Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftserteilung
Normenkette
BGB § 208
Tatbestand
Der Kläger hat von der Beklagten, der zweiten Ehefrau seines Vaters, den Pflichtteil nach seinem am 26. Oktober 1980 verstorbenen Vater verlangt. Nachdem das Landgericht seine Klage abgewiesen hat, führt sein früherer Rechtsanwalt als Streithelfer den Rechtsstreit im Berufungs- und Revisionsverfahren weiter.
In dem Ehegattentestament des Erblassers mit der Beklagten ist diese als Alleinerbin und sind der Kläger als befreiter Vorerbe und dessen Tochter als Nacherbin des Längstlebenden eingesetzt worden. Eine Abschrift dieses Testaments ist dem Kläger vom Amtsgericht am 21. November 1980 zugegangen.
Mit Schreiben seines damaligen Rechtsanwalts und jetzigen Streithelfers vom 19. Oktober 1983 an die Beklagte machte der Kläger seinen Pflichtteil geltend. Unter Fristsetzung bis zum 24. Oktober 1983 forderte er von der Beklagten unter Hinweis auf die drohende Verjährung Auskunft über den Nachlaß. Am 31. Oktober 1983 telefonierte der Bürovorsteher des von der Beklagten erst an diesem Tage beauftragten Anwalts mit dem Streithelfer. Dieses Telefongespräch bestätigte der Streithelfer des Klägers mit Schreiben vom gleichen Tage. Mit Schreiben vom 11. November 1983 erteilte der Anwalt der Beklagten Auskunft über den Nachlaß. Das Schreiben beginnt nach einer Bezugnahme auf das Schreiben vom 19. Oktober 1983 mit dem Satz:
"Ich hatte zwischenzeitlich Gelegenheit, mit (der Beklagten) Rücksprache zu nehmen. Die von Ihrem Mandanten... gewünschte Auskunft, insoweit wird auf die Einrede der Verjährung verzichtet,
erteile ich namens meiner Auftraggeberin wie folgt:... "
Der Kläger hat mit Schreiben vom 9. Dezember 1983 die Zahlung des von ihm errechneten Pflichtteils gefordert und mit am 3. Februar 1984 eingereichtem und alsbald zugestelltem Schriftsatz Klage erhoben. Die Beklagte beruft sich auf Verjährung.
Das Landgericht hat die Verjährungseinrede durchgreifen lassen. Durch Senatsurteil vom 10. Juni 1987 (IVa ZR 14/86 WM 1987, 1108) ist das erste Berufungsurteil aufgehoben worden, das den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hatte. Nach Zurückverweisung und weiterer Beweisaufnahme hat das Berufungsgericht erneut den Zahlungsanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Dagegen wendet sich wiederum die Beklagte mit ihrer Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen werden. Das Landgericht hat die Verjährungseinrede zu Recht durchgreifen lassen. Der Pflichtteilsanspruch ist verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist wurde nicht durch ein Anerkenntnis nach § 208 BGB unterbrochen.
1.
Nur die Frage nach dem Anerkenntnis ist noch von Bedeutung. Die erst am 3. Februar 1984 eingereichte Klage konnte die spätestens am 21. November 1983 abgelaufene Verjährungsfrist nicht mehr unterbrechen. Der Pflichtteilsanspruch verjährt in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis von dem Eintritt des Erbfalles und von der ihn beeinträchtigenden Verfügung erlangt (§ 2332 Abs. 1 BGB). Es ist davon auszugehen, daß der Kläger diese Kenntnis nicht schon vor dem Zugang der Testamentsabschrift am 21. November 1980 hatte. Das Berufungsgericht hat aufgrund seiner Beweisaufnahme nach der Zurückverweisung eine solche von der Beklagten behauptete Kenntnis nicht feststellen können. Das wird von der Revision hingenommen.
Andererseits scheidet auch ein.Verzicht der Beklagten auf die Verjährungseinrede aus. Nach der Würdigung im früheren Berufungsurteil ist nicht bewiesen, daß im Telefongespräch vom 31. Oktober 1983 zwischen dem Bürovorsteher des damaligen Anwalts der Beklagten und dem Streithelfer eine Verzichtserklärung abgegeben wurde. Diese Auffassung des Tatrichters hat der Senat im Urteil vom 10. Juni 1987 nicht beanstandet. Das Anwaltsschreiben vom 11. November 1983 enthält ebenfalls keinen Verzicht. Auch diese Auslegung des Tatrichters hat der Senat bereits gebilligt. In dem Schreiben ist nur "insoweit" auf die Einrede der Verjährung verzichtet worden, als der Kläger Auskunft wünschte.
Danach hatte das Berufungsgericht nur noch zu entscheiden, ob das Schreiben vom 11. November 1983 als ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis im Sinne von § 208 BGB auszulegen ist.
2.
Diese Frage hat das Berufungsgericht wie schon in seinem früheren Urteil, jedoch wiederum rechtsfehlerhaft bejaht. Da eine abermalige Zurückverweisung weitere Auslegungsumstände nicht zutage fördern kann, vielmehr alle für die Auslegung maßgeblichen Gesichtspunkte bekannt sind, kann der Senat selbst auslegen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das Schreiben nicht als Anerkenntnis verstanden werden durfte.
a)
Das Berufungsgericht hat die Anforderungen, die an eine Anerkenntniserklärung zu stellen sind, im Ansatz nicht verkannt. Nach der Senatsrechtsprechung (Urteil vom 19.6.1985 - IVa ZR 114/83 - NJW 1985, 2945 = WM 1985, 1211 unter I. 1. m.w.N., insoweit BGHZ 95, 76 nicht abgedruckt) kann auch eine Auskunftserteilung Anerkenntnis im Sinne von § 208 BGB sein. Allerdings muß das Bewußtsein des Schuldners vom Bestehen des Anspruchs sich unzweideutig ergeben; eine Erklärung, die lediglich das Bewußtsein erkennen läßt, der Anspruch bestehe möglicherweise, reicht nicht aus.
Zu berücksichtigen ist außerdem, daß das Anerkenntnisverhalten im Sinne von § 208 BGB zwar keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, vielmehr als rein tatsächliches Verhalten nur eine geschäftsähnliche Handlung ist. Für diese gelten jedoch die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend, also auch die Auslegungsmaßstäbe nach §§ 133, 15 BGB. Demgemäß kommt es auf den Empfängerhorizont an (BGH Urteile vom 27.10.1977 - VII ZR 282/75 - und vom 11.1. 1978 VIII ZR 1/77 - WM 1978, 36, 37 unter II. 1. und 328, 329 unter I. 2. c) sowie vom 8.7.1987 - VIII ZR 274/86 - NJW 1988, 254 = LM BGB § 477 Nr. 44 = ZIP 1987, 1320 unter II. 3., dazu EWiR § 208 BGB 1/87, 963 Schlechtriem). Das hebt auch die Revisionserwiderung hervor.
b)
Das Berufungsgericht meint bei seiner Auslegung, die im Schreiben enthaltene Auskunft über den Umfang des Nachlasses und die Mitteilung, Sparbuch und Belege könnten in Kopie vorgelegt werden, erwecke den Eindruck, daß auch die Beklagte von der Existenz eines Pflichtteilsanspruchs ausgegangen sei. Ausgangspunkt für das Telefongespräch vom 31. Oktober sei das Zahlungsverlangen im Schreiben vom 19. Oktober 1983 gewesen. Demgemäß habe der Pflichtteilsanspruch trotz des Ablaufs der im Schreiben gesetzten Frist bis 24. Oktober im Telefongespräch eine Rolle gespielt, auch wenn darin nicht auf die Verjährungseinrede verzichtet worden sei. Möglich erscheine, daß die Beklagte bzw. ihr Anwalt eine auf Verjährung hinauslaufende Taktik verfolgt hätten. Weil im Schreiben vom 19. Oktober 1983 sowohl das Sterbedatum vom 26. Oktober 1980 als auch die dreijährige Verjährungsfrist ausdrücklich genannt waren, frage es sich, ob die Beklagte bereits am 11. November 1983 Verjährung angenommen habe.
Das Berufungsurteil fährt wörtlich fort:
Aber auch, wenn die Beklagte den Zahlungsanspruch am 11.11.1983 bereits für verjährt gehalten haben sollte, könnte hieraus nur abgeleitet werden, daß sie sich der Existenz des Anspruchs bewußt war. Gerade dann, wenn ihr Verhalten auf eine Verzögerungstaktik hinausgelaufen sein sollte, ist hierfür Voraussetzung, daß sie von dem Bestehen des Anspruchs ausging.
Das Berufungsgericht meint weiter, wesentlich sei, daß die Beklagte ohne große Verzögerung und kooperativ hinsichtlich der Vorlage von Belegen Auskunft über den Bestand des Nachlasses mit einem positiven Saldo von mehr als 160.000 DM erteilt habe. Nach einer solchen Auskunftserteilung habe der Kläger die Verjährungseinrede als widersprüchliches Verhalten empfinden müssen. Der durch das Anwaltsschreiben entstehende Eindruck sei eindeutig gewesen, weil der eingangs ausgesprochene Verzicht auf die Einrede der Verjährung bezüglich des Auskunftsanspruchs hinsichtlich des Zahlungsanspruchs nichts Negatives besage.
c)
In diesen Ausführungen steht ein Widerspruch.
Die beiden unter b) wörtlich zitierten Sätze aus dem Berufungsurteil stehen im Rahmen der Erörterung, ob durch die Auskunftserteilung das Bewußtsein der Beklagten vom Bestehen der Pflichtteilsforderung in einer solchen Weise zum Ausdruck kommt, daß darin ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis gesehen werden kann. Sie besagen also, daß die Beklagte, die die Verjährung gewissermaßen "herbeizögern" wollte, gegebenenfalls auch im Bewußtsein der Verjährungsvollendung anerkannte, die Pflichtteilsforderung noch bezahlen zu müssen. Diese Gedanken sind nicht miteinander vereinbar. Entweder wußte die Beklagte, daß sie nach Verjährungseintritt eben nicht mehr zu zahlen brauchte, und hatte sich deshalb bewußt bemüht, die Verjährung durch Zögern herbeizuführen, oder aber sie wußte das nicht und glaubte aus diesem Grund, zahlen zu müssen.
Zwar kann der Schuldner eine verjährte Forderung noch bezahlen. Die Unterbrechung der Verjährung durch ein nach ihrer Vollendung erteiltes Schuldanerkenntnis ist aber begrifflich ausgeschlossen (RGZ 78, 130, 131). Demgemäß hat auch der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß dann, wenn die Verjährung bereits vollendet ist, ein nach Ablauf der Verjährungsfrist abgegebenes Anerkenntnis die Verjährung nicht mehr unterbrechen kann (Urteil vom 9.10.1986 - I ZR 158/84 - NJW RR 1987, 288 = WM 1987, 298 = LM VVG § 3 Nr. 250 jeweils unter II. 1. m.w.N.). Wußte die Beklagte von der Verjährung oder rechnete sie auch nur damit, und ließ das Schreiben vom 11. November 1983 dies für den Empfänger erkennen, dann durfte ihr Gesamtverhalten gerade nicht als Anerkenntnis aufgefaßt werden. Es war vielmehr bei einem solchen Bewußtsein der Beklagten mit Ablehnung oder jedenfalls Hinhalten zu rechnen.
d)
Für die Auslegung hat weiter besonderes Gewicht der bereits oben unter a) angesprochene Umstand, daß das Schreiben vom 11. November 1983 zwar der Beklagten zuzurechnen, aber von ihrem Anwalt verfaßt war, daß es insbesondere für den Kläger bestimmt, aber an seinen Streithelfer gerichtet war. Denn dieser Streithelfer war ebenfalls Rechtsanwalt. Er hatte die Überlegungen, die im Berufungsurteil zur Verzögerungstaktik dargelegt worden sind, in seiner Situation ebenfalls anzustellen. Die fruchtlos verstrichene Frist bis zum 24. Oktober 1983 war von ihm gesetzt, ihm war die erbetene Verzichtserklärung nicht erteilt worden. Als Anwalt mußte er wissen, daß ein Anerkenntnis nach Ablauf der Verjährung rechtlich ohne Bedeutung ist. Entgegen dem Berufungsurteil ist für die Auslegung also nicht von Belang, ob der Kläger selbst nach einer solchen Auskunftserteilung wie im Schreiben vom 11. November 1983 die Berufung der Beklagten auf die Verjährung als widersprüchliches Verhalten empfinden mußte. Vielmehr kam es auf das Verständnis des juristisch ausgebildeten Streithelfers an. Dieser aber wartete nach seinem Aufforderungsschreiben vom 19. Oktober und seinem weiteren, das Telefongespräch vom 31. Oktober 1983 bestätigenden Schreiben immer noch im Bewußtsein der drohenden oder bereits eingetretenen Verjährung auf die Verzichtserklärung. In dieser besonderen Lage ergab für den Streithelfer die Auskunftserteilung im Schreiben vom 11. November 1983 und der ausdrücklich auf sie beschränkte Verjährungsverzicht keineswegs unzweideutig das Bewußtsein der Beklagtenseite vom Bestehen des Anspruchs.
e)
Unter diesen Umständen kann bei einer Gesamtbetrachtung das Schreiben des Anwalts der Beklagten vom 11. November 1983 an den Streithelfer nicht als ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis im Sinne von § 208 BGB angesehen werden.
Fundstellen