Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 23. Dezember 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist durch Beschluß des Amtsgerichts E. vom 1. April 2000 zum Verwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin bestellt worden. Er nimmt in dieser Eigenschaft den Beklagten auf Schadensersatz wegen der Verletzung versicherungsvertraglicher Pflichten in Anspruch.
Die Insolvenzschuldnerin, Inhaberin einer als Einzelfirma betriebenen Bäckerei, wurde seit dem Jahre 1989 in Versicherungsfragen durch den Agenten des Beklagten, den Zeugen S., betreut. Sie unterhielt bei dem Beklagten u. a. eine Betriebs-Haftpflichtversicherung. Im Februar 1997 wurde festgestellt, daß aus den Leitungen der auf dem Betriebsgrundstück befindlichen Heizöltanks über längere Zeit Öl ausgetreten war. Zur Beseitigung des Schadens an ihrem Grundstück mußte die Insolvenzschuldnerin 57.305,18 DM aufwenden. Der Beklagte lehnte eine Regulierung mit der Begründung ab, die mit der Lagerung von Heizöl verbundenen Risiken hätten durch eine Gewässerschaden-Haftpflichtversicherung abgesichert werden müssen. Deswegen nimmt die Insolvenzschuldnerin den Beklagten wegen Beratungs- und Aufklärungsverschuldens auf Schadensersatz in Anspruch. Dem Zeugen S. sei ein Beratungsverschulden vorzuwerfen, weil er auf ausdrückliche Nachfrage im Jahre 1992 erklärt habe, es bestehe ein umfassender Versicherungsschutz, der die sich aus der mit der Lagerung von Heizöl verbundenen Gefahren einschließe. Der Beklagte selbst habe aufgrund der von ihm unter anderem in den Jahren 1995 und 1996 versandten Fragebögen von dem besonderen Umweltrisiko gewußt, das von den Heizöltanks ausgegangen sei. Für ihn sei erkennbar geworden, daß sich bei ihr die Vorstellung gebildet habe, das Risiko sei von der vorhandenen Betriebs-Haftpflichtversicherung abgedeckt.
Das Landgericht hat den Beklagten in Höhe eines Betrages von 52.805,18 DM verurteilt. Der Beklagte habe für ein Beratungsverschulden des Zeugen S. einzustehen. Unabhängig davon hafte er aufgrund eigenen Aufklärungsverschuldens. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wendet er sich mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Die nach § 547 ZPO unbeschränkt statthafte Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Es hat die Berufung des Beklagten mangels ordnungsgemäßer Begründung als unzulässig verworfen. Der Beklagte habe sich nur mit einer der beiden jeweils tragenden Begründungen des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt, nämlich mit der Frage, ob ein zurechenbares Beratungsverschulden seines Agenten vorliege. Zur weiteren Begründung des Landgerichts, er hafte daneben auch wegen eigener Aufklärungspflichtverletzung im Zusammenhang mit der alljährlich durchgeführten Fragebogenaktion, liege noch nicht einmal eine – ohnehin unzulässige – pauschale Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag vor.
II. Das hält der Nachprüfung nicht stand.
1. Die Berufungsbegründung muß nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, formale und nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Berufungsbegründungen auszuschließen, um dadurch auf die Zusammenfassung und Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug hinzuwirken; allein schon aus der Berufungsbegründung sollen Gericht und Gegner erkennen können, welche Gesichtspunkte der Berufungskläger seiner Rechtsverfolgung oder -verteidigung zugrunde legen, insbesondere welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils er bekämpfen und auf welche Gründe er sich hierfür stützen will (BGH, Urteil vom 24. Januar 2000 – II ZR 172/98 – NJW 2000, 1576 unter II). Die Rechtsmittelbegründung muß das gesamte Urteil in Frage stellen. Dabei kann es für die Zulässigkeit der Berufung genügen, daß der Berufungskläger sich lediglich mit einem der Streitpunkte auseinandersetzt, soweit sein diesbezüglicher Angriff geeignet ist, dem angefochtenen Urteil insgesamt die Grundlage zu entziehen. So reicht es, wenn sie Ausführungen nur zu einem prozessualen Anspruch enthält, das erstinstanzliche Urteil aber in diesem Zusammenhang mit Erwägungen beanstandet, die hinsichtlich der anderen prozessualen Ansprüche gleichermaßen Geltung beanspruchen. Decken sich die Voraussetzungen für die verschiedenen Ansprüche, genügt es, wenn die Berufungsbegründung einen einheitlichen Rechtsgrund im ganzen angreift (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 – I ZR 177/95 – NJW 1998, 1399 unter II 1). Es bedarf differenzierender Beanstandungen lediglich dann, wenn die Vorinstanz die erhobenen Ansprüche aus jeweils unterschiedlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für begründet erachtet hat. Nur wenn das Landgericht seine Entscheidung mit mehreren, voneinander unabhängigen und selbständig tragenden rechtlichen Erwägungen begründet, muß der Berufungskläger für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angefochtene Entscheidung nicht stützen (BGHZ 143, 169, 170 f.; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1999 – VII ZR 25/98 – NJW-RR 2000, 685 unter II 1). Ob die Angriffe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beachtlich sind, ist unerheblich. Die angeführten Berufungsgründe brauchen weder schlüssig noch rechtlich haltbar zu sein. Es geht allein darum, daß sie den formellen Anforderungen genügen (BGH, Urteil vom 6. Mai 1999 – III ZR 265/98 – NJW 1999, 3126 unter II 1 c).
2. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, daß ein auf eine der beiden selbständigen Urteilsbegründungen beschränkter Angriff nicht ausgereicht hätte, um die landgerichtliche Entscheidung insgesamt in Zweifel zu ziehen. Wird nämlich das Urteil nur hinsichtlich des Beratungsverschuldens des Zeugen S. zu Fall gebracht, bleibt noch das eigene Aufklärungsverschulden des Beklagten, auf dem die Verurteilung gleichfalls beruht.
Jedoch ist dem Berufungsgericht nicht darin zu folgen, daß sich der Beklagte in seiner Berufungsbegründung nur mit einer der tragenden Erwägungen auseinandergesetzt hat. Es hat den Inhalt der Begründungsschrift nicht vollständig berücksichtigt und die Reichweite der darin vorgetragenen Angriffe verkannt.
a) Der Beklagte hat schon zu Beginn seiner Berufungsbegründung die eine positive Vertragsverletzung bejahende landgerichtliche Entscheidung umfassend zur Überprüfung gestellt. Es wird unter urkundlicher Auswertung der von ihm an die Insolvenzschuldnerin versandten Fragebögen zur Betriebs-Haftpflichtversicherung ausgeführt, im Jahre 1996 seien dieser bzw. ihrem geschäftsführenden Mitarbeiter die Grenzen des Haftpflicht-Versicherungsvertrages bewußt gewesen. Sie hätten spätestens am 30. April 1996 positive Kenntnis davon gehabt, daß die in Abschnitt 7 des Fragebogens abgehandelten, beispielhaft mit „Tankanlagen … Anlagen für die Lagerung und Verwendung gewässerschädlicher Stoffe” beschriebenen Umweltrisiken nicht (separat) versichert seien. Daraus sei der Schluß zu ziehen, daß die Insolvenzschuldnerin eine solche Versicherung nicht gewollt habe.
b) Darin sind Angriffe gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung des in erster Instanz vorgebrachten Streitstoffs zu erkennen, die die Aufklärungs- und Beratungsbedürftigkeit der Insolvenzschuldnerin insgesamt in Frage stellen. Denn für ein Aufklärungsverschulden des Beklagten ist die Aufklärungsbedürftigkeit der Insolvenzschuldnerin notwendige Voraussetzung, für ein ihm zuzurechnendes Beratungsverschulden des Zeugen S., daß der spätere Schaden auf der vorangegangenen fehlerhaften Beratung beruht. Beides kann bei Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Unvollständigkeit des Versicherungsschutzes entfallen. Das gilt erst recht, wenn sich der Versicherungsnehmer bewußt gegen eine das noch offene Risiko abdeckende Versicherung entschieden hat. Mit der behaupteten Kenntnis des Versicherungsnehmers von der fehlenden Deckung des Gewässerschaden-Haftpflichtrisikos hat der Beklagte die rechtliche Grundlage sowohl eines auf ein Beratungsverschulden des Agenten als auch eines auf ein Aufklärungsverschulden des Beklagten gestützten Anspruchs angegriffen.
c) Daß der Beklagte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf das Beratungsverschulden des Zeugen S. gelegt hat, schadet nicht. Seine Berufungsbegründung läßt nicht erkennen, daß er sich auf diesen Streitgegenstand beschränken und den weiteren, sein Aufklärungsverschulden betreffenden Angriff ausnehmen wollte. Eine inhaltliche Trennung der einzelnen Angriffspunkte setzt § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht voraus. Es reicht, wenn die Berufungsbegründung in ihrer Gesamtschau erkennen läßt, aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, solange nur seine Angriffe auf den konkreten Fall bezogen bleiben. Eine besondere Gliederung der Berufungsbegründung, eine sprachliche Hervorhebung des jeweiligen Angriffs oder eine ausdrückliche Bezugnahme auf einzelne Abschnitte des angefochtenen Urteils ist nicht erforderlich. Entscheidend ist, daß die Rechtsmittelbegründung in hinreichend deutlicher Form zum Ausdruck bringt, welche Gesichtspunkte der Rechtsmittelkläger im Berufungsrechtszug zugrunde legen möchte (BGH, Urteil vom 7. November 1996 – VII ZR 120/96 – ZfBR 1997, 83 unter III c; Urteil vom 25. Juni 1992 – VII ZR 8/92 – NJW-RR 1992, 1340 unter II 1 c).
Unterschriften
Terno, Seiffert, Ambrosius, Wendt, Dr. Kessal-Wulf
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.07.2001 durch Herrwerth, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHR 2001, 808 |
NJW-RR 2002, 208 |
NVersZ 2001, 477 |
VersR 2001, 1304 |