Leitsatz (amtlich)
Wer die Leibesfrucht einer Schwangeren verletzt, haftet dem später mit einem Gesundheitsschaden zur Welt gekommenen Kind aus unerlaubter Handlung auf Schadensersatz.
Zur Frage, ob das als Leibesfrucht verletzte Kind den Ursachenzusammenhang zwischen seinem Gesundheitsschaden und der Verletzung seiner Mutter nach § 286 oder nach § 287 ZPO zu beweisen hat.
Normenkette
BGB § 823; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 27.11.1970) |
LG Kiel |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 27. November 1970 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen dem Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger zu 1) und seine Ehefrau, die Klägerin zu 2), erlitten am 7. Juni 1964 in Kiel einen Unfall, den, worüber kein Streit besteht, der Beklagte allein verschuldet hat. Die Kläger fuhren in ihrem Kraftwagen – der Kläger zu 1) am Steuer, die Klägerin zu 2) neben ihm – über die P.-H.-Straße, als ihnen der Beklagte mit einem VW-Variant entgegenkam, ins Schleudern geriet und gegen den Pkw der Kläger prallte. Diese wurden erheblich verletzt, so daß sie sogleich in die Universitätsklinik K. gebracht wurden.
Bei der Klägerin zu 2) waren der linke Schienbeinkopf und die vierte linke Rippe gebrochen; außerdem erlitt sie eine schwere Gehirnerschütterung, so daß sie erst nach einiger Zeit in der Klinik wieder zu Bewußtsein kam. Der Kläger zu 1) erlitt mehrfache Knochenbrüche.
Zur Zeit des Unfalls war die Klägerin zu 2) im 6. Monat schwanger. Am 16. September 1964 brachte sie das Kind, die Klägerin zu 3), zur Welt. Später zeigte sich, daß es an spastischen Lähmungen litt, weil es mit einem Gehirnschaden geboren worden war. Die Frage, ob dies auf den Unfall der Mutter zurückzuführen ist, ist Gegenstand dieses Rechtsstreits.
Nach dem Unfall hatten die Kläger zu 1) und 2) die ihnen entstandenen Sach- und Körperschäden durch einen von ihnen beauftragten Rechtsanwalt bei dem Haftpflichtversicherer des Beklagten angemeldet. Dieser bestritt zuletzt die volle Haftung des Beklagten nicht mehr. Nach längerem Schriftwechsel zwischen dem Anwalt der Kläger und dem Versicherer kam es im August 1965 zu einer Einigung, wonach sich die Kläger zu 1) und 2) durch Zahlung von noch rd. 8.500,– DM – der Versicherer hatte ihnen mehrfach Vorschüsse bezahlt – für abgefunden erklärten. Auf ihr Verlangen wurde allerdings in die Abfindungserklärung folgender Vorbehalt aufgenommen:
„Ausgenommen aus dieser Abfindung sind die materiellen Ansprüche für die Zukunft”.
Im Oktober 1966 wandten sich die Kläger zu 1) und 2) erneut an den Versicherer und unterrichteten ihn davon, daß das Kind, die Klägerin zu 3), an Lähmungen litt. Daraufhin ließ der Versicherer von der Kinderklinik der K. Universität (Prof. Dr. W.) ein Gutachten erstatten, das im Oktober 1967 bei dem Versicherer einging. In diesem Gutachten hieß es u.a.:
„Zusammenfassend muß unter Berücksichtigung aller genannten Gesichtspunkte eine ursächliche Beziehung zwischen der schweren Traumatisierung der Mutter während der Schwangerschaft und der Hirnschädigung des Kindes als hochgradig wahrscheinlich angesehen werden.”
Der Versicherer übersandte das Gutachten abschriftlich den Klägern, erklärte aber, daß er dessen Richtigkeit nicht anzuerkennen vermöge und sich, falls man nicht zu einer vergleichsweisen Regelung der Ansprüche des Kindes gelange, auf Verjährung berufen werde.
Daraufhin haben die Kläger die vorliegende Feststellungsklage erhoben. In dieser haben die Kläger zu 1) und 2) die ihnen in der Abfindungserklärung vorbehaltenen Zukunftsschäden rechtshängig gemacht. Dazu haben sie Gutachten ihrer behandelnden Ärzte vorgelegt, wonach bei ihnen Dauerschäden zurückgeblieben sind. Die Klägerin zu 3) hat, gestützt auf das vom Versicherer des Beklagten eingeholte Gutachten, Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich aller ihrer Schäden begehrt.
Der Beklagte hat geltend gemacht, die Ansprüche der Kläger zu 1) und 2) seien schon am 6. Juni 1967, drei Jahre nach dem Unfall, verjährt gewesen. Auch gegenüber den Ansprüchen der Klägerin zu 3) hat er sich auf Verjährung berufen, vor allem aber bestritten, daß die Hirnschädigung auf den Unfall der Mutter zurückzuführen sei.
Das Landgericht hat der Klage durch folgendes Urteil stattgegeben:
„Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, den Klägern zu 1) und 2) allen zukünftigen materiellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 7. Juni 1964 und der Klägerin zu 3) allen Schaden aus diesem Verkehrsunfall zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.”
Das Oberlandesgericht hat nach Einholung des Gutachtens eines Ärztekollegiums die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag, die Klage aller drei Kläger abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
A. Die Feststellungsklage der Kläger zu 1) und 2).
Insoweit kommt es nur darauf an, ob der Beklagte sich mit Erfolg auf Verjährung (§ 852 BGB) berufen kann.
1. Das Berufungsgericht nimmt an, der Lauf der Verjährungsfrist sei im Jahre 1965 dadurch unterbrochen worden, daß der Versicherer des Beklagten während der Regulierungsverhandlungen den Ersatzanspruch anerkannt habe (§ 208 BGB). Er habe in dem gesamten Schriftwechsel niemals Zweifel daran geäußert, daß die Ersatzansprüche der Kläger zu 1) und 2) dem Grunde nach voll gerechtfertigt seien. Bei den Verhandlungen sei es stets nur um die Höhe der den Klägern entstandenen Schäden gegangen. Wiederholt habe er Vorschüsse geleistet und den Schaden, sobald er ihm genügend nachgewiesen worden sei, in voller Höhe ersetzt. Der Schriftwechsel habe sich nicht nur mit den bereits entstandenen und bezifferten Schäden befaßt, sondern auch mit der Frage, wie etwaige künftige Schäden zu regulieren seien. Das ergebe sich insbesondere aus dem letzten Absatz des Schreibens, das der Versicherer am 9. August 1965 an den Anwalt der Kläger gerichtet hatte und mit dem er die von ihm, dem Versicherer, vorbereitete Abfindungserklärung übersandte. In diesem Schreiben heißt es u.a.:
„Der Ordnung halber weisen wir darauf hin, daß unser heutiges Vergleichsangebot ohne Anerkennung einer Haftung in dieser Höhe erfolgt und daß wir uns selbstverständlich für den Fall, daß eine außergerichtliche Einigung nicht erzielt werden kann, sämtliche Einwendungen vorbehalten.”
Zu dieser Einigung, so fährt das Berufungsgericht fort, sei es dann gekommen, wobei aber die materiellen Ansprüche der Kläger für die Zukunft ausdrücklich vorbehalten worden seien. Angesichts dieser umstände sei das Verhalten des Versicherers als ein Anerkenntnis dem Grunde nach zu werten.
2. Gegen diese Begründung des Berufungsgerichts wendet sich die Revision ohne Erfolg.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß ein vom Versicherer des Haftpflichtigen abgegebenes Anerkenntnis auch gegen diesen wirkt. Zwar folgt das nicht, wie das angefochtene Urteil meint, daraus, daß der Versicherer Vertreter des Haftpflichtigen ist (§ 10 Abs. 5 AKB). Denn die Anerkennung der Schuld i.S. des § 208 BGB setzt keine rechtsgeschäftliche Handlung voraus, ist vor allem kein Anerkenntnis i.S. des § 781 BGB. Dennoch muß der Beklagte, wie der Senat in seinem Urteil vom 17. März 1970 (VI ZR 148/68 – VersR 1970, 549) näher begründet hat, ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis seines Versicherers, dem er die Regulierung der Schäden überlassen hatte, gegen sich gelten lassen. Es kommt auch nicht darauf an, daß nicht er es war, der den Versicherungsvertrag geschlossen und damit dem Versicherer die Vollmacht des § 10 Abs. 5 AKB erteilt hatte. Er war (berechtigter) Fahrer des Wagens der Versicherungsnehmerin, daher ebenfalls gegen seine Haftpflicht versichert; dann aber wirkt das Anerkenntnis des Versicherers auch gegen ihn (vgl. Senatsurteil vom 25. September 1964 – VI ZR 128/63 – VersR 1964, 1199). Dies galt auch schon vor dem Inkrafttreten des Pflichtversicherungsgesetzes 1965 (vgl. § 3 Nr. 3 PflVersG).
b) Zur Verjährungsunterbrechung durch Anerkennung der Schuld (§ 208 BGB) genügt jedes tatsächliche Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewußtsein vom Bestehen des Anspruchs klar und unzweideutig ergibt. Ein solches Verhalten hat das Berufungsgericht in den von ihm angeführten Schreiben des Versicherers während der Vergleichsverhandlungen erblickt. Diese Würdigung kann das Revisionsgericht nur in engen Grenzen nachprüfen. Denn es handelt sich bei der Frage, ob das Verhalten des Schuldners als Anerkennung betrachtet werden kann, um eine Tatfrage, bei der es wesentlich auf die Auslegung der Korrespondenz, also auf Auslegung von Individualerklärungen, ankommt (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 1967 – VI ZR 99/66 – VersR 1968, 277 m.w. Nachw.). Die Revision meint zu Unrecht, die Begründung des Berufungsgerichts enthalte einen Denkfehler. Das Berufungsgericht konnte für seine Auffassung durchaus auch das oben wiedergegebene Schreiben des Versicherers vom 9. August 1965 heranziehen. Wenn er sich hier „sämtliche Einwendungen” vorbehalten hatte, so konnte dies das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung fehlerfrei dahin verstehen, daß der Versicherer, falls es nicht zu einer Einigung kommen werde, lediglich auf seine sämtlichen Einwendungen zur Höhe der abzufindenden Ansprüche zurückkommen werde. Bei solcher Auslegung hinderte der Vorbehalt nicht die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Versicherer den Grund des Ersatzanspruchs anerkannt hatte (vgl. Senatsurteile vom 28. Februar 1969 – VI ZR 250/67 – VersR 1969, 567 und vom 17. September 1965 – VI ZR 227/64 – VersR 1965, 1149 m.w. Nachw.)
c) Begann aber seit August 1965 die dreijährige Verjährungsfrist erneut zu laufen, so haben die Kläger ihre im November 1967 eingereichte Klage rechtzeitig erhoben. Daher braucht nicht geprüft zu werden, ob sie sich nicht selbst dann gegen eine Verjährungseinrede hätten mit Erfolg wehren können, wenn sie – gestützt auf den in der Abfindungserklärung ausdrücklich zugestandenen Vorbehalt künftiger Schäden – erst in späteren Jahren Klage auf Ersatz jetzt erst entstandener Schäden erhoben hätten.
B. Die Feststellungsklage der Klägerin zu 3)
I. Das Berufungsgericht hat ohne weiteres angenommen, daß die Klägerin auf Grund des § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatzansprüche wegen Verletzung ihrer Gesundheit geltend machen kann, obschon sie zu dem Zeitpunkt, in welchem der Beklagte die unerlaubte Handlung begangen hat, noch nicht geboren war. Ersichtlich ist das Berufungsgericht von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Dezember 1952 (BGHZ 8, 243) ausgegangen, das gegen die Anwendung des § 823 BGB sogar dann keine Bedenken gehabt hat, wenn das geschädigt zur Welt gekommene Kind z.Z. der gegen seine Mutter begangenen Verletzungshandlung noch nicht einmal als Leibesfrucht existent gewesen war.
Diesem Ausgangspunkt des angefochtenen Urteils ist zuzustimmen. Auch im vorliegenden Fall ist die Klägerin als „ein anderer” i.S. des § 823 BGB anzusehen, dessen Gesundheit der Beklagte „verletzt” hat: im Sinne dieser Haftungsnorm ist sie, mag sie auch schon vor Vollendung ihrer Geburt als Leibesfrucht verletzt worden sein, ein „Mensch” (vgl. § 1 RHG, § 7 StVG). Auch § 25 des Atomgesetzes vom 23. Dezember 1959 spricht von der Verletzung eines Menschen, versteht darunter aber zugleich den Menschen, dessen Gesundheitsschäden schon vor seiner Geburt oder gar vor seiner Erzeugung und Empfängnis verursacht worden sind (vgl. Amtl. Begründung zum AtomG in BT-Drucks. 759 vom 17. Dezember 1958 S. 37). Daß der Klägerin die Gesundheitsverletzung schon vor ihrer Geburt zugefügt worden ist, kann bei sachgerechter Beurteilung dieser von Natur und Schöpfung vorgegebenen Vorgänge keine ausschlaggebende Rolle spielen.
Die der Anwendung des § 823 BGB entgegenstehenden Bedenken vorwiegend begrifflicher Art müssen und können überwunden werden. Zwar hilft es bei Fällen der vorliegenden Art nicht weiter, daß die Haftung eines Schädigers nicht voraussetzt, daß das verletzte Haftungsobjekt bereits zur Zeit seines Handelns vorhanden ist „Distanzdelikt”). Bei den hier in Rede stehenden Fällen führt die (unerlaubte) Handlung unmittelbar zur Verletzung der Leibesfrucht; eine „Distanz” liegt nur zwischen dieser Verletzung und dem Zeitpunkt, in welchem sich bei der Geburt des Kindes die Gesundheitsschäden zeigen, also dem Zeitpunkt, in welchem das Haftungsobjekt rechtlich erst existent wird. Vor allem ergibt sich für die Anwendung des § 823 BGB dann eine Schwierigkeit, wenn man darauf abstellt, daß die Leibesfrucht im Augenblick ihrer Verletzung noch kein rechtsfähiger Mensch und damit nicht als „anderer” anzusehen sei (vgl. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, 15. Aufl. 1959 § 84 Fn. 10 m.w. Nachw.; E. Wolf in Wolf/Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen, 1955 S. 164 ff u.a.).
Trotzdem bestehen gegen die Anwendung des § 823 BGB keine Bedenken, wie dies auch das Schrifttum, wenn auch mit verschiedenen Begründungen, annimmt (vgl. Soergel/Schultze-v. Lasaulx, BGB 10. Aufl. § 1 Rdnr. 10 und Soergel/Zeuner § 823 Rdnr. 18 f m.w. Nachw.; Esser, Schuldrecht, 4. Aufl. § 107 II 1 b).
1. Die Vorschrift des § 823 BGB schützt das Recht des geborenen Menschen auf körperliche Unversehrtheit und auf Gesundheit; niemand darf die Gesundheit eines Menschen verletzen. Der vorliegende Fall nötigt nicht zur Prüfung der Frage, ob, wenn die Leibesfrucht verletzt worden ist, die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit des (später) lebenden Menschen als das verletzte Rechtsgut anzusehen ist, oder ob ein Recht der Leibesfrucht auf Unversehrtheit und auf Gesundheit anzuerkennen ist (vgl. Stoll, Festschrift für Nipperdey, 1965 I 739, 754 ff; auch Selb AcP 1966, 76 ff). Denn hier geht es nicht um Ersatz des Schadens, den die Leibesfrucht – etwa auf Grund einer ihr zuzubilligenden beschränkten Rechtsfähigkeit (vgl. Satz 2 des § 844 Abs. 2 BGB u.a.) – erlitten hat, sondern um den Schaden an Gesundheit, den das zur Welt gekommene, aber kranke Kind erleidet (vgl. BGHZ 8, 248/249). Insoweit ist zugunsten des Schädigers lediglich zu beachten, daß dieser Ersatzanspruch nicht entsteht, wenn es nicht zu einer Lebendgeburt gekommen ist (vgl. Heldrich, JZ 1965, 596) oder wenn die Verletzung der Leibesfrucht sich bis zur Geburt des Kindes behoben hat, daher ohne Auswirkungen auf die Gesundheit des Neugeborenen geblieben war. Auch steht außer Frage, daß der Ersatzanspruch, gleich wie man ihn begrifflich ableitet, erst mit Vollendung der Geburt entsteht (vgl. § 198 BGB usw.). Im übrigen aber ist die Tatsache, daß die Verletzung schon der Leibesfrucht zugefügt worden war, daher vor Existenz des Menschen und vor Beginn seiner Rechtsfähigkeit geschehen ist, kein Hindernis für die Anwendung des § 823 BGB. Daran ist nicht nur dann kein Zweifel, wenn der Schädiger etwa die Schwangere vorsätzlich verletzt hat, oder wenn die Verletzung auf einem Kunstfehler des die Schwangere untersuchenden Gynäkologen oder des Geburtshelfers, des Arztes usw. im Verlaufe der Geburt, aber noch vor deren Vollendung beruht. Die Leibesfrucht ist dazu bestimmt, als Mensch ins Leben zu treten; sie und das später geborene Kind sind identische Wesen, eine naturgegebene Tatsache, der das Haftungsrecht Rechnung tragen muß. Verletzungen der Leibesfrucht werden daher jedenfalls mit Vollendung der Geburt zu einer Verletzung der Gesundheit des Menschen, für die der Schädiger gemäß § 823 BGB Ersatz leisten muß.
2. Auch aus dem Zusammenhang der Rechtsordnung ergeben sich keine Bedenken gegen die Anwendung des § 823 BGB. Dabei mag außer Betracht bleiben, daß der Leibesfrucht durch das Verbot der Abtreibung, d.h. ihrer Abtötung, ein gewisser strafrechtlicher Schutz gewährt ist. Die Tatsache, daß ihre bloße Schädigung, um die es hier geht, nicht unter Strafe gestellt ist, steht der Auffassung nicht entgegen, daß der Mensch auch dann zivilrechtlichen Schutz, jedenfalls einen Anspruch auf Schadensersatz besitzt, wenn die Verletzung seiner Gesundheit auf einer Vorschädigung in seinem embryonalen Zustand beruht. Schon in diesem Stadium seiner Entwicklung ist der Mensch Gefahren und biologischen Schädigungen ausgesetzt, die sich später als Verletzungen seiner Gesundheit i.S. des § 823 BGB auswirken; er bedarf daher des Schutzes. Das bürgerliche Recht schützt den werdenden Menschen in zahlreichen Sonderbestimmungen. Es liegt daher in seinem Sinne, werdendes Leben auch haftungsrechtlich als verletzungsfähig zu behandeln, so daß dem später geborenen Menschen dieselben Rechte auf Schadensersatz zustehen, wie dem, der erst im Augenblick der Vollendung der Geburt verletzt worden ist.
II. Die Revision wendet sich im Ergebnis ohne Erfolg gegen den Standpunkt des Berufungsgerichts, daß der Unfall die Ursache für die Hirnschädigung des Kindes und damit für seine Lähmungserscheinungen gewesen sei.
1. Das Berufungsgericht stützt sich vor allem auf die Gutachten, die das von ihm bestellte Ärzte-Gremium erstattet hat: Gutachten von Prof. Dr. S. (Kinderklinik der Universitätsklinik G.) – Gutachten von Prof. Dr. W. (Frauenklinik der Medizinischen Hochschule H.) – Gutachten von Prof. Dr. L. (Institut für Humangenetik der Universität M.). Nach Ansicht von Prof. Dr. L. bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Hirnschädigung des Kindes auf vererbbaren Anlagen der Eltern beruhen könnten; vielmehr entspreche das Krankheitsbild in allen Einzelheiten einer pränatal und zwar gegen Ende der Schwangerschaft erworbenen Hirnschädigung. Auch Prof. Dr. S. ist der Auffassung, daß nach der Art der Erkrankung des Kindes und dem Krankheitsverlauf eine einige Wochen vor der Geburt erfolgte traumatische, hypoxische oder gefäßbedingte Erkrankung des fetalen Zentralnervensystems wahrscheinlich sei. Das Kind habe bei dem Unfall entweder durch direkte Einwirkung mit stumpfer Gewalt auf den Leib der Mutter und damit auf den Schädel des Fötus Schaden genommen oder dadurch, daß die Durchblutung der Placenta vorübergehend gestört worden sei, wobei schon einige Minuten ausreichen könnten, um das Kind irreversibel zu schädigen. Die Mutter sei längere Zeit bewußtlos gewesen infolge eines erheblichen Blutdruckabfalls, verursacht durch Unfallschock mit Kreislaufkollaps, und habe eine Contusio cerebri (mit Erbrechen) davongetragen; außerdem sei es zu einer Störung des Zwischenhirn-Hypophysensystems gekommen, so daß die Mutter für einige Tage an einer akuten Diabetes insipidus litt. Zwar sei es möglich, daß die Hirnschädigung des Kindes auf eine im Mutterleib entstandene Mißbildung, eine entzündliche oder degenerative Erkrankung des Zentralnervensystems oder einen Hirntumor zurückzuführen sei, doch sei dies sehr unwahrscheinlich. Diese denkbaren Krankheitsursachen könnten durch eine Carotis-Angiographie und ein Pneumencephalogramm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Doch seien beide Untersuchungen bei dem kleinen Kinde gefährlich und zumindest das Carotis-Angiogramm medizinisch nicht gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht würdigt diese Stellungnahme der Gutachter dahin, sie hätten zu seiner Überzeugung ergeben, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und Hirnschaden des Kindes festzustellen sei.
Über diesen Zusammenhang zwischen dem Unfall als dem konkreten Haftungsgrund und den Krankheitserscheinungen des Kindes sei nach § 287 ZPO zu entscheiden. Den Gutachten sei zu entnehmen, daß der Schaden des Kindes mit größter Wahrscheinlichkeit Folge einer placentaren Durchblutungsstörung oder einer direkten Gewalteinwirkung auf den fetalen Schädel sei. Ein Carotisangiogramm sei nicht gerechtfertigt; die Durchführung eines Pneumencephalogramms könne dem schon schwer geschädigten Kinde nicht zugemutet werden.
2. Die gegen diese Würdigung von der Revision erhobenen Rügen können keinen Erfolg haben.
a) Es enthält keinen Rechtsfehler, wenn das Berufungsgericht sich im vorliegenden Fall auf die Beweiserleichterung des § 287 ZPO stützt und nicht volle Beweisführung nach § 286 ZPO fordert, wie dies die Revision für richtig hält. Allerdingskkann sich der Geschädigte erst dann auf § 287 ZPO stützen, wenn der haftungsbegründende Tatbestand feststeht. Dieser „konkrete Haftungsgrund” muß, wenn er bestritten ist, zunächst vom Kläger gemäß § 286 ZPO bewiesen sein. Nur soweit der Streit darum geht, ob (auch) der (Folge) Schaden, dessen Ersatz der Kläger verlangt, auf diesen konkreten Haftungsgrund ursächlich zurückgeht, kommt ihm die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu Hilfe. So aber liegt der Fall hier.
aa) Nicht angängig wäre es allerdings, die Körperverletzung der Mutter, vor allem ihre hier bewiesene Bewußtlosigkeit in jedem Falle rechtlich ohne weiteres auch als eine Verletzung der Leibesfrucht anzusehen. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen eine solche Verletzung der Mutter ohne Einfluß auf die Leibesfrucht bleibt. Bedenken könnte auch, wie die Revision nicht zu Unrecht geltend macht, der Satz des angefochtenen Urteils erregen, über den Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall als konkretem Haftungsgrund und den Krankheitserscheinungen des Kindes sei nach § 287 ZPO zu entscheiden. Zwar steht fest, daß der Beklagte den Unfall verschuldet hat und für seine Folgen haftet. Sollte aber das Berufungsgericht von der Vorstellung ausgegangen sein, der von dem Kind eingeklagte Schaden sei lediglich ein „Folgeschaden” der Verletzungen, die der Beklagte der Mutter zugefügt hatte, so wäre das rechtsirrig. Der Ersatzanspruch, über den hier zu entscheiden ist, ist ein Anspruch des Kindes und nicht ein Teil des Ersatzanspruchs der Mutter (vgl. Selb AcP 1966, 118). Haftungsrechtlich stehen zwei Verletzte nebeneinander, so daß jeder Anspruch selbständig zu prüfen war (vgl. Soergel/Zeuner BGB, 10. Aufl. § 823 Rdnr. 177).
Fälle der vorliegenden Art zeichnen sich allerdings durch eine Besonderheit aus: hier wird die Verletzung des einen, des Kindes, immer durch die Verletzung des anderen, der Mutter, vermittelt – jedenfalls dann, wenn wie hier die Schädigung des fetalen Gehirns durch einen Stoß auf den Leib der Mutter oder durch mangelnde Durchblutung der Placenta entstanden ist. Haftet der Schädiger für diese der Mutter zugefügten Verletzungen, so muß er ihr alle Schäden ersetzen, die an ihrem Leibe entstanden sind; über den ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen Folgeschäden und dem Unfall ist nach § 287 ZPO zu entscheiden. Das würde auch dann gelten, wenn eine Schwangere nach einem Unfall ihre Frucht verloren hat, wobei ihr durch die Totgeburt mit ihren Komplikationen Kosten entstanden sind, und sie behauptet, die Totgeburt sei Folge des Unfalls gewesen. Denn vor der Geburt ist das Kind als Leibesfrucht noch ein Teil der Mutter. Deshalb könnte sich fragen, ob es noch durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, im Falle einer Lebendgeburt, um die es hier geht, die Frage des Ursachenzusammenhanges nach anderen Beweisgrundsätzen zu entscheiden, wenn sich diese Frage im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinne in gleicher Weise stellt.
bb) Indes braucht diesem Gedanken nicht weiter nachgegangen zu werden.
Ein mit Gesundheitsschäden geborenes Kind genügt seiner Pflicht, zunächst einen konkreten Haftungsgrund, hier die Verletzung seiner „Gesundheit”, gemäß § 286 ZPO nachzuweisen, schon durch den Nachweis, daß es bei jenem Unfall als Leibesfrucht in Mitleidenschaft gezogen war. Ist ihm dieser Beweis gelungen, so geht es bei der Frage, ob dies zu den angeborenen Schäden geführt hat, nur noch darum, ob dieser Schaden, der bei einem lebenden Menschen ein Schaden an seiner Gesundheit sein würde, ein Folgeschaden der Verletzung der Leibesfrucht gewesen ist. Die Beantwortung dieser Frage setzt nicht die Entscheidung der oben offengelassenen Frage voraus, ob auch die Verletzung der Leibesfrucht schon eine Verletzung eines ihr zustehenden subjektiven Rechts auf Gesundheit i.S. des § 823 BGB sein kann. Hier ist nach dem sachlichen Recht dieser Anspruch, wie dargelegt, entstanden. Im jetzt zu erörternden Zusammenhang geht es nur um die verfahrensrechtliche Frage, ob der Beweis dafür, daß die Verletzung der Leibesfrucht die angeborenen Schäden zur Folge gehabt hat, erbracht ist.
Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich insoweit, daß das Kind zumindest den Beweis, als Leibesfrucht bei dem Unfall in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, geführt hat. Nach dem Gesamtbild der von den Gutachtern bestätigten Beweisanzeichen konnte von dem klagenden Kinde billigerweise nicht mehr an Beweisen gefordert werden, zumal sich alle Vorgänge zu einem Zeitpunkt abgespielt haben, als es noch im Muterleibe war. Die Zweifel der Sachverständigen betreffen ihrem Kern nach nur die nachfolgende Frage, ob der Stoß gegen den Leib der Mutter oder deren Bewußtlosigkeit die Schädigung des fetalen Zentralnervensystems nur sehr wahrscheinlich oder gar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verursacht hatten. Die zuerst zu beantwortende Frage, ob die Leibesfrucht ebenfalls bei dem Unfall tangiert worden war, also die Frage nach dem „konkreten Haftungsgrund”, war dagegen nach den Ausführungen der Gutachter auch bei Anlegung des § 286 ZPO geforderten Maßstabes zu bejahen. Davon geht auch das Berufungsgericht aus; es hat nur die weitere Frage, ob diese Mißhandlung der Leibesfrucht zu der Hirnschädigung der Klägerin geführt hat, gemäß § 287 ZPO geprüft und bejaht. Jedenfalls hätte es bei richtiger Rechtsanwendung zu dieser Antwort gelangen müssen.
b) Hat aber das Berufungsgericht insoweit im Ergebnis mit Recht § 287 ZPO angewandt, so enthielt es keinen Rechtsfehler, wenn es sich seine Überzeugung von dem Ursachenzusammenhang auch ohne Durchführung der beiden von Prof. Dr. Schulte in Betracht gezogenen Untersuchungen bildete. Infolgedessen kommt es auf die insoweit von der Revision erhobenen Rügen nicht an.
c) Auch die übrigen Verfahrensrügen der Revision können, wie ihre Prüfung ergeben hat, keinen Erfolg haben. Der Senat sieht davon ab, dies näher zu begründen (Art. 1 Nr. 4 des BGH-EntlG).
III. Ist somit davon auszugehen, daß die Lähmungen des klagenden Kindes auf den Unfall zurückzuführen sind, so sind auch diese Folgen dem Beklagten zuzurechnen.
Daß diese Folgen in adäquatem Zusammenhang mit dem vom Beklagten verschuldeten Unfall stehen, unterliegt keinem Zweifel. Keine Bedenken bestehen auch gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Fahrlässigkeit des Beklagten nicht nur die Verletzung der Mutter umfaßte, sondern auch die Verletzung der von ihr getragenen Frucht und damit des klagenden Kindes. Das ergibt sich zwar nicht schon daraus, daß der Beklagte die Mutter schuldhaft verletzt hatte und deshalb ohne weiteres für alle ihr erwachsenen „Folgeschäden” haftet. Indes braucht das Kind nicht auch zu beweisen, daß der Beklagte voraussehen konnte, eine Schwangere oder gar die Leibesfrucht als solche zu verletzen. Ob dies daraus folgt, daß Mutter und Kind notwendig eine „Lebenseinheit” bilden (so Stoll a.a.O. S. 759), kann dahingestellt bleiben. Für die Haftung des Schädigers genügt es, wenn er die Möglichkeit des Eintritts eines schädigenden Erfolges im allgemeinen hätte erkennen müssen; wie sich der Schadenshergang dann im einzelnen abspielte und welcher Schaden eintreten würde, brauchte nicht vorhersehbar sein (vgl. RGZ 136, 4, 10; Senatsurteil vom 26. Januar 1955 – VI ZR 253/53 – LM BGB § 823 [Ec] Nr. 8; vgl. auch Selb a.a.O. S. 124).
Unterschriften
Pehle, Dr. Bode, Dr. Weber, Nüßgens, Scheffen
Fundstellen
Haufe-Index 1502230 |
BGHZ |
BGHZ, 48 |
NJW 1972, 1126 |
Nachschlagewerk BGH, ja zu B EGr |