vorschriften herangezogen werden können, läge daher § 554a BGB näher, wonach ein Mietverhältnis über Räume wegen schwerer schuldhafter Verletzung der Vertragspflichten fristlos gekündigt werden kann, ohne daß es - jedenfalls grundsätzlich - einer vorherigen Abmahnung bedarf (vgl. Emmerich/Sonnenschein, Miete 5. Aufl. Rdn. 10; MünchKomm/Voelskow BGB 2. Aufl. Rdn. 8; Palandt/Putzo BGB 50. Aufl. Rdn. 2 - alle zu § 554a). Allerdings wird eine Pflichtverletzung im Einzelfall möglicherweise erst dadurch schwerwiegend und die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den anderen Teil unzumutbar, daß sie trotz Abmahnung fortgesetzt wird (vgl. MünchKomm/Voelskow aaO; Erman/Schopp BGB 8. Aufl. § 554a Rdn. 3; vgl, auch BGH, Urteil vom 26. März 1969 - VIII ZR 76/67 - LM § 554b BGB Nr. 1).
c)
Da den Rechtsbeziehungen der Parteien ein Vertrag eigener Art zugrunde liegt, bietet es sich indessen an, die zur Lösung ihres Konflikts erforderlichen Wertungen nicht einzelnen Vorschriften für einen der gesetzlich geregelten Vertragstypen zu entnehmen, sondern die für Dauerschuldverhältnisse allgemein entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Danach kann sich ein Vertragsteil von einem derartigen Vertrag grundsätzlich erst einseitig lösen, wenn der andere nachdrücklich auf die Folgen einer weiteren Nichterfüllung des Vertrages hingewiesen worden ist (BGH, Urteil vom 10. März 1976 - VIII ZR 268/74 - WM 1976, 508, 510). Ob und inwieweit dieser Grundsatz im vorliegenden Fall gilt, hängt von der Auslegung des Vertrages anhand der - bisher nicht ausreichend festgestellten und gewürdigten - Interessen der Parteien ab (BGH, Urteil vom 10. November 1977 - III ZR 39/76 - NJW 1978, 947, 948), entsprechend dem aus § 326 Abs. 2 BGB hergeleiteten Rechtsgedanken aber auch davon, ob das Verhalten des Klägers die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung so erschüttert hat, daß diese durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden konnte (BGH, Urteil vom 11. Februar 1981 - VIII ZR 312/79 - NJW 1981, 1264, 1265; s. auch Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 6. Aufl. Rdn. 281). Auch insoweit bieten die bisher getroffenen Feststellungen keine zureichende Beurteilungsgrundlage.
3.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Da weitere tatrichterliche Feststellungen zu treffen sind, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, sondern muß die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Dieses wird nach den unter 2. genannten Grundsätzen neu zu beurteilen haben, ob die Beklagte das Verhalten des Klägers zunächst zum Anlaß einer Abmahnung nehmen mußte, statt den Vertrag sogleich zu kündigen. Soweit es dabei auf die Interessenlage ankommt, kann von Bedeutung sein, welches Gewicht die Fortsetzung des Vertrages für den Kläger hatte, auch im Hinblick auf etwaige finanzielle Dispositionen; andererseits kann aus der Sicht der Beklagten Bedeutung gewinnen, daß sie dem Kläger die Benutzung des Theaters unentgeltlich überlassen hat und deshalb möglicherweise eine schwächere Bindung eingegangen ist als bei einem von gleichgewichtigen Interessen geprägten entgeltlichen Vertrag. Jedenfalls wird sich das Berufungsgericht auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Verhalten des Klägers die Vertrauensgrundlage des Vertrages so sehr erschüttert hat, daß sie durch eine Abmahnung nicht hätte wiederhergestellt werden können. Das wäre etwa der Fall, wenn die Beklagte triftigen Grund zu der Annahme gehabt hätte, auch eine Abmahnung werde den Kläger nicht zu der von ihm zu erwartenden Theaterarbeit veranlassen. Ob dies der Fall ist, wird insbesondere von dem Gewicht der Kündigungsgründe abhängen, das das Berufungsgericht daher nicht weiterhin wird offenlassen können.
Fundstellen
Haufe-Index 3018894 |
NJW 1992, 496 |
NJW 1992, 496-497 (Volltext mit red. LS) |
JurBüro 1992, 226 (Kurzinformation) |
WM 1992, 156-158 (Volltext mit red. LS) |