Verfahrensgang

OLG Koblenz (Entscheidung vom 06.10.2022; Aktenzeichen 7 U 389/22)

LG Bad Kreuznach (Entscheidung vom 08.02.2022; Aktenzeichen 2 O 32/21)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Oktober 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger erwarb im August 2018 von einem Dritten einen gebrauchten Mercedes-Benz C 220 d 4-Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist. Das Fahrzeug verfügt über einen SCR-Katalysator und ein Abgasrückführungssystem (AGR). Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts betroffen.

Rz. 3

Mit seiner Klage hat der Kläger zuletzt Schadensersatz in Höhe von 29.612,87 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt.

Rz. 4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Rz. 7

Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Der Kläger habe die Voraussetzungen für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet, weil er keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten von Repräsentanten der Beklagten vorgetragen habe. Auch ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht. Der Kläger habe einen zumindest fahrlässigen Verstoß der Beklagten gegen das Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringerten, nicht substantiiert dargetan.

II.

Rz. 8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

Rz. 9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

Rz. 10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters oder der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung mit der Begründung abgelehnt hat, der Kläger habe einen zumindest fahrlässigen Verstoß der Beklagten gegen diese Vorschriften nicht substantiiert dargetan.

Rz. 11

a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

Rz. 12

Das Verschulden des Fahrzeugherstellers wird innerhalb des § 823 Abs. 2 BGB im Fall des - vom Berufungsgericht unterstellten - objektiven Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vermutet. Dementsprechend muss der Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verletzt hat, im Fall der Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 2 BGB Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs durch den Kläger ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59, 61 mwN). Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, zVb).

Rz. 13

b) Diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es hat rechtsfehlerhaft eine Darlegungslast des Klägers angenommen und für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden könne, nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses des Klägers, sondern auf den Zeitpunkt der Entwicklung des streitgegenständlichen Motors abgestellt. Es hat keine tragfähigen Feststellungen dazu getroffen, sämtliche Repräsentanten der Beklagten hätten sich im maßgeblichen Zeitpunkt in einem Rechtsirrtum befunden. Es hat schließlich verkannt, dass erst im Anschluss an die Darlegung und den Nachweis dieser Umstände Bedeutung gewinnen konnte, ob eine festgestellte Abschalteinrichtung entweder in all ihren für die Bewertung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten von der damit befassten nationalen Behörde genehmigt war oder genehmigt worden wäre.

III.

Rz. 14

Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Rz. 15

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Menges     

Möhring     

Götz

Rensen     

Vogt-Beheim     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16058382

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