Leitsatz (amtlich)
Neben dem aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV folgenden und der Höhe nach auf 15% des gezahlten Kaufpreises begrenzten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens hat der Käufer eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller keinen Anspruch auf Ersatz eines darüber hinausgehenden Finanzierungsschadens.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Dresden (Entscheidung vom 04.10.2022; Aktenzeichen 18a U 1829/21) |
LG Leipzig (Entscheidung vom 26.07.2022; Aktenzeichen 3 O 2261/19) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. Oktober 2022 - mit der Maßgabe, dass dieses Urteil im Tatbestand dahingehend berichtigt wird, dass der Berufungsantrag zu 2 nur in Höhe von 1.066,99 € nebst Zinsen gestellt wurde - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1 und zu 2 zu dessen Nachteil erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte (in erster Instanz: Beklagte zu 2) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte im Juli 2016 unter Inanspruchnahme eines Darlehens von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 897 ausgerüsteten Gebrauchtwagen Audi A6 Avant 3.0 TDI (Schadstoffklasse Euro 6). Das Fahrzeug, das der Kläger mittlerweile verkaufte, war von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen.
Rz. 3
Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn so zu stellen, als habe er das Fahrzeug nicht erworben. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die zuletzt auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Veräußerungserlöses und einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 1), auf Erstattung von Finanzierungskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 2) und auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die zuletzt gestellten Berufungsanträge zu 1 und zu 2 in Bezug auf eine deliktische Schädigung weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die wirksam auf die Berufungsanträge zu 1 und zu 2 sowie - wie die Auslegung der Revisionsbegründung ergibt - auf deliktische Schadensersatzansprüche beschränkte Revision (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 5 ff.; Urteil vom 10. Juli 2023 - VIa ZR 1620/22, juris Rn. 5 ff.) hat Erfolg.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 6
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht zu, weil er greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten weder in Bezug auf ein - von der Revision allein noch in den Blick genommenes - Thermofenster noch auf andere vom Kläger angeführte Abschalteinrichtungen aufgezeigt habe. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV könne der Kläger den geltend gemachten Anspruch nicht herleiten, weil das Interesse eines Autokäufers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Regelungsbereich dieser Vorschriften liege, hinsichtlich eines Thermofensters viel für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum der Beklagten spreche und sich jedenfalls nicht der geltend gemachte große Schadensersatz ergebe.
II.
Rz. 7
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB mangels greifbarer Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten verneint, sind zwar Rechtsfehler nicht ersichtlich (vgl. § 559 Abs. 2 ZPO) und erhebt auch die Revision keine Einwände. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann aber ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.
Rz. 8
Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 17).
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es tragfähige Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 10
Das Berufungsurteil ist gemäß § 562 Abs. 1 ZPO in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat bislang keine Feststellungen getroffen, die eine deliktische Haftung der Beklagten wegen eines zumindest fahrlässigen Verhaltens ausschlössen. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die aus dem Tenor ersichtliche Berichtigung (§ 319 Abs. 1 ZPO) beruht darauf, dass der Kläger den Berufungsantrag zu 2 ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts am 28. Juli 2022 (GA IV 729R) in Höhe von 1.066,99 € gestellt hat (und nicht, wie es in dem Berufungsurteil offenbar unrichtig heißt, in Höhe von 2.011,02 €).
Rz. 11
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen Differenzschaden darzulegen und seine Klageanträge entsprechend anzupassen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Es wird im weiteren Verfahren zunächst zu beachten haben, dass - wie die Revision zu Recht rügt - für die Prüfung, ob die Beklagte schuldhaft gehandelt hat, andere Grundsätze gelten als im Berufungsurteil hinsichtlich eines Thermofensters in Erwägung gezogen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 58 bis 70). Außerdem wird es zu bedenken haben, dass die Weiterveräußerung des Fahrzeugs der Geltendmachung des Differenzschadens entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht entgegensteht (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 75). Schließlich wird das Berufungsgericht in Rechnung zu stellen haben, dass ein Differenzschaden nur bis zur Höhe von 15 % des gezahlten Kaufpreises zu ersetzen ist und darüber hinaus auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV der Ersatz eines weiteren Finanzierungsschadens nicht verlangt werden kann. Dem Berufungsantrag zu 2 wird das Berufungsgericht mithin nur entsprechen können, wenn es nach der Zurückverweisung andere Tatsachen feststellen sollte, aufgrund derer eine Haftung der Beklagten auch nach §§ 826, 31 BGB in Betracht käme (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 28).
Menges |
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Krüger |
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Götz |
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Rensen |
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Wille |
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Fundstellen
BB 2024, 65 |
NJW 2024, 8 |
WM 2023, 2343 |
JZ 2024, 12 |