Leitsatz (amtlich)
Der frühere Eigentümer eines in der DDR nach Maßgabe der dortigen Rechtsvorschriften gegen Entschädigung enteigneten Grundstücks kann dessen Rückenteignung auch dann nicht beanspruchen, wenn der Enteignungszweck erst nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland endgültig weggefallen ist (Bestätigung von BVerwGE 96, 172; Fortführung der Grundsätze des Senatsbeschlusses vom 23. Februar 1995 – III ZR 58/94 = NJW 1995, 1280).
Normenkette
GG Art. 14 A; BauGB § 102
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 09.02.1996) |
LG Berlin (Urteil vom 01.12.1993) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision der Beteiligten zu 2 wird das Urteil des Senats für Baulandsachen des Kammergerichts vom 9. Februar 1996 aufgehoben.
Die Berufung des Beteiligten zu 1 gegen das Urteil der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Berlin vom 1. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte zu 1 hat die Kosten des Berufungsrechtszugs, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2 bis 4, zu tragen.
Die Kosten des Revisionsrechtszuges werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten tragen der Beteiligte zu 1 4/5, die Beteiligte zu 4 1/5.
Der Beteiligte zu 1 trägt die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2 und 3 sowie diejenigen außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 4, die durch deren Beitritt als Streithelferin der Beteiligten zu 2 verursacht worden sind. Im übrigen werden außergerichtliche Kosten des Revisionsrechtszuges nicht erstattet.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beteiligte zu 1 war kraft Erbfolge Eigentümer eines in Ost-Berlin belegenen Grundstücks. Dieses wurde durch Beschluß des Magistrats von (Ost-)Berlin vom 11. September 1986 aufgrund des Baulandgesetzes der DDR zum Zwecke des Wohnungsneubaus enteignet. Zum Rechtsträger wurde die Baudirektion Hauptstadt Berlin bestellt. Die Entschädigung wurde auf einer Berechnungsgrundlage von 100 Mark der DDR pro m² auf insgesamt 42.500 Mark der DDR festgesetzt, gelangte aber nicht zur Auszahlung an den Beteiligten zu 1.
Das geplante Wohnungsneubauprojekt wurde nicht realisiert; allerdings hatte die Baudirektion Hauptstadt Berlin im Jahre 1989 mit Baumaßnahmen begonnen und diese bis zur Errichtung des Baufundaments und von Teilen des Erdgeschosses durchgeführt. Nachdem infolge des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland die Baudirektion Hauptstadt Berlin ihre Rechte aus der Rechtsträgerschaft verloren hatte und das Grundstück in das Eigentum des Landes Berlin (der Beteiligten zu 2) übergegangen war, wurden die Bauarbeiten an dem Grundstück eingestellt. Für das gesamte Quartier, in dem das Grundstück belegen war, wurde ein Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des Bereichs ausgeschrieben. Dieser Wettbewerb endete mit einer Vergabeentscheidung zugunsten der Beteiligten zu 4, einer Investitionsgesellschaft. Durch notariellen Vertrag vom 29. Januar 1993 wurde das Grundstück von der Beteiligten zu 2 an die Beteiligte zu 4 verkauft und aufgelassen.
Bereits zuvor, nämlich 1991 oder 1992, hatte der Beteiligte zu 1 die Rückenteignung des Grundstücks und zugleich ein Wiederaufgreifen des früheren Enteignungsverfahrens aus dem Jahre 1986 beantragt. Beide Anträge wies die Beteiligte zu 3 (Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen) durch Bescheid vom 20. Oktober 1992 zurück.
Hiergegen hat der Beteiligte zu 1 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. In einem parallel zu dem vorliegenden Hauptverfahren geführten Verfahren, betreffend den Erlaß einer einstweiligen Verfügung, schlossen die jetzigen Beteiligten zu 1-4 einen gerichtlichen Vergleich, in welchem sie übereinkamen, daß es beim Erwerb des Grundstücks durch die Beteiligte zu 4 verbleiben solle, und in dem sie weiter vereinbarten, daß die Beteiligte zu 2 den Veräußerungserlös oder falls der Verkehrswert des Grundstücks zum Stichtag 29. Januar 1993 höher sei, diesen Verkehrswert an den Beteiligten zu 1 auskehren sollte, sofern zwischen den Beteiligten rechtskräftig entschieden werde, daß dem Beteiligten zu 1 ein Anspruch auf Rückenteignung gemäß § 102 BauGB zustehe bzw. im Zeitpunkt des Eingangs des Rückenteignungsantrags bei dem Beteiligten zu 3 zugestanden habe. Unter Berücksichtigung der in dem Vergleich getroffenen Vereinbarungen hat der Beteiligte zu 1 dementsprechend zuletzt die Feststellung begehrt, daß ihm ein Anspruch auf Rückenteignung zustehe bzw. im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei der Enteignungsbehörde zugestanden habe. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen; das Berufungsgericht hat unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Feststellung getroffen, daß dem Beteiligten zu 1 zum Zeitpunkt des Eingangs seines Rückenteignungsantrags bei der Enteignungsbehörde ein Anspruch auf Rückenteignung des Grundstücks zugestanden habe. Gegen das Berufungsurteil haben die Beteiligten zu 2 und 4 Revision eingelegt; die Revision der Beteiligten zu 4 wurde durch Senatsbeschluß vom 28. November 1996 als unzulässig verworfen, weil sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet worden war. Die Beteiligte zu 2, der die Beteiligten zu 3 und 4 als Streithelfer beigetreten sind, verfolgt mit ihrer Revision den Antrag auf Zurückweisung des Feststellungsbegehrens weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beteiligten zu 2 ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des den Antrag des Beteiligten zu 1 zurückweisenden landgerichtlichen Urteils.
1. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs (BVerwG NJW 1990, 2400; Senatsurteil vom 19. Januar 1995 – III ZR 104/93 = NJW 1995, 1278) bietet die Regelung des § 102 BauGB (früher BBauG) nach ihrer rechtlichen Ausgestaltung sowie ihrem Sinn und Zweck ein geeignetes, praktikables Instrumentarium für die Rückabwicklung fehlgeschlagener städtebaulicher Enteignungen auch in „Altfällen”, d.h. solchen, die auf früheren, durch das Baugesetzbuch (früher Bundesbaugesetz) außer Kraft gesetzten Regelungen beruhten. Als eine im Lichte des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums genügt § 102 BBauG/BauGB auch dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 38, 175 = NJW 1975, 37) postulierten Gebot, dem Enteigneten einen gangbaren Weg zu eröffnen, sein früheres Eigentum zurückzuverlangen, wenn der Enteignungsgrund wegfällt, weil der Begünstigte das Vorhaben nicht verwirklicht (Senatsurteil aaO S. 1279). Deswegen ist der vom Beteiligten zu 1 beschrittene Weg, den Rückenteignungsanspruch nach § 102 BauGB auch gegen eine in der früheren DDR vorgenommene Enteignung geltend zu machen, verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Ebensowenig bestehen Bedenken dagegen, daß der Beteiligte zu 1 von seinem ursprünglichen Rückenteignungsantrag zu einem Feststellungsantrag übergegangen ist, mit dem den Regelungen Rechnung getragen werden sollte, die in dem zwischen den Beteiligten geschlossenen gerichtlichen Vergleich vereinbart worden waren.
2. In der Sache kann der Feststellungsantrag jedoch keinen Erfolg haben. Dem Beteiligten zu 1 stand der ursprünglich erhobene Rückenteignungsanspruch nicht zu. Mit seiner gegenteiligen Auffassung, die es bereits einem früheren Beschluß (VIZ 1993, 501) zugrundegelegt hatte, ist das Berufungsgericht in bewußten Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts getreten (BVerwGE 96,172 = NJW 1994, 2712). Die Meinung des Berufungsgerichts wird zwar teilweise auch in der wissenschaftlichen Literatur vertreten (von Trott zu Solz, ZOV 1991, 67, 71 f; Stöhr, ZOV 1993, 384; Motsch, VIZ 1994, 11; Uechtritz, VIZ 1994, 97; Frantzen, DtZ 1994, 91; Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, Teil 3 A I VermG, Vorbem. zum VermG, II Rn. 61 ff; Drobnig, DtZ 1994, 228). Der Senat vermag ihr indessen nicht zu folgen. Vielmehr hat er bereits durch Beschluß vom 23. Februar 1995 (III ZR 58/94 = NJW 1995, 1280) entschieden, daß ein früherer Eigentümer eines Grundstücks die Rückabwicklung einer auf das Aufbaugesetz oder das Baulandgesetz der DDR gestützten, fehlgeschlagenen Enteignung nicht verlangen und auch nicht aus § 102 BauGB herleiten kann, wenn das mit der Enteignung beabsichtigte Vorhaben vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland endgültig aufgegeben worden war. Der Senat schließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nunmehr jedoch auch für den jetzt zu entscheidenden Fall an, in dem die Enteignung selbst bereits vor dem Beitritt stattgefunden hatte, der Enteignungszweck aber erst nach dem Stichzeitpunkt endgültig weggefallen ist (ebenso BerlKomm/Krohn BauGB 2. Aufl. 1995 § 102 Rn. 10; Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr BauGB 5. Aufl. 1996 § 102 Rn. 8).
3. Im Beitrittsgebiet hat § 102 BauGB erst nach dem Zeitpunkt der Herstellung der deutschen Einheit Geltung erlangt. Dementsprechend handelte es sich bei der hier in Rede stehenden Enteignung um einen „Altfall”, d.h. einen solchen, in dem die Enteignung vor dem Inkrafttreten des Baugesetzbuches (oder auch des früheren Bundesbaugesetzes) stattgefunden hatte. Grundlegende Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 102 BauGB auf diesen „Altfall” ist, daß das Eigentum zum Zeitpunkt seiner Entziehung unter dem Schutz wenn nicht des Grundgesetzes (Art. 14 GG), so doch einer vergleichbaren rechtlichen Bestandsgarantie gestanden hat. Daran fehlt es hier. Wie das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat (NJW 1994, 2712), gewährten weder das Aufbaugesetz noch das Baulandgesetz noch andere Vorschriften der DDR einen etwa dem § 102 BauGB vergleichbaren Anspruch auf Rückübereignung bei Verfehlung oder Fortfall des Enteignungszwecks und konnte auch nicht unmittelbar aus der Verfassung der DDR – etwa aus Art. 16 der Verfassung vom 6. April 1968 in der Fassung vom 7. Oktober 1974 (GBl. DDR I S. 432) – ein solcher Anspruch hergeleitet werden, zumal der Rechtsordnung der DDR Grundrechte als verfassungsverbürgte subjektive Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat fremd waren (Senatsbeschluß vom 23. Februar 1995 aaO S. 1280). Mit Wirksamkeit der Enteignung war also in diesen Fällen der Vermögenswert mangels eines „Rückübertragungsvorbehalts” unwiederbringlich verloren (BVerwG aaO). Daran änderte es nichts, daß – worauf das Berufungsgericht an sich zutreffend hinweist – die Enteignungstatbestände des Art. 16 der früheren DDR-Verfassung und § 12 des DDR-Baulandgesetzes sich formal an das traditionelle Rechtsverständnis anlehnten.
4. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 38, 175 = NJW 1975, 37) entschieden, daß aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ein Rückerwerbsrecht des früheren Grundstückseigentümers folgt, wenn der Zweck der Enteignung nicht verwirklicht wird. Auf die Grundsätze dieser Entscheidung kann sich der Beteiligte zu 1 im vorliegenden Fall indessen nicht berufen.
a) Wie das Bundesverfassungsgericht (aaO NJW 1975, 38) ausgeführt hat, steht die Enteignungsermächtigung aus Art. 14 Abs. 3 GG in einem komplementären Verhältnis zur Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Diese sichert den konkreten Bestand in der Hand des einzelnen Eigentümers. Der Bürger muß aber unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 GG – und nur unter diesen Voraussetzungen – den Zugriff des Staates auf sein Eigentum dulden. Wird die öffentliche Aufgabe, der die Enteignung dienen soll, nicht ausgeführt, so entfällt die aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG herzuleitende Legitimation für den Zugriff auf das Privateigentum und der Rechtsgrund für den Eigentumserwerb durch die öffentliche Hand. Damit entfaltet die Garantie des Art. 14 Abs. 1 GG wieder ihre Schutzfunktion. In einem solchen Fall kann die durch die Enteignung erlangte Rechtsposition der öffentlichen Hand keinen Vorrang vor der verfassungsrechtlich geschützten Rechtsstellung des Bürgers haben. Mit dem Wegfall der die Enteignung legitimierenden verfassungsrechtlichen Voraussetzungen entbehrt auch das Eigentum der öffentlichen Hand für die Zukunft der Rechtfertigung. Der Enteignete kann daher aufgrund der Garantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG die Herstellung des verfassungsmäßigen Zustandes, d.h. die Rückübereignung des Grundstücks, fordern. Durch die Zurückbehaltung würde die Behörde einen Vermögensvorteil erlangen, für den sie das Instrument der Enteignung nicht einsetzen könnte.
b) Aus dieser Verwurzelung des unmittelbar aus der Verfassung herzuleitenden Rückerwerbsrechts in Art. 14 GG folgt, daß es sich bei dem fehlgeschlagenen Ursprungseingriff um einen solchen gehandelt haben mußte, der eine Position betraf, die in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gefallen war. Art. 14 Abs. 1 GG begründet jedoch in erster Linie ein Freiheitsrecht und damit ein Abwehrrecht gegen die (grundrechtsunterworfene) deutsche öffentliche Gewalt. Mit diesem Inhalt und in dieser Gewährleistungsfunktion ist Art. 14 GG durch die hier in Rede stehende Ursprungsenteignung indessen überhaupt nicht tangiert worden, denn dabei handelte es sich gerade nicht um eine Maßnahme der grundrechtsunterworfenen deutschen Gewalt. Vielmehr war die Enteignung ein Akt der Staatsgewalt der DDR gewesen, der nach deutschem interlokalem Enteignungsrecht als wirksam anzusehen ist. Denn unter den Verfahrensbeteiligten steht außer Streit, daß die zuständigen Organe der DDR dabei innerhalb der Grenzen ihrer Rechtsordnung geblieben sind und daß deshalb die Enteignung nach dem Recht der DDR als rechtmäßig anzusehen ist (vgl., allerdings in anderem Zusammenhang: BVerfGE 84, 90 ff = NJW 1991, 1597, 1599 f). Art. 14 Abs. 1 GG wäre durch die grundgesetzunterworfene Gewalt nur dann berührt, wenn er neben dem Eingriffsabwehrrecht unter bestimmten Voraussetzungen einen Eigentumsverschaffungs- oder Eigentumswiederherstellungsanspruch gegenüber der deutschen öffentlichen Gewalt enthielte. Dies ist indessen nicht der Fall, wenn es, wie hier, um gesetzeskonforme vorangegangene Eigentumsentziehungen oder sonstige Eigentumseingriffe einer fremden Hoheitsgewalt geht. In diesem Sinne bestimmt auch Art. 19 des Einigungsvertrages, daß vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik wirksam bleiben. Sie können nur dann aufgehoben werden, wenn sie – was hier unstreitig nicht der Fall war – mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen dieses Vertrages unvereinbar sind. Im übrigen bleiben die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten unberührt. Dementsprechend kann die aus dem „Fehlschlag” des eigenen Eigentumseingriffs resultierende, im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar aus Art. 14 GG abzuleitende Rückübereignungspflicht der deutschen öffentlichen Gewalt nichts dafür hergeben, daß dem Art. 14 GG über seinen Abwehrrechtsgehalt hinaus auch ein positiver Herstellungs- oder Verschaffungsanspruch immanent sein sollte, auch wenn dem ein eigener Eigentumseingriff oder -entzug der deutschen öffentlichen Gewalt überhaupt nicht vorausgegangen ist und der dem Prinzip der Rückenteignung letztlich zugrundeliegende Gedanke der Folgenbeseitigung somit nicht zum Tragen kommen kann (so mit Recht Papier, NJW 1991, 193, 195).
c) Hiergegen läßt sich nicht einwenden, in Fällen wie dem vorliegenden entstehe der (etwaige) Rückenteignungsanspruch erst mit der endgültigen Aufgabe des Vorhabens, so daß er hier ohnehin erst nach dem Beitritt und somit unter der Geltung des Grundgesetzes entstanden sein könne. Wie das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben hat, besteht die verfassungsrechtliche Ermächtigung zum Eingriff in das Eigentum nicht dafür, daß ein Unternehmen beabsichtigt, sondern daß es ausgeführt wird; solange die enteignete Sache ihrem Zweck nicht zugeführt ist, ist das Ziel der Enteignung nicht erreicht (BVerfGE 38, 175, 180 f). Aus dieser Sicht ist das Unternehmen von Anfang an bis zur endgültigen Verwirklichung des Enteignungszwecks latent mit dem Risiko der Rückenteignung belastet. Scheitert es endgültig, so entfaltet die Garantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG – wie das Bundesverfassungsgericht (aaO S. 181) ausdrücklich betont – wieder ihre Schutzfunktion. Das setzt zwingend voraus, daß das Eigentum an dem von der Enteignung erfaßten Objekt bereits im Zeitpunkt des Eingriffs den vollen Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG genossen hat. An dieser entscheidenden Voraussetzung fehlt es hier.
5. Auch aus den Verfassungsgrundsätzen der DDR vom 17. Juni 1990 (GBl.-DDR I S. 299) lassen sich keine dem Beteiligten zu 1 günstigeren Rechtsfolgen herleiten. Es mag zwar sein, daß über Art. 2 der Verfassungsgrundsätze das Verfassungsverständnis, das Art. 14 GG zugrunde liegt, auf Art. 11, 16 der DDR-Verfassung übertragen worden ist. Daraus ist aber keineswegs zu entnehmen, daß ein den vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechungsgrundsätzen des Bundesverfassungsgerichts entsprechendes unmittelbares verfassungsrechtliches Rückerwerbsrecht des früheren Grundstückseigentümers auch bei solchen Enteignungen begründet werden sollte, die bereits vor dem Inkrafttreten der Verfassungsgrundsätze vorgenommen worden waren. Mangels jeden entgegengesetzten Anhaltspunktes ist vielmehr davon auszugehen, daß die Verfassungsgrundsätze keinen weitergehenden Eigentumsschutz begründen konnten und wollten, als es bei einer unmittelbaren Einführung des Art. 14 GG selbst der Fall gewesen wäre. Für eine Rückabwicklung bereits abgeschlossener rechtmäßiger Enteignungsvorgänge boten die Verfassungsgrundsätze daher keine Handhabe.
6. Unerheblich ist, daß dem Beteiligten zu 1 die noch vor dem Beitritt von der damals zuständigen DDR-Behörde festgesetzte Entschädigung nicht zugeflossen ist (vgl. BVerwG NJW 1994, 2105 und 2106). Dem Beteiligten zu 1 bleibt es unbenommen, etwaige noch offene Ansprüche weiterzuverfolgen; diese sind jedoch nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr
Fundstellen
Haufe-Index 1383828 |
NJW 1998, 222 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 1998, 53 |
WM 1998, 92 |
OVS 1998, 79 |