Entscheidungsstichwort (Thema)
"Gebrauch" von Tankwagen
Leitsatz (amtlich)
Das Entladen von Chemikalien aus einem Tankwagen durch Einsatz eines auf dem Tankwagen befindlichen und durch den Motor des Fahrzeugs angetriebenen Kompressors gehört zum „Gebrauch” des Tankwagens.
Normenkette
PflVG 1965 § 3; AKB § 10
Verfahrensgang
OLG Zweibrücken (Urteil vom 16.09.1988) |
LG Zweibrücken (Urteil vom 04.09.1987) |
Tenor
I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. September 1988 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil des Klägers erkannt hat.
II. Auf die Berufung des Klägers wird das Teil-Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 4. September 1987, soweit seine Klage gegen den Beklagten zu 2) abgewiesen worden ist, dahin abgeändert:
- Der Beklagte zu 2) wird als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 1) verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23. September 1985 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, daß der Beklagte zu 2) als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger den materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Unfall vom 1. Oktober 1982 im Uni-Schweinemastbetrieb II, Bickenaschbacherhof Zweibrücken, noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
- Die Haftung des Beklagten zu 2) beschränkt sich auf die Versicherungssumme.
III. Der Rechtsstreit wird zur Entscheidung über den bezifferten Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zu 2) und über die Kosten der Rechtsmittelzüge an das Landgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Erstbeklagte lieferte am 1. Oktober 1982 mit einem bei dem zweitbeklagten Haftpflichtversicherer versicherten Tankwagen seiner Arbeitgeberin bei dem Schweinemastbetrieb, dessen Geschäftsführer der Kläger war, eine Ladung Luprosil an. Das Luprosil – ein stark ätzendes Konservierungsmittel – sollte in den Lagertank des Schweinemastbetriebes umgefüllt werden. Bei diesem Tank handelte es sich um einen ausgedienten Milchtank, an dem sich mangels eines Einfüllstutzens der Entladeschlauch des Tankwagens nicht befestigen ließ. Wegen dieses Mangels sollte – wie schon bei den Vorlieferungen – während des Abpumpvorganges der Einfüllschlauch mit dem Verschlußdeckel des Lagertanks festgeklemmt werden. Diese Tätigkeit hatte bisher stets ein Angestellter des Schweinemastbetriebes übernommen. Der Erstbeklagte bat deshalb den Kläger, ihm beim Umfüllen des Luprosils zu helfen. Der Kläger, der dies zum ersten Mal tat, legte auf Anweisung des Erstbeklagten den Einfüllschlauch in den Lagertank, klappte den Deckel zu und stellte den Fuß darauf. Als daraufhin der Erstbeklagte den vom Motor des Tankwagens angetriebenen Kompressor einschaltete und das Durchflußventil öffnete, entwickelten sich so starke Rückstoßkräfte, daß der Einfüllschlauch aus der Tanköffnung glitt und das ausströmende Luprosil sich über den Kläger ergoß. Der Kläger erlitt schwere Augenverätzungen; er kann seinen erlernten Beruf (Agraringenieur) nicht mehr ausüben.
Der Kläger verlangt von den Beklagten ein Schmerzensgeld und Erstattung seines Verdienstausfalls; ferner begehrt er (vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf einen Sozialversicherungsträger) die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz seines zukünftigen unfallbedingten materiellen und immateriellen Schadens.
Das Landgericht hat unter Ausklammerung des noch nicht entscheidungsreifen Anspruchs auf Erstattung des unfallbedingten Verdienstausfalls durch Teilurteil den Erstbeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 40.000 DM nebst Zinsen verurteilt und dem Feststellungsantrag stattgegeben; die gegen den zweitbeklagten Haftpflichtversicherer gerichtete Klage hat es abgewiesen. Die gegen dieses Urteil eingelegten Berufungen des Klägers und des Erstbeklagten blieben ohne Erfolg. Dagegen richten sich die Revisionen des Klägers und des Erstbeklagten. Der Senat hat die Revision des Erstbeklagten nicht angenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Im zweiten Rechtszug war unstreitig, daß der Erstbeklagte die Verletzungen des Klägers schuldhaft dadurch verursacht hat, daß er den Umfüllschlauch einem zu hohen Druck ausgesetzt hat. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht den Ansprüchen des Klägers aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB, § 230 StGB, § 847 BGB das Haftungsprivileg aus §§ 636, 637 Abs. 1 RVO nicht entgegen, weil der Kläger bei seiner Hilfstätigkeit Aufgaben seines Stammbetriebes wahrgenommen habe; er habe durch seinen Einsatz das Fehlen einer festen Anschlußmöglichkeit für den Entladeschlauch am Lagertank, für die sein Betrieb habe sorgen müssen, auszugleichen versucht. Ein Mitverschulden falle ihm nicht zur Last; es sei nicht bewiesen, daß ihm die Gefährlichkeit des improvisierten Umfüllvorgangs, zu dem der Erstbeklagte ihn angewiesen habe, bekannt gewesen sei. Hingegen sei – so fährt das Berufungsgericht fort – der gegen den zweitbeklagten Haftpflichtversicherer gerichtete Direktanspruch mit dem Landgericht zu verneinen. Ein solcher Anspruch komme nach § 3 PflVG nicht in Betracht, weil sich der Unfall nicht „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges” ereignet habe, wie es § 7 Abs. 1 StVG für einen Schadensersatzanspruch des Verletzten voraussetze. Ein Zusammenhang mit dem „Betrieb” des Tankwagens, dessen Entladevorrichtung nicht zu beanstanden sei, sei zu verneinen; der Schaden habe sich nicht beim Entladen des Tankwagens, sondern beim Beladen des unzulänglich ausgestatteten Lagertanks ereignet.
II.
Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs des Klägers gegen den Erstbeklagten angenommen und eine Haftungsfreistellung des letzteren nach §§ 636, 637 RVO verneint. Dies stand auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat über die Einstandspflicht des Zweitbeklagten außer Frage. Indes halten die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht den Direktanspruch des Klägers gegen den zweitbeklagten Haftpflichtversicherer verneint hat, den Angriffen der Revision nicht stand. Das Berufungsgericht hat sich darauf beschränkt zu prüfen, ob der Unfall des Klägers im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zuzurechnen sei. Ob dies mit dem Berufungsgericht zu verneinen ist, kann dahinstehen. Denn das Berufungsgericht hat nicht erkannt, daß das in der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherung versicherte Wagnis weitergeht und auch Ersatzansprüche für Schäden aus dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs als Arbeitsmaschine umfaßt, die der Geschädigte nach § 3 Nr. 1 PflVG ebenso wie Ansprüche aus dem Straßenverkehrsgesetz unmittelbar gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen kann.
1. Nach § 3 Nr. 1 PflVG kann der Geschädigte „im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis” seinen Anspruch auf Schadensersatz unmittelbar gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer geltend machen. Es muß sich also um einen Schadensersatzanspruch handeln, der von der Versicherung gedeckt ist. Dies ist bei den deliktischen Ansprüchen, die dem Kläger aus dem Unfall vom 1. Oktober 1982 gegen den Erstbeklagten als Fahrer des Tankwagens zustehen, der Fall.
a) Der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer ist nach § 10 AKB aus dem Versicherungsvertrag u. a. verpflichtet, begründete Ansprüche zu befriedigen, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegen mitversicherte Personen erhoben werden, wenn durch den Gebrauch des im Vertrag bezeichneten Fahrzeugs Personen verletzt werden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Bei den – inzwischen rechtskräftigen – Ansprüchen des Klägers gegen den Erstbeklagten handelt es sich um Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB und damit um Schadensersatzansprüche aus gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts i. S. von § 10 Nr. 1 AKB. Diese Ansprüche richten sich gegen den Erstbeklagten als Fahrer des Tankwagens, der nach § 10 Nr. 2 Buchst. c AKB zu den mitversicherten Personen zählt.
b) Die Verletzung des Klägers ist auch durch den „Gebrauch” des Tankwagens entstanden, wie es § 10 AKB weiter voraussetzt. Der Begriff des „Gebrauchs” i. S. von § 10 Nr. 1 AKB geht weiter als der des „Betriebes” i. S. von § 7 Abs. 1 StVG. Das folgt schon aus dem Wortsinn, aber auch aus der Zweckbestimmung beider Vorschriften. Der Begriff des „Betriebes” ist durch den Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG, der auf die Gefahren des Kraftfahrzeuges beim Verkehr abstellt, geprägt. Er verlangt einen rechtlich relevanten Zusammenhang des Schadens mit der Funktion des Kraftfahrzeugs als Beförderungsmittel, setzt also voraus, daß sich die von dem Kraftfahrzeug als solchem ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf ausgewirkt hat (st. Rspr., zuletzt Senatsurteil vom 6. Juni 1989 – VI ZR 241/88 – für BGHZ vorgesehen). Demzufolge hat der Senat entschieden, daß ein Schaden, der dadurch eintritt, daß ein Kraftfahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird, nicht mehr in den Schutzbereich des § 7 StVG fällt (vgl. BGHZ 71, 212, 214 sowie Senatsurteil vom 27. Mai 1975 – VI ZR 95/74 – VersR 1975, 945, 946). Demgegenüber bestimmt sich der Begriff des „Gebrauchs” i. S. von § 10 AKB nach dem Interesse, das der Versicherte daran hat, durch den Einsatz des Kraftfahrzeugs und der an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, gleich, ob diese auf §§ 7 ff. StVG, §§ 823 ff. BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen. Danach ist auch das Entladen eines Tanklastzuges mit einer auf ihm befindlichen Pumpe – also der Einsatz des Kraftfahrzeugs als Arbeitsmaschine – dem Gebrauch des Fahrzeuges zuzurechnen, jedenfalls solange der Druck der Pumpe auf die Flüssigkeit einwirkt und sie durch den Schlauch treibt. Kommt es hierbei zu einer Schädigung, so verwirklicht sich eine Gefahr, die von dem Fahrzeug selbst ausgeht. Für dieses Risiko erwartet und erhält der Versicherte Schutz durch die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (vgl. BGHZ 75, 45, 48 f. = VersR 1979, 956, 958 f.; vgl. ferner Hofmann, Haftpflichtrecht für die Praxis, 1989, S. 207; Prölls/Martin, VVG, 24. Aufl. 1988, Anm. 3 B zu § 10 AKB).
Um einen solchen Fall des Gebrauchs geht es hier. Der Unfall hat sich ereignet, als das Luprosil unter Einsatz des auf dem Tankwagen angebrachten Kompressors in den Lagertank des Schweinemastbetriebes umgefüllt wurde.
2. Dies bedeutet, daß auch der Zweitbeklagte für die dem Kläger gegen den Erstbeklagten zuerkannten deliktischen Schadensersatzansprüche aufzukommen hat, und zwar als Gesamtschuldner mit dem Erstbeklagten (§ 3 Nr. 2 PflVG). Dementsprechend waren der Urteilsausspruch zu ergänzen und der Rechtsstreit zur Entscheidung über den Anspruch auf Erstattung des unfallbedingten Verdienstausfalls sowie über die Kosten der Rechtsmittelzüge an das Landgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Steffen, Dr. Macke, Dr. Lepa, Bischoff, Dr. Birkmann
Fundstellen
Haufe-Index 609608 |
NJW 1990, 257 |
Nachschlagewerk BGH |
JuS 1990, 416 |