Leitsatz (amtlich)
Zum Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Prozeßvergleichs.
Wird in einem Prozeßvergleich eine Regelung getroffen, die über den Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits hinausgeht, so ist über die Wirksamkeit des Prozeßvergleichs jedenfalls dann in Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens zu entscheiden, wenn diejenigen Ansprüche, die Gegenstand des ursprünglichen Rechtsstreits waren, noch nicht (vollständig) erledigt sind.
Normenkette
ZPO §§ 253, 794 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 15.06.1971) |
LG München I |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. Juni 1971 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger erklärte sich im Jahre 1967 bereit, der Beklagten ein Darlehen in Höhe von 150.000 DM zu gewähren. Der Rückzahlungsanspruch sollte u.a. durch die Verpflichtung der Beklagten abgesichert werden, das von ihr in gemieteten Räumen betriebene Cafe am R.platz in M. zu räumen und an den Kläger herauszugeben.
In der Sitzung des Amtsgerichts München vom 15. Dezember 1967 erhob der Kläger gegen die im Termin vertretene Beklagte Klage auf Räumung und Herausgabe des Cafes.
Die Anwälte der Parteien übergaben dem Gericht sodann eine schriftlich vorbereitete und als „Vergleich” bezeichnete Vereinbarung, welche die getroffenen Abmachungen über Gewährung und Sicherung des Darlehens im einzelnen enthielt. Die Vereinbarung wurde als Prozeßvergleich vorgelesen, genehmigt und vom Gericht protokolliert.
Der Kläger ließ sich im Januar 1968 eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde erteilen und hat daraus die Vollstreckung gegen die Beklagte betrieben.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der protokollierten Vereinbarung.
Die Beklagte hat den Antrag gestellt, den Vergleich vom 15. Dezember 1967 für unwirksam zu erklären und die Räumungsklage abzuweisen, weil es der Kläger seinerzeit lediglich darauf angelegt habe, sich ohne entsprechende Gegenleistung ihre Vermögenswerte anzueignen, insbesondere auch den Besitz ihrer Geschäftsräume am R.platz.
Der Kläger hat um Zurückweisung des Antrags gebeten. Hilfsweise hat er den mit dem Räumungsantrag anhängig gemachten Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, weil – wie unstreitig ist – die Vermieter der Beklagten inzwischen aufgrund fristloser Kündigung das Cafe am R.platz wieder in ihren Besitz übernommen haben.
Das Landgericht hat den Feststellungsantrag der Beklagten, daß der Vergleich rechtsunwirksam sei, als unbegründet abgewiesen, weil nicht festzustellen sei, daß der Vergleich gegen die guten Sitten verstoße. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Anträge der Beklagten auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs sowie auf Abweisung der Räumungsklage als unzulässig verworfen, weil die Beklagte kein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs habe. Es hat im wesentlichen ausgeführt, der Räumungs- und Herausgabeanspruch des Klägers habe sich erledigt, nachdem das Cafe am R.platz wieder in den Besitz der Vermieter gelangt sei; eine Sachentscheidung über den Räumungsanspruch könne jetzt nicht mehr ergehen; ein anderes berechtigtes Interesse der Beklagten an der Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs bestehe nicht.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg; das angefochtene Urteil muß aufgehoben werden.
I.
Die Parteien und die Vordergerichte haben die Vereinbarung vom 15. Dezember 196? ohne nähere Begründung als Prozeßvergleich angesehen. Dagegen können Bedenken bestehen. Nach dem Sachverhalt, den das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, hat es den Anschein, als hätten die Parteien lediglich eine Vereinbarung über die Gewährung des Darlehens und seine Absicherung getroffen, und der Kläger sodann die Räumungsklage allein zu dem Zweck erhoben, die vorbereitete Erklärung gerichtlich protokollieren zu lassen, um auf diese Weise einen vollstreckbaren Titel zu erlangen (vgl. auch den Vortrag des Klägers auf S. 3 seines Schriftsatzes vom 30. Juni 1970).
Es erscheint nicht ganz unzweifelhaft, ob unter solchen Umständen noch von einem Prozeßvergleich gesprochen werden kann, also von einer Vereinbarung, durch welche ein ernsthafter Streit oder zumindest eine tatsächliche Ungewißheit über ein bestehendes Rechtsverhältnis nach Rechtshängigkeit im Wege gegenseitigen, und sei es auch ganz geringfügigen Nachgebens beseitigt werden soll (§ 779 BGB i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; vgl.BGHZ 39, 60, 62, 64; RGZ 146, 355, 358; Fischer in RGRK-BGB, 11. Aufl., § 779 Anm. 14, 41; Soergel/Siebert/Mormann, BGB, 10. Aufl., § 779 Rdnr. 28 und 11).
Die Frage, ob die gerichtlich protokollierte Vereinbarung vom 15. Dezember 1967 diesen an einen Prozeßvergleich zu stellenden Anforderungen genügt, muß vom Tatrichter beantwortet werden, weil sie wesentlich von tatsächlichen Feststellungen abhängig ist, die das Revisionsgericht nicht treffen kann. Der Senat braucht auf diesen Punkt jedoch nicht weiter einzugehen, da das Berufungsurteil aus einem anderen Grund ohnehin aufzuheben ist.
II.
Das Berufungsgericht hat das Rechtsschutzbedürfnis der Beklagten für den von ihr geltend gemachten Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs zu Unrecht verneint.
1. Es kann dahinstehen, welche Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Antrag zu stellen sind. Der Beklagten kann jedenfalls unter den hier vorliegenden Umständen das rechtliche Interesse an einer Entscheidung über die Rechtswirksamkeit des Prozeßvergleichs vom 15. Dezember 196? nicht abgesprochen werden.
2. Das Berufungsgericht hat ein berechtigtes Interesse der Beklagten an der Rechtsverfolgung deshalb verneint, weil sie das mit ihrem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs verfolgte Ziel, nämlich die Abweisung der Räumungs- und Herausgabeklage, nicht mehr erreichen könne, nachdem sich dieser Rechtsstreit infolge der Herausgabe der Räume an die Vermieter erledigt habe. Diese Begründung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Für die Begründung der prozessualen Berechtigung des (Zwischen-) Antrags auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Prozeßvergleichs – auch im Wege der Widerklage – ist die sachliche Erfolgsaussicht des Antrags zur Hauptsache im Regelfall – und so auch hier – schon deshalb ohne Bedeutung, weil mit dem Prozeßvergleich ein Vollstreckungstitel vorhanden ist, der mit Hilfe des Zwischenantrags aus der Welt geschafft werden soll. Das rechtliche Interesse an seiner Beseitigung besteht unabhängig vom Erfolg des Antrags zur Hauptsache bzw. zur Klage. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, daß das Rechtsschutzbedürfnis der Beklagten im Hinblick auf das insofern selbständige Prozeßziel der Beseitigung des Vergleichs zu prüfen war. Dafür war, weil die Zulässigkeit prozessualer Anträge nicht von der sachlichen Erfolgsaussicht des Antrags abhängig ist, das sachliche Vorbringen der Beklagten zur Nichtigkeit des Vergleichs als begründet zu unterstellen (vgl. BGH GRUR 1960, 384, 386; OLG Freiburg VersR 1950, 118; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 9. Aufl., § 85 II 2 b; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 31. Aufl., Grundzüge vor § 253 Anm. 5).
3. a) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ausnahmsweise dann, wenn an der Beseitigung des Vollstreckungstitels selbst ein berechtigtes Interesse nicht mehr besteht – beispielsweise bei einem endgültig gegenstandslos gewordenen Vergleich –, auf das Interesse des Antragstellers an der Hauptsache abzustellen und sein sachliches Vorbringen zur Hauptsache als zutreffend zu unterstellen ist. Selbst dann nämlich könnte das Rechtsschutzbedürfnis der Beklagten für ihren Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs nicht verneint werden. Denn nach ihrem Vorbringen hat der eingeklagte Räumungs- und Herausgabeanspruch nicht bestanden.
b) Die Begründung des Berufungsgerichts, daß an der Fortsetzung des durch Vergleich abgeschlossenen Räumungsrechtsstreits ein sachliches Interesse nicht mehr bestehe, weil der Rechtsstreit sich mit der Herausgabe der Räume erledigt habe und eine Entscheidung zur Hauptsache nicht mehr ergehen könne, ist ebenfalls rechtlich nicht haltbar.
Eine Sachentscheidung kann noch ergehen, wenn der Prozeßvergleich unwirksam sein und die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits nicht beendet haben sollte. Halten die Parteien dann an ihren bisher gestellten Anträgen zur Hauptsache fest, so muß eine Sacheritscheidung getroffen werden. Das Berufungsgericht hat in der Erledigungserklärung des Klägers zur Hauptsache ein Hindernis für eine Sachentscheidung gesehen. Das ist unzutreffend. Die einseitige Erklärung der Klagepartei kann den Rechtsstreit nicht erledigen. Die Beklagte hatte der Erledigungserklärung ausdrücklich widersprochen, Deshalb hätten die Vordergerichte, wenn der Vergleich nichtig sein sollte, zu prüfen gehabt, ob der eingeklagte Räumungsanspruch zulässig war, ob also insbesondere unter den hier gegebenen Umständen ein Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Klage anzuerkennen war, ob der Anspruch zunächst begründet war und er sich nachträglich erledigt hat. In dem Fall wäre entsprechend dem Antrag des Klägers die Erledigung auszusprechen, andernfalls seine Klage abzuweisen gewesen (BGH LM § 91 a ZPO Nr. 19 und Nr. 21; vgl. BGHZ 37, 137, 142). In beiden Fällen wäre damit eine Sachentscheidung zu treffen gewesen (BGHZ 57, 224, 225; 37, 137, 142; BGH LM § 91 a ZPO Nr. 16; RGZ 114, 230, 232). Nichts anderes hätte zu gelten, wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung ein Recht der beklagten Partei, der Erledigung serklärung zu widersprechen, nur für den Fall anerkannt werden sollte, daß ein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung des Klageabweisungsantrages festzustellen wäre (BVerwGE 20, 146, 154; BVerwG AP § 91 a ZPO Nr. 15; BAG AP § 91 a ZPO Nr. 10 – 2. Senat – und Nr. 11 – 1. Senat –; wie hier dagegen BAG AP § 91 a ZPO Nr. 13 – 4. Senat –). Ein solches Interesse könnte der Beklagten aus den oben dargelegten Gründen hier nicht abgesprochen werden.
4. Wegen der Notwendigkeit, im Fall der Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs eine Sachentscheidung zu dem Räumungsanspruch des Klägers zu treffen, kann die Beklagte auch nicht darauf verwiesen werden, ihre Rechte durch eine selbständige gegen den Vergleich gerichtete Klage wahrzunehmen. Es kann ihr nicht verwehrt werden, den gesamten Vergleich noch in dem ursprünglichen Räumungsrechtsstreit auf seine Wirksamkeit überprüfen zu lassen, obwohl die Parteien in dem Vergleich eine Regelung getroffen haben, die erheblich über das hinausgeht, was Gegenstand des Räumungsprozesses war, und obgleich – wie dem Berufungsgericht zuzugeben ist – das Interesse der Beklagten an der Aufhebung des Vergleichs im wesentlichen durch diese anderen im Vergleich begründeten Verpflichtungen bestimmt sein mag.
Der Senat hat dabei nicht zu entscheiden, ob über die Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs, der eine über den Streitgegenstand hinausgehende Regelung trifft, auch dann in dem ursprünglichen Verfahren zu entscheiden ist, wenn diejenigen Ansprüche, die Gegenstand des Rechtsstreits waren, erledigt sind. Jedenfalls dann, wenn – wie hier – diese ursprünglichen Klageansprüche noch nicht (vollständig) erledigt sind, kann der ehemalige Rechtsstreit fortgesetzt werden und dem Antragsteller das berechtigte Interesse an dem (Zwischen–) Antrag nicht mit der Begründung abgesprochen werden, daß er eine selbständige Klage erheben könne.
III.
Wegen der zu Unrecht erfolgten Prozeßabweisung des Antrags der Beklagten muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden; es kann auch nicht mit einer anderen Begründung als im Ergebnis zutreffend aufrechterhalten werden. So kann insbesondere nicht festgestellt werden, daß – wie das Landgericht angenommen hat – das Begehren der Beklagten in der Sache offensichtlich keinen Erfolg haben könne. Die Beklagte hat Umstände dargetan, die für eine Nichtigkeit des am 15. Dezember 1967 geschlossenen Prozeßvergleichs sprechen könnten. Das Berufungsgericht wird daher die Umstände vor und bei Abschluß dieses Vergleichs aufzuklären und insbesondere festzustellen haben, inwieweit das sachliche Vorbringen der Beklagten zutrifft.
Dabei ist darauf hinzuweisen, daß hier der Vergleich schon dann wegen sittenwidriger Ausbeutung einer Notlage nach § 138 Abs. 2 BGB nichtig sein könnte, wenn der Kläger der Beklagten das versprochene Darlehen nicht bei Vergleichsabschluß oder unmittelbar danach zur Verfügung gestellt haben sollte. Denn es könnte eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Ausnutzung einer Notlage sein, wenn der Kläger sich eine vollstreckbare Urkunde über erhebliche Verpflichtungen der Beklagten, die ihm bisher nichts schuldete, verschafft haben sollte, ohne seinerseits seiner Verpflichtung, von deren rechtzeitiger Erfüllung die weitere wirtschaftliche Existenz der Beklagten abhing, nachzukommen. Dabei dürfte ferner nicht außer Betracht bleiben, daß die Vereinbarungen ursprünglich -dazu dienen sollten, der Beklagten nicht unerhebliche bare Mittel zu verschaffen, daß der Kläger jedoch den der Beklagten frei zur Verfügung zu stellenden Betrag bereits durch die Sicherungsvereinbarungen von 150.000 DM auf 55.000 DM gekürzt hatte (150.000 DM abzüglich 50.000 DM zu zahlender Mietrückstände und weiterer 45.000 DM aufzustockender Mietvorauszahlung). Die Entscheidung darüber, wie das Verhalten der Parteien zu werten ist, muß jedoch auch insoweit dem Berufungsgericht vorbehalten bleiben.
Unterschriften
Vorsitzender Richter Hubert Meyer ist erkrankt und kann nicht unterschreiben. Dr. Arndt, Dr. Arndt, Dr. Beyer, Gähtgens, Dr. Krohn
Fundstellen
Haufe-Index 1502439 |
Nachschlagewerk BGH |