Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an eine Schätzung des Wertes einer Auskunftsklage, wenn die Schätzung auf dem voraussichtlich nötigen Zeitaufwand für eine große Anzahl gleichartiger einzelner Handlungen aufbaut.
Normenkette
ZPO §§ 3, 511a Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Aktenzeichen 20 U 21/98) |
LG Stuttgart (Aktenzeichen 7 O 406/97) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. September 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Diesem wird auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin in Form eines Bestandsverzeichnisses Auskunft zu geben, welche Buchhaltungsunterlagen der Klägerin er als deren Konkursverwalter seit 1986 erhalten und welche er in Besitz hat. Gegen dieses ihm am 9. Dezember 1997 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 7. Januar 1998 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach entsprechender Fristverlängerung – mit einem am 9. März 1998 eingegangenen Schriftsatz begründet. Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Berufung des Beklagten ist zulässig.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Wert der Beschwer für das Rechtsmittel des zur Auskunftserteilung verurteilten Beklagten bemesse sich nach seinem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Zugrunde zu legen sei hierbei der Aufwand an Zeit und Kosten, den die sorgfältige Erfüllung des titulierten Auskunftsanspruchs voraussichtlich erfordere.
Danach genüge der Beklagte hier seiner Auskunftsverpflichtung bereits durch Vorlage einer Aufstellung, die den die Buchhaltungsunterlagen der Klägerin betreffenden Inhalt der einzelnen Ordner stichwortartig zusammenstelle. Insoweit habe der Beklagte sich allein auf den Aufwand für die Bearbeitung der rund 330 Ordner berufen, über die er Auskunft geben solle; er müsse jeden Ordner einzeln vornehmen und kontrollieren. Die Entstehung von Kosten sei nur im Rahmen des eigenen zeitlichen Einsatzes des Beklagten zu veranschlagen, darüber hinaus fielen nur minimale Kosten für Papier, Porto und dergleichen an. Der zeitliche Aufwand für die Erstellung des geschuldeten Bestandsverzeichnisses beschränke sich auch bei sorgfältiger Vorgehensweise auf eine kurze Sichtung des jeweiligen Inhalts der in Frage kommenden Ordner, eine entsprechende stichwortartige Beschriftung und Auflistung. Den zur Auskunftserteilung erforderlichen Aufwand schätze der Senat auf allenfalls 1000 DM. Mehr als 20 Stunden werde der Beklagte zur Auskunftserteilung nicht benötigen. Pro Stunde sei ein Betrag von 50 DM anzusetzen. Da die Auskunftspflicht den Beklagten persönlich treffe und ihre Erfüllung mit berufstypischen Leistungen des Auskunftsverpflichteten gegenüber Dritten nicht vergleichbar sei, könne nicht die Vergütung eines Dritten zugrunde gelegt werden.
Im übrigen sei die Berufung auch unbegründet.
II.
Demgegenüber rügt die Revision: Bereits der in Ansatz gebrachte Zeitaufwand von nur 20 Stunden halte sich nicht im Rahmen des dem Berufungsgericht eröffneten Ermessens. Es lasse unberücksichtigt, daß es nicht allein mit der Sichtung getan sei, sondern der Beklagte die gewonnenen Erkenntnisse dem Kläger in geordneter Form zur Kenntnis bringen müsse. Weiter habe das Berufungsgericht seine eigene tatsächliche Feststellung außer acht gelassen, daß der Beklagte die fraglichen Unterlagen in einem Außenlager in F. eingelagert habe, so daß für die mehrtägige Arbeit noch der Zeitaufwand für eine mehrmalige An- und Abfahrt hinzuzurechnen sei. Auch die Festsetzung eines „Stundenlohns” von 50 DM sei lebensfremd. Er lasse die anderweitigen Verdienstmöglichkeiten des als Rechtsanwalt tätigen Beklagten außer Betracht.
Zum erforderlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand trägt der Beklagte – unter Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung seiner Buchhalterin – ergänzend vor: Für die Sichtung eines Ordners, dessen Beschriftung und Aufnahme in einer Aufstellung würden durchschnittlich mindestens zehn Minuten benötigt. Denn nach Abschluß des Konkursverfahrens seien die Ordner von Hilfskräften der Klägerin bei der Verlagerung in das Außenlager F. durchmischt worden; sie seien deshalb nicht nach Vorgängen oder Jahren aufgestellt. Sie trügen ferner keine durchlaufende Numerierung; teilweise sei der Inhalt mehrerer Ordner in einem einzigen zusammengefaßt. Die Beschriftung lasse nicht in allen Fällen Rückschlüsse auf den Inhalt der einzelnen Ordner zu, so daß jeder zur Hand genommen und sein Inhalt gesichtet werden müsse. Es komme hinzu, daß der Zugang zu den Ordnern aufgrund der beengten Lagerverhältnisse umständlich und deshalb mit erhöhtem Zeitaufwand verbunden sei. Jede einzelne Fahrt von der Kanzlei des Beklagten zum 12 Kilometer entfernten Außenlager dauere 30 Minuten. Endlich würden das Verfassen, Schreiben und Korrigieren einer geordneten Aufstellung mindestens drei Stunden beanspruchen. Der durchschnittliche Stundensatz eines Rechtsanwaltes betrage im übrigen mindestens 350 DM und schon derjenige der mit den Unterlagen vertrauten Buchhalterin 156 DM.
III.
Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich der Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 511 a Abs. 1 ZPO) im Fall der Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Verurteilung zur Erteilung einer Auskunft nach dem Aufwand an Zeit und Kosten bemißt, den die Erfüllung des titulierten Anspruchs erfordert (BGHZ 128, 85, 87 ff); auf ein Geheimhaltungsinteresse beruft sich der Beklagte selbst nicht. Verwirft das Berufungsgericht eine Berufung als unzulässig, weil der – nach freiem Ermessen festzusetzende (§ 3 ZPO) – Wert des Beschwerdegegenstands unterhalb der Berufungssumme liegt, dann kann das Revisionsgericht nur prüfen, ob das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder ob es von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (BGH, Urt. v. 24. Februar 1982 - IVa ZR 58/81, NJW 1982, 1765; Beschl. v. 16. Dezember 1987 - IVb ZB 124/87, NJW-RR 1988, 836, 837).
Im vorliegenden Falle hat das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens jedenfalls dadurch überschritten, daß es den erforderlichen Zeitaufwand pauschal mit nur zwanzig Stunden veranschlagt hat, ohne den Versuch zu unternehmen, den Zeitbedarf aufgrund der einzelnen Verrichtungen zu errechnen, die vom Beklagten verlangt werden. Ist der Zeitbedarf für eine große Zahl gleichartiger Handlungen zu schätzen, muß die Schätzung regelmäßig davon ausgehen, wieviel Zeit typischerweise auf die einzelne Handlung entfällt.
1. Legt man den Zeitaufwand von 20 Stunden, den das Berufungsgericht dem Beklagten zubilligt, auf 330 Ordner um, so verbleiben durchschnittlich lediglich 3 Minuten 38 Sekunden pro Ordner. Diese äußerst kurze Zeitspanne setzt das Berufungsgericht schon nicht in Beziehung zu der für jeden einzelnen Ordner nötigen Tätigkeit: Es läßt den Umfang des Ordners offen, so daß bereits unklar bleibt, ob die „kurze Sichtung des jeweiligen Inhalts”, die es dem Beklagten nur zugestehen will, in dieser Zeitspanne überhaupt durchzuführen ist. Das Ergebnis der Sichtung muß sodann in eine genaue und vollständige sprachliche Kurzbezeichnung umgesetzt und erst diese kann auf den Ordnern vermerkt werden. In welcher Weise auf den Ordnern ein entsprechender Vermerk sichtbar angebracht werden kann, klärt das Berufungsgericht nicht. Schließlich erwägt es nicht, wieviel Zeit für die Anlage und Führung einer übersichtlichen Liste gebraucht wird, die schließlich der Auskunft zugrunde gelegt werden kann.
Das Berufungsgericht hat auch ermessensfehlerhaft weiteren nötigen Zeitaufwand außer Betracht gelassen, der offensichtlich zur Erteilung der Auskunft zusätzlich erbracht werden muß. Es beachtet nicht, daß der Beklagte aufgrund des Urteils des Landgerichts nicht nur über den Bestand der vorhandenen Unterlagen, sondern auch darüber Auskunft zu erteilen hat, „welche Buchhaltungsunterlagen … er … seit 1986 erhalten … hat”. Er muß daher selbständig Weise überprüfen, ob die vorhandenen Ordner vollständig sind, d.h. ob er nicht mehr Ordner erhalten hat als noch vorhanden sind. Weiter berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, daß auf den Hin- und Rückweg zu den Unterlagen Zeit entfällt. Es erwägt auch nicht, daß aufgrund des Ergebnisses der Auswertung zunächst ein sinnvolles Ordnungssystem erdacht werden muß, ehe das Ergebnis der Sichtung in eine umfangreiche, lesbare und verständliche Form der Auskunft umgesetzt werden kann.
Endlich hat das Berufungsgericht folgende Begründung der Klägerin außer Betracht gelassen, mit der sie einen Vergleichsvorschlag widerrufen hat (S. 1 und 2 ihres Schriftsatzes vom 30. Juli 1998):
„… daß die Berufungsbeklagte den geschlossenen Vergleich … angenommen hätte, sofern durch eine Zusatzvereinbarung zwischen den Parteien eine angemessene Fristverlängerung auf 18 Monate hinsichtlich des Besitzrechtes der Berufungsbeklagten erzielt worden wäre. Diese Verlängerung hat die Berufungsbeklagte für notwendig erachtet, um die ca. 330 Ordner ordnungsgemäß einsehen zu können.”
Wenn die Klägerin ihrerseits für eine vollständige Auswertung der Ordner einen Zeitraum von 18 Monaten beansprucht, ist nur schwer nachzuvollziehen, inwiefern der Beklagte eine – sei es auch kürzere – Sichtung in rund drei Arbeitstagen soll erledigen können.
2. Die ermessensfehlerhafte Zeitschätzung durch das Berufungsgericht bindet den Senat nicht. Er hält aufgrund der – ausführlichen und einleuchtenden – Darstellung der Revision einen Zeitaufwand von zehn Minuten je Ordner für sachgerecht. Insgesamt weitere zehn Stunden für Fahrten und das Verfassen der geschuldeten Auskunft kommen hinzu. Der Gesamtzeitbedarf errechnet sich somit auf 65 Stunden.
3. Danach beträgt die Berufungssumme sogar auf der Grundlage des vom Berufungsgericht angenommenen Stundensatzes von 50 DM 3.250 DM. Sie übersteigt danach die für die vorliegende vermögensrechtliche Streitigkeit maßgebliche Grenze des § 511 a Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Es kommt somit nicht mehr entscheidend darauf an, ob sich der zugebilligte Stundensatz von nur 50 DM noch im Rahmen eines zulässigen tatrichterlichen Ermessens hält. Immerhin müßte der verklagte Rechtsanwalt schon aufgrund der Schätzung des Berufungsgerichts seine freiberufliche Praxis rund drei Tage lang geschlossen halten oder sich entsprechend lange durch eine qualifizierte Fachkraft vertreten lassen.
4. Da die Berufung form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet wurde, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Das Berufungsgericht wird über die sachliche Berechtigung der Klage neu zu befinden haben.
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.06.1999 durch Preuß Justizangestelle als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539329 |
NJW 1999, 3050 |
GRUR 1999, 1037 |
Nachschlagewerk BGH |
InVo 1999, 302 |
MDR 1999, 1222 |