Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht eines Rechtsanwalts zur eigenständigen Prüfung, welches Rechtsmittel statthaft ist und unter welchen Voraussetzungen es eingelegt werden muss (hier: Sorgerechtsverfahren); Ausschöpfung einer Beschwerdefrist nicht fast bis zum Ende; vorsorgliche Beschwerdeeinlegung beim OLG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Liegt eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Ausgangsgerichts vor, das irrtümlich auf die Einlegung der Beschwerde beim AG statt beim OLG hingewiesen hat, ist zu berücksichtigen, dass sich ein Rechtsanwalt nicht ohne weiteres auf eine derartige Rechtsmittelbelehrung verlassen darf.

2. War dem Rechtsanwalt bekannt – und musste ihm bekannt sein –, dass zumindest erhebliche Zweifel daran bestanden, in einem Verfahren, das im April 2009 eingeleitet worden war, die Beschwerde nach FamFG und nicht die befristete Beschwerde nach ZPO einzulegen, hätte es anwaltlicher Sorgfalt entsprochen, zumindest die Beschwerdefrist nicht fast bis zum Ende auszuschöpfen oder ggf. vorsorglich die Beschwerde auch gleichzeitig zum OLG einzulegen.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, § 233; BGB § 276 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Oranienburg (Beschluss vom 14.12.2009; Aktenzeichen 35 F 87/09)

 

Tenor

Der Antrag des Kindesvaters auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der befristeten Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG Oranienburg vom 14.12.2009 - Az.: 35 F 87/09 - wird als unzulässig verworfen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Kindeseltern streiten über das Sorgerecht für ihre drei Kinder A., J. und F. Während der Kindesvater in erster Linie die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge in allen Belangen begehrt, hilfsweise zumindest die Aufrechterhaltung betreffend Schul- und Berufsausbildungsangelegenheiten sowie für Operationen und stationäre Heilbehandlungen, beantragt die Kindesmutter die Übertragung der alleinigen Sorge für alle drei Töchter auf sich selbst. Einen entsprechenden Antrag hat die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 28.4.2009, eingegangen am Folgetag, beim AG Oranienburg gestellt. Das AG hat durch Beschluss vom 14.12.2009 dem Begehren der Kindesmutter stattgegeben, die gemeinschaftliche Sorge der Kindeseltern aufgehoben und diese der Kindesmutter allein übertragen.

Der Vertreterin der Kindesmutter ist der angefochtene Beschluss am 7.1.2010 zugestellt worden. Er war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, die auszugsweise wie folgt lautet:

"Die Beschwerde ist beim AG Oranienburg,... durch Einreichen einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts einzulegen ..."

Die Beschwerdeschrift ist am 7.2.2010 (Sonntag) beim dem AG Oranienburg eingereicht worden. Dieses hat sie am 7.4.2010 dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Auf entsprechenden Hinweis des Senats hat der Kindesvater mit am 19.4.2010 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist beantragt.

Die Beschwerde des Kindesvaters ist unzulässig. Auf das zweitinstanzliche Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das bis zum 31.8.2009 geltende Recht weiter anzuwenden, weil das Verfahren in erster Instanz vor dem 1.9.2009, nämlich im April 2009, eingeleitet worden ist (BGH FamRZ 2010, 192; OLG Köln FamRZ 2009, 1852; Schleswig-Holstei-nisches OLG, NJW 2010, 242; OLG Stuttgart FamRZ 2010, 324). Gegen den Beschluss des AG Oranienburg vom 14.12.2009 war deshalb das Rechtsmittel der befristeten Beschwerde statthaft. Diese hätte gem. § 621e Abs. 3 S. 1 ZPO i.V.m. § 517 ZPO binnen eines Monats bei dem Beschwerdegericht eingelegt werden müssen. Da die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Vertreterin der Kindesmutter gemäß deren Empfangsbekenntnis am 7.1.2010 erfolgt war, lief die Frist am Montag, dem 8.2.2010 ab. Beim OLG ist die Beschwerde jedoch erst am 7.4.2010, also deutlich nach Fristablauf, eingegangen.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zurückzuweisen, weil der Kindesvater diese Frist nicht schuldlos versäumt hat. Gemäß § 233 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Auch wenn die Fristversäumung auf einem Rechtsirrtum beruht, kann Wiedereinsetzung nur bewilligt werden, wenn der Irrtum unverschuldet ist (BGH, MDR 2004, 348 m.w.N.; FamRZ 2010, 1425 - zu § 17 FamFG). Dem Verschulden der Partei ist das Verschulden ihres Rechtsanwalts gem. § 85 Abs. 2 ZPO gleichzustellen (Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 233 Rz. 13; OLG Koblenz NJW 2010, 2594). Ob ein Verschulden der Partei oder ihres Vertreters vorliegt, ist nach dem objektiv-abstrakten Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen. Maßgeblich ist die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei. Hinsichtlich eines zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens...

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