Leitsatz (amtlich)
1. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG n.F. fordert inhaltlich eine umfassende, unmissverständliche und aus dem Verständnis des Versicherungsnehmers eindeutige Belehrung. Die in einem Antragsformular enthaltene Belehrung: "Verletzen Sie diese vorvertragliche Anzeigepflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann der Versicherer je nach Verschuldungsgrad vom Vertrag zurücktreten, ihn anfechten oder kündigen und gegebenenfalls Leistungen verweigern" ist zumindest missverständlich, da in ihr der Eindruck erweckt wird, dass die dargestellten Rechtsfolgen des Rücktritts, der Anfechtung oder Kündigung bzw. der Verweigerung von Leistungen nur bei einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht eintreten können. Dem Antragsteller wird durch die in dem Antragsformular aufgenommene Belehrung somit der unzutreffende Eindruck vermittelt, die genannten Rechtsfolgen seien von einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der Anzeigepflicht abhängig, während die nur leicht fahrlässige Verletzung folgenlos bleibt.
2. Voraussetzung für eine Anzeigeobliegenheit bei Antragstellung ist, dass der Versicherungsnehmer die bei ihm nach Eintritt des Versicherungsfalls diagnostizierten Beeinträchtigungen von sich aus ohne Vorliegen einer ärztlichen Diagnose als Störung seiner Gesundheit, hier der Psyche, und nicht als bloße Befindlichkeitsstörung qualifizieren musste, der Versicherungsnehmer sich also bei Ausfüllen des Antragsformulars des Krankheitswerts der Beschwerden bewusst gewesen ist.
Verfahrensgang
LG Neuruppin (Beschluss vom 26.09.2009; Aktenzeichen 2 O 251/09) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des LG Neuruppin vom 26.9.2009 und der Nichtabhilfebeschluss vom 22.10.2009 - 2 O 251/09, abgeändert.
Dem Antragsteller wird für die beabsichtigte Rechtsverfolgung ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm die Rechtsanwaltsozietät ... beigeordnet.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Feststellung des unveränderten Fortbestehens einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
Der am 17.12.1968 geborene Antragsteller beantragte am 28.2.2008 auf einem Antragsformular der Antragsgegnerin den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Bestandteil des Antragsformulars waren von dem Antragsteller jeweils mit "nein" und "ja" anzukreuzende Fragen zum Gesundheitszustand. Die Frage 1g "Bestehen oder bestanden in den letzten 5 Jahren Krankheiten, Beschwerden oder Funktionsstörungen der Knochen, Gelenke, Muskeln, Sehnen oder Bänder sowie Wirbelsäule, Bandscheiben (z.B. Bewegungseinschränkungen, Fehlstellungen, Verschleiß, Entzündungen, Rheuma, Fibromyalgie)?" beantwortete der Antragsteller mit "ja" und machte dazu handschriftlich folgende Angaben: "ca. 2004 CT-Untersuchung, Halswirbel, leichte Verschleißerscheinungen auf. G. D. Arbeit; vor ein paar Jahren eine Sprunggelenksüberdehnung nach kurzer Ruhebehandlung danach o. B.; ca. 2007 nach schwerem Heben, leichte Blutungen im Darmendbereich (Krampfad.), deshalb Darmspiegelung durchgeführt, aber o. B.". Bei der Frage Nr. 2 "Bestehen oder bestanden bösartige Tumorerkrankungen (z.B. Krebs), Krankheiten, Beschwerden oder Funktionsstörungen der Psyche (z.B. Depressionen, Angststörungen, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, psychosomatische Störung), Suchterkrankungen (z.B. Einnahme von Drogen, Folgen von Alkoholgenuss), Selbsttötungsversuch oder wurde bei Ihnen eine HIV-Infektion festgestellt (positiver Aidstest)?" kreuzte der Antragsteller "nein" an. Die Frage Nr. 3, ob der Antragsteller in den letzten 5 Jahren durch Ärzte oder andere Behandler untersucht, beraten oder behandelt wurde, beantwortete er mit "ja" und gab als Arzt, der am besten über seine Gesundheitsverhältnisse unterrichtet sei, seinen Hausarzt Dr. W. an. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 5 GA Bezug genommen.
Das Antragsformular der Antragsgegnerin enthält auf der Folgeseite eine drucktechnisch abgesetzte und umrandete Belehrung, in der es heißt: "Bitte beantworten Sie die Erklärungen ... und die Angaben zum Gesundheitszustand vollständig und richtig. Geben Sie auch solche Umstände an, denen Sie nur geringe Bedeutung beimessen. Nur so stellen Sie sicher, dass Ihr Versicherungsschutz auch tatsächlich wirksam ist. Verletzen Sie diese vorvertragliche Anzeigepflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann die ... (Ag.) je nach Verschuldungsgrad vom Vertrag zurücktreten, ihn anfechten oder kündigen und gegebenenfalls Leistungen verweigern. Beachten Sie hierzu die gesonderte Belehrung nach § 19 Abs. 5 VVG auf den Folgeseiten." Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 6 GA verwiesen.
Auf den der Antragsgegnerin übermittelten Antrag unterbreitete die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.3.2008 ein verändertes Angebot, das eine Ausschlussklausel hinsichtlich Erkrankungen und Funktionseinschränkungen der Wir...