Leitsatz (amtlich)
Zur Zurückweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die erstmals mit der Anschlußberufung vorgebracht werden.
Normenkette
ZPO §§ 521, 523, 282, 296
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 03.04.1981) |
LG Verden (Aller) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 3. April 1981 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte befaßt sich mit dem Vertrieb und der Montage von Bauelementen. Zum 1. März 1979 stellte sie den Kläger als Leiter ihres Betriebes in A. ein. Nach dem schriftlich geschlossenen Vertrag konnte das „Arbeitsverhältnis” nach Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit „von beiden Seiten nur jeweils 6 Wochen vor Quartalsende zum Quartalsende gekündigt” werden (§ 8 des Vertrages).
In der Folgezeit bestellte die Beklagte den Kläger zu ihrem alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer, kündigte das Dienstverhältnis aber bereits am 6. Oktober 1979 fristgemäß zum 31. Dezember 1979. Durch Schreiben vom 22. Oktober 1979 wandelte sie diese Kündigung „aufgrund der jetzt eingetretenen Umstände”, die sie nicht näher kennzeichnete, in eine fristlose Kündigung um.
Mit seiner im November 1979 erhobenen Klage hat der Kläger u.a. die Gehaltszahlung für den Monat Oktober 1979 sowie die Feststellung begehrt, daß das Dienstverhältnis zwischen den Parteien bis zum 31. Dezember 1979 fortbestanden habe. Gegen den Feststellungsantrag hat sich die Beklagte in erster Instanz mit der Behauptung verteidigt, sie habe einem Kunden einen Nachlaß von 15.000,– DM gewähren müssen, weil der Kläger die in Auftrag gegebenen Fenster falsch vermessen und mangelhaft eingesetzt habe. Diese Fehlleistung und der damit verbundene Ansehensverlust bei der Kundschaft rechtfertigten die fristlose Kündigung.
Das Landgericht hat der Feststellungsklage durch Teilurteil vom 21. August 1980 stattgegeben und die Zahlungsklage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seine Gehaltsforderung weiter geltend gemacht.
Einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vom 18. März 1981 hat die Beklagte Anschlußberufung eingelegt und sich damit gegen die vom Landgericht getroffene Feststellung über den Fortbestand des Dienstverhältnisses bis zum 31. Dezember 1979 gewandt. Zur Begründung hat sie neu vorgetragen, der Kläger habe sich für die übernommenen Aufgaben als völlig ungeeignet erwiesen. Er habe keinen einzigen Auftrag ordnungsgemäß abgewickelt und das Unternehmen dadurch „an den Rand des finanziellen Ruins” gebracht. Der von ihm in 15 Einzelfällen verursachte Gesamtschaden belaufe sich auf mehr als 40.000,– DM. Wegen der weiteren Einzelheiten hat die Beklagte umfangreiche, mit einer Vielzahl von Beweisantritten versehene Schriftsätze aus einem von ihr gegen den Kläger angestrengten Schadensersatzprozeß (4 O 554/80 LG Verden) vorgelegt. Zusätzlich hat die Beklagte ihre Anschlußberufung darauf gestützt, der Kläger habe abredewidrig unternehmensinterne Vorgänge Dritten gegenüber offenbart und dadurch einem der Gesellschafter persönliche Nachteile zugefügt. In zumindest einem Fall habe er seine Befugnis zur Vergabe von Aufträgen bewußt überschritten. Schließlich habe er sich mit der fristlosen Kündigung ausdrücklich einverstanden erklärt (Beweis: eidliche Vernehmung des Klägers als Partei).
Das Oberlandesgericht hat die Anschlußberufung – um deren Begründetheit es jetzt allein noch geht – zurückgewiesen. Mit der – insoweit zugelassenen – Revision, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, wehrt sich die Beklagte weiter gegen die Feststellung, daß das Dienstverhältnis zwischen den Parteien bis zum 31. Dezember 1979 fortbestand.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht vertritt wie das Landgericht die Ansicht, daß die von der Beklagten in erster Instanz behauptete (einmalige) Fehlleistung des Klägers die fristlose Kündigung nicht rechtfertige.
Etwas anderes gelte allerdings für die in der Anschlußberufungsschrift enthaltenen Behauptungen. Dieser neue Sachvortrag sei jedoch gemäß §§ 523, 296 Abs. 2, 282 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Zwar könne eine Anschlußberufung auch noch am letzten Tag vor der mündlichen Verhandlung eingelegt und begründet werden. Die Zulässigkeit einer derartigen Anschlußberufung schließe es aber nicht aus, die mit ihr erstmals in das Verfahren eingeführten Angriffs- und Verteidigungsmittel nach den allgemeinen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung wegen Verspätung zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte grob gegen ihre Prozeßförderungspflicht verstoßen. Sie habe ihre ergänzenden Behauptungen zur Rechtfertigung der fristlosen Kündigung nicht so zeitig vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, daß der Kläger die für eine Erwiderung erforderlichen Erkundigungen habe einziehen können (§ 282 Abs. 2 ZPO). Angesichts der umfangreichen neuen Behauptungen und Beweisantritte, der Erforderlichkeit einzelner Hinweise gemäß § 139 ZPO sowie der zu erwartenden Gegenerklärung des Klägers hätte eine Zulassung der mit der Anschlußberufung vorgebrachten Verteidigungsmittel die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich verzögert. Die Verzögerung sei wegen der Kürze der bis zur Verhandlung zur Verfügung stehenden Zeit auch nicht durch vorbereitende Maßnahmen des Gerichts zu vermeiden gewesen. Die Verspätung des Vortrags beruhe auf grober Nachlässigkeit der Beklagten. Ihr seien die maßgeblichen Fakten überwiegend bereits im Jahre 1979, spätestens jedoch bei Einleitung des von ihr gegen den Kläger angestrengten Schadensersatzprozesses am 26. September 1980 bekannt gewesen. Sie habe also ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, die betreffenden Einzelheiten durch vorbereitenden Schriftsatz rechtzeitig in das Berufungsverfahren einzuführen.
Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
I.
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der von der Beklagten ursprünglich geltend gemachte Kündigungsgrund, der Kläger habe sie durch fehlerhafte Vermessung um 15.000,– DM geschädigt und dadurch ihr Ansehen bei der Kundschaft herabgesetzt, die fristlose Kündigung nicht rechtfertigt.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Dienstverhältnis nur dann ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Im Hinblick auf diese strengen Anforderungen scheidet die außerordentliche Kündigung bei einer einmaligen Schlechtleistung grundsätzlich aus. Sie kommt allenfalls in Betracht, wenn der Dienstleistungspflichtige seine Arbeitskraft vorsätzlich zurückhält oder falsch einsetzt (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 41. Aufl., § 626 Anm. 5 b; Schwerdtner in MünchKomm, BGB, § 626 Rdn. 71) oder wenn sich zeigt, daß er nicht über das zur Ausübung seiner Tätigkeit selbstverständlich erforderliche Mindestmaß an Grundkenntnissen verfügt (vgl. LAG München, Betrieb 1975, 1756). Ausnahmsweise kann auch das besonders schwere Versagen eines leitenden Angestellten in einem einzelnen Fall eine fristlose Kündigung rechtfertigen (Schwerdtner in MünchKomm, a.a.O., § 626 Rdn. 71 m.N.; Soergel/ Siebert/Kraft, BGB, 11. Aufl., § 626 Anm. 16; Staudinger/ Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rdn. 43 m.N.), wenn dadurch der Bestand des Betriebes ernsthaft gefährdet wird (LAG Baden-Württemberg, BB 1964, 681).
Da die Beklagte indessen für das Vorliegen dieser Ausnahmetatbestände – jedenfalls bis zur Einreichung der Anschlußberufung – nichts vorgebracht hat, bleibt es bei dem Grundsatz, daß ein einmaliger fahrlässiger Pflichtverstoß keinen hinreichenden Anlaß zur fristlosen Kündigung gibt.
II.
Die Beklagte kann ihre fristlose Kündigung auch nicht auf die mit der Anschlußberufung neu in das Verfahren eingeführten Umstände stützen.
1. Materiellrechtlich ist es allerdings grundsätzlich zulässig, bisher zurückgehaltene Kündigungsgründe noch nachträglich geltend zu machen. Erforderlich ist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB insoweit lediglich, daß der Kündigende von den nachgeschobenen Gründen nicht früher als 2 Wochen vor der Kündigung Kenntnis erlangt hat (BGH Urteil vom 11. Juli 1978 – VI ZR 266/76 = LM BGB § 626 Nr. 20; BAG NJW 1980, 2486; Palandt/Putzo, a.a.O., § 626 Anm. 2 d), dd; 3 b, ee).
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht jedoch das neue Vorbringen der Beklagten aus prozessualen Gründen als verspätet zurückgewiesen (§§ 523, 296 Abs. 2, 282 Abs. 2 ZPO) und deshalb bei seiner Entscheidung außer Betracht gelassen.
Es verkennt dabei nicht, daß die unselbständige Anschlußberufung gemäß §§ 521, 522 a Abs. 2 ZPO an sich bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung eingelegt und begründet werden kann (BGHZ 37, 131, 133; BGH NJW 1954, 109, 110; BGH NJW 1961, 2309; BAG NJW 1958, 357; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., § 521 Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 40. Aufl., § 521 Anm. 1 B b).
Aus der Zulässigkeit der so eingelegten Anschlußberufung folgt indessen nicht, daß mit ihr jederzeit neue Tatsachen in das Verfahren eingeführt werden dürfen. Es muß vielmehr zwischen der Anschließung als prozessualer Erwirkungshandlung, die den Erlaß einer günstigen bzw. die Beseitigung einer nachteiligen Entscheidung zum Ziel hat, und den zu ihrer Begründung vorgebrachten Tatsachen unterschieden werden. Diese Tatsachen können gegebenenfalls als verspätet zurückgewiesen werden, selbst wenn die Anschließung an sich rechtzeitig erfolgt ist (vgl. Klamaris, Das Rechtsmittel der Anschlußberufung, Diss. Tübingen 1975, S. 205).
Auch der Anschlußberufungskläger ist nämlich der allgemeinen Prozeßförderungspflicht (§ 282 ZPO) unterworfen, die über § 523 ZPO auch im Berufungsverfahren zu beachten und bei deren Verletzung die Zurückweisung des verspäteten Vorbringens gemäß § 296 Abs. 2 ZPO möglich ist (vgl. BGH NJW 1981, 1319 m.N.). Dem steht die Rechtsnatur der unselbständigen Anschlußberufung nicht entgegen. Bei ihr handelt es sich um ein Angriffsmittel innerhalb eines vom Berufungskläger eingelegten Rechtsmittels. Sie eröffnet die Möglichkeit, im Rahmen der fremden Berufung auch einen angriffsweise wirkenden Antrag zu stellen (BGHZ 4, 229, 233 m.N.; 24, 279, 285; 37, 131, 133; BGH NJW 1954, 109, 110; BGH Urteil vom 13. Mai 1974 = III ZR 55/72 = ZZP 89 (1976), 199, 200; kritisch Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 521 Rdn. 3 und Rosenberg/ Schwab, ZPR, 13. Aufl., § 139 I 3). Der Berufungsbeklagte wird durch sie in die Lage versetzt, die Grenzen der neuen Verhandlung mitzubestimmen und zu seinem Vorteil zu beeinflussen.
Vom Streitstoff her kann der Anschlußberufungskläger sowohl selbständige Angriffe (z.B. Klageerweiterung, Klageänderung, Widerklage – vgl. BGHZ 4, 229, 234; 37, 131 ff; BGH ZZP 89 (1976), 199, 200) als auch unselbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel (z.B. Behauptungen, Bestreiten, Einreden, Beweismittel) in das Verfahren einführen.
a) Die Begründung selbständiger Angriffe wird von der Prozeßförderungspflicht erst erfaßt, wenn diese Angriffe im Prozeß geltend gemacht worden sind. Geschieht das erst in der letzten mündlichen Verhandlung und steht dem § 530 ZPO nicht entgegen, darf der Anschlußberufungskläger sich insoweit auch uneingeschränkt auf neue Tatsachen berufen (BGHZ 37, 131, 136; BGH Urteil vom 25. Juni 1956 – II ZR 78/55 = ZZP 69 (1956), 429, 430; Urteil vom 9./12.5.1975 – VIII ZR 234/73 = WM 1975, 827, 828; vgl. auch Senatsurteil NJW 1981, 1217). Der innere Grund dafür liegt darin, daß die Prozeßförderungspflicht nur im „Streitfeld” einer bereits rechtshängigen Klage besteht. Sie kann somit erst eingreifen, nachdem der Anschlußberufungskläger den neuen Streitgegenstand überhaupt in den Rechtsstreit eingeführt hat, statt ihn – dann ebenfalls ungehindert – zum Gegenstand einer neuen Klage zu machen. Soweit sich ein Anschlußberufungskläger auf Aufrechnung beruft, hat der Gesetzgeber in § 530 Abs. 2 ZPO eine besondere Regelung getroffen, die der Ähnlichkeit der Aufrechnung mit der Geltendmachung eines neuen Anspruchs durch Widerklage (§ 530 Abs. 1 ZPO) und der Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO Rechnung trägt (Zöller/Schneider, ZPO, 13. Aufl. § 530 Anm. III 1).
b) Anders stellt sich die Rechtslage dagegen dar, soweit der Anschlußberufungskläger unselbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend macht. So ist es hier. Bei den neuen Tatsachenbehauptungen der Beklagten handelt es sich um reine Verteidigungsmittel gegen die vom Landgericht getroffene Feststellung, das Dienstverhältnis der Parteien habe bis 31. Dezember 1979 fortbestanden. Die Beklagte will mit ihrem Vorbringen dartun, daß die fristlose Kündigung vom 22. Oktober 1979 berechtigt war und der Feststellungsantrag des Klägers daher abzuweisen ist. Auf derartige Verteidigungsmittel, die sich lediglich gegen die erstinstanzliche Verurteilung richten und somit keine neuen prozessualen Ansprüche in das Verfahren einführen (oder aufrechnungsweise geltend machen), sind die Bestimmungen der §§ 523, 282, 296 Abs. 2 ZPO auch bei der Anschlußberufung uneingeschränkt anwendbar. Etwas anderes ergibt sich – wie dargelegt – nicht aus dem Zusammenhang der Vorschriften über die Anschlußberufung. Im Gegenteil zwingt gerade die systematische Betrachtung dazu, auch hier die Zurückweisung verspäteten Vorbringens bei drohender Prozeßverschleppung zuzulassen.
c) Gemäß § 528 Abs. 2 ZPO können somit solche neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1 und 2 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht worden sind, vom Berufungsgericht auch im Fall der Anschlußberufung zurückgewiesen werden, wenn die weiteren Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Da das Berufungsgericht sich indessen auf diese Bestimmung nicht gestützt hat, ist es auch dem Senat versagt, die Zurückweisung mit dieser Begründung aufrechtzuerhalten (BGH NJW 1981, 1217, 1218; NJW 1981, 2255).
d) Im Hinblick auf die Konzentrationsmaxime, die seit der Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 verstärkt in den Vordergrund getreten ist, kann aber auch Vorbringen, das zu einem früheren Zeitpunkt in das Berufungsverfahren hätte eingeführt werden können, als verspätet zurückgewiesen werden, soweit die Voraussetzungen der §§ 523, 282, 296 Abs. 2 ZPO vorliegen. Daß der Anschlußberufungskläger dadurch möglicherweise gezwungen wird, mit der Einlegung seiner Anschlußberufung nicht bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung abzuwarten, steht dem nicht entgegen. § 522 a Abs. 2 ZPO will nach seinem Sinn und Zweck dem Anschlußberufungsführer keineswegs die Möglichkeit einräumen, einen Rechtsstreit durch den verspäteten Vortrag lange bekannter Tatsachen willkürlich zu verzögern. Ihm soll lediglich bis zuletzt die Chance erhalten bleiben, eine ihm nachteilige Entscheidung erster Instanz noch, insoweit zur Überprüfung zu stellen, als es die jeweilige Verfahrenslage ohne (schuldhafte) Verzögerung zuläßt.
Zutreffend hebt dar Berufungsgericht hervor, daß es andernfalls möglich wäre, die Berufungserwiderungsfrist zu unterlaufen und erhebliches Verteidigungsvorbringen mit einer Anschlußberufung erst im Schlußtermin vorzutragen. Schließlich wäre es im Hinblick auf die gebotene Gleichbehandlung der Parteien nicht zu rechtfertigen, zwar dem Berufungskläger die allgemeine Prozeßförderungspflicht aufzuerlegen, den Anschlußberufungskläger davon aber freizustellen.
e) Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht die Ansicht vertreten (NJW 1958, 357), der Anschlußberufungsbeklagte könne sich gegen das Überraschungsmoment, das häufig in der Einlegung der unselbständigen Anschlußberufung in der mündlichen Verhandlung liege, nicht wehren und sich insoweit nicht auf mangelnde schriftsätzliche Vorbereitung (§§ 272, 279 Abs. 2 ZPO a.F.) berufen. Diese Vorschriften seien nämlich gemäß §§ 522 a Abs. 3, 519 Abs. 5 ZPO nur „entsprechend” anzuwenden. Da es aber zum kennzeichnenden Merkmal der unselbständigen Anschlußberufung gehöre, daß sie bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingelegt werden könne, dürften auch damit verbundene neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht als verspätet zurückgewiesen werden.
Ob dieser Ansicht für den Bereich der unselbständigen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach den damals geltenden Verspätungsvorschriften hätte gefolgt werden können, kann dahinstehen. Inzwischen sind die einschlägigen Bestimmungen erheblich verschärft worden. Der Gesetzgeber hat die Zulassung verspäteten Vorbringens im Interesse der Prozeßbeschleunigung weiter erschwert und damit bewußt in Kauf genommen, daß noch öfter als früher Entscheidungen ergehen können, die mit dem materiellen Recht nicht in Einklang stehen (BGHZ 75, 138, 141/142; NJW 1980, 945, 946). Zumindest bei dieser veränderten Rechtslage ist aber auch der Anschlußberufungsführer der allgemeinen Prozeßförderungspflicht unterworfen. Alles andere liefe – wie dargelegt – auf eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung des Anschlußberufungsklägers hinaus und würde verfahrensrechtlich zu sachwidrigen Ergebnissen führen.
f) Soweit die Revision meint, der Gesetzgeber habe zu erkennen gegeben, daß er für die Anschlußberufung überhaupt keine Schranken errichten wolle, da er sie im Gegensatz zur Anschlußrevision (§ 556 ZPO) nicht an eine Einlegungs- und Begründungsfrist gebunden habe, ist das nicht stichhaltig. Dadurch sind lediglich unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen aufgestellt worden. Ein Rückschluß auf die Unanwendbarkeit der Vorschriften über die Zurückweisung verspäteten Sachvortrags läßt sich dagegen daraus nicht ziehen. Die Möglichkeit, bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung Anschlußberufung einzulegen, verliert durch die Verspätungsvorschriften auch keineswegs ihren Sinn. Sie gibt dem Berufungsbeklagten Gelegenheit, das angefochtene Urteil aufgrund des zulässig wiederholten Vorbringens erster Instanz noch in diesem Verfahrensstadium zu seinen Gunsten überprüfen zu lassen. Außerdem berechtigt sie ihn, solche neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, die keine Verzögerung des Rechtsstreits bewirken oder deren Verspätung nicht auf grober Nachlässigkeit beruht.
3. Hier hat die Beklagte ihre Anschlußberufungsschrift mit umfangreichen weiteren Behauptungen und Beweisantritten zur Rechtfertigung der fristlosen Kündigung erst einen Tag vor der mündlichen Verhandlung eingereicht. Dadurch hat sie grob gegen ihre Pflicht verstoßen, neuen Sachvortrag durch vorbereitenden Schriftsatz so zeitig vor der mündlichen Verhandlung mitzuteilen, daß dem Kläger noch eine Erkundigungsfrist zur Verfügung stand (§§ 282 Abs. 2, 132 Abs. 1 ZPO). Angesichts des Umfangs der Behauptungen – sie umfaßten allein 15 verschiedene Schadensfälle –, der Vielzahl der Beweisantritte und der Tatsache, daß die behaupteten Vorkommnisse sich rund 1 1/2 Jahre zuvor abgespielt haben sollen, liegt es auf der Hand, daß der Kläger darauf nicht antworten konnte, ohne eigene Informationen eingeholt zu haben.
a) Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage annimmt, die Zulassung der neuen Verteidigungsmittel hätte die Erledigung des Rechtsstreits erheblich verzögert, so ist das ebensowenig zu beanstanden wie die Feststellung, daß die Verspätung des neuen Sachvortrags auf grober Nachlässigkeit der Beklagten beruht (§ 296 Abs. 2 ZPO). Dies gilt jedenfalls für den Vortrag der Beklagten, der Kläger habe sämtliche von ihm entgegengenommenen Aufträge fehlerhaft bearbeitet, einen Schaden von mehr als 40.000,– DM verursacht und das Unternehmen dadurch an den „Rand des finanziellen Ruins” gebracht; außerdem habe er seine Verschwiegenheitspflicht verletzt und seine Befugnis überschritten.
Insoweit werden die Erwägungen des Berufungsgerichts auch von der Revision, die lediglich die Anwendbarkeit der Verspätungsbestimmungen überhaupt verneint, nicht in Frage gestellt.
b) Dagegen beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht auch die Behauptung der Beklagten zurückgewiesen hat, der Kläger sei mit der fristlosen Kündigung einverstanden gewesen. Sie meint, die vom Berufungsgericht geforderte Klarstellung, ob insoweit der Abschluß eines Aufhebungsvertrages oder das Einverständnis mit einzelnen Kündigungsgründen geltend gemacht werden sollte, hätte noch in der mündlichen Verhandlung herbeigeführt werden können. Der persönlich anwesende Kläger hätte sofort Stellung nehmen und gegebenenfalls antragsgemäß als Partei vernommen werden können. Eine Verfahrensverzögerung wäre damit nicht verbunden gewesen.
Gleichwohl hat das angefochtene Urteil Bestand, da es sich in diesem Punkt aus anderen Gründen als richtig erweist. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei mit der fristlosen Kündigung einverstanden gewesen, ist nämlich entgegen § 138 Abs. 1 ZPO nicht ausreichend substantiiert. Es hätte hier vielmehr der näheren Darlegung bedurft, unter welchen Umständen die angebliche Übereinkunft erzielt worden sein soll. Ort, Zeit, die Benennung der Gesprächspartner und Inhalt der in Frage stehenden Erklärungen sind im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung, weil die bereits im November 1979 erhobene Feststellungsklage in deutlichem Widerspruch zu dem behaupteten Einverständnis des Klägers mit der fristlosen Kündigung steht und sich die Beklagte auf dieses naheliegende Verteidigungsmittel vor dem Landgericht nicht berufen hat.
Das Berufungsgericht brauchte die Beklagte auch nicht gemäß § 139 ZPO auf die unzulängliche Substantiierung ihres Sachvortrags hinzuweisen. Zu einer richterlichen Aufklärung bestand bei diesem nicht nur ergänzungsbedürftigen, sondern substanzlosen Vorbringen kein Anlaß. Vielmehr mußte es sich der Beklagten bei der hier gegebenen Sachlage geradezu aufdrängen, daß es ihre selbstverständliche Pflicht war, ihren neuen, dem Vorbringen des Klägers vollkommen entgegengesetzten Vortrag durch Anführung der näheren Umstände der behaupteten Einverständniserklärung auszufüllen.
4. Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Girisch, Recken, Bliesener, Obenhaus, Walchshöfer
Fundstellen
Haufe-Index 1237737 |
BGHZ |
BGHZ, 371 |
NJW 1982, 1708 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1982, 876 |
JZ 1982, 512 |