Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts vom 5. Juli 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich einer deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zum Nachteil der Klägerin erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Die Klägerin erwarb am 8. März 2017 für 57.747,13 € ein von der Beklagten hergestelltes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz V 220d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle erfolgt unter Verwendung einer Abgasrückführung sowie eines SCR-Systems.
Rz. 3
Die Klägerin hat, gestützt auf die Implementierung eines Thermofensters sowie eines geregelten Kühlmittelthermostats, zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs, die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits beantragt. Das Landgericht hat ihre Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat wegen der deliktischen Ansprüche zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge im Umfang der Zulassung weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit im Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 6
Der Klägerin stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Denn sie habe die nach § 826 BGB erforderliche sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht hinreichend dargetan. In der Verwendung nicht nur den Betrieb des Fahrzeugs im Prüfstand betreffender Einrichtungen liege kein sittenwidriges Verhalten. Besondere Umstände, die eine andere Bewertung rechtfertigten, seien nicht dargelegt. Außerdem fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten für ein Unrechtsbewusstsein verantwortlicher Personen.
Rz. 7
Der Klägerin stehe auch kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil es sich bei den genannten Bestimmungen nicht um Schutzgesetze handele.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
Rz. 9
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
Rz. 10
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Rz. 11
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 12
Das Berufungsurteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rz. 13
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Für den Differenzschaden kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin das Fahrzeug zur gewerblichen Nutzung erworben hat.
Menges |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16153101 |