Leitsatz (amtlich)
a) Ist der Rechtsgrund für eine Bürgschaftsübernahme streitig, muß der Bürge, der den Hauptschuldner auf Befreiung von der Bürgschaftsschuld in Anspruch nimmt, beweisen, daß ihm bezüglich der Bürgschaft die Rechte eines Beauftragten zustehen.
b) Der Befreiungsanspruch ist auch dann nicht auf Zahlung an den Gläubiger gerichtet, wenn dieser den Bürgen bereits in Anspruch nimmt (im Anschluß an BGHZ 140, 270, 274 f).
Normenkette
BGB § 775
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 17. Dezember 1998 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagten verurteilt worden sind, als Gesamtschuldner auf die Bürgschaftsforderung, die Gegenstand des Verfahrens 15 O 229/98 des Landgerichts Köln ist, 40.000 DM nebst 6,81 % Zinsen seit dem 21. November 1997 zu zahlen, und festgestellt worden ist, daß die Beklagten verpflichtet sind, den dem Kläger durch die Inanspruchnahme als Bürge entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 21. März 1994 übernahm der Kläger gegenüber der S. K. (im folgenden: Bank) eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 40.000 DM zur Sicherung von Ansprüchen der Bank gegen die verklagten Eheleute, mit denen der Kläger seinerzeit befreundet war. Darüber hinaus gewährte der Kläger den Beklagten Darlehen. Da die Beklagten ihre Bankverbindlichkeiten nicht erfüllten, verklagte die Bank den Kläger aus der Bürgschaft auf Zahlung von 40.000 DM nebst Zinsen (LG Köln 15 O 229/98).
Der Kläger hat seinerseits die Beklagten darauf in Anspruch genommen, an die Bank die Beträge zu zahlen, welche die Bank von ihm – dem Kläger – begehrt. Hilfsweise hat er Freistellung verlangt. Außerdem hat der Kläger die Feststellung beantragt, daß die Beklagten verpflichtet sind, ihm auch jeglichen weiteren durch die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen. Schließlich hat er Rückzahlung der Darlehensbeträge verlangt und eine negative Feststellungsklage erhoben. Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr weitgehend stattgegeben. Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Revision. Diese hat der Senat nur insoweit angenommen, als es um die Verurteilung zur Zahlung von 40.000 DM an die Bank und die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz geht.
Entscheidungsgründe
A.
Auch die Revision der Beklagten zu 2 ist zulässig, obwohl das Berufungsgericht für diese die Beschwer auf lediglich 55.190 DM festgesetzt hat [BU 19 a.E.]. An diese Wertfestsetzung ist der Senat nicht gebunden (§ 546 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Sie kann nicht nur auf gesonderten Antrag vor Einlegung der Revision, sondern auch danach (vgl. BGH, Urt. v. 15. Januar 1997 – VIII ZR 303/96, NJW 1997, 1241) – sei es im Annahme-, sei es im Urteilsverfahren – überprüft werden.
Richtiger Ansicht nach beträgt der Wert der Beschwer für die Beklagte zu 2 – ebenso wie für den Beklagten zu 1 – 70.000 DM. Die Aberkennung des Anspruchs, den der Beklagte zu 1 hilfsweise – erfolglos – gegen den Darlehensrückzahlungsanspruch zur Aufrechnung gestellt hat, ist auch bei der Festsetzung des Werts der Beschwer für die Beklagte zu 2 (allerdings lediglich in Höhe von 14.810 DM) zu berücksichtigen. Bei der subjektiven Klagehäufung ist die Beschwer aller Streitgenossen zusammenzurechnen, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände handelt (BGH, Urt. v. 28. Oktober 1980 – VI ZR 303/79, NJW 1981, 578; v. 23. Juni 1983 – IVa ZR 136/82, NJW 1984, 927, 928; v. 30. März 1998 – II ZR 146/96, NJW 1998, 2667, insoweit in BGHZ 138, 211 n. abgedr.). Dies ist hier nicht der Fall.
B.
Die Revision führt im Umfang der Annahme zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger mache – im Hinblick auf seine Inanspruchnahme als Bürge – einen Befreiungsanspruch gemäß § 775 Abs. 1 Nr. 3 BGB geltend. Dessen Voraussetzungen seien gegeben, weil die Beklagten mit der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber der Bank in Verzug seien. Dies folge aus ihrer – von den Beklagten eingeräumten – gerichtlichen Inanspruchnahme seitens der Bank. Aus demselben Grunde sei der Befreiungsanspruch ausnahmsweise auf Zahlung der Bürgschaftssumme an die Bank gerichtet. Ihre Behauptung, daß der Kläger die Bürgschaft als vorläufige Gegenleistung für die Übertragung von Geschäftsanteilen übernommen habe, hätten die Beklagten nicht bewiesen; dies gehe zu ihren Lasten.
Der positive Feststellungsanspruch sei gerechtfertigt, weil dem Kläger aus seiner Inanspruchnahme als Bürge über die Zahlung der Bürgschaftssumme hinaus ein Schaden entstehen könne, den die Beklagten als Gesamtschuldner zu ersetzen hätten.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 40.000 DM nebst Zinsen auf die Bürgschaftsverpflichtung des Klägers gegenüber der Bank beruht auf Rechtsfehlern.
a) Der Rechtsgrund für die Verbürgung durch den Kläger ist zwischen den Parteien umstritten. Der Kläger hat behauptet, er habe die Bürgschaft „aus Freundschaft” übernommen, um den Beklagten aus einer vorübergehenden Geldverlegenheit zu helfen. Die Beklagten haben demgegenüber geltend gemacht, die Übernahme der Bürgschaft sei als „vorläufige Gegenleistung” für die Abtretung von GmbH-Anteilen durch die Beklagte zu 2 an den Kläger anzusehen. Dieses Vorbringen ist dahin zu verstehen, daß ein Bürgenregreß ausgeschlossen sein sollte.
b) Zu Unrecht meint die Revision, der Kläger habe die Voraussetzungen eines Befreiungsanspruchs gemäß § 775 BGB schon nicht schlüssig dargetan.
Allerdings hat einen solchen Befreiungsanspruch nur ein Bürge, der die Bürgschaft kraft Auftrags, auftragsloser Geschäftsführung oder Geschäftsbesorgungsvertrags für den Hauptschuldner übernommen (§ 775 Abs. 1 Satz 1 BGB) und aus diesem Verhältnis gegen den Hauptschuldner einen Rückgriffsanspruch hat (Staudinger/Horn, BGB 13. Bearb. § 775 Rdnr. 7; MünchKomm-BGB/Habersack, 3. Aufl. § 775 Rdnr. 1; Palandt/Sprau, BGB 59. Aufl. § 775 Rdnr. 1; Schmitz, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch § 91 Rdnr. 96). Die erforderliche Auslegung des Prozeßvortrags, eine Bürgschaft sei „aus Freundschaft” übernommen worden, kann der Senat selbst vornehmen (vgl. BGH, Urt. v. 31. Mai 1995 – VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2593, 2594 unter 2 b; v. 18. Juni 1996 – VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210, 1211). Daß eine Bürgschaft „aus Freundschaft” übernommen wurde, schließt das Bestehen eines Auftragsverhältnisses usw. nicht aus. Den Vortrag des Klägers so zu verstehen, daß er sich „gefälligkeitshalber” – und nicht aufgrund eines Auftrags oder Geschäftsbesorgungsvertrags – verbürgt habe und im Falle seiner Inanspruchnahme als Bürge keinen Rückgriff gegen die Beklagten habe nehmen wollen, wäre nicht interessengerecht. Wer eine Bürgschaft übernimmt und damit für einen anderen Schuldhilfe leistet, kann dies von der Zahlung einer Vergütung (Avalprovision) durch den Hauptschuldner abhängig machen. Sieht er davon ab, kann man bereits die Annahme des Auftrags zur Übernahme der Bürgschaft als einen „Freundschaftsdienst” auffassen. Die Freundschaft muß aber nicht so weit gehen, daß der Bürge im Falle seiner Inanspruchnahme beim Hauptschuldner keinen Regreß nimmt. Für einen entsprechenden Verzicht müssen besondere Anhaltspunkte vorliegen. Solche haben die Beklagten nicht vorgetragen.
c) Die Revision rügt indes mit Recht, daß das Berufungsgericht die Beklagten für ihre Behauptung, die Bürgschaftsübernahme sei die Gegenleistung für die Übertragung von Geschäftsanteilen gewesen, als beweisfällig angesehen hat. Insofern hat das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Nicht die Beklagten hatten ihre Behauptung zu beweisen, sondern umgekehrt der Kläger seine Behauptung, daß ihm bezüglich der Bürgschaft die Rechte eines Beauftragten zustehen.
Der Bürge, der einen Befreiungsanspruch gemäß § 775 BGB geltend macht, hat die Erteilung des Bürgschaftsauftrags bzw. den Abschluß eines Geschäftsbesorgungsvertrags oder das Vorliegen der Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag darzutun und zu beweisen (MünchKomm-BGB/Habersack, § 775 Rdnr. 16; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht 2. Aufl. § 775 BGB Rdnr. 1). Denn dabei handelt es sich – wie vorstehend unter b dargelegt – um die Voraussetzung des Befreiungsanspruchs.
d) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht auch insoweit, als es angenommen hat, der Anspruch des § 775 BGB könne ausnahmsweise – so auch im vorliegenden Fall – auf Zahlung an den Gläubiger gerichtet sein. Grundsätzlich hat der Schuldner die Wahl, auf welche Art und Weise er den Bürgen freistellen will. Er kann an den Gläubiger zahlen oder diesen, z.B. durch Stellung einer anderen Sicherheit, zum Verzicht auf die Bürgschaft veranlassen. Einen Zahlungsanspruch hat der Bürge erst, wenn er Rückgriff nehmen darf. Dazu ist er gemäß § 774 BGB berechtigt, „soweit” er den Gläubiger „befriedigt” hat. Selbst dann, wenn der Gläubiger gegen den Bürgen bereits ein vollstreckbares Urteil auf Erfüllung erwirkt hat, wird dadurch nur ein Befreiungsanspruch begründet (§ 775 Abs. 1 Nr. 4 BGB); als Voraussetzung für eine „Umwandlung” in einen Zahlungsanspruch kann dieser Umstand also nicht ausreichen. Aus diesen Gründen hat sich der Senat mit Urteil vom 14. Januar 1999 (IX ZR 208/97, BGHZ 140, 270, 274 f = NJW 1999, 1182, 1183 f) gegen die vorzeitige „Umwandlung” eines Befreiungs- in einen Zahlungsanspruch ausgesprochen. Zwar betraf diese Entscheidung einen Anspruch des Bürgen auf Zahlung an sich selbst. Für die im vorliegenden Fall begehrte Zahlung an den Gläubiger kann aber nichts anderes gelten.
2. Da das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers auf Befreiung von der Bürgschaftsverbindlichkeit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, kann auch die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen Nichterfüllung keinen Bestand haben. Zwar hat das Berufungsgericht insoweit nicht ausdrücklich auf den Befreiungsanspruch des Klägers gegen die Beklagten, sondern auf den Zahlungsanspruch der Bank gegen die Beklagten abgestellt [BU 18 2. Abs.]. Die bloße Nichterfüllung der Bankverbindlichkeiten hätte die Beklagten dem Kläger gegenüber aber nicht schadensersatzpflichtig werden lassen. Dazu konnte es erst kommen, wenn die Beklagten zugleich einen Befreiungsanspruch des Klägers verletzten. Dazu ist nichts vorgetragen.
C.
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Unterschriften
Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, RiBGH Dr. Zugehör ist erkrankt und an der Unterschrift verhindert. Paulusch, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.03.2000 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556381 |
BB 2000, 898 |
DB 2000, 1168 |
NJW 2000, 1643 |
NWB 2000, 2610 |
BauR 2000, 1097 |
EBE/BGH 2000, 131 |
EWiR 2000, 621 |
KTS 2000, 403 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 910 |
WuB 2000, 737 |
ZAP 2000, 772 |
ZIP 2000, 879 |
JZ 2001, 45 |
MDR 2000, 713 |
VuR 2000, 358 |
ZBB 2000, 182 |