Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltendmachung von Schadensersatz aufgrund von Schlechtleistung gegenüber einer Bank bei vorheriger Feststellung der Darlehensforderungen der Bank zur Insolvenztabelle. Schadensersatz wegen unzeitiger Kündigung. Schlechtleistung gegenüber Bank. Vorherige Feststellung der Darlehensforderung der Bank zur Insolvenztabelle. Rechtskraftwirkung. Vollstreckungsklage
Leitsatz (redaktionell)
Zur Geltendmachung von Schadensersatz aufgrund ungerechtfertigter Kreditkündigung
Normenkette
InsO § 178 Abs. 3; ZPO § 767 Abs. 2; BGB § 242
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. Juni 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die beklagte S. aus abgetretenem Recht des Rechtsanwalts F. als Verwalter in dem am 22. Dezember 2005 beantragten und am 19. Juni 2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. KG (fortan: Verwalter) in Anspruch. Er verlangt Schadensersatz wegen unzeitiger Kreditkündigung, die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt habe, sowie wegen Schlechterfüllung des bankrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages. Der Verwalter hat die Darlehensforderungen der Beklagten in Höhe von insgesamt 3.228.827,62 EUR in Höhe des Ausfalls zur Tabelle festgestellt. Mit Vereinbarung vom 11./12. Dezember 2008 hat er die Schadensersatzansprüche, mit weiterer Vereinbarung vom 2./9. April 2009 auch mögliche Anfechtungsansprüche an den Kläger abgetreten.
Rz. 2
Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, die „durch die Kreditkündigung vom 29. Juli 2005 bezüglich des Kreditengagements der Schuldnerin und aus der Schlechtleistung des bankrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages entstanden” seien. Der festzustellende Schaden bestehe insbesondere im Verlust des verwerteten Immobilienvermögens und der vollständigen Zerschlagung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen bisherigen Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob die Feststellungsklage zulässig sei, ob die Abtretung der Ansprüche im Hinblick auf § 92 InsO unwirksam sei und ob die Rechtskraftwirkung der Feststellung zur Tabelle der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs entgegenstehe. Jedenfalls sei das Verhalten des Verwalters und damit auch des Klägers rechtsmissbräuchlich und verstoße wegen eines unlösbaren Selbstwiderspruchs gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Verwalter hätte eine im Zusammenhang mit der Darlehensgewährung stehende Schadensersatzforderung der Schuldnerin nach der rechtskräftigen Feststellung der Darlehensforderungen nur mit den gegen rechtskräftige Urteile zulässigen Rechtsmitteln geltend machen können. Eine Vollstreckungsgegenklage hätte jedoch keine Aussicht auf Erfolg, weil die Schadensersatzansprüche, mit denen der Verwalter gegen die Forderung hätte aufrechnen können, dem Grunde nach vor der Feststellung zur Tabelle entstanden seien (§ 767 Abs. 2 ZPO), so dass eine Aufrechnung nicht in Betracht komme. § 767 Abs. 2 ZPO stehe der klageweisen Geltendmachung der Forderung zwar nicht entgegen. Für den Fall der Insolvenz gelte das jedoch nicht. Der Verwalter könne nicht eine Darlehensforderung zur Tabelle feststellen und dann eine Schadensersatzforderung einklagen oder einklagen lassen, deren Begründung schon die Anerkennung der Forderung, insbesondere der Zinsforderung, gehindert hätte. Daran ändere die Vorschrift des § 41 InsO nichts. Der Rückzahlungsanspruch sei unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung fällig gewesen; die durch die vorzeitige Kündigung angefallenen Zinsen seien demgegenüber jedoch nur dann berechtigt, wenn die Kündigung tatsächlich wirksam gewesen wäre. Mit der Feststellung der vollständigen Zinsforderung habe der Verwalter daher zum Ausdruck gebracht, dass er die Kündigung für wirksam halte.
II.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch die nach Ansicht des Klägers ungerechtfertigte Kreditkündigung und die nach Ansicht des Klägers unberechtigten Umbuchungen verursachten Schadens ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Verwalter vor der Abtretung den Anspruch der beklagten Bank auf Rückzahlung des Darlehens nebst Zinsen zur Tabelle festgestellt hat.
Rz. 6
1. Wie das Berufungsgericht selbst nicht verkannt hat, steht der Klage nicht der Einwand der rechtskräftigen Entscheidung (res iudicata; ne bis in idem; vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. Januar 1985 – V ZR 233/83, BGHZ 93, 288 f, 289; vom 23. September 1992 – I ZR 224/90, NJW 1993, 333, 334 [BGH 23.09.1992 – I ZR 224/90]; vom 19. November 2003 – VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 50) entgegen. Nach § 178 Abs. 3 InsO wirkt die Eintragung in die Tabelle für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern wie ein rechtskräftiges Urteil. Eine Klage gegen den Insolvenzverwalter, die während des laufenden Insolvenzverfahrens auf Feststellung zur Tabelle gerichtet sein müsste (§ 180 Abs. 1 InsO; vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2006 – IX ZR 15/04, BGHZ 168, 112 Rn. 21), wäre wegen der mit der Eintragung verbundenen Rechtskraftwirkung unzulässig (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 – IX ZR 156/07, NZI 2009, 167 Rn. 10). Die Rechtskraftwirkung erstreckt sich jedoch nur auf den festgestellten Anspruch. Nach § 322 ZPO sind Urteile insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch die Klage (oder durch die Widerklage) erhobenen Anspruch entschieden ist. In Rechtskraft erwachsen die im Hinblick auf den Streitgegenstand ausgesprochenen Rechtsfolgen, nicht jedoch die einzelnen Tatsachen, präjudiziellen Rechtsverhältnisse und sonstigen Vorfragen, aus welchen das Gericht diese Rechtsfolge abgeleitet hat (BGH, Urteil vom 5. November 2009 – IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77 Rn. 9 f). Nichts anderes gilt für die Feststellung zur Tabelle. Die Rechtskraftwirkung der Eintragung erstreckt sich nicht auf Gegenansprüche des Schuldners.
Rz. 7
2. Ebenso wenig steht § 767 Abs. 2 ZPO der Schadensersatzklage aus abgetretenem Recht des Verwalters entgegen.
Rz. 8
a) Nach § 178 Abs. 1 InsO gilt eine Forderung als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren (§ 177 InsO) ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist. Einwendungen gegen die angemeldete Forderung müssen danach im Prüfungstermin vorgebracht werden. Eine Nachholung des Bestreitens ist ebenso wenig erlaubt wie eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. Eckardt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., S. 554 Rn. 38). Einwendungen gegen den zur Tabelle festgestellten Anspruch können ebenso wie gegen einen durch Urteil festgestellten Anspruch nur im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 – IX ZR 156/07, NZI 2009, 167 Rn. 12).
Rz. 9
b) Nach § 767 Abs. 2 ZPO sind Einwendungen gegen den festgestellten Anspruch nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung – im hier gegebenen Fall der Feststellung zur Tabelle: nach dem Prüfungstermin oder dem im schriftlichen Verfahren bestimmten Termin – entstanden sind. Zu Einwendungen im Sinne dieser Vorschrift führen solche Umstände, die den festgestellten Anspruch nachträglich vernichten oder in seiner Durchsetzbarkeit hemmen. Erfasst sind damit nur die eigentlichen rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Einwendungen und Einreden im Sinne des materiellen Rechts (BGH, Urteil vom 6. März 1987 – V ZR 19/86, BGHZ 100, 211, 212).
Rz. 10
c) Der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz wegen unzeitiger Kündigung der Bankverbindung stellt keine Einwendung im Sinne von § 767 Abs. 2 ZPO dar. Er lässt den Bestand und die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Rückzahlung des Kredits nebst Zinsen unberührt. Gleiches gilt für den Anspruch auf Ersatz des durch die nach Ansicht des Klägers unberechtigten Umbuchungen. Der Kläger wendet nicht das Erlöschen der festgestellten Forderung durch Aufrechnung mit dem (behaupteten) Schadensersatzanspruch ein (§§ 387, 389 BGB). Zwar unterfällt auch der Aufrechnungseinwand § 767 Abs. 2 ZPO. Ist die Forderung, mit welcher der Schuldner des festgestellten Anspruchs aufrechnen will, bereits vor der letzten mündlichen Verhandlung – hier: vor dem Prüfungstermin oder dem im schriftlichen Verfahren bestimmten Termin – entstanden, ist der Aufrechnungseinwand präkludiert (BGH, Urteil vom 19. März 1987 – IX ZR 148/86, BGHZ 100, 222, 225; vom 5. März 2009 – IX ZR 141/07, WM 2009, 918 Rn. 11 [BGH 05.03.2009 – IX ZR 141/07]; Beschluss vom 10. August 2010 – VIII ZR 319/09, NJW-RR 2010, 1598). Folge der Präklusion ist jedoch nur die Abweisung der Vollstreckungsgegenklage, verbunden mit der materiellrechtlichen Unwirksamkeit der Aufrechnung selbst (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 2009 – IX ZR 141/07, WM 2009, 918 Rn. 10, 12). Auf den Bestand und die Durchsetzbarkeit der vergeblich zur Aufrechnung gestellten Forderung des Titelschuldners hat die Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO hingegen keinen Einfluss. Diese kann vielmehr wie zuvor gegen den Titelgläubiger geltend gemacht und eingeklagt werden.
Rz. 11
3. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch die nach Ansicht des Klägers unzeitige Kündigung ist schließlich auch nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen.
Rz. 12
a) Die Rechtsordnung missbilligt widersprüchliches Verhalten einer Partei im Grundsatz nicht (vgl. Bamberger/Roth/Sutschet, BGB, 3. Aufl., § 242 Rn. 106; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 242 Rn. 55). Eine Partei darf ihre Rechtsansicht ändern (BGH, Urteil vom 17. Februar 2005 – III ZR 172/04, BGHZ 162, 175, 181), sich auf die Nichtigkeit einer von ihr abgegebenen Erklärung berufen (BGH, Urteil vom 7. April 1983 – IX ZR 24/82, BGHZ 87, 169, 177) oder ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft angreifen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1991 – IX ZR 271/90, ZIP 1992, 124, 125). Widersprüchliches Verhalten ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1991 – IX ZR 271/90, NJW 1992, 834; vom 17. Februar 2005, aaO). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1975 – IV ZR 18/74, BGHZ 64, 5, 9; vom 12. November 2008 – XII ZR 134/04, NJW 2009, 1343 Rn. 41) kann eine Rechtsausübung unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen.
Rz. 13
b) Die Voraussetzungen dieses engen Ausnahmetatbestandes liegen ersichtlich nicht vor.
Rz. 14
aa) Schon ein objektiv widersprüchliches Verhalten des Verwalters lässt sich kaum feststellen. Der Rückzahlungsanspruch der Beklagten aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB bestand unabhängig davon, ob die Beklagte sich wegen positiver Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig gemacht hatte. Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war die Darlehensforderung fällig (§ 41 Abs. 1 InsO). Das Berufungsgericht hat für ausschlaggebend gehalten, dass auch solche Zinsen angemeldet und zur Tabelle festgestellt worden seien, die nur infolge der Kündigung angefallen sein können. Dem bei den Akten befindlichen Auszug aus der Tabelle lässt sich allerdings nicht entnehmen, welcher Teil der Zinsforderung auf den gegenüber dem Vertragszins höheren Verzugszins entfällt. Das Verhalten des Verwalters kann überdies nicht ohne Rücksicht darauf gewürdigt werden, dass die Feststellung des Anspruchs zur Tabelle auf den eigenen Angaben der Beklagten beruhte. Die Beklagte hat nicht dargelegt, bei der Anmeldung ihrer Forderung oder zu einem späteren Zeitpunkt die ihr bekannten Umstände der streitigen Kündigung offengelegt und so dem Verwalter die Prüfung etwaiger Gegenansprüche ermöglicht zu haben. Die bei den Akten befindliche Forderungsanmeldung lässt nicht einmal die Kündigung vom 29. Juli 2005 erkennen.
Rz. 15
bb) Jedenfalls aber sind schutzwürdige Interessen der Beklagten nicht ersichtlich, welche der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs entgegenstehen könnten. Es gereicht der Beklagten nicht zum Nachteil, mit der Feststellung zur Tabelle zunächst einen rechtskräftigen Titel zu erhalten, aus welchem sie nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung betreiben kann (§ 201 Abs. 2 InsO). Wenn der Verwalter ihre Forderung bestritten und im folgenden Rechtsstreit auf Feststellung der Forderung zur Tabelle den behaupteten Schadensersatzanspruch eingewandt hätte, hätte sie sich insoweit nicht besser gestanden. Im Hinblick auf den behaupteten Schadensersatzanspruch hat sich ihre Rechtsstellung nicht verschlechtert. Die Verteidigung gegen diesen Anspruch ist durch dessen selbständige Geltendmachung nicht erschwert worden.
III.
Rz. 16
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1, 3 ZPO). Dieses wird sich nunmehr mit dem Gegenstand der Klage und dem Vorbringen der Parteien hierzu zu befassen haben.
Unterschriften
Kayser, Raebel, Lohmann, Pape, Möhring
Fundstellen