Normenkette
BGB §§ 826, 852 S. 1
Verfahrensgang
OLG Dresden (Entscheidung vom 03.12.2021; Aktenzeichen 9a U 470/21) |
LG Dresden (Entscheidung vom 11.02.2021; Aktenzeichen 7 O 1571/20) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Am 24. Januar 2012 erwarb der Kläger von einer deutschen Fahrzeughändlerin einen von der Beklagten hergestellten VW Touran 2.0 I TDI für 27.000 € brutto. Das Fahrzeug war aus einem anderen EU-Mitgliedstaat reimportiert, wurde am 9. Dezember 2011 erstmals zugelassen und wies bei Übergabe an den Kläger eine Laufleistung von 100 km auf. Bereits am 21. Oktober 2011 hatte der Kläger bei der deutschen Fahrzeughändlerin eine Bestellung unterschrieben, in der das Fahrzeug als Neufahrzeug (EU) bezeichnet und in seiner Ausstattung näher beschrieben wird. Weiter heißt es dort, "Fahrzeug ist gerade in Produktion, noch keine FG vorhanden; Liefertermin 11-2011".
Rz. 3
Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs und des darin verbauten Dieselmotors der Baureihe EA 189. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die hinsichtlich der Abgasrückführung zwischen Prüfstand und gewöhnlichem Fahrbetrieb unterschied, sodass die Emissionsgrenzwerte für Stickoxide nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Das Kraftfahrt-Bundesamt wertete die Software als unzulässige Abschalteinrichtung und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das am 24. Oktober 2016 aufgespielt wurde, nachdem der Kläger ein Aufforderungsschreiben der Beklagten erhalten hatte.
Rz. 4
Mit der im Juli 2020 erhobenen Klage hat der Kläger in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 12.145,04 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen (Klageantrag zu 1) und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen (Klageantrag zu 2). Daneben hat er die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangt (Klageantrag zu 3). Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seinen Zahlungsantrag in Höhe von 2.509,77 € einseitig für erledigt erklärt und im Übrigen sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung zur Zahlung von 6.160,95 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verurteilt und festgestellt, dass "die Klage in Höhe von 2.509,77 €" erledigt sei.
Rz. 6
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren nach vollständiger Zurückweisung der Berufung weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 8
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 9
Die Beklagte sei dem Kläger dem Grunde nach gemäß §§ 826, 31 BGB zum Schadensersatz in Form der "Rückgängigmachung" des Kaufvertrags über das Fahrzeug verpflichtet. Dieser Anspruch sei jedoch verjährt, da der Kläger spätestens im Oktober 2016 Kenntnis sowohl vom "Abgasskandal" allgemein als auch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt habe.
Rz. 10
Die Beklagte habe allerdings gemäß § 852 BGB den auf Kosten des Klägers erlangten Kaufpreis herauszugeben, soweit er ihr nach Abzug der Händlermargen verblieben sei. Unerheblich sei, dass das Fahrzeug im Kaufvertragsformular vom 25. Januar 2012 als "gebrauchtes Fahrzeug" mit einem Kilometer-Stand von "100" bezeichnet werde. Der Kläger sei wirtschaftlich betrachtet Erstabnehmer und der von ihm bezahlte Kaufpreis abzüglich der Händlermargen der Beklagten zugeflossen. Dies folge insbesondere aus der vom Kläger bereits am 21. Oktober 2011 unterzeichneten Bestellung über ein Neufahrzeug, das danach "gerade in Produktion" gewesen und als Reimport angeboten worden sei. Durch den Verkauf des Fahrzeugs als EU-Reimport habe die Beklagte einen Vermögenszuwachs im Sinne des § 852 BGB erlangt. Bei wirtschaftlicher Betrachtung habe sie den Kaufpreis nicht auf Kosten des (ersten) Händlers, sondern auf Kosten des Klägers erlangt. Der Kläger habe belegt, dass er das Fahrzeug bestellt habe, bevor es fertig produziert gewesen sei. Die zwischengeschalteten Händler hätten das Fahrzeug jeweils nur bestellt und erworben, um es an den Kläger (oder einen anderen Kunden) weiterverkaufen zu können. Der der Beklagten zugeflossene Kaufpreis abzüglich der Händlermarge liege jedenfalls nicht unter der Summe, die der Kläger nach Abzug der Nutzungsvorteile nach §§ 826, 31 BGB hätte beanspruchen können.
II.
Rz. 11
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB auf sogenannten Restschadensersatz hat.
Rz. 12
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug geleisteten Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs hat, der bei Klageerhebung verjährt gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 294/20, juris Rn. 5 ff. mwN; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 24 ff. mwN, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Dies wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.
Rz. 13
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht zudem im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass § 852 Abs. 1 BGB auch in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" zur Anwendung gelangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 51 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12). Insbesondere steht die normative Prägung des Schadens, den der Kläger mit dem "ungewollten" Fahrzeugkauf erlitten hat, der Anwendung von § 852 Satz 1 BGB nicht entgegen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, aaO, Rn. 65 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, aaO).
Rz. 14
3. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, die Beklagte habe im Zuge des Fahrzeugerwerbs des Klägers im Sinne des § 852 Satz 1 BGB etwas auf dessen Kosten erlangt.
Rz. 15
a) Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er gemäß § 852 Satz 1 BGB auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Die Verweisung auf die Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung bezieht sich nicht auf die tatbestandlichen Voraussetzungen, sondern auf die Rechtsfolgen. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen und wird nur in seinem durchsetzbaren Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt, soweit es nach Maßgabe der bereicherungsrechtlichen Vorschriften zu einer Mehrung des Vermögens des Ersatzpflichtigen geführt hat (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 52 f., 68 mwN; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14).
Rz. 16
b) Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14 mwN; Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Hat der Händler dagegen das Fahrzeug unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang (BGH, Urteil vom 21. März 2022, aaO, Rn. 28).
Rz. 17
c) Für den hier vorliegenden Fall eines EU-Reimports gilt, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, nichts anderes. Die Beteiligung eines weiteren, im Ausland ansässigen (Zwischen-)Händlers schließt eine Vermögensverschiebung vom geschädigten Endkunden zum Hersteller im Sinne von § 852 Satz 1 BGB nicht aus. Erforderlich ist jedoch auch in einem solchen Fall, dass der Fahrzeugerwerb durch den Geschädigten zu einem korrespondierenden Vermögenszuwachs beim Hersteller führte, was nicht der Fall ist, wenn einer der beteiligten Händler das Fahrzeug unabhängig von der Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben hatte (BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, zVb).
Rz. 18
d) Daran gemessen ergibt sich aus den bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten eine Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1 BGB stattgefunden hat. Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Kläger habe am 21. Oktober 2011 bei einer deutschen Fahrzeughändlerin eine Bestellung unterschrieben. Dort werde der Wagen als Neufahrzeug (EU) bezeichnet und in seiner Ausstattung näher beschrieben. Außerdem werde darauf hingewiesen, das Fahrzeug sei "gerade in Produktion". Als Liefertermin sei November 2011 angegeben worden. Der daraus vom Berufungsgericht gezogene Schluss, wirtschaftlich betrachtet habe eine Vermögensverschiebung aus dem Vermögen des Klägers in das Vermögen der Beklagten stattgefunden, lässt sich allein dem festgestellten Inhalt der Bestellung nicht entnehmen. Insbesondere geht daraus nicht hervor, ob die Auslieferung durch die Beklagte an den ausländischen Fahrzeughändler eine Folge dieser Bestellung war oder - verbunden mit einer Verlagerung des Absatzrisikos - unabhängig davon erfolgte. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist das wesentliche Merkmal des § 852 BGB "auf Kosten … erlangt" nicht schon wegen der Bestellung des Fahrzeugs, "bevor es fertig produziert" war, erfüllt. Maßgeblich ist nicht das Stadium des Herstellungsprozesses, sondern ob der Bestellvorgang durch den Händler erst aufgrund der Bestellung des Klägers ausgelöst wurde.
Rz. 19
4. Das Berufungsgericht hat im Übrigen bei der Berechnung der Höhe eines Anspruchs des Klägers nach § 852 Satz 1 BGB nicht berücksichtigt, dass der seitens des Händlers vom Geschädigten vereinnahmte Kaufpreis um die Händlermarge zu reduzieren und anschließend von dem so ermittelten Händlereinkaufspreis der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen ist (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16).
III.
Rz. 20
Danach ist das angefochtene Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden und die Berufung des Klägers auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zurückweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Unter Berücksichtigung der bislang getroffenen Feststellungen ist nicht auszuschließen, dass der erforderliche Zurechnungszusammenhang besteht. Zwar hat das Berufungsgericht auch festgestellt, das Fahrzeug sei am 9. Dezember 2011 erstmals zugelassen und vom Kläger am 24. Januar 2012 als "gebrauchtes Fahrzeug" mit einer Laufleistung von 100 km erworben worden. Angesichts der im November 2011 erfolgten Bestellung ist jedoch möglich, dass der Erwerb des Fahrzeugs durch die Händler von dieser Bestellung abhing und der erforderliche Zurechnungszusammenhang vorliegt. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Fahrzeug sei "offensichtlich" neu produziert, exportiert und sogleich wieder reimportiert worden, nur um es dem Kläger "(oder einem anderen Kunden)" zu einem günstigen Reimport-Preis anzubieten, führt zu keiner abweichenden Beurteilung, obgleich es bei einer vom konkreten Kunden unabhängigen Händlerbestellung am Zurechnungszusammenhang fehlen würde. Dem Kläger muss, weil der Senat die maßgeblichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB erst nach Erlass des Berufungsurteils geklärt hat, Gelegenheit gegeben werden, zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt ergänzend vorzutragen (BGH, Urteil vom 8. Juli 2004 - III ZR 435/02, NJW 2004, 2897, 2898; Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 875/20, GmbHR 2022, 354 Rn. 18; Urteil vom 5. Mai 2022 - III ZR 135/20, WM 2022, 1273 Rn. 40).
Rz. 21
Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das - sofern ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB gegeben sein sollte - noch zur Höhe des Anspruchs Feststellungen zu treffen haben wird.
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