Leitsatz (amtlich)
Die Ausschließung eines Mitglieds aus einer Gewerkschaft wegen „Streikbrecherarbeit” kann unwirksam sein, wenn der Beschluß zur Durchführung des Streiks von einem nicht satzungsgemäßen oder nicht satzungsgemäß zusammengesetzten Gewerkschaftsorgan gefaßt wird.
Normenkette
BGB § 39
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 9. September 1976 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger wenden sich mit ihren Feststellungsklagen gegen ihren Ausschluß aus der beklagten Gewerkschaft. Zu diesem Ausschluß kam es wie folgt:
Am 31. März 1973 war ein bis dahin bestehender Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie abgelaufen. Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Tarifvertrages waren gescheitert.
Auf Beschluß des Erweiterten Vorstands der Beklagten vom 2. April 1973 wurde am 6. April 1973 eine Urabstimmung unter den Mitgliedern der Beklagten durchgeführt, bei der sich mehr als der durch die Satzung der Beklagten vorgeschriebene Anteil von 75 % der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder für Kampfmaßnahmen aussprach. Die für diesen Fall ebenfalls auf Grund des Beschlusses des Erweiterten Vorstands vom 2. April 1973 gebildete sog. Zentrale Streikleitung beschloß noch am 6. April 1973, die Arbeit am 10. April in allen Betrieben der Druckindustrie für zwei Stunden niederzulegen. Dieses Vorhaben, das man zunächst geheimhielt, wurde am 9. April 1973 verfrüht in der Öffentlichkeit bekannt. Daraufhin beschloß die Zentrale Streikleitung, den Streikbeginn auf den Abend des 9. April 1973 vorzuverlegen. Bestreikt wurde u.a. die M. Druckerei in Berlin. Bei dieser Druckerei, in der die Zeitungen „Der Abend” und „Der Tagesspiegel” gedruckt werden, sind die Kläger als Angestellte beschäftigt. Der Kläger zu 1 leitet die Abteilung Stereotypie, der Kläger zu 2 die Rotationsabteilung und der Kläger zu 3 die Abteilungen Maschinensetzerei, Korrekturen und Zeitungssetzerei. Wegen des Streiks konnte der „Tagesspiegel” nur in einer Notausgabe hergestellt werden. Daran wirkten die Kläger, die als Angestellte nicht unter den angestrebten Tarifvertrag fielen und deshalb von dem Streikaufruf der Beklagten nicht berührt waren, mit. Vom Kläger zu 3 stammte der Satz, soweit er vor Streikbeginn noch nicht fertiggestellt war, der Kläger zu 1 stellte die Druckplatten her, und der Kläger zu 2 machte die Rotationsmaschine zum Druck fertig, setzte sie in Gang und schaltete sie, nachdem er den Druckvorgang überwacht hatte, wieder aus.
Dies nahm die Beklagte zum Anlaß, die Kläger durch Beschluß des Landesbezirksvorstands Berlin vom 18. April 1973, der den Klägern mit gleichlautenden Schreiben vom 30. April 1973 eröffnet wurde, mit der Begründung auszuschließen, sie hätten Streikbrecherarbeit geleistet. Die Kläger riefen hiergegen entsprechend der in der Satzung der Beklagten für einen solchen Fall vorgesehenen Regelung zunächst den Hauptvorstand und anschließend den Hauptausschuß an. Beide Gremien wiesen die Beschwerden zurück und bestätigten den Ausschluß.
Zur Begründung ihrer Klagen, mit denen sie verlangen, die Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses vom 18. April 1973 festzustellen, haben die Kläger vorgetragen, sie hätten keine Streikbrecherarbeit geleistet, weil das, was sie am Abend des 9. April 1973 getan hätten, zu dem gehört habe, wozu sie nach ihren Anstellungsverträgen verpflichtet gewesen seien. Außerdem sei der Streik nicht rechtmäßig gewesen; die Vorverlegung des Streikbeginns vom 10. auf den 9. April 1973 habe lediglich bezweckt zu verhindern, daß die Zeitungen am 10. April 1973 erschienen, ein Ziel, das nicht Gegenstand eines rechtmäßigen Streiks, sein könne.
Die Vorinstanzen haben den Klagen stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kläger beantragen, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Ein vereinsrechtlicher Ausschließungsbeschluß kann erst dann gerichtlich nachgeprüft werden, wenn das Mitglied die satzungsmäßigen Rechtsmittel ausgeschöpft hat (vgl. BGHZ 47, 172, 174). Entgegen der Ansicht der Revision ist diese Voraussetzung hier erfüllt. Die Kläger haben den in § 11 Abs. 2 der Satzung der Beklagten vorgesehenen gewerkschaftsinternen Rechtsmittelweg bis zum Hauptausschuß durchlaufen. Dessen Entscheidung ist in jener Satzungsvorschrift ausdrücklich als endgültig bezeichnet. Wenn es im Anschluß daran heißt, diese Entscheidung könne „nur auf Antrag des Ausgeschlossenen vom Gewerkschaftstag abgeändert werden”, so wird dadurch der verbandsinterne Rechtsmittelzug nicht erweitert. Bei der Abänderung einer Ausschlußentscheidung durch den – alle 3 Jahre stattfindenden – Gewerkschaftstag als dem höchsten Organ der Gewerkschaft handelt es sich um eine außerordentliche, nicht zum satzungsmäßigen Rechtsmittelverfahren gehörende Entscheidung, die das ausgeschlossene Mitglied nicht abzuwarten braucht, bevor es sich an das ordentliche Gericht wendet.
II. In der Sache selbst hat die Revision Erfolg.
Nach § 11 Abs. 1 a der Satzung der Beklagten kann als Mitglied ausgeschlossen werden, wer u.a. „bei einem von der Gewerkschaft ausgerufenen Streik Streikbrecherarbeit leistet”. Die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen nicht den Schluß, daß die Kläger auf dieser satzungsmäßigen Grundlage zu Unrecht ausgeschlossen worden sind.
1. Der Streik, auch die Vorverlegung der Kampfmaßnahmen auf den Abend des 9. April 1973, war nicht rechtswidrig.
a) Dem Berufungsgericht kann nicht darin gefolgt werden, daß mit der Arbeitsniederlegung am Abend des 9. April 1973 kein tarifvertraglich regelbares und damit zulässiges Streikziel habe erreicht werden sollen. Das Berufungsgericht hat zwar auf Grund der Zeugenaussage des damaligen Angestellten Ferlemann der Beklagten festgestellt, es sei dieser, nachdem der Streikplan in der Öffentlichkeit bekannt geworden sei, „entscheidend … nur” darauf angekommen, die Herausgabe der Zeitungen für den folgenden Tag zu verhindern. Hieraus hat es jedoch falsche rechtliche Schlüsse gezogen. Es gehört zum Wesen des Streiks, daß der Arbeitgeberseite durch Produktionsausfälle wirtschaftlicher Schaden zugefügt wird. Hierbei handelt es sich nicht um das Streikziel, sondern um das Mittel, durch das auf die Gegenseite Druck ausgeübt werden soll, damit sie die von ihr geforderten Zugeständnisse mache. Das eigentliche Ziel des Arbeitskampfes ist es, diese Zugeständnisse zu erreichen. Ein Streik ist unter diesem Gesichtspunkt rechtmäßig, wenn die an die Arbeitgeberseite gerichteten Forderungen sich auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen beziehen.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß nach Auslaufen des bis zum 31. März 1973 gültigen Tarifvertrages die Verhandlungen der Tarifpartner über einen neuen Vertrag gescheitert waren und daß es aus diesem Grunde zu dem Beschluß des Erweiterten Vorstands vom 2. April 1973 gekommen war. Streikziel war damit der Abschluß eines den Vorstellungen der Beklagten entsprechenden Tarifvertrages. Zur Erreichung dieses Ziels sollte zunächst durch den für den 10. April 1973 vorgesehenen zweistündigen Streik auf die Arbeitgeberseite Druck ausgeübt werden. Als dieser Plan vorzeitig bekannt wurde, meinte man bei der Beklagten, er sei in dieser Form wegen der den Arbeitgebern nunmehr gegebenen Möglichkeit, sich auf den Ausstand einzurichten, nicht mehr erfolgversprechend. Deshalb entschloß man sich, den Streik sofort zu beginnen, damit die Zeitungen am nächsten Tag nicht erscheinen konnten und die Gegenseite auf diese Weise unter Druck gesetzt wurde. Damit änderte die Beklagte die Taktik ihrer Kampfführung; dafür, daß sie hierdurch ihr Ziel, die Arbeitgeberseite zum Abschluß eines Tarifvertrages zu zwingen, aufgegeben hätte, besteht nach dem gesamten Parteivorbringen kein Anhaltspunkt.
b) Die Arbeitsniederlegung am 9. April 1973 verletzte nicht dem das Arbeitskampfrecht beherrschenden Grundsatz, daß Kampfmaßnahmen nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfen, wenn alle anderen Einigungsmöglichkeiten versagt haben. Unstreitig waren die Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Tarifvertrages gescheitert. Die Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen ist eine formelle Voraussetzung für die Einleitung eines Arbeitskampfes; sie schließt nicht aus, daß die Verhandlungen später wieder aufgenommen werden. Daß hier für den 10. April 1973 neue Verhandlungen vorgesehen waren, verpflichtete die Beklagte nicht, schon deswegen die bereits eingeleiteten Kampfmaßnahmen abzubrechen.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, ob der zunächst für den 10. April 1973 vorgesehene zweistündige Streik sich weniger einschneidend für die Arbeitgeberseite ausgewirkt und der Beklagten damit ein milderes Kampfmittel zur Verfügung gestanden hätte. Welche Taktik eine an einem Arbeitskampf beteiligte Partei im einzelnen anwenden will, steht grundsätzlich in ihrem Ermessen, dessen Ausübung das Gericht allenfalls auf die Einhaltung bestimmter Grenzen nachprüfen kann. Die Beklagte war nach Bekanntwerden des ursprünglichen Streikplanes der Meinung, es könnte, wenn an ihm festgehalten würde, kein genügend starker Druck mehr auf die Arbeitgeber ausgeübt werden. Wenn sie sich unter diesen Umständen entschloß, der Arbeitskampf so zu gestalten, daß am nächsten Tag in den bestreikten Druckereien die Zeitungen nicht erscheinen konnten, so war dieses Vorgehen nicht rechtswidrig. Es ist im Arbeitskampf nicht verboten, auch „grobe Geschütze” aufzufahren (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., II/2, S. 1030).
c) Der hier zu beurteilende Streik verletzte nicht das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Ob und inwieweit das Bestreiken von Presseunternehmen unter diesem Gesichtpunkt unzulässig sein kann, ist allerdings umstritten (vgl. dazu Löffler, Presserecht, 2. Aufl., Bd. I Kap. 13 Rdz. 17; Rehbinder, Presserecht, S. 84 f). Die Frage braucht hier nicht in ihrer Allgemeinheit erörtert zu werden. Ein Lohnstreik gegen Zeitungsbetriebe ist nicht schlechthin verfassungswidrig, sondern grundsätzlich zulässig. Dem Recht der Allgemeinheit auf Information kommt zwar ein hoher Stellenwert zu; es ist aber als solches nicht schon immer dann beeinträchtigt, wenn eine bestimmte Zeitung in einem beschränkten Zeitraum nicht erscheint (Grunsky ZRP 1976, 129, 132). Auf Zeitungsbetriebe können deshalb auch nicht ohne weiteres die im Arbeitskampfrecht entwickelten Grundsätze über den Streik in lebenswichtigen Betrieben angewandt werden, wonach dort die Versorgung der Bevölkerung zumindest durch die Verrichtung von Notarbeiten sichergestellt werden muß (so aber Löffler a.a.O.; Hernekamp BB 1976, 1329, 1331 ff). Die Frage kann allenfalls dahin gestellt werden, ob im Einzelfall eine Arbeitskampfmaßnahme nach Ausmaß, Dauer, Form oder Zielrichtung so weit geht, daß dadurch die Einrichtung der freien Presse nicht nur in einer Randzone, sondern in ihrem Kern getroffen wird. Als Beispiele sind die Fälle genannt worden, in denen ein Streik darauf zielt, das Erscheinen aller Zeitungen oder auch nur derjenigen einer bestimmten Pressesparte zu verhindern, die Presse einer bestimmten politischen Richtung zu treffen oder eine bestimmte Zeitung wegen ihrer Haltung in einer konkreten Frage zu maßregeln (Löffler a.a.O. sowie in NJW 1962, 2048 f, NJW 1977, 2061 und Arch. f. Presserecht 1975, 784, 785; zu der gesamten Problematik Rüthers, Arch. f. Presserecht 1977, 305 ff, 315). Dafür, daß solche oder ähnliche besonderen Umstände im hier zu entscheidenden Fall vorliegen könnten, ist aus dem Vorbringen der Parteien und den Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich.
d) Auch sonstige Gründe, aus denen der Streik vom 9. April 1973 als rechtswidrig anzusehen wäre, lassen sich dem Prozeßstoff nicht entnehmen. Darauf, ob die Mercator Druckerei Mitglied des Arbeitgeberverbandes war, mit dem der angestrebte Tarifvertrag abgeschlossen werden sollte, kommt es nicht an. Es genügt, wenn der Arbeitskampf sich gegen einen tariffähigen Sozialpartner richtet – dies ist auch der einzelne Arbeitgeber –, der die Forderung auf Abschluß eines Tarifvertrages jedenfalls erfüllen könnte. Es ist dagegen unerheblich, ob der Sozialpartner tatsächlich zum Abschluß eines solchen Tarifvertrages gezwungen werden soll (vgl. Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S, 132) oder etwa der nicht verbandszugehörige Arbeitgeber nur bestreikt wird, um auch hierdurch wirtschaftlichen Druck auf die Branche und ihren Arbeitgeberverband auszuüben, möglicherweise in der Erwartung, daß die Außenseiter einem dann mit dem Verband abgeschlossenen Tarifvertrag folgen würden,
2. Die Kläger haben Streikbrecherarbeit im Sinne des § 11 Abs. 1 a der Satzung der Beklagten geleistet. Sie waren zwar als Angestellte von dem Tarifvertrag, dessen Abschluß mit dem Streik erzwungen werden sollte, nicht betroffen. Der Streikaufruf der Beklagten richtete sich daher nicht an sie; sie waren nicht verpflichtet, sich an dem Streik zu beteiligen oder ihn auch nur zu unterstützen. Andererseits verstießen die Kläger aber gegen die zwischen den im selben Betrieb tätigen Mitgliedern derselben Gewerkschaft zu erwartende Solidarität, wenn sie die Arbeiten ihrer streikenden Kollegen verrichteten (BAG AP 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 3; Hueck/Nipperdey a.a.O. S. 948). Das aber haben die Kläger nach den – auf Grund des unstreitigen Sachverhalts getroffenen – Feststellungen des Berufungsgerichts getan. Sie haben bei der Herstellung der Notausgabe des „Tagesspiegel” jedenfalls teilweise Arbeiten ausgeführt, die normalerweise von den streikenden Arbeitern zu leisten gewesen wären. Denn die Herstellung des Satzes und der Druckplatten sowie das Bedienen der Rotationsmaschine war, wie die Kläger selbst vorgetragen haben, im Normalfall nicht ihre Aufgabe, sondern diejenige der von ihnen zu beaufsichtigenden Arbeiter. Zu Unrecht berufen sich die Kläger darauf, daß sie derartige Arbeiten auch sonst in Ausnahmefällen, insbesondere bei großem Manuskriptanfall, hätten ausführen müssen, wenn sonst die Zeitungen nicht pünktlich hätten fertiggestellt werden können. Es kommt nicht darauf an, ob in anders gearteten Notfällen von ihnen verlangt werden kann, über ihre beaufsichtigende Tätigkeit hinaus innerhalb oder außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs selbst mit Hand anzulegen. Ein Angestellter ist dazu jedenfalls dann nicht verpflichtet, wenn dieser Ausnahmefall durch einen Streik seiner Arbeitskollegen herbeigeführt worden ist; für diese einzuspringen, ist er, weil für ihn unzumutbar, auf Grund seines Arbeitsvertrages nicht gehalten (BAG a.a.O).
3. Nicht abschließend beurteilen läßt sich dagegen auf Grund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen, ob der Beschluß, durch den der Zeitpunkt sowie Art und Umfang der Kampfmaßnahmen festgelegt wurden, nach den Bestimmungen der Satzung der Beklagten wirksam zustande gekommen ist.
a) Nach § 16 Abs. 3 der Satzung werden Kampfmaßnahmen vom Erweiterten Vorstand oder vom Geschäftsführenden Vorstand beschlossen und vom Hauptvorstand oder Geschäftsführenden Vorstand durchgeführt. Abs. 4 bestimmt, daß zur Durchführung eines Streiks eine Urabstimmung erforderlich ist, bei der 75 % der daran teilnehmenden Abstimmungsberechtigten dem Streik zustimmen. Nachdem im vorliegenden Fall der Erweiterte Vorstand die Urabstimmung beschlossen und den Geschäftsführenden Vorstand mit der Bildung einer Zentralen Streikleitung beauftragt hatte, hat diese – auf der Grundlage der inzwischen mit ausreichendem Ergebnis durchgeführten Urabstimmung – zunächst am 6. April 1973 einen zeitlich begrenzten Streik für den 10. April 1973 und später am 9. April 1973 die Vorverlegung der Kampfmaßnahmen auf den Abend dieses Tages beschlossen. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß dieses Vorgehen nicht der Satzung entsprach; die Entscheidung über die erwähnten Einzelheiten der Streikdurchführung hätte nicht der Zentralen Streikleitung überlassen werden dürfen. Zeitpunkt und Dauer von Kampfmaßnahmen sowie ihr Umfang (Totalstreik, Schwerpunktstreik, Auswahl der zu bestreikenden Betriebe usw.) prägen einen Streik in seiner konkreten Erscheinungsform so wesentlich, daß nur das nach der Satzung für die Streikdurchführung zuständige Organ über diese Einzelheiten wirksam beschließen kann. Es kann ohne satzungsmäßige Grundlage seine Befugnisse insoweit nicht delegieren; denn es muß gewährleistet sein, daß eine so wichtige Entscheidung von dem Organ getroffen wird, das nach der Satzung der Gesamtheit der Mitglieder gegenüber dafür die Verantwortung trägt. Nach § 16 Abs. 3 der Satzung war das der Hauptvorstand oder der Geschäftsführende Vorstand, nicht aber die in der Satzung nicht vorgesehene Zentrale Streikleitung. Mit Recht hat das Berufungsgericht die insoweit bestehenden Bedenken nicht dadurch als ausgeräumt angesehen, daß die Zentrale Streikleitung in ihrem Kern von den sämtlichen Mitgliedern des Geschäftsführenden Vorstands gebildet wurde. Denn ihr gehörten darüber hinaus noch die Frauensekretärin – diese war allerdings ihrerseits Mitglied des Hauptvorstands –, der Leiter der Rechtsabteilung, ein Sekretariatsleiter und der vom Berufungsgericht als Zeuge vernommene Angestellte Ferlemann an, der nach seiner Aussage Leiter der Abteilung Wirtschaft und Technik war. Es ist zwar unbedenklich, wenn das für die Durchführung des Streiks satzungsmäßig zuständige Organ bestimmte leitende Fachangestellte hinzuzieht, um sich durch sie, die dem Streikgeschehen näher stehen und die Auswirkung der in Betracht kommenden Kampfmaßnahmen deshalb möglicherweise besser beurteilen können, bei der taktischen und strategischen Ausgestaltung des Arbeitskampfes beraten zu lassen. Daß auf diese Weise dem Organ nicht angehörende Personen dessen Beschlüsse durch ihre Meinungsäußerungen beeinflussen könnten, wäre regelmäßig nicht entscheidend. Hier ist aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß die aufgeführten zusätzlichen Mitglieder in der Streikleitung volles Stimmrecht hatten. Damit ist es im Hinblick auf das Zahlenverhältnis – der Geschäftsführende Vorstand besteht nach § 21 Abs. 2 der Satzung aus fünf Mitgliedern, denen die oben genannten vier weiteren Mitglieder der Zentralen Streikleitung gegenüberstanden – möglich, daß der Beschluß vom 9. April 1973, durch den der Streikbeginn auf den Abend dieses Tages festgesetzt wurde, ohne die Stimmabgabe der nicht dem Geschäftsführenden Vorstand angehörenden Personen so nicht zustande gekommen wäre und mithin auf ihr beruht. Das würde den Beschluß unwirksam machen (vgl. dazu das den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft betreffende Senatsurteil in BGHZ 47, 341, 346). Hierauf könnten sich die Kläger unter dem Gesichtspunkt berufen, daß die Mißachtung eines satzungswidrig angeordneten Streiks keine Grundlage für ihren Ausschluß sei.
b) Allein die Möglichkeit, daß er ohne die Stimmabgabe der nicht dem Geschäftsführenden Vorstand angehörenden Personen nicht zustande gekommen wäre, macht indessen den Beschluß vom 9. April 1973 entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts noch nicht unwirksam. Es kommt vielmehr, wie der Senat in der genannten Entscheidung ausgeführt hat, darauf an, ob der Beschluß tatsächlich darauf beruht, daß die zusätzlichen Mitglieder mitgestimmt haben, oder ob er auch dann zustande gekommen wäre, wenn allein die Mitglieder des Geschäftsführenden Vorstands abgestimmt hatten. Letzteres darzulegen und zu beweisen, wäre Sache der Beklagten. Bislang fehlt es hierzu an einem Parteivortrag. Damit die Parteien Gelegenheit erhalten, ihr Vorbringen unter diesem in den Vorinstanzen nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zu ergänzen, und das Berufungsgerichts alsdann die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen treffen kann, ist die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Unterschriften
Stimpel, Dr. Schulze, Fleck, Dr. Kellermann, Dr. Skibbe
Fundstellen
Haufe-Index 1502382 |
Nachschlagewerk BGH |