Leitsatz (amtlich)
Wird in einer Bürgschaft auf erstes Anfordern die Vorlage einer schriftlichen Bestätigung des Hauptschuldners über ihm erbrachte Leistungen vorausgesetzt, braucht der Bürge ohne Vorlage einer solchen Urkunde grundsätzlich auch dann nicht zu leisten, wenn der Hauptschuldner – eine GmbH – inzwischen wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden ist.
Normenkette
BGB § 765
Verfahrensgang
LG Magdeburg |
OLG Naumburg |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. Juli 1998 aufgehoben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 1. April 1998 wird in vollem Umfang mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage zur Zeit unbegründet ist.
Die Kosten beider Rechtsmittelzüge fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin schloß mit der PEZ Immobilien- und Beteiligungsgesellschaft mbH (nachfolgend: PEZ oder Hauptschuldnerin) einen Generalunternehmervertrag über die Instandsetzung und Modernisierung eines Hauses. In § 18 dieses Vertrages verpflichtete die Auftraggeberin sich, der Klägerin unter Hinweis auf § 648a BGB eine Sicherheit in Höhe von 750.000 DM zu stellen.
Mit schriftlicher Erklärung vom 1. September 1995 übernahm die Beklagte gegenüber der Klägerin unter Bezugnahme auf den Generalunternehmervertrag eine unbefristete Bürgschaft, in der es heißt:
„… übernehmen wir … für die Erfüllung sämtlicher Ansprüche, die dem Auftragnehmer gegen den Auftraggeber dadurch entstehen, daß der Auftraggeber die vereinbarten Zahlungen …nach Vorlage der schriftlichen Bestätigung des Auftraggebers über die erbrachten Bauleistungen … nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig leistet, die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Betrag von
DM 750.000 …
… Wir verpflichten uns, auf erste schriftliche Anforderung an den Auftragnehmer Zahlung zu leisten.”
Nachdem die Klägerin eine Rechnung erteilt sowie die PEZ diese nicht bezahlt und entgegen einer Aufforderung durch die Klägerin keine weitere Sicherheit im Hinblick auf § 648a BGB geleistet hatte, stellte die Klägerin die Arbeiten ein. Die PEZ entzog ihr den Auftrag. Die Klägerin berechnete ihr insgesamt rd. 983.500 DM restlichen Werklohn. Beauftragte der PEZ sandten die Rechnungen als nicht prüffähig zurück. Die PEZ ist inzwischen wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten aufgrund ihrer Bürgschaft 750.000 DM. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr in der Hauptsache stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klägerin könne trotz Fehlens einer schriftlichen Bestätigung der PEZ die Bürgschaftssumme verlangen. Zwar sei davon auszugehen, daß die Beklagte sich nur in den durch § 648a Abs. 2 Satz 2 BGB gesetzten Grenzen zur Zahlung habe verpflichten wollen. Die Bürgschaftserklärung der Beklagten sei – auch mit Rücksicht auf § 648a Abs. 7 BGB – dahin auszulegen, daß die Beklagte unter den in § 648a Abs. 2 Satz 2 BGB aufgeführten Voraussetzungen zur Zahlung verpflichtet sein solle, wobei mit der schriftlichen Bestätigung der Bauleistungen der Sache nach ein Anerkenntnis der aufgrund eines Zahlungsplanes nach Baufortschritt zu entrichtenden Abschläge gemeint sei. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Dennoch könne die Klägerin infolge des Erlöschens der PEZ Zahlung aus der Bürgschaft verlangen. Sei der Besteller – wie hier – eine juristische Person und werde diese vermögenslos, könne die Regelung des § 648a Abs. 2 Satz 2 BGB die mit ihr beabsichtigte Schutzwirkung nicht mehr entfalten. Ein wirtschaftliches Interesse des Bestellers an Einwendungen oder Einreden gegen den Werklohnanspruch des Unternehmers bestehe schon deshalb nicht, weil der Besteller kein Rechtssubjekt mehr sei. Ebensowenig bedürfe der Bürge einer zuverlässigen Grundlage für den Rückgriff auf den Besteller, wenn bei diesem ohnehin keine Zahlung zu erlangen sei. Auch das ursprüngliche Interesse des Bürgen, nicht in einen Bauprozeß hineingezogen zu werden, spiele beim Wegfall des Bestellers keine Rolle mehr. Solange ein Rückgriff des Bürgen noch in Frage komme, lägen Einwendungen und Einreden gegen den Werklohnanspruch und damit gegebenenfalls ein Bauprozeß vor allem im Interesse des Bestellers als derjenigen Person, die den Werklohn letztlich aufzubringen habe. Nach seinem Wegfall wäre ein Streit um den Werklohnanspruch hingegen nur noch für den Bürgen selbst von Nutzen. Deshalb obliege es nunmehr dem Bürgen, sich mit der Berechtigung der Werklohnforderung auseinanderzusetzen und der Inanspruchnahme wegen vermeintlich überzogener Forderungen des Unternehmers entgegenzutreten. Der Unternehmer könne somit nach einem Erlöschen des Bestellers wegen Vermögenslosigkeit ohne weiteres aus der Bürgschaft vorgehen, wobei er im Prozeß regelmäßig den Grund und den Umfang der Hauptforderung darzulegen und zu beweisen habe.
Im vorliegenden Falle habe die Beklagte indes die Bürgschaftssumme zu bezahlen, ohne daß es einer prozessualen Klärung der Hauptforderung der Klägerin bedürfe. Sie habe nämlich eine Bürgschaft auf erstes Anfordern übernommen. Danach solle die angeforderte Zahlung allein von der Beibringung der Ausführungsbestätigung bzw. der Erfüllung der in § 648a Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Voraussetzungen abhängig sein. Letzteres Erfordernis sei entfallen. Aufgrund der Bürgschaft auf erstes Anfordern sei deshalb Zahlung zu leisten, ohne daß es einer schlüssigen Darlegung der Hauptforderung bedürfe.
II.
Diese Auslegung verstößt, wie die Revision zutreffend rügt, gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze. Die tatrichterliche Auslegung einer Willenserklärung bindet das Revisionsgericht nicht, wenn sie gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliches Auslegungsmaterial außer acht läßt (BGH, Urt. v. 25. Februar 1992 – X ZR 88/90, NJW 1992, 1967, 1968; v. 5. Januar 1995 – IX ZR 101/94, NJW 1995, 959).
Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß sich die Beklagte nach dem Wortlaut ihrer Bürgschaft nur gegen die Vorlage der darin genannten Erklärung des Auftraggebers zur Zahlung verpflichtet habe. Bei der Feststellung des Vertragsinhalts von Bürgschaften auf erstes Anfordern gilt wegen der Funktion dieses Rechtsinstituts und der besonderen Gefährlichkeit einer solchen Verpflichtung der Grundsatz der Formstrenge. Dieser verbietet Auslegungen, für die sich im Text der Urkunde keine Grundlage findet und die sich auf Umstände außerhalb der Urkunde stützen müßten (vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 1995 – IX ZR 57/95, WM 1996, 193, 195).
Wird in einer Bürgschaft auf erstes Anfordern – wie hier – die Vorlage bestimmter, in der Bürgschaftsurkunde genau umschriebener Urkunden vorausgesetzt, braucht der Bürge nur zu zahlen, wenn der Gläubiger die Urkunde vorlegt (so für eine Garantie auf erstes Anfordern BGH, Urt. v. 23. Januar 1996 – XI ZR 105/95, ZIP 1996, 454, 455; v. 12. März 1996 – XI ZR 108/95, ZIP 1996, 784, 785; für Bürgschaften auf erstes Anfordern vgl. Senatsurt. v. 9. März 1995 – IX ZR 143/94, WM 1995, 833, 834). Solche formalen Merkmale dienen bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern auch der inhaltlichen Eingrenzung der Haftung (vgl. Senatsurt. v. 14. Dezember 1995 – IX ZR 57/95, aaO). Deren Fehlen kann daher grundsätzlich nicht durch die Erklärung des Gläubigers ersetzt werden, er könne die Urkunde – sei es verschuldet oder nicht – nicht beibringen. Anderenfalls müßte der Bürge ohne Gewähr für das Bestehen einer Forderung erst einmal zahlen, und die Prüfung seiner Pflicht würde in den Rückforderungsprozeß verlegt, obwohl Gegenteiliges ausdrücklich vereinbart war. Das Risiko eines Wegfalls des Hauptschuldners würde – entgegen dem mit der Urkundenvorlage verfolgten Zweck – einseitig auf den Bürgen verlagert.
Ein solches Ergebnis läßt sich nicht mit den vom Berufungsgericht angeführten praktischen Erwägungen rechtfertigen. Es weist selbst zutreffend darauf hin, daß jedenfalls der klagende Werkunternehmer selbst die Berechtigung seiner Forderung zu beweisen hätte, wenn er aufgrund einer gewöhnlichen Bürgschaft Zahlung verlangte. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern soll dem Gläubiger insoweit keine Erleichterung bringen, wenn darin ein urkundlicher Nachweis der Forderung sowie ihrer Berechtigung ausdrücklich vereinbart ist. Im Gegenteil muß der Gläubiger seinerseits in derartigen Fällen die Vorteile einer erleichterten Durchsetzung, welche die Bürgschaft auf erstes Anfordern gewöhnlich gewährt, mit den Nachteilen abwägen, welche ihm die inhaltlichen Voraussetzungen bereiten könnten.
Der Gläubiger wird durch eine derartige Auslegung nicht rechtlos gestellt. Trotz Löschung der vermögenslosen Hauptschuldnerin im Handelsregister ist eine Klage gegen sie auf Abgabe der erforderlichen Erklärung nicht ausgeschlossen. Besteht ein berechtigtes Interesse an einer von der gelöschten GmbH abzugebenden Erklärung, dann ist diese Gesellschaft zum Zweck der prozessualen Durchsetzung des Anspruchs als existent anzusehen (vgl. BGHZ 105, 259, 261). Die Erschwernis eines solchen Vorgehens muß der Gläubiger allerdings auf sich nehmen, der eine Erklärung der Hauptschuldnerin zur inhaltlichen Voraussetzung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern hat werden lassen.
Den Fall einer Auflösung der Hauptschuldnerin mögen die Parteien hier allerdings vorher nicht bedacht haben. In derartigen Fällen kommt allgemein eine ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB) in Betracht. Es mag offen bleiben, ob sie auch bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern möglich ist, soweit der Text der Urkunde keine Anhaltspunkte dafür bietet. Jedenfalls wenn – wie im vorliegenden Fall – eine formalisierte Anspruchsvoraussetzung nur erschwert zu erfüllen ist, könnte die Bürgschaft als eine solche auf erstes Anfordern nur aufrecht erhalten bleiben, wenn die Voraussetzung durch eine andere, vergleichbare ersetzt werden könnte. Eine solche Möglichkeit haben aber weder das Berufungsgericht noch die Revisionserwiderung aufgezeigt. Soweit diese meint, das Bestehen der Hauptschuld (§§ 767, 768 BGB) sei mit gewöhnlichen Mitteln im Prozeß zu beweisen, bedeutete das im Ergebnis den Wegfall der besonderen Eigenschaften gerade einer Bürgschaft auf erstes Anfordern. Statt dessen geht es dann allein um die Möglichkeit, eine nur unter erschwerten Voraussetzungen durchsetzbare Bürgschaft auf erstes Anfordern als eine gewöhnliche Bürgschaft aufrecht zu erhalten (dazu unten III.).
III.
Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
Insbesondere kann die ausdrücklich auf erstes Anfordern erteilte Bürgschaft nicht in eine gewöhnliche Bürgschaft umgedeutet werden, welche die formalisierten Anspruchsvoraussetzungen möglicherweise nicht enthält. Der Senat erachtet es für zulässig, eine auf erstes Anfordern erteilte Bürgschaft als gewöhnliche Bürgschaft aufrechtzuerhalten, wenn der Gläubiger entgegen einer Obliegenheit den Bürgen nicht über die Gefährlichkeit der besonderen Bürgschaftsform aufgeklärt hatte (Senatsurt. v. 12. März 1992 – IX ZR 141/91, WM 1992, 854 ff; v. 2. April 1998 – IX ZR 79/97, ZIP 1998, 905, 907), und ferner dann, wenn die Absicherung eines Anspruchs durch Bürgschaft erkennbar gewollt, dieser Anspruch in der Urkunde aber nicht als gesichert genannt war (Senatsurt. v. 25. Februar 1999 – IX ZR 24/98, WM 1999, 895, 899). Darum geht es im vorliegenden Fall nicht. Vielmehr ist die Absicherung des eingeklagten Anspruchs in der Urkunde rechtswirksam vereinbart worden; nur die vereinbarte Nachweisform kann nicht – oder nur schwer – erfüllt werden. Ob dem Gläubiger ein solches Risiko durch eine Umdeutung der Bürgschaft abgenommen werden kann, braucht hier nicht allgemein entschieden zu werden. Oft werden gewichtige Interessen des Bürgen entgegenstehen, dem die Rechtsklarheit und Sicherheit des vereinbarten Sicherungsmittels verloren geht.
Im vorliegenden Fall scheidet eine solche Umdeutung jedenfalls deswegen aus, weil die Bürgschaft vereinbarungsgemäß unter Hinweis auf § 648a BGB zu stellen war. Hat sich ein Bauunternehmer vom Besteller – wie hier – die Bürgschaft eines Kreditinstituts geben lassen, darf dieses nach § 648a Abs. 2 Satz 2 BGB an den Unternehmer (Auftragnehmer) nur leisten, soweit der Besteller (Auftraggeber) den Vergütungsanspruch des Auftragnehmers anerkennt oder durch vorläufig vollstreckbares Urteil zur Zahlung der Vergütung verurteilt worden ist und die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. Die Vorschrift ist gem. § 648a Abs. 7 BGB zwingend. Sie steht der Umdeutung jedenfalls einer solchen Bürgschaft auf erstes Anfordern entgegen, die inhaltlich von einer vergleichbaren Voraussetzung abhängen sollte. In dieser Hinsicht kommt es, entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung, nicht entscheidend darauf an, daß nach dem Bürgschaftstext nur die „erbrachten Bauleistungen” zu bestätigen, nicht aber der Zahlungsanspruch anzuerkennen war. Unabhängig davon sollte die Klausel den Bürgen vor einer gesetzwidrigen Inanspruchnahme schützen. Dieser Schutz darf nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung ganz entfallen.
Der Senat kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, weil sie nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Ergänzender, entscheidungserheblicher Sachvortrag erscheint ausgeschlossen. Die Klage ist unbegründet, solange der erforderliche Nachweis nicht erbracht werden kann.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.04.2001 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 600018 |
BB 2001, 1321 |
DB 2001, 1556 |
NJW 2001, 3616 |
NWB 2001, 2332 |
BGHR 2001, 577 |
BauR 2001, 1426 |
EWiR 2001, 715 |
IBR 2001, 366 |
KTS 2001, 467 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 1208 |
WuB 2001, 1013 |
ZIP 2001, 1089 |
ZfIR 2002, 197 |
MDR 2001, 1181 |
NJ 2001, 540 |
NZI 2001, 45 |
NZI 2001, 649 |
ZfBR 2001, 406 |
NZBau 2001, 680 |
ZBB 2001, 279 |