Leitsatz (amtlich)

§ 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nicht erweiternd auszulegen oder analog anzuwenden auf Fälle, in denen das Ereignis, von dessen Eintritt das Vermächtnis abhängt, nicht in der Person des Beschwerten eintreten soll, der das Vermächtnis zu erfüllen hat, sondern eines früher Bedachten, der das zugewandte Recht wegen seiner höchstpersönlichen Natur (hier: Nießbrauch) aber nicht übertragen und daher nicht beschwert sein kann.

 

Normenkette

BGB § 2163 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 18.12.1990)

LG Flensburg

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 18. Dezember 1990 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Einräumung eines Nießbrauchs an einem Flurstück (im folgenden: Fenne). Er stützt sich auf eine Bestimmung im Testament seines am 28. Juli 1901 verstorbenen Urgroßonkels Marten H., das dieser am 13. Oktober 1888 errichtet hatte. § 3 des Testaments lautet:

„Meine Schwester Elsabe R. geborene H. … soll die Nutznießung meiner Fenne … bis an ihr Lebensende haben. Die Fenne soll als Weideland benutzt und weder verkauft noch verpfändet werden.

Nach dem Tode meiner Schwester soll die Nutznießung dieser Fenne ihrer Tochter Meta Ha. geborene R. und nach Ihrem Tode Ihrem Sohn Boetius Ha. zufallen. Wenn diese beiden ohne Leibeserben verstorben sind, soll die Fenne an meine in § 2 unter 1. bis 4. genannten Erben zur Teilung nach demselben Verhältnis wie dort bestimmt ist zur freien Verfügung erblich zufallen.”

Elsabe R. starb vor dem Erblasser. Ihre Tochter Meta hatte außer dem Sohn Boetius Ha., der 1958 kinderlos gestorben, ist, aus zweiter Ehe den im Jahre 1893 geborenen und 1974 gestorbenen Sohn Bruno N. Er ist der Vater des am 22. Februar 1932 geborenen Klägers. Der Nießbrauch ist bestellt und Ins Grundbuch eingetragen worden nur zugunsten von Meta und Boetius. Die Beklagten sind Rechtsnachfolger eines Miterben nach dem Erblasser.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Das Berufungsgericht versteht § 3 des Testaments dahin, die „Nutznießung” (Nießbrauch im Sinne der §§ 1030ff. BGB) sei den in § 3 genannten Personen im Wege des Vermächtnisses zugewandt worden. Da Elsabe R. vorverstorben war, sei Meta Ersatzvermächtnisnehmerin geworden. Nach Ihrem Tode habe ihr Sohn Boetius einen entsprechenden Nießbrauch erlangt. Im Testament sei zwar nicht ausdrücklich bestimmt worden, daß nach beider Tod der Nießbrauch deren Leibeserben zustehe. Dies folge aber daraus, daß die Erben des Marten H. nur dann zur freien Verfügung über die Fenne befugt sein sollen, wenn Meta und Boetius ohne Leibeserben verstorben sind. Nachdem Boetius kinderlos verstorben war, habe der Anspruch auf den Nießbrauch an sich Bruno N. und dem Kläger als den Leibeserben der Meta zustehen sollen. Die 30-Jahres-Frist des § 2162 BGB sei aber beim Tod des Boetius im Jahre 1958 schon verstrichen gewesen. Daher sei das Nießbrauchsvermächtnis dem Kläger und seinem Vater nicht mehr angefallen. § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB sei auf den vorliegenden Fall weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

Diese Würdigung hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand.

2. Das Berufungsgericht hat mit Recht die Auslegung des Testaments und Insbesondere die Frage, bis zu weicher zeitlichen Grenze seine Bestimmungen Gültigkeit haben, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beurteilt. Inhalt und Wirksamkeit des vor seinem Inkrafttreten errichteten Testaments bestimmen sich, wenn der Erbfall unter seiner Geltung eingetreten ist, nach seinen Regeln (RGZ 59, 80, 83; RGZ 79, 32f.; Staudinger/Winkler, Art. 213 EGBGB Rdn. 29ff.; Art. 214 EGBGB Rdn. 8ff. m.w.N.). Ob eine testamentarische Anordnung unwirksam wird, soweit sie über die Frist des § 2162 BGB hinausreicht, ist eine Frage, die entgegen der Auffassung der Revision weder die Gültigkeit des Testaments noch die Bindung des Erblassers betrifft (Art. 214 EGBGB).

3. Die Auslegung des Testaments durch das Berufungsgericht dahin, daß nach dem Tode von Meta und Boetius deren Leibeserben ein Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs zustand, wird von den Beklagten hingenommen. Sie meinen allerdings, mit „Leibeserben” seien nur Kinder, nicht aber Enkel gemeint. Der Begriff ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch fremd und heute nur noch selten in Gebrauch. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht dem Umstand, daß in manchen, nach dem zweiten Weltkrieg erschienenen Wörterbüchern „Leibeserbe” verstanden wird als „leibliches Kind des Erblassers”, keine entscheidende Bedeutung für die Frage beigemessen, ob damit Enkel ausgeschlossen sein sollten. Wichtiger ist im vorliegenden Zusammenhang die Verwendung des Begriffs im juristischen Bereich. Wie das Berufungsgericht zutreffend, hervorhebt, wurde für die Auslegung testamentarischer Anordnungen, durch die ein Dritter „oder seine Erben” bedacht worden waren, die Frage erörtert, ob mit „Erben” alle Personen gemeint seien, die unter den römisch-rechtlichen Begriff „heres” fallen, also auch Verwandte der Seitenlinie, oder ob nur (Kinder und sonstige) Nachkommen gemeint seien; für diese letzte, engere Bedeutung wurde der Begriff „Leibeserben” verwendet (vgl. Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Erbrecht – Teil 1, hrsg. von Werner Schubert, 1984, S. 245). Dafür, daß mit „Leibeserben” Kinder und fernere Nachkommen bezeichnet werden, verweisen Gerichtsentscheidungen aus dem letzten Jahrhundert auch auf allgemeine Wörterbücher jener Zeit (vgl. SeuffArch, 4. Bd. 1851, Nr. 65; 8. Bd. 1855, Nr. 158). Mit Recht hat das Berufungsgericht den Begriff auch im vorliegenden Testament in diesem Sinne gedeutet. Hierzu stand Ihm ausreichende Sachkunde zur Verfügung, so daß es der Einholung eines Gutachtens nicht bedurfte.

4. Das Berufungsgericht ist auch richtig davon ausgegangen, daß das Vermächtnis auf Bestellung eines jeweils neuen Nießbrauchs dem Kläger erst anfallen konnte, nachdem durch den Tod seiner Großmutter Meta, seines Onkels Boetlus und seines Vaters Bruno die dem Testament zu entnehmenden aufschiebenden Bedingungen (§ 2177 BGB) eingetreten waren. Die Geburt des Klägers allein genügte noch nicht für den Anfall des Vermächtnisses in seiner Person. Daß der Erblasser eine Aufeinanderfolge mehrerer bedingter Vermächtnisse anordnen kann, begegnet keinen Bedenken.

5. Das Vermächtnis ist dem Kläger (und schon seinem Vater) erst nach Ablauf der in § 2162 BGB gesetzten Frist von 30 Jahren nach dem Tod des Erblassers angefallen. Gemäß § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB bleibt das Vermächtnis in den Fällen des § 2162 auch nach dem Ablauf dieser Frist wirksam, wenn es zum einen für den Fall angeordnet ist, daß in der Person des Beschwerten oder des Bedachten ein bestimmtes Ereignis eintritt, und wenn ferner derjenige, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zur Zeit des Erbfalles lebt. Das Vermächtnis zugunsten des Klägers wäre mithin nicht unwirksam, wenn man seinen. Vater, der zur Zeit des Erbfalles schon gelebt hat und mit dessen Tod die (letzte) aufschiebende Bedingung für den Anfall des Vermächtnisses an den Kläger eintrat, als Beschwerten ansehen könnte. Davon ist das Landgericht ausgegangen. Demgegenüber hat das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, durch das Vermächtnis zugunsten des Klägers beschwert seien die Erben, nicht aber der dem Kläger vorangegangene Nießbraucher.

a) Allerdings dürfte der Vater des Klägers, der ausweislich eines bei den Grundakten befindlichen Erbscheins Alleinerbe seiner Mutter Meta war, damit auch zu 1/8 Mitglied der Erbengemeinschaft nach Marten H. geworden sein. Das reicht jedoch nicht aus, die Voraussetzungen des § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu erfüllen. Danach müssen Beschwer und Eintritt des Ereignisses, mit dem das Vermächtnis anfällt, in derselben Person gegeben sein.

Hier ist es so, daß Boetius nicht zur Erbengemeinschaft nach Marten H. gehörte. In seiner Person trafen also die Bedingungen für den Anfall des Vermächtnisses zugunsten des Vaters des Klägers im Jahre 1958 auch nicht zum Teil mit der Beschwer zusammen. Konnte Bruno das Vermächtnis nicht erwerben, fehlt es für den Kläger bereits an der Voraussetzung, daß das Ereignis für den Anfall des Vermächtnisses nach der Testamentsauslegung des Tatrichters in der Person des vorangegangenen Vermächtnisnehmers eingetreten sein muß.

b) Es erscheint nicht gerechtfertigt, § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB erweiternd auszulegen oder analog anzuwenden auf Fälle, in denen das Ereignis, von dessen Eintritt das Vermächtnis abhängt, nicht in der Person des Beschwerten eintreten soll, der das Vermächtnis zu erfüllen hat, sondern eines früher Bedachten., der das zugewandte Recht wegen seiner höchstpersönlichen Natur nicht übertragen und daher nicht beschwert sein kann.

Bei den Beratungen, die zur heutigen Fassung des § 2163 BGB geführt haben, wurde die Bestimmung der zeitlichen Grenze, bis zu der letztwillige Verfügungen wirksam bleiben, mehrfach geändert. Die Kommission hat sich schließlich dafür entschieden, Vermächtnisanordnungen genauso zu behandeln wie die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft. Sie räumt aber ein, daß den Vorschriften „eine gewisse Willkür anhafte” (Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. V S. 240; vgl. auch Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. V S. 563ff.).

Der Gesetzgeber hat damit einerseits den rechtspolitischen Bedenken Rechnung getragen, die vom Standpunkt des Verkehrsschutzes und der Verfügungs- und Testierfreiheit der zunächst Bedachten gegen eine übermäßig lange Bindung eines Vermögens sprechen. Auf der anderen Seite hat er fürsorglichen Zwecken des Erblassers im Rahmen des Familienerbrechts Raum gegeben. Damit kann der Erblasser, wenn er Anordnungen an den Tod einer beim Erbfall gerade geborenen Person knüpft, seinem letzten Willen unter Umständen Geltung für ein Jahrhundert und mehr verschaffen. Diese Regelung ist nur tragbar, wenn sie eng auf die vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Fälle begrenzt bleibt.

 

Unterschriften

Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Zopfs, Dr. Ritter, Dr. Schlichting, Terno

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128839

NJW-RR 1992, 643

Nachschlagewerk BGH

DNotZ 1992, 518

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