Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt
Leitsatz (amtlich)
Zum Anspruch eines Kindes auf Ausbildungsunterhalt nach einem Wechsel der Ausbildung (hier: abgebrochene Heilpraktiker-Ausbildung und Aufnahme des Medizinstudiums).
Normenkette
BGB § 1610 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Hamburg |
AG Hamburg-Bergedorf |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 5. März 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt in Anspruch.
Die am 1. Mai 1970 geborene Klägerin ist die Tochter des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe. Sie hat im Sommer 1991 das Abitur mit der Note 2,2 bestanden. Der Abschluß der Schulausbildung hatte sich durch mehrere Auslandsaufenthalte der Klägerin verzögert. Nach Abschluß der 10. Klasse im Sommer 1986 erhielt sie ein Teilstipendium für ein Auslandsjahr in den USA. Dort erwarb sie das Highschool-Diplom. Im Sommer 1988 nutzte sie die Gelegenheit, an einer Reise nach Südafrika teilzunehmen. Im Jahre 1989 hielt die Klägerin sich von Februar bis zum Sommer in Paris auf; ihren Lebensunterhalt verdiente sie durch Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten. Ihre Auslandsaufenthalte begründete die Klägerin damit, daß sie der belastenden häuslichen Situation mit streitenden Eltern und einem bis 1993 drogenabhängigen Bruder habe entfliehen wollen. Im Februar 1990 bezog die Klägerin eine eigene Wohnung.
Der Beklagte, der sich in der mit seiner geschiedenen Ehefrau geschlossenen Scheidungsvereinbarung verpflichtet hatte, diese von eigenen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Kindern freizustellen, zahlte der Klägerin bis Dezember 1991 monatlichen Unterhalt von 600 DM. Danach stellte er die Unterhaltszahlungen ein, weil sie sich nicht zu einer Berufsausbildung entschließen konnte. Im August 1992 teilte die Klägerin dem Beklagten ihre Absicht mit, Heilpraktikerin werden und zu diesem Zweck ab November 1992 die Heilpraktiker-Schule in H. besuchen zu wollen. Daraufhin nahm der Beklagte ab November 1992 die monatlichen Unterhaltszahlungen von 600 DM wieder auf. Im Frühjahr 1993 verzog die Klägerin nach Baden-Württemberg. Sie schloß am 26. Juni 1993 mit einer Heilpraktiker-Schule in M. einen Ausbildungsvertrag über ein Heilpraktiker-Studium im Wochenendunterricht für eine Studiendauer von 26 Monaten zu einem Gesamtpreis von 8.495 DM und setzte die Heilpraktiker-Ausbildung fort. Ende September 1993 stellte der Beklagte seine Unterhaltszahlungen ein. Daraufhin nahm die Klägerin ab November 1993 eine Anstellung in der Verwaltungsabteilung der Universität He. (Abteilung für Urologie) an.
Bereits vom 21. bis 24. Juli 1993 mußte sich die Klägerin wegen gesundheitlicher Beschwerden unbekannter Herkunft in stationäre Krankenhausbehandlung begeben. Vom 29. August bis 8. September 1993 wurde sie wegen eines physischen Schwächezustands erneut stationär behandelt. Zu einem weiteren Krankenhausaufenthalt kam es im April 1994; damals wurde die Klägerin drei Wochen in der neurologischen Klinik des Universitätskrankenhauses He. behandelt. Ende Mai 1994 gab sie die Heilpraktiker-Ausbildung auf. In der Folgezeit bewarb sie sich bei der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen um einen Studienplatz für das Medizinstudium und nahm im November 1994 an dem (damals erforderlichen) Eignungstest teil. Im Januar 1994 erhielt die Klägerin die Mitteilung über das Testergebnis. Aufgrund dieses Ergebnisses wurde sie für das Medizinstudium ausgewählt und erhielt zum Sommersemester 1995 einen Studienplatz an der Universität He./M.. Dort nahm sie am 1. April 1995 das Studium auf. Am 9. September 1997 bestand sie das Physikum; zum 1. März 1999 stellte sie den Antrag auf Zulassung zum ersten Staatsexamen.
Die Klägerin erhält seit Beginn des Medizinstudiums Vorausleistungen nach § 36 BAföG. Der Beklagte ist als EDV-Fachmann bei einer Krankenkasse beschäftigt; sein Bruttoeinkommen betrug im Jahr 1995 rund 120.000 DM. Die Ehefrau des Beklagten ist ebenfalls erwerbstätig. Auch die Mutter der Klägerin erzielt – neben dem vom Beklagten gezahlten Unterhalt von monatlich rund 1.250 DM – Erwerbseinkommen; außerdem verfügt sie über Einkünfte aus der Vermietung einer Eigentumswohnung.
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin – ausgehend von einem mit monatlich 950 DM bzw. 1.100 DM bezifferten Unterhaltsbedarf – die Zahlung von Unterhalt in folgender Höhe begehrt: für die Zeit vom 1. April 1995 bis 31. Januar 1997 9.807,17 DM, zahlbar an das Studentenwerk He., und 2.282,99 DM an sie selbst; ab 1. Februar 1997 monatlich 584,26 DM, ebenfalls zahlbar an sie selbst. Sie hat die Auffassung vertreten, daß der Beklagte ihr unter Berücksichtigung der anteiligen Haftung ihrer Mutter in dieser Höhe Ausbildungsunterhalt schulde. Der Beklagte ist der Klage im wesentlichen mit der Begründung entgegengetreten, schon dem Grunde nach nicht mehr zu Unterhaltsleistungen für die Klägerin verpflichtet zu sein.
Das Amtsgericht hat den Beklagten – unter Klageabweisung im übrigen – verurteilt, für die Zeit vom 5. Januar 1996 bis zum 31. Januar 1998 9.561,12 DM an das Studentenwerk und 2.107,44 DM an die Klägerin sowie ab 1. Februar 1998 monatlich 530,31 DM an die Klägerin zu zahlen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer – zugelassenen – Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Auffassung, der Klägerin stehe dem Grunde nach kein Unterhaltsanspruch mehr zu, im wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin, die beim Abitur bereits älter gewesen sei als viele Schulabgänger, habe noch ein Jahr verstreichen lassen, bevor sie sich zu einer Ausbildung entschlossen habe. Angesichts der bereits eingetretenen Verzögerungen sei sie gehalten gewesen, ihren beruflichen Werdegang besonders sorgfältig zu planen. Sie habe die schließlich gewählte Ausbildung zur Heilpraktikerin, die wegen der aufzubringenden Studiengebühren mit erheblichen finanziellen Opfern verbunden gewesen sei, trotz unzureichender und nur bis einschließlich September 1993 erfolgter Unterhaltsleistungen des Beklagten, ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Sommer 1993 und der zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts aufgenommenen Tätigkeit als Verwaltungsangestellte auch betrieben. Die auf 26 Monate angelegte Ausbildung, die planmäßig im August 1995 abgeschlossen gewesen wäre, habe sie jedoch Ende Mai 1994 abgebrochen. Daß dies im Hinblick auf ein beabsichtigtes Medizinstudium erfolgt sei, etwa weil die Ausbildung zur Heilpraktikerin die Klägerin unterfordert und weder ihren Neigungen noch ihren Fähigkeiten entsprochen habe, könne nicht festgestellt werden. Nach Mai 1994 habe die Klägerin ihre berufliche Zukunft mithin weder als Heilpraktikerin noch als Ärztin gesehen, sondern sich offenbar damit abgefunden, bis auf weiteres als Verwaltungsangestellte zu arbeiten. Es könne dahinstehen, ob die Eltern grundsätzlich verpflichtet gewesen seien, das Medizinstudium als Weiterbildung nach einer Ausbildung zur Heilpraktikerin zu finanzieren. In den sogenannten Weiterbildungsfällen müsse nämlich ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen praktischer Ausbildung und Studium bestehen. Selbst wenn ein sachlicher Zusammenhang vorliegend noch bejaht werde, fehle es mit Rücksicht auf die deutliche zeitliche Zäsur zwischen der Beendigung der Heilpraktiker-Ausbildung und der Aufnahme des Studiums jedenfalls an dem für die Annahme eines einheitlichen Ausbildungsweges notwendigen zeitlichen Zusammenhang. Dieser erfordere, daß der Auszubildende nach dem Abschluß der praktischen Ausbildung das Studium mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnehme. Übe er zunächst den erlernten Beruf oder eine andere Tätigkeit aus, obwohl er mit dem Studium beginnen könne, und werde der Entschluß zum Studium auch sonst nicht erkennbar, so werde der zeitliche Zusammenhang aufgehoben. Die Klägerin habe nicht dargelegt, daß sie frühestens im November 1994 den Entschluß, Medizin zu studieren, durch Meldung zu einer Eignungsprüfung in die Tat habe umsetzen können. Die von ihr dargelegten gesundheitlichen Probleme hätten sie nicht zwangsläufig daran hindern müssen, schon im November 1993 oder im Sommer 1994 an der Prüfung teilzunehmen, denn immerhin habe sie sich in der Lage gefühlt, die Tätigkeit als Verwaltungsangestellte aufzunehmen.
2. Diese Ausführungen halten, wie die Revision zu Recht rügt, nicht in allen Punkten der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, daß der aus § 1610 Abs. 2 BGB folgende Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechenden Berufsausbildung vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt ist. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners, eine Berufsausbildung zu ermöglichen, steht auf seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Zwar muß der Verpflichtete nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind. Verletzt dieses aber nachhaltig seine Obliegenheit, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muß sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (st.Rspr. des Senats, vgl. Senatsurteile vom 23. Mai 1984 – IVb ZR 39/83 – FamRZ 1984, 777; vom 11. Februar 1987 – IVb ZR 23/86 – FamRZ 1987, 470, 471; vom 12. Mai 1993 – XII ZR 18/92 – FamRZ 1993, 1057, 1059 und vom 4. März 1998 – XII ZR 173/96 – FamRZ 1998, 671, 672).
Aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis folgt nicht nur die Obliegenheit des Kindes, die gewählte Ausbildung zügig durchzuführen. Die Rücksichtnahme auf die Belange der mit der Unterhaltszahlung belasteten Eltern erfordert es vielmehr auch, daß sich das Kind nach dem Abgang von der Schule innerhalb einer angemessenen Orientierungsphase für die Aufnahme einer seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Ausbildung entscheidet (Senatsurteil vom 4. März 1998 aaO S. 672).
b) Die Anwendung dieser Grundsätze führt indessen, wie die Revision zu Recht geltend macht, nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht dazu, daß die Klägerin keinen Ausbildungsunterhalt beanspruchen kann.
Daß sie das Abitur erst mit 21 Jahren gemacht hat, ist im wesentlichen auf ihre Auslandsaufenthalte zurückzuführen. Der einjährige Aufenthalt in den USA fand bereits ab Sommer 1986 statt und damit zu einer Zeit, als die Klägerin noch minderjährig war. Den grundsätzlich sinnvollen Entschluß, ihr dieses Auslandsjahr zu ermöglichen, haben deshalb in erster Linie die Eltern zu verantworten. Bezüglich der weiteren Auslandsaufenthalte kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, daß es sich hierbei auch um Reaktionen der Klägerin auf die schwierigen häuslichen Verhältnisse handelte. Nach den bisher getroffenen Feststellungen kann ihr deshalb nicht angelastet werden, die Schulausbildung erst mit 21 Jahren beendet zu haben.
Wie die einem jungen Menschen zuzugestehende Orientierungsphase zu bemessen ist, muß von Fall zu Fall beurteilt werden. Maßgebende Kriterien sind dabei Alter, Entwicklungsstand und die gesamten Lebensumstände des Auszubildenden (Senatsurteil vom 4. März 1998 aaO). Der Umstand, daß die Klägerin sich nach dem Abitur nicht sogleich für eine Berufsausbildung entscheiden konnte, sondern zunächst in verschiedenen Bereichen arbeitete, um daraus Erkenntnisse für ihre Berufswahl zu gewinnen, steht einem Anspruch auf Ausbildungsunterhalt nicht entgegen. Die Orientierungsphase dient gerade dazu, einem in der Frage der Berufswahl unsicheren jungen Menschen die Entscheidung für einen Beruf zu erleichtern. Die hier etwa einjährige Dauer dieser Phase kann angesichts der gesamten Verhältnisse nicht als unangemessen lang angesehen werden, zumal nach dem Vorbringen der Klägerin nicht ausgeschlossen werden kann, daß dies auch mit der Belastungssituation in ihrem Elternhaus zusammenhing, durch die sie in ihrer eigenen Lebensgestaltung verunsichert und in ihrer Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sein kann, selbst wenn sie damals bereits in einer eigenen Wohnung lebte. Im August 1992 hat die Klägerin sich dann zu einer Ausbildung als Heilpraktikerin entschlossen und ab November 1992 die Heilpraktiker-Schule in H. besucht. Nach ihrem Umzug nach Baden-Württemberg hat sie die Ausbildung an einer Heilpraktiker-Schule in M. trotz der bestehenden widrigen Umstände, insbesondere der unzureichenden Unterhaltsleistungen und der damit zusammenhängenden Notwendigkeit, zur Bestreitung ihres weiteren Lebensunterhalts und der aufzubringenden Studiengebühren zu arbeiten, sowie ihrer – mehrere Krankenhausaufenthalte erfordernden – gesundheitlichen Beeinträchtigungen, an den Wochenenden im wesentlichen durchgehend fortgesetzt, wie die von der Schule ausgestellten Testate belegen.
c) Ende Mai 1994 hat die Klägerin die Ausbildung als Heilpraktikerin allerdings abgebrochen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann nicht festgestellt werden, daß dies im Hinblick auf ein beabsichtigtes Medizinstudium erfolgte. Diese Annahme läßt indessen, wie die Revision zu Recht rügt, Vorbringen der Klägerin außer Betracht.
Sie hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht vom 7. November 1995 in Übereinstimmung mit ihrem Vorbringen im Schriftsatz vom 19. September 1995 erklärt, sie habe sich entschlossen, Medizin zu studieren, weil sie im Laufe der Heilpraktiker-Ausbildung erkannt habe, daß sie die Tätigkeit als Heilpraktikerin mit nur eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten im medizinischen Bereich unterfordern werde; schon im Jahre 1993 habe sie den Beklagten gefragt, ob er nicht ein Medizinstudium unterstützen werde, sie empfände die Heilpraktiker-Ausbildung als etwas oberflächlich. Der Beklagte habe über eine derartige Berufsausbildung aber nicht einmal sprechen wollen und sei bei einem weiteren Gespräch im November 1993 bei seiner ablehnenden Haltung geblieben. Wird dieses Vorbringen als richtig unterstellt, so kann indessen nicht davon ausgegangen werden, die Klägerin habe die begonnene Ausbildung nicht zugunsten eines Medizinstudiums abgebrochen.
Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nach Mai 1994 ihre berufliche Zukunft weder als Heilpraktikerin noch als Ärztin gesehen, sondern sich offenbar damit abgefunden, bis auf weiteres als Verwaltungsangestellte zu arbeiten, ist mit deren Vorbringen nicht zu vereinbaren. Daß sie die Heilpraktiker-Ausbildung wegen des beabsichtigten Medizinstudiums aufgegeben hat, ist in der Folgezeit erkennbar geworden. Nach dem Vorbringen der Klägerin in dem nach der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eingereichten Schriftsatz vom 16. Februar 1999 hat sie bereits im Mai sowie im Juni 1994 Bücher erworben, um sich auf den medizinischen Eignungstest vorzubereiten. Im Juli 1994 hat sie sich zu einem Vorbereitungsseminar angemeldet, das in der Zeit vom 23. bis 25. September 1994 stattfand. Im September und Oktober 1994 hat sie weitere der Vorbereitung auf den Test dienende Fachliteratur angeschafft. Die Revision beanstandet zu Recht, daß dieses Vorbringen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt und die mündliche Verhandlung – entgegen dem mit Schriftsatz vom 8. Februar 1999 gestellten Antrag – nicht wiedereröffnet wurde.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gericht zur Wiedereröffnung der bereits geschlossenen Verhandlung verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen der Partei ergibt, daß die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte. So lag es hier, wie sich aus dem nachgereichten Schriftsatz der Klägerin vom 16. Februar 1999 ergibt. Denn sie hätte nach dem gerichtlichen Hinweis auf die Grundsätze der Entscheidung des Senats vom 4. März 1998 (aaO) ergänzenden Sachvortrag halten können. Nachdem der Hinweis allerdings nicht – wie grundsätzlich geboten – bereits geraume Zeit vor dem Termin, sondern erst in dem Termin selbst erfolgte, in dem die Klägerin zudem nicht selbst zugegen war, konnte von ihrem Anwalt nicht erwartet werden, hierzu – ohne Rückfrage bei seiner Partei – sogleich Stellung zu nehmen. Die darin liegende Verletzung des rechtlichen Gehörs gebot die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Februar 1999 – II ZR 261/97 – NJW 1999, 2123, 2124 f. m.N.).
Das vorgenannte Vorbringen der Klägerin spricht indessen dafür, daß sie ihre Zukunft gerade nicht als Verwaltungsangestellte gesehen hat, sondern die Aufnahme des Medizinstudiums anstrebte. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, sie habe nicht dargelegt, daß sie nicht schon früher mit dem Studium habe beginnen können, wird von der Revision ebenfalls zu Recht beanstandet. Dem Vorbringen der Klägerin zufolge ist die Entscheidung für das Studium erst im Frühjahr 1994 gefallen. Dafür spricht zum einen der ergebnislos verlaufene Verständigungsversuch hierüber mit dem Beklagten, der die Klägerin zunächst veranlaßt hat, sich über andere Finanzierungsmöglichkeiten zu informieren, und zum anderen die Fortführung der Heilpraktiker-Ausbildung bis Ende Mai 1994. Die nächste Möglichkeit, an dem medizinischen Eignungstest teilzunehmen, der nur einmal im Jahr stattfand, war demzufolge im November 1994 gegeben. Bei dieser Sachlage kann der Klägerin aber mangelnde Zielstrebigkeit in ihrem (geänderten) Ausbildungsverhalten nicht vorgeworfen werden. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß sie ihre Tätigkeit als Verwaltungsangestellte zunächst fortgesetzt hat. Denn auf das daraus erzielte Erwerbseinkommen war sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts angewiesen.
3. Das angefochtene Urteil kann mit der gegebenen Begründung deshalb keinen Bestand haben. Dem Senat ist es nicht möglich, in der Sache selbst abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO), weil es weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf. Die Sache ist daher unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geht es vorliegend nicht um die Frage einer Weiter- oder Zweitausbildung, sondern um die Erstausbildung der Klägerin, nachdem sie die Heilpraktiker-Ausbildung abgebrochen und ein Medizinstudium begonnen hat. Ein solcher Wechsel der Ausbildung ist unbedenklich, wenn er einerseits auf sachlichen Gründen beruht und andererseits unter Berücksichtigung der Gesamtumstände aus der Sicht des Unterhaltspflichtigen wirtschaftlich zumutbar ist. Für die Annahme eines hinreichenden Grundes kann etwa der Umstand sprechen, daß zwischen der abgebrochenen und der angestrebten Ausbildung ein sachlicher Zusammenhang besteht. Jedem jungen Menschen ist grundsätzlich zuzubilligen, daß er sich über seine Fähigkeiten irrt oder falsche Vorstellungen über den gewählten Beruf hat. Dabei wird ein Ausbildungswechsel um so eher zu akzeptieren sein, je früher er stattfindet. Dies folgt aus dem Gedanken, daß die schutzwürdigen Belange des Unterhaltspflichtigen es gebieten, sich möglichst frühzeitig darauf einrichten zu können, wie lange die Unterhaltslast dauern wird. Diese Belange erfordern es grundsätzlich auch, daß das Kind sich über seine geänderten Ausbildungspläne mit dem Unterhaltspflichtigen zu verständigen versucht (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 1980 – IVb ZR 546/80 – FamRZ 1981, 344, 346 und vom 25. Februar 1981 – IVb ZR 547/80 – FamRZ 1981, 437, 439; Göppinger/Strohal Unterhaltsrecht 7. Aufl. Rdn. 424; Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 4. Aufl. Kap. V Rdn. 85; Wendl/Scholz Unterhaltsrecht 5. Aufl. § 2 Rdn. 71). Falls das Berufungsgericht im weiteren Verfahren zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß die Klägerin ihre Ausbildungsobliegenheit nicht nachhaltig verletzt hat, wird es in tatrichterlicher Verantwortung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles über die Frage zu befinden haben, ob der Ausbildungswechsel von dem Beklagten hinzunehmen ist. Dabei wird im Rahmen der Beurteilung der zur Rechtfertigung des Ausbildungswechsels von der Klägerin geltend gemachten Gründe auch zu berücksichtigen sein, daß gestörte häusliche Verhältnisse sich nach der Lebenserfahrung vielfach nachteilig auf die schulische und sonstige Entwicklung eines Kindes auswirken (vgl. Senatsurteile vom 25. Februar 1981 aaO S. 439 und vom 14. Juli 1999 – XII ZR 230/97 – FamRZ 2000, 420, 421) und im Einzelfall auch zu Verunsicherungen und mangelndem Selbstvertrauen führen können. Solche Auswirkungen könnten auch zu der Entscheidung der Klägerin, Heilpraktikerin zu werden anstatt sogleich das wesentlich anspruchsvollere Medizinstudium zu wählen, beigetragen haben.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.03.2001 durch Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 584956 |
NJW 2001, 2170 |
NWB 2001, 1201 |
BGHR 2001, 377 |
FamRZ 2001, 757 |
FuR 2001, 322 |
JurBüro 2001, 444 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2001, 1059 |
FK 2001, 30 |