Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Haftungsquotierung bei weisungswidriger Fehlleitung eines Überweisungsbetrages im beleglosen Überweisungsverkehr durch die Empfängerbank und fehlerhafter Angabe der Bankleitzahl durch den Auftraggeber.
Normenkette
BGB § 254 Abs. 1
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Aktenzeichen 5 U 370/98) |
LG Erfurt (Aktenzeichen 9 O 2078/97) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 10. November 1998 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt vom 3. Februar 1998 im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 397.238,94 DM nebst 4% Zinsen seit dem 2. Oktober 1995 verurteilt worden ist.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Anschlußrevision wird nicht angenommen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 20% und die Beklagte 80% zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Freistaat Sachsen nimmt die beklagte Bank aus eigenem und abgetretenem Recht der S. LB Girozentrale (im folgenden: LB) im Zusammenhang mit einem fehlgeleiteten Überweisungsbetrag auf Zahlung in Anspruch.
Das Finanzamt L. erteilte der LB am 3. April 1995 im beleglosen Überweisungsverfahren den Auftrag, 515.781,30 DM auf das Konto Nr.: 1… der K. GmbH bei der Filiale der Beklagten in L. zu überweisen. Dabei wurde irrtümlich nicht die Bankleitzahl der Filiale L. (86…), sondern die der Filiale M. (84…) angegeben, wo die Zahlungsempfängerin kein Konto unterhält. Die Beklagte, der die LB den Überweisungsbetrag zur Verfügung stellte, ordnete – wie von ihr allgemein praktiziert – die Überweisung anhand der im Auftrag angegebenen Bankleitzahl einem sogenannten Kontonummernkreis zu, und zwar der Gebietsfiliale E., die nach der Organisation der Beklagten für ihre Filialen mit den Bankleitzahlen 82…, 83… und 84… zuständig ist. Innerhalb eines Kontonummernkreises wird eine Kontonummer nur einmal vergeben. Die Beklagte schrieb den Überweisungsbetrag dem Konto-Nr. 1… der P. GmbH bei ihrer Filiale in E. (BLZ: 82…) gut. Die inzwischen in Konkurs gefallene P. GmbH hat mit Ausnahme von 19.232,62 DM über den Betrag verfügt. Der Kläger verlangt Rückerstattung des restlichen Überweisungsbetrages von 496.548,68 DM zuzüglich Verzugszinsen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen dem Kläger die Hälfte des geltend gemachten Betrages zugesprochen. Der Kläger erstrebt mit der Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte begehrt mit der Anschlußrevision die Klageabweisung in vollem Umfang.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zu einem Teil begründet. Die Anschlußrevision der Beklagten bleibt erfolglos.
I.
Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe nach Abtretung durch die LB gegen die Beklagte nach §§ 667, 675 BGB einen Anspruch auf Rückerstattung des zur Ausführung des Überweisungsauftrages erhaltenen Vorschusses, da sie den Auftrag weisungswidrig ausgeführt habe. Die Abtretung sei wirksam. Das Abtretungsverbot in Abschnitt III Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für den beleglosen Datenträgeraustausch betreffe schon nach dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang nur Schadensersatzansprüche, nicht dagegen vertragliche Rückerstattungsansprüche. Diese seien abgetreten worden, auch wenn in der Abtretungserklärung nur von „Schadensersatzansprüchen” die Rede sei. Aus dem gesamten Vertragstext ergebe sich, daß nach dem Willen der Vertragschließenden alle Ansprüche, gleich aus welcher Rechtsgrundlage, auf den Kläger übergehen sollten, die der Zedentin gegen die Beklagte „im Zusammenhang mit der Abwicklung des Überweisungsauftrages … vom 3.4.1995” zustehen.
Der abgetretene Rückerstattungsanspruch sei aber wegen Mitverschuldens des anweisenden Finanzamts L. zur Hälfte gemindert. Die Mitverursachungsanteile beider Parteien seien gleich hoch. Die Beklagte habe entgegen der von ihr geschuldeten banküblichen Sorgfalt auf einen Vergleich von Kontonummer und Bankleitzahl vor Buchung verzichtet und dadurch fahrlässig eine Fehlbuchung vorgenommen. Das Finanzamt L., das im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung einen der Beklagten vergleichbaren Kenntnis- und Erfahrungsstand besitze und regelmäßig ebenfalls zur Rationalisierung und Kostenersparnis Überweisungen im beleglosen Zahlungsverkehr in beträchtlicher Größenordnung in Auftrag gebe, habe durch fahrlässige Angabe einer falschen Bankleitzahl eine Fehlbuchung adäquat kausal verursacht. Umstände, die eine höhere Bewertung des einen oder anderen Sorgfaltsverstoßes nahelegen würden, seien nicht ersichtlich.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts: Die Voraussetzungen der §§ 675, 667 BGB für einen Rückerstattungsanspruch des Klägers aus abgetretenem Recht der LB liegen vor.
a) Die Beklagte ist von dem Auftrag der LB, den vorschußweise überwiesenen Betrag auf dem Konto der K. GmbH L. (Konto-Nr.: 1…, BLZ: 84…) gutzuschreiben, durch Vornahme der Gutschrift auf dem Konto der P. GmbH Nr. 1… bei der Filiale E. (BLZ: 82…), abgewichen. Sie hat wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der formalen Auftragsstrenge keinen Aufwendungsersatzanspruch erworben. Den weisungswidrig verwandten Vorschußbetrag hat die Beklagte ohne Rücksicht auf ein Verschulden zurückzuerstatten (vgl. BGHZ 108, 386, 388; Senatsurteil vom 8. Oktober 1991 - XI ZR 207/90, WM 1991, 1912, 1913 m.w.Nachw.).
Im beleglosen Zahlungsverkehr bestimmen sich die Pflichten der beteiligten Kreditinstitute im Verhältnis zueinander – und damit auch der Inhalt der dem endbegünstigten Kreditinstitut erteilten Weisung – nach den einschlägigen Richtlinien, hier den Richtlinien über das Magnetband-Clearing-Verfahren (vgl. BGHZ 108, 386, 389). Danach war die Beklagte zwar nicht zu einem Vergleich des angegebenen Empfängernamens mit dem Namen des Kontoinhabers verpflichtet. Sie hätte den Überweisungsbetrag daher einem Konto mit der angegebenen Nummer bei der durch die Bankleitzahl bestimmten Filiale gutschreiben dürfen. Die Beklagte hat aber den Betrag einem Konto gutgeschrieben, das einer anderen als der vom Auftraggeber angegebenen Bankleitzahl zugeordnet war und bei einer anderen als der angegebenen Filiale geführt wurde. Damit hat die Beklagte gegen die Weisung des Auftraggebers verstoßen.
b) Zu Recht hat das Berufungsgericht auch eine wirksame Abtretung des Rückerstattungsanspruchs an den Kläger bejaht. Es hat zutreffend ausgeführt, daß das in Abschnitt III Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für den beleglosen Datenträgeraustausch enthaltene Abtretungsverbot sich nach Wortlaut, Sinn und Zweck nur auf Schadensersatzansprüche aus einer Verletzung der Richtlinien erstreckt und vertragliche Rückerstattungsansprüche gemäß §§ 667, 675 BGB nicht erfaßt. Daß solche Ansprüche abgetreten wurden, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.
2. Mit Recht hat das Berufungsgericht eine Herabsetzung des Rückerstattungsanspruchs des Klägers wegen mitwirkenden eigenen Verschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB) bejaht (vgl. BGHZ 108, 386, 391). Der im Berufungsurteil festgestellte Sachverhalt rechtfertigt es jedoch nicht, die Mitverschuldensanteile beider Parteien gleich hoch zu bewerten. Der Anteil der Beklagten ist ungleich höher.
a) Bei der Festlegung der Mitverschuldensquote ist in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Schadensverursachung und in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzustellen (vgl. Senatsurteil vom 13. Mai 1997 - XI ZR 84/96, WM 1997, 1250, 1252; BGH, Urteil vom 20. Januar 1998 - VI ZR 59/97, VersR 1998, 474, 475). Es kommt danach für die Haftungsverteilung wesentlich darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in erheblich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat.
b) Die unter diesen Gesichtspunkten vorzunehmende Abwägung gehört allerdings in den Bereich der tatrichterlichen Würdigung. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob der Abwägung durch den Tatrichter rechtlich zulässige Erwägungen zugrundeliegen und ob er alle in Betracht kommenden Umständen vollständig und richtig berücksichtigt hat (vgl. BGHZ 51, 275, 279 f.; BGH, Urteil vom 12. Januar 1993 - VI ZR 75/92, NJW-RR 93, 480 m.w.Nachw.).
Das ist nicht der Fall. Das Berufungsgericht stellt auf seiten der Beklagten vor allem darauf ab, daß sie fahrlässig auf einen Vergleich von Kontonummer und Bankleitzahl verzichtet hat. Dies ist nicht der entscheidende Gesichtspunkt. Der Schaden ist vielmehr vor allem dadurch verursacht worden, daß die Beklagte von der ihr erteilten Weisung abgewichen ist. Zu der Gutschrift auf dem Konto der P. GmbH bei der Filiale der Beklagten in E. konnte es nur kommen, weil die Beklagte bei der Zuordnung der Überweisungsaufträge ein Verfahren gewählt hat, bei dem ungeprüft blieb, ob bei der durch die Bankleitzahl gekennzeichneten Filiale ein Konto mit der vom Auftraggeber angegebenen Nummer überhaupt existierte. Eine solche Prüfung ist unerläßlich, um mögliche Fehler der Anweisung zu erkennen und die Ausführung solcher Überweisungsaufträge abzulehnen.
c) Demgegenüber fällt der Verursachungsbeitrag des Finanzamts deutlich weniger ins Gewicht. Er ist allerdings – entgegen der Ansicht der Revision – nicht völlig unbeachtlich. Wer – wie der Kläger – professionell am beleglosen Überweisungsverkehr teilnimmt, hat – anders als der Privatkunde beim beleghaften Überweisungsverkehr, bei dem es entscheidend auf den Empfängernamen ankommt – peinlich genau darauf zu achten, daß nicht nur die Kontonummer des Empfängers, sondern auch die Bankleitzahl der Empfängerbank zutreffend angegeben wird, um Fehlüberweisungen zu vermeiden.
Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht mehr zu treffen sind, kann der Senat die Quote selbst bestimmen (Senatsurteil vom 13. Mai 1997 - XI ZR 84/96, WM 1997, 1250, 1252 m.w.Nachw.). Unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Falles erscheint es angemessen, das dem Kläger anzulastende Mitverschulden mit 20% zu bewerten.
III.
Die Annahme der unselbständigen Anschlußrevision der Beklagten war abzulehnen. Sie hat weder Aussicht auf Erfolg noch grundsätzliche Bedeutung (§ 554b ZPO). Prozeßrechtliche Bedenken, diese Entscheidung nicht in einem vorgeschalteten Beschlußverfahren, sondern nach mündlicher Verhandlung durch Urteil zu treffen, bestehen nicht (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 1996 - XI ZR 172/95, WM 1996, 1260, 1262 f. m.w.Nachw.).
Unterschriften
Nobbe, Dr. Schramm, Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Müller
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.10.1999 durch Bartholomäus, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539491 |
BB 1999, 2425 |
DB 1999, 2507 |
NJW-RR 2000, 272 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 2255 |
WuB 2000, 101 |
ZIP 1999, 1961 |
MDR 2000, 40 |
VersR 2001, 771 |
Consultant 2000, 10 |
ZBB 1999, 390 |