Entscheidungsstichwort (Thema)
Klage einer Erbengemeinschaft auf Nutzungsentschädigung für das von dem Beklagten genutzte Flurstück
Normenkette
BGB §§ 988, 818 Abs. 1, §§ 2162, 2163 Abs. 1 Nr. 1, § 2177
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 11. Dezember 1990 und die Anschlußrevision der Kläger werden zurückgewiesen.
Von den Kosten der Revisionsinstanz haben die Kläger 3/5 und der Beklagte 2/5 zu tragen.
Tatbestand
Die Kläger sind Erben und Erbeserben in ungeteilter Erbengemeinschaft nach Johannes Hi. Zum Nachlaß gehört ein 1/8-Miterbenanteil an dem ebenfalls ungeteilten Nachlaß des Marten Hi. (Erblasser). In diesem Nachlaß befindet sich ein Flurstück (im folgenden: F.), das zwischen den Ländereien des dem Beklagten gehörigen K. liegt und von diesem genutzt wird. Die Kläger fordern eine Nutzungsentschädigung für die Jahre 1958 bis 1986.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, aufgrund eines Vermächtnisses habe seinem Vater Bruno N. seit 1958 und nach dessen Tod seit 1974 ihm selbst ein Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs an der F. zugestanden. Dies ergebe sich aus § 3 des am 13. Oktober 1888 errichteten Testamentes seines am 28. Juli 1901 verstorbenen Urgroßonkels Marten Hi. Diese Verfügung lautet:
"Meine Schwester Elsabe R. geborene Hi. ... soll die Nutznießung meiner F. ... bis an ihr Lebensende haben. Die F. soll als Weideland benutzt und weder verkauft noch verpfändet werden.
Nach dem Tode meiner Schwester soll die Nutznießung dieser Fenne ihrer Tochter Meta Maria Ha. geborene R. und nach ihrem Tode ihrem Sohn Boetius Richard Ha. zufallen. Wenn diese beiden ohne Leibeserben verstorben sind, soll die F. an meine in § 2 unter 1. bis 4. genannten Erben zur Teilung nach demselben Verhältnis wie dort bestimmt ist zur freien Verfügung erblich zufallen."
Elsabe Ri. verstarb vor dem Erblasser. Ihre Tochter M. war nach dem Tod ihres ersten Ehemannes Ha. in zweiter Ehe mit einem Herrn N. verheiratet. Aus dieser Ehe ging der im Jahre 1893 geborene Vater des Beklagten hervor. Der Beklagte ist am 22. Februar 1932 geboren. Boetius Ha. starb 1958 ohne Nachkommen. Der Nießbrauch ist bestellt und im Grundbuch eingetragen worden nur zugunsten von M. und B.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr zum Teil stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Kläger verfolgen mit der Anschlußrevision den vom Oberlandesgericht abgewiesenen Teil der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Revision und Anschlußrevision bleiben ohne Erfolg.
1.
Das Berufungsgericht versteht § 3 des Testaments dahin, die "Nutznießung" (Nießbrauch im Sinne der §§ 1030 ff. BGB) sei den in § 3 genannten Personen im Wege des Vermächtnisses zugewandt worden. Da Elsabe R. vorverstorben war, sei M. Ersatzvermächtnisnehmerin geworden. Nach ihrem Tode habe ihr Sohn B. einen entsprechenden Nießbrauch erlangt. Im Testament sei zwar nicht ausdrücklich bestimmt worden, daß nach beider Tod der Nießbrauch deren Leibeserben zustehe. Dies folge aber daraus, daß die Erben des Marten Hi. nur dann zur freien Verfügung über die Fenne befugt sein sollen, wenn M. und B. ohne Leibeserben verstorben sind. Nachdem B. kinderlos verstorben war, habe der Anspruch auf den Nießbrauch an sich Bruno N. und dem Beklagten als den Leibeserben der M. zustehen sollen. Die 30-Jahres-Frist des § 2162 BGB sei aber beim Tod des B. 1958 schon verstrichen gewesen. Daher sei das Nießbrauchsvermächtnis dem Beklagten und seinem Vater nicht mehr angefallen. § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB sei auf den vorliegenden Fall weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Mithin stehe den Klägern ein Anspruch aus §§ 988, 818 Abs. 1 BGB auf Zahlung an die Erbengemeinschaft nach Marten Hinrichsen zu, die zumindest bezüglich der streitigen Fenne noch nicht auseinandergesetzt worden sei.
Diese Würdigung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
2.
Das Berufungsgericht hat mit Recht die Auslegung des Testaments und insbesondere die Frage, bis zu welcher zeitlichen Grenze seine Bestimmungen Gültigkeit haben, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beurteilt. Inhalt und Wirksamkeit des vor seinem Inkrafttreten errichteten Testaments bestimmen sich, wenn der Erbfall unter seiner Geltung eingetreten ist, nach seinen Regeln (RGZ 59, 80, 83; RGZ 79, 32 f.; Staudinger/Winkler, Art. 213 EGBGB Rdn. 29 ff.; Art. 214 EGBGB Rdn. 8 ff. m.w.N.). Ob eine testamentarische Anordnung unwirksam wird, soweit sie über die Frist des § 2162 BGB hinausreicht, ist eine Frage, die entgegen der Auffassung des Beklagten weder die Gültigkeit des Testaments noch die Bindung des Erblassers betrifft (Art. 214 EGBGB).
3.
Die Auslegung des Testaments durch das Berufungsgericht dahin, daß nach dem Tode von M. und B. deren Leibeserben ein Anspruch auf Einräumung des Nießbrauchs zustand, wird von den Klägern hingenommen. Sie meinen allerdings, mit "Leibeserben" seien nur Kinder, nicht aber Enkel gemeint. Der Begriff ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch fremd und heute nur noch selten in Gebrauch. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht dem Umstand, daß in manchen, nach dem zweiten Weltkrieg erschienenen Wörterbüchern "Leibeserbe" verstanden wird als "leibliches Kind des Erblassers", keine entscheidende Bedeutung für die Frage beigemessen, ob damit Enkel ausgeschlossen sein sollten. Wichtiger ist im vorliegenden Zusammenhang die Verwendung des Begriffs im juristischen Bereich. Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, wurde für die Auslegung testamentarischer Anordnungen, durch die ein Dritter "oder seine Erben" bedacht worden waren, die Frage erörtert, ob mit "Erben" alle Personen gemeint seien, die unter den römisch rechtlichen Begriff "heres" fallen, also auch Verwandte der Seitenlinie, oder ob nur (Kinder und sonstige) Nachkommen gemeint seien; für diese letzte, engere Bedeutung wurde der Begriff "Leibeserben" verwendet (vgl. Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Erbrecht - Teil 1, hrsg. von Werner Schubert, 1984, S. 245). Dafür, daß mit "Leibeserben" Kinder und fernere Nachkommen bezeichnet werden, verweisen Gerichtsentscheidungen aus dem letzten Jahrhundert auch auf allgemeine Wörterbücher jener Zeit (vgl. SeuffArch, 4. Bd. 1851, Nr. 65; 8. Bd. 1855, Nr. 158). Mit Recht hat das Berufungsgericht den Begriff auch im vorliegenden Testament in diesem Sinne gedeutet. Hierzu stand ihm ausreichende Sachkunde zur Verfügung, so daß es der Einholung eines Gutachtens nicht bedurfte.
4.
Das Berufungsgericht ist auch richtig davon ausgegangen, daß das Vermächtnis auf Bestellung eines jeweils neuen Nießbrauchs dem Beklagten erst anfallen konnte, nachdem durch den Tod seiner Großmutter M., seines Onkels B. und seines Vaters Br. die dem Testament zu entnehmenden aufschiebenden Bedingungen (§ 2177 BGB) eingetreten waren. Die Geburt des Beklagten allein genügte noch nicht für den Anfall des Vermächtnisses in seiner Person. Daß der Erblasser eine Aufeinanderfolge mehrerer bedingter Vermächtnisse anordnen kann, begegnet keinen Bedenken.
5.
Das Vermächtnis ist dem Beklagten (und schon seinem Vater) erst nach Ablauf der in § 2162 BGB gesetzten Frist von 30 Jahren nach dem Tod des Erblassers angefallen. Gemäß § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB bleibt das Vermächtnis in den Fällen des § 2162 auch nach dem Ablauf dieser Frist wirksam, wenn es zum einen für den Fall angeordnet ist, daß in der Person des Beschwerten oder des Bedachten ein bestimmtes Ereignis eintritt, und wenn ferner derjenige, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zur Zeit des Erbfalles lebt. Das Vermächtnis zugunsten des Beklagten wäre mithin nicht unwirksam, wenn man seinen Vater, der zur Zeit des Erbfalles schon gelebt hat und mit dessen Tod die (letzte) aufschiebende Bedingung für den Anfall des Vermächtnisses an den Beklagten eintrat, als Beschwerten ansehen könnte. Davon ist das Landgericht ausgegangen. Demgegenüber hat das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, durch das Vermächtnis zugunsten des Beklagten beschwert seien die Erben, nicht aber der dem Beklagten vorangegangene Nießbraucher.
a)
Allerdings dürfte der Vater des Beklagten, der ausweislich eines bei den Grundakten befindlichen Erbscheins Alleinerbe seiner Mutter M. war, damit auch zu 1/8 Mitglied der Erbengemeinschaft nach Marten Hi. geworden sein. Das reicht jedoch nicht aus, die Voraussetzungen des § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu erfüllen. Danach müssen Beschwer und Eintritt des Ereignisses, mit dem das Vermächtnis anfällt, in derselben Person gegeben sein.
Hier ist es so, daß B. nicht zur Erbengemeinschaft nach Marten Hi. gehörte. In seiner Person trafen also die Bedingungen für den Anfall des Vermächtnisses zugunsten des Vaters des Beklagten im Jahre 1958 auch nicht zum Teil mit der Beschwer zusammen. Konnte Br. das Vermächtnis nicht erwerben, fehlt es für den Beklagten bereits an der Voraussetzung, daß das Ereignis für den Anfall des Vermächtnisses nach der Testamentsauslegung des Tatrichters in der Person des vorangegangenen Vermächtnisnehmers eingetreten sein muß.
b)
Es erscheint nicht gerechtfertigt, § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB erweiternd auszulegen oder analog anzuwenden auf Fälle, in denen das Ereignis, von dessen Eintritt das Vermächtnis abhängt, nicht in der Person des Beschwerten eintreten soll, der das Vermächtnis zu erfüllen hat, sondern eines früher Bedachten, der das zugewandte Recht wegen seiner höchstpersönlichen Natur aber nicht übertragen und daher nicht beschwert sein kann.
Bei den Beratungen, die zur heutigen Fassung des § 2163 BGB geführt haben, wurde die Bestimmung der zeitlichen Grenze, bis zu der letztwillige Verfügungen wirksam bleiben, mehrfach geändert. Die Kommission hat sich schließlich dafür entschieden, Vermächtnisanordnungen genauso zu behandeln wie die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft. Sie räumt aber ein, daß den Vorschriften "eine gewisse Willkür anhafte" (Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. V S. 240; vgl. auch Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. V S. 563 ff.).
Der Gesetzgeber hat damit einerseits den rechtspolitischen Bedenken Rechnung getragen, die vom Standpunkt des Verkehrsschutzes und der Verfügungs- und Testierfreiheit der zunächst Bedachten gegen eine übermäßig lange Bindung eines Vermögens sprechen. Auf der anderen Seite hat er fürsorglichen Zwecken des Erblassers im Rahmen des Familienerbrechts Raum gegeben. Damit kann der Erblasser, wenn er Anordnungen an den Tod einer beim Erbfall gerade geborenen Person knüpft, seinem letzten Willen unter Umständen Geltung für ein Jahrhundert und mehr verschaffen. Diese Regelung ist nur tragbar, wenn sie eng auf die vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Fälle begrenzt bleibt.
6.
Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Zahlungsanspruch auch im übrigen zutreffend beurteilt.
a)
Die Kläger rügen, der Beklagte, der den Kleihof schon beim Tod seines Onkels B. 1958 übernommen hat und dessen Vater nicht Landwirt, sondern Kaufmann war, habe das Vorbringen der Kläger, er habe die Fenne seit 1958 mitbenutzt, nicht substantiiert bestritten. Ausweislich seines Tatbestandes hat das Berufungsgericht den Beklagtenvortrag aber dahin verstanden, daß er in der Zeit von 1958 bis 1974 den Nießbrauch "im Auftrag seines Vaters" ausgeübt habe. Dieser habe den Nutzen daraus gezogen. Tatbestandsberichtigung ist nicht beantragt worden. Das Berufungsgericht ist danach rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß den Klägern für die Zeit von 1958 bis 1974 kein Anspruch gegen den Beklagten zusteht.
b)
Das Berufungsgericht geht von einem angemessenen Pachtzins pro Hektar und Jahr in Höhe von 600,00 DM aus. Der Beklagte rügt, er habe für die im vorliegenden Fall gegebene Fläche von weniger als drei Hektar einen solchen Betrag nicht zugestanden und sich im übrigen auf ein Sachverständigengutachten bezogen. Angesichts des substantiierten beiderseitigen Parteivortrags über erzielbare Pachterträge innerhalb des in Frage kommenden Zeitraums konnte das Berufungsgericht den von ihm zugrunde gelegten Satz jedoch rechtsfehlerfrei gemäß § 287 ZPO festsetzen.
Daß er gemäß § 818 Abs. 3 BGB nicht mehr bereichert sei, hat der Beklagte nicht substantiiert (vgl. Bl. 108 u GA). Seine Rüge im Schriftsatz vom 9. Oktober 1991 S. 3 geht daher fehl.
c)
Die Verjährungsfrist für den Anspruch aus § 988 BGB beträgt 30 Jahre. Es geht hier weder um rückständige Pachtzinsen noch um wiederkehrende Leistungen im Sinne von § 197 BGB, sondern um die unberechtigte Inanspruchnahme eines lebenslänglichen, unentgeltlichen Nießbrauchsrechts.
d)
Der Anspruch ist auch nicht verwirkt. Der Beklagte macht zwar geltend, er habe sich 29 Jahre lang darauf verlassen, daß ihm die Früchte zustanden. Die Erbengemeinschaft nach Marten Hi. ist verhältnismäßig groß; ihr Bestand hat sich mehrmals geändert; einige Miterben leben in den USA. Daher gab es keinen Grund, allein aus der langwährenden Untätigkeit auf eine Bereitschaft zu schließen, die Nutznießung des Beklagten hinzunehmen.
Unterschriften
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Zopfs
Dr. Ritter
Dr. Schlichting
Terno
Fundstellen