Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für eine deliktische Haftung des Grundstücksbesitzers
Leitsatz (amtlich)
Der Geschädigte kann einen außerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses stehenden Zweitschädiger insoweit nicht auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, als der für den Unfall mitverantwortliche Unternehmer ohne seine Haftungsfreistellung (§ 636 RVO) im Verhältnis zu dem Zweitschädiger (§§ 426, 254 BGB) für den Schaden aufkommen müßte (Ergänzung zu BGHZ 51, 37).
Normenkette
BGB § 836; RVO § 636; BGB § 823 Abs. 1, §§ 254, 426
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 24. August 1971 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Jahre 1969 führten der Erstbeklagte als Bauunternehmer und der Zweitbeklagte als sein Polier den Wiederaufbau der H.-J.-Kirche in R. aus. Sie unterhielten im August 1969 an der Längsseite des Gebäudes ein Baugerüst. Der Kläger, der bei dem Dachdeckermeister B., in Diensten stand und das Kirchendach einzudecken hatte, benutzte dieses Gerüst, um das Dach zu besteigen und wieder zu verlassen. Als er am Morgen des 20. August 1969 gegen 9.00 Uhr das Dach verließ und nach seinem Arbeitskollegen Bö. von der Dachrinne aus auf die oberste Lage des Gerüstes trat, verlor er den Halt und stürzte etwa 10 m tief ab. Er erlitt erhebliche Verletzungen.
Der Kläger hat vorgetragen: Er und Bö. seien zur Benutzung des am Unfalltage an der Gebäudelängsseite noch voll vorhandenen Gerüstes befugt gewesen. Sie hätten das Dach wegen der anstehenden Frühstückspause und daher nicht in besonderer Eile verlassen. Dabei habe er vorsichtig einen Fuß nach dem anderen auf das nur 40 cm unterhalb der Dachtraufe befindliche Gerüstbrett setzen wollen, sei also keinesfalls gesprungen. In dem Augenblick, als er sein zweites Bein aus der Traufe weggezogen und somit das bereits auf dem Gerüstbrett stehende andere Bein voll belastet habe, habe das Auftrittbrett nachgegeben. Es sei unzureichend befestigt und mangelhaft unterhalten worden. Nach dem Unfall habe Bö. festgestellt, daß der Gerüsthaken aus der Halterung gerissen gewesen sei. Die Halterung habe offenbar das Gewicht des 65 kg schweren Bö. gerade noch ausgehalten, habe aber dann nachgegeben, als er, der Kläger, mit seinen 90 kg Gewicht das Brett voll belastet habe. Das alles sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen. Der Zweitbeklagte habe sich anschließend sofort bemüht, diesen Sachverhalt zu vertuschen. Er habe die oberen Teile des Gerüstes rasch abgebaut, um den Eindruck zu erwecken, das Gerüst habe sich bereits im Abbruch befunden. In Wirklichkeit sei es noch vollständig vorhanden gewesen und von den Arbeitnehmern des Erstbeklagten bei den Verfugungsarbeiten noch benutzt worden. Ferner habe der Zweitbeklagte die Unfallzeugen zu bestimmen versucht, sie sollten einfach angeben, er - der Kläger - sei vom Dach gefallen.
Der Kläger hat seine Verletzungen im einzelnen beschrieben und geltend gemacht, wegen zurückgebliebener Dauerschäden, u.a. einer Störung im Gleichgewichtssystem, könne er den Dachdeckerberuf nicht mehr ausüben. Er hat schließlich von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen gefordert und die Feststellung begehrt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner zum Ersatz allen zukünftigen Unfallschadens verpflichtet sind, vorbehaltlich eines Rechtsübergangs auf einen Sozialversicherungsträger.
Die Beklagten haben um Klageabweisung gebeten und geltend gemacht: Das Gerüst sei ordnungs- und vorschriftsmäßig errichtet worden. Es sei allerdings zur Unfallzeit im Abbau begriffen und im Bereich der Stirn-(Giebel-)Seite nicht mehr vollständig gewesen. Der Kläger habe das Gerüst auch nicht benutzen dürfen; ihm und den anderen Handwerkern sei das Betreten ausdrücklich untersagt worden. Für Dachdeckerarbeiten sei es im übrigen von Anfang an weder bestimmt noch geeignet gewesen, für solche Zwecke sei vielmehr ein Fanggerüst erforderlich. Die Benutzung des Gerüstes gereiche mithin dem Kläger und seinem Arbeitgeber zum Verschulden. Der Unfall selbst sei nicht durch Ablösen eines Gerüsthakens verursacht worden. Er sei vielmehr die Folge dessen, daß der Kläger die oberste Gerüstlage verbotswidrig mit Eternitpaketen von 9 bis 10 Zentner Gewicht habe belasten lassen. Beim Abspringen des Klägers von der Dachtraufe auf die 1 m tiefere so belastete oberste Gerüstlage habe sich ein Federungseffekt ergeben, der dann den Absturz des Klägers nach sich gezogen habe. Auch die Schuld hierfür liege nicht bei ihnen, den Beklagten, sondern beim Kläger.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht dem Feststellungsbegehren gegenüber dem Erstbeklagten zu 2/3 und gegenüber dem Zweitbeklagten zu 1/2 vorbehaltlich eines Rechtsübergangs auf Sozialversicherungsträger stattgegeben und den Schmerzensgeldanspruch im Rahmen dieser Haftungsquoten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Mit der zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
A.
Die Revision ist schon deshalb im vollen Umfang zulässig, weil sie unbeschränkt zugelassen ist.
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist sie nicht nur in beschränktem Umfang eröffnet. Allerdings kann nach anerkannter Rechtsauffassung die Zulassung der Revision beschränkt werden (BGHZ 48, 134; 53, 152; vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 19. Aufl., § 546 VI 2 a m. w. Nachw.). Voraussetzung ist dann aber - abgesehen von der rechtlichen Zulässigkeit der ausgesprochenen Beschränkung -, daß sich die Beschränkung klar und eindeutig aus dem Berufungsurteil ergibt (vgl. BGH Urt. v. 30. März 1971 - VI ZR 190/69 = LM ZPO § 546 Nr. 77 = NJW 1971, 1217 [L]). Das ist hier nicht der Fall. Im Gegenteil spricht das Berufungsurteil eindeutig für eine unbeschränkte Zulassung.
Einmal lautet der Urteilsausspruch dahin, daß die Revision "gegen dieses Urteil" zugunsten der Beklagten zugelassen wird. Dazu heißt es in den Entscheidungsgründen, die unten unter B IV erörterte Rechtsfrage habe dem Berufungsgericht "Veranlassung" gegeben, die Revision zuzulassen. Damit ist ausgesprochen, daß ihre Zulassung nicht beschränkt sein soll, sondern lediglich begründet, aus welchem Anlaß das Rechtsmittel zugelassen worden ist (vgl. BGHZ 9, 357, 358; BGH Urt. v. 17. Dezember 1959 - II ZR 24/59 = LM ZPO § 546 Nr. 38 a; Urt. v. 18. Dezember 1969 - VIII ZR 12/67 = LM ZPO § 546 Nr. 68).
B.
Ohne Rechtsirrtum bejaht das Berufungsgericht im Grundsatz eine Haftung beider Beklagten.
I.
Die Haftung des Erstbeklagten stützt das Berufungsgericht - außer auf § 831 BGB - auf die §§ 837, 836 BGB.
1.
Hierbei legt es folgendes Unfallgeschehen zugrunde: Ursache des Gleichgewichtsverlustes des Klägers war ein Absacken der obersten Gerüstlage, auf der er stand, um etwa 20 cm. Der Haken einer Gerüstkette, die einen die Gerüstlage tragenden waagerechten Längsriegel mit dem nördlichen inneren Eckbaum des Gerüstes verband, hatte sich aus dem Gerüstbaum gelöst, war um 20 cm nach unten abgerutscht und hatte erst dann durch den Zug der Kette neuen Halt gefunden.
Der Tatrichter ist davon überzeugt, daß die den Sturz und die Verletzung des Klägers verursachende Ablösung die Folge einer fehlerhaften Errichtung oder einer mangelhaften Unterhaltung war.
In diesem Geschehen sieht das Berufungsgericht den Tatbestand des § 836 BGB erfüllt. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH Urt. v. 21. April 1959 - VI ZR 74/58 = VersR 1959, 694; Urt. v. 8. März 1960 - VI ZR 59/59 = VersR 1960, 426). Nicht erforderlich ist, daß der abstürzende Teil des Werkes als solcher unmittelbar die Beschädigung herbeigeführt hat, wenn nur bei gewöhnlichem Geschehensablauf die Unfallfolge eintreten konnte, also auch dann, wenn wie hier ein Brett nachgibt und dadurch der Kläger in die Tiefe stürzt (vgl. RGZ 52, 236; 97, 112).
Den dem Erstbeklagten obliegenden Entlastungsbeweis hält das Berufungsgericht schon deshalb nicht für geführt, weil der Sachverständige die Möglichkeit angedeutet hat, daß die Gerüststange infolge Verschleisses ("Schwundes") dem in ihr haftenden Haken nicht mehr genügend Halt geboten und der Erstbeklagte diese Möglichkeit nicht ausgeräumt habe.
2.
Die Revision bekämpft diese Beurteilung ohne Erfolg.
Zu Unrecht wendet sie sich gegen diese Ausführungen des Berufungsgerichts mit dem Vorbringen, der Kläger habe das Gerüst überhaupt nicht benutzen dürfen, er habe das Gerüst rechtswidrig betreten. Das Berufungsgericht stellt ausdrücklich fest, daß die Dachdecker und damit der Kläger auch noch im Unfallzeitpunkt das Gerüst mit Wissen und Willen des Zweitbeklagten, des Poliers des Erstbeklagten, benutzten. Hierbei stützt es sich auf die eigene Bekundung des Zweitbeklagten im Beweistermin. Schon deshalb geht dieser Angriff der Revision fehl, ohne daß es darauf ankommt, ob für die Beklagten nicht jedenfalls deshalb eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem Kläger bestand, weil sie - ohne das gestattet zu haben - jedenfalls von einem Benutzen wußten oder damit rechnen mußten (vgl. BGH Urt. v. 21. April 1959 - VI ZR 74/58 = aaO).
Ebenfalls ohne Erfolg verweist die Revision auf den früheren Tatsachenvortrag der Beklagten, der Unfall beruhe auf der Hebelwirkung der im zweiten Feld von den Dachdeckern gelagerten schweren Eternitplatten, womit sie offensichtlich die Ursächlichkeit der fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung für die "Ablösung" im Sinne des § 836 BGB in Abrede stellen will. Das Berufungsgericht stellt nicht nur fest, daß das letzte (nördlichste) obere Gerüstfeld durch lagernde Schieferpaletten nicht überlastet war, sondern hat in anderem Zusammenhang die Verneinung einer Überbelastung dahin näher bestimmt, daß diese Belastung der Gerüstlage weder unmittelbar noch mittelbar durch die von den Beklagten vorgebrachte Hebelwirkung die Sicherheit des nördlichsten Gerüstfeldes beeinträchtigen konnte, von dem der Kläger abgestürzt ist. Zudem sind weder Böttcher noch der Kläger mit "Vehemenz" vom Dach auf das Gerüst heruntergesprungen.
Entgegen dem Vorbringen der Revision war im Unfallzeitpunkt noch nicht mit dem Abbau des Baugerüsts an der Längsseite des Gebäudes, an der der Kläger abstürzte, begonnen worden. Der Zweitbeklagte hatte lediglich den Abbau des Gerüsts an der nördlichen Giebelseite angefangen. Zudem - und das ist jedenfalls für den Grund der Haftung entscheidend - benutzten die Dachdecker und damit auch der Kläger das Gerüst auch jetzt noch mit Wissen und Willen des Zweitbeklagten, wie bereits dargelegt ist.
Aus diesen Gründen ist es entgegen der Auffassung der Revision rechtlich ohne Belang, ob die oberste Gerüstlage nur für Arbeiten des Klempners R. errichtet war und diese Lage von den Leuten des Erstbeklagten im Unfallzeitpunkt noch benutzt wurde.
Daher kann auch der Rechtsansicht der Revision nicht gefolgt werden, ein am Bau mitarbeitender Handwerker, wie hier der Kläger, könne sich gegenüber dem Erstbeklagten ausschließlich auf § 823 BGB berufen. Im übrigen steht nicht nur bei dieser Norm, sondern auch bei § 836 BGB die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht in Frage (vgl. Staudinger/Schäfer 11. Aufl. § 836, 4), in dem die Rechtspflicht zur Gefahrenabwehr ausdrücklich ausgesprochen ist.
Schließlich steht einer Haftung des Erstbeklagten nicht entgegen, wenn die fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung nicht die einzige Ursache des Geschehens gewesen sein sollte, sondern auch andere Umstände mitgewirkt haben, insbesondere ein menschliches Verhalten wie das des Arbeitgebers des Klägers. Hier wie auch sonst reicht eine Mitursächlichkeit aus.
II.
Die Haftung des Zweitbeklagten bejaht das Berufungsgericht nach § 823 Abs. 1 BGB.
1.
Hierbei legt das Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde, daß der Kläger zwischen den äußersten Gerüststangen am nördlichen Ende des Gerüstes heruntergefallen ist. Dort fehlte die nach den Unfallverhütungsvorschriften gebotene Schutzwehr. Bei ihrem Vorhandensein wäre der Absturz des Klägers trotz der im Sinne des § 836 BGB entscheidenden Mängel verhindert worden.
Das Berufungsgericht hält den Zweitbeklagten für verpflichtet, wegen Fehlens einer Brustwehr an der nun offen gewordenen nördlichen Schmalseite das Betreten des Gerüstes durch den Kläger zu unterbinden. Stattdessen benutzten die Dachdecker das Gerüst auch jetzt noch mit seinem Wissen und Willen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hätte er bei gebotener Sorgfalt in Rechnung stellen müssen, daß die ihm bekannte abstrakte Gefahr wegen teilweisen Fehlens einer Brustwehr zu einem Personenschaden führen könnte.
2.
Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Das Berufungsgericht erwartet vom Zweitbeklagten nicht lediglich einen Hinweis auf die - nach Meinung der Revision dem Kläger bekannte - Gefahr, sondern eine Unterbindung der Benutzung des Gerüsts jedenfalls in diesem Bereich, wenn der Zweitbeklagte der entstandenen Gefährdung nicht durch andere Sicherungsmaßnahmen begegnete. Diese Pflicht des Zweitbeklagten entfiel nicht schon dann und deshalb, wenn und weil der Kläger diesen Zustand kannte, wie die Revision meint. Diesen Umstand hat das Berufungsgericht zutreffend zu Lasten des Klägers im Rahmen des § 254 BGB berücksichtigt.
III.
Das Berufungsgericht bejaht ein Mitverschulden des Klägers .
1.)
Dem Kläger lastet es an, daß er unter den besonderen Umständen den Abstieg vom Dach nicht an einer Stelle gewählt hat, die von der ungesicherten Schmalseite des Gerüsts weiter entfernt war. Hierbei berücksichtigt es, daß er als Dachdecker nicht weniger mit Baustellen- und Gerüstgefahren vertraut war als der Zweitbeklagte.
2.)
Im Verhältnis zum Zweitbeklagten bemißt das Berufungsgericht den Anteil des Klägers als gleichwertig und damit auf 1/2. Im Verhältnis zum Erstbeklagten erachtet es dessen Anteil für überwiegend und gelangt zu einem Verhältnis von 2/3 zu 1/3 zu seinen Lasten.
IV.
Das Berufungsgericht führt weiter aus, das Fehlen eines für die Dachdeckerarbeiten hier vorgeschriebenen Fanggerüstes sei in erster Linie dem Arbeitgeber des Klägers zur Last zu legen. Wenn der Arbeitgeber, so erwägt es, auch bei den eigentlichen Dachdeckerarbeiten nicht mitgewirkt habe, so sei doch davon auszugehen, daß die Planung der Baustelleneinrichtung seine Angelegenheit gewesen sei.
Trotzdem lehnt das Berufungsgericht eine Kürzung der Klageansprüche gegen die Beklagten in dem Maße, in dem der Arbeitgeber des Klägers schuldhaft zum Unfall beigetragen hat, ab. Hierbei geht es davon aus, daß den Beklagten im Hinblick auf § 636 RVO verwehrt ist, den Arbeitgeber des Klägers im Wege der Ausgleichung nach den §§ 426, 254 BGB in Anspruch zu nehmen. Es verkennt nicht, daß nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats bei solcher Lage die Haftung des Zweitschädigers auf den Teil beschränkt ist, der dem Verantwortungsbereich des Zweitschädigers im Innenverhältnis zu dem nach § 636 RVO freigestellten Erstschädiger entspricht, sofern ein Sozialversicherungsträger (SVT) oder Arbeitgeber die kraft Gesetzes oder kraft Rechtsgeschäfts übergegangenen Ansprüche des Geschädigten geltend macht. Zu Recht führt es aus, daß der Bundesgerichtshof über diese Frage noch nicht befunden hat, wenn wie hier der Geschädigte selbst ihm verbliebene Ansprüche gegen den Zweitschädiger verfolgt. Wenn nach Auffassung des Berufungsgerichts auch eine Folgerichtigkeit besteht, auch hier die Haftung des Zweitschädigers - und zwar durch Kürzung der Ansprüche des Geschädigten - zu beschränken, verneint es trotzdem eine solche Kürzung und bejaht demgemäß eine volle Haftung des Zweitschädigers gegenüber dem Geschädigten (Kläger).
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
1.
Wie der erkennende Senat mehrfach ausgesprochen hat - auch das Berufungsgericht geht davon aus -, kann die Lösung des Konflikts im Dreiecksverhältnis zwischen Geschädigtem (SVT), Unternehmer/Arbeitskollegen und Zweitschädiger bei einer Gestaltung wie hier ("gestörter Gesamtschuldnerausgleich", "hinkender Gesamtschuldnerausgleich") nicht darin gefunden werden, daß der nach §§ 636, 637 RVO freigestellte Mitschädiger gleichwohl im Ausgleich herangezogen wird (BGHZ 19, 114, 121; 24, 247, 250; 51, 37, 39; 55, 11, 15; 58, 355; Urt. v. 10. Januar 1967 - VI ZR 77/65 = VersR 1967, 250; Urt. v. 16. Februar 1971 - VI ZR 125/69 = NJW 1971, 752). Damit würde der Schutzzweck der §§ 636, 637 RVO vereitelt werden, der dahin geht, daß diese privilegierten Personen endgültig freigestellt sein sollen.
2.
Auf der anderen Seite ist nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats daraus noch nicht zu entnehmen, daß der Zweitschädiger den Gesamtschaden allein zu tragen hat. Soweit reichen Sinn und Zweck des Haftungsausschlusses der §§ 636, 637 RVO nicht. Wenn nach dem Sinngehalt dieser Regelungen die privilegierten Mitschädiger auch endgültig freigestellt werden sollen, so ist dem Gesetz doch nichts dafür zu entnehmen, daß die Auswirkungen dieses versicherungsrechtlichen Haftungsvorrechts über den Kreis der am Versicherungsverhältnis Beteiligten hinausreichen und die Rechte eines zweiten Schädigers, der außerhalb des Versicherungsverhältnisses steht, beeinträchtigen sollen. Darin liegt der entscheidende Grund für diese neuere Rechtsprechung (vgl. schon BGHZ 51, 37, 40; besonders auch BGHZ 58, 355, 359/360), die - jedenfalls soweit Legalzession (vgl. weiter BGHZ 55, 11; 58, 355; vgl. auch BGHZ 54, 256) oder rechtsgeschäftliche Abtretung an den Arbeitgeber (BGHZ 54, 177) vorliegt - den Zweitschädiger in Höhe des Verantwortungsteiles freistellt, der auf den Bevorrechtigten (Unternehmer/Arbeitskollegen) ohne dessen Eingliederung in das System der Sozialversicherung und die hierauf beruhende Haftungsfreistellung (§§ 636, 637 RVO) im Verhältnis zum Zweitschädiger (§§ 426, 254 BGB) entfiele.
3.
In den bisher vom Senat beurteilten Sachverhalten waren, wie bereits dargelegt, Kläger ein SVT kraft Rechtsübergangs oder der Arbeitgeber des Geschädigten kraft Abtretung (BGHZ 54, 177). Der erkennende Senat hat sich dort darauf beschränkt, insbesondere aus den Eigenarten des Verhältnisses zwischen dem jeweiligen Kläger und dem Zweit Schädiger herzuleiten, daß dem Legalzessionar oder dem rechtsgeschäftlichen Zessionar gegen den Zweitschädiger nur ein gekürzter Schadensersatzanspruch (Rückgriffsanspruch) zusteht, und zwar entsprechend der Höhe des Verantwortungsteils des durch die Vorschriften der RVO freigestellten Erstschädigers. In dem jetzt vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob der Geschädigte selbst ihm verbliebene Ansprüche in solcher Lage mit Erfolg ebenfalls nur in der gekennzeichneten gekürzten oder in voller Höhe geltend machen kann. Die bisher im Vordergrund stehende Wertung (Schutz des Zweitschädigers im Hinblick auf den begrenzten Sinnbereich der §§ 636, 637 RVO) hat auch bei der jetzigen Gestaltung seine volle Berechtigung. Auch hier würde der Zweitschädiger von der aus anderen Gründen geschaffenen Haftungsfreistellung des Erstschädigers betroffen, ohne daß dessen Sinnbereich diese Folge umfaßt. Auch die Belange des Geschädigten stehen bei sachgerechter Wertung einer Kürzung nicht entgegen.
Nimmt man die Freistellung des bevorrechtigten Mitschädigers ernst und sichert sie auch gegen eine sinnwidrige Umgehung durch Inanspruchnahme im Regreßwege ab, und geht man weiterhin davon aus, daß sich die gesetzlich angeordnete Haftungsbefreiung nicht zu Lasten des Zweitschädigers (der Beklagten) auswirken soll, dann ist es angemessen, die Belange des Geschädigten zurücktreten zu lassen. Sein Schadensersatzanspruch gegen den Zweitschädiger ist auf das beschränkt, was auf diesen im Innenverhältnis endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch die aus anderen Gründen geschaffene Sonderregelung der §§ 636, 637 RVO gestört wäre.
Die Kürzung der dem Geschädigten verbliebenen Ansprüche gegen den Zweitschädiger ist in der Sache gerechtfertigt. Sie entspricht der gesetzlichen Regelung, die ihm Rechte gegen seinen Unternehmer und gegen seine Arbeitskollegen versagt. Sie findet ihren Ausgleich und ihre sachliche Rechtfertigung darin, daß er in den Genuß der Leistungen der Sozialversicherung bei einem Unfall ohne Rücksicht darauf gelangt, ob ihm an sich ein Schädiger haftet, und dazu in vollem Umfange auch bei eigenem Verschulden, die zudem wirtschaftlich sicher sind und ihm bald zur Verfügung stehen (soziale Sicherung des Arbeitnehmers). Der Konflikt entsteht letztlich durch ein Zusammentreffen der beiden grundsätzlich unterschiedlichen Unfallhaftungssysteme der Sozialversicherung und des deliktischen (oder anderen) Haftpflichtrechts. Es erscheint sinngemäß und angemessen, wenn der Geschädigte daher die Möglichkeiten beider Regelungsbereiche lediglich nach den in ihnen entstandenen Verantwortungsteilen in Anspruch nehmen kann (im Ergebnis ebenso: von Caemmerer ZfRV 1968, 81, 96; Esser SchR I 4. Aufl. § 59 II 3 und offenbar auch § 112 I 2 b; Keuk AcP 168, 175, 191; Medicus Bürgerl. Recht 3. Aufl. § 33 II 4 und JZ 1967, 398; Prölss VersR 1967, 678; Sieg JZ 1969, 263; Thiele JuS 1968, 149, 156).
4.
Das gilt auch, soweit der Schmerzensgeldanspruch in Frage steht. Man hat zutreffend darauf hingewiesen, daß, wenn der Arbeitgeber des Geschädigten den Unfall allein zu verantworten hat, der Schmerzensgeldanspruch völlig entfällt (Medicus JZ 1967, 398, 402), eine Folge, die auch verfassungsrechtlichen Bedenken nicht unterliegt (BVerfG NJW 1973, 502 = VersR 1973, 296). Bahn erscheint es durchaus sinngemäß, daß der Anspruch zum Teil entfällt, wenn der Unternehmer (Arbeitskollege) neben einem Zweitschädiger teilverantwortlich ist (Medicus aaO; Gitter Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht 1969, 251).
V.
Da das Berufungsgericht folgerichtig nicht darüber befunden hat, ob und gegebenenfalls mit welcher Beteiligung im Innenverhältnis der Arbeitgeber des Klägers ohne die Freistellung nach § 636 RVO für den Schaden des Klägers einzustehen hätte, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zufällt.
Unterschriften
Dr. Weber,
Nüßgens,
Sonnabend,
Scheffen,
Dr. Kulimann
Fundstellen
Haufe-Index 1456237 |
BGHZ, 51 |
NJW 1973, 1648 |
JR 1974, 150 |