Verfahrensgang
LG Neuruppin (Aktenzeichen 31 O 18/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 16. Juni 2020, Az. 31 O 81/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Nr. 1 genannte Urteil des Landgerichts Neuruppin sind vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.892,99 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten, die Herstellerin des Fahrzeuges und des Motors des von ihm am 2. April 2015 gekauften Pkw VW Passat Variant Comfortline BlueMotion Techn. 2,0 l TDI ist, Schadenersatz in Höhe des Kaufpreises von 31.900,00 EUR abzüglich Nutzungswertersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
In das Fahrzeug, dessen Erstzulassung am 22. Juni 2015 erfolgte, ist ein Dieselmotor der Baureihe EA288 mit einer Leistung von 110 kW eingebaut. Ein Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (im Folgenden: KBA) liegt in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vor.
Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007, S. 1 ff.; nachfolgend: VO (EG) 715/2007) mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Grundlage für die Typgenehmigung war unter anderem ein Testverfahren auf dem Prüfstand, der aus fünf synthetischen Fahrkurven besteht und 1180 Sekunden dauert, dem sog. Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ).
Die Reduzierung der Stickoxidemissionen erfolgt in dem Fahrzeug jedenfalls auch über eine Abgasrückführung (AR). Dabei ist die Abgasrückführung von der Umgebungstemperatur abhängig, wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Umgebungstemperaturen die Abgasrückrückführung reduziert bzw. deaktiviert wird.
In manchen Fahrzeugmodellen des Motorentyps EA288 findet zudem eine Abgasaufbereitung durch einen NOx-Speicher-Katalysator (NSK) statt. Dabei werden die während des Betriebs emittierten Stickoxide in der Katalysatorbeschichtung eingelagert und zwischengespeichert. Zur Regeneration des Katalysators müssen zyklisch Betriebsphasen mit sog. fettem Gemisch zwischengeschaltet werden. Die im "Rohabgas" vorhandenen CO- und HC-Bestandteile werden dabei herangezogen, den Sauerstoff der Stickoxide aufzunehmen. Am Ausgang des Katalysators liegen anschließend die aufoxidierten und ungefährlichen Abgasbestandteile CO2 und H2O vor, ein Restbestand Sauerstoff sowie der reduzierte Anteil ungefährlichen Stickstoffs. Die wegen des "fetten" Motorbetriebs zusätzlich vorhandenen CO- und HC-Bestandteile werden darüber hinaus von der Edelmetallbeschichtung aufoxidiert und unschädlich gemacht. Der zyklisch über wenige Sekunden eingeschobene "fette" Motorbetrieb zur Regeneration des Katalysators wird vom Motorsteuergerät gestartet.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein NSK verbaut ist.
Jedenfalls in der zweiten Instanz ist unstreitig geworden, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug im Auslieferungszustand, wie bei sämtlichen Anfangs-EA288-Motoren, eine sogenannte "Fahrkurvenerkennung" implementiert war, die in der Lage war, den Prüfzyklus des NEFZ zu erkennen. Ob und welche Funktionen bezüglich der Abgasnachbehandlung bzw. Abgasrückführung durch diese Erkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug ausgelöst werden, ist zwischen den Parteien streitig.
Bei Motoren mit der NSK-Technologie führte die Erkennung des NEFZ unstreitig zu einer besonderen Platzierung des "Abgasnachbehandlungsevents". In der von dem Kläger vorgelegten "Applikationsanweisung Diesel Fahrkurve EA288 - NSK" (Anlage K11, dort S. 2), deren inhaltliche Richtigkeit die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr bestreitet - wird die Platzierung wie folgt beschrieben:
"NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-/DeSOx-Events) nur streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesteuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe."
Das KBA bewertete eine in einem, ebenfalls von der Beklagten hergestellten, Motor mit der Bezeichnung EA189 implementierte Software, die die Abgasrückführung im Realbetrieb gegenüber dem Betrieb auf dem Prüfstand verringerte, mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 als unzulässige Abschalteinrichtung und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen anderweitig zu gewährleisten.
Der Kläger hat als Anlagen K2.2 und K11 (im Anlagenband I des Klägers) Ablichtungen vorgelegt, die als "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288" vom 18. November 2015 bezeichnet werden. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf diese...