Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 04.10.2022; Aktenzeichen S 61 KR 22/22) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 29.03.2023; Aktenzeichen L 16 KR 480/22) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. März 2023 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorstehend bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Höhe seiner Beiträge zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung ab 1.1.2022.
Der Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse freiwillig gesetzlich krankenversichert. Da er seine Einkommensverhältnisse nicht mitgeteilt hatte, setzte die Beklagte die für die Zeit ab 1.1.2022 zu zahlenden Beiträge nach einem Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (Höchstbeiträge) fest (Bescheid vom 14.1.2022). Nachdem der Kläger einen ausgefüllten Fragebogen übersandt hatte, wurden Mindestbeiträge festgesetzt (Bescheid vom 28.1.2022).
Die am 27.1.2022 erhobene Klage hat das SG mangels durchgeführten Widerspruchsverfahrens als unzulässig abgewiesen (Gerichtsbescheid des SG Hildesheim vom 4.10.2022). Die Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Die Klage könne nicht als Widerspruch ausgelegt werden. Der Kläger habe ausdrücklich mitgeteilt, dass ein Widerspruch nicht nötig sei, weil die Beklagte ihn sowieso ablehne (Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.3.2023).
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
II
1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Die Durchsicht der Akten und die Würdigung des Vorbringens des Klägers haben bei der gebotenen summarischen Prüfung keinen Hinweis auf das Vorliegen eines Revisionszulassungsgrundes ergeben, der die Bewilligung von PKH rechtfertigen könnte. Nach § 160 Abs 2 SGG darf das BSG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die angefochtene Entscheidung von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3).
a) Es ist nicht ersichtlich, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darlegen könnte. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit) (vgl hierzu B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160 RdNr 6 mwN). Dass die angefochtene Entscheidung des LSG eine abstrakt-generelle klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) mit Breitenwirkung aufwerfen würde, ist nicht zu erkennen.
Das Vorbringen des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis. Er macht geltend, das LSG habe zu Unrecht die Beitragsbescheide für korrekt gehalten. Die Beklagte habe nach wie vor keine Kinderfreibeträge berücksichtigt, obwohl ihr bekannt sei, dass er zwei Kinder habe. Sie seien familienversichert, also müsse die Beklagte Geburtsurkunden von ihm und der Mutter erhalten haben. Aus diesem Vorbringen ergibt sich weder eine grundsätzliche Rechtsfrage noch die Klärungsfähigkeit der Frage der Berücksichtigung der Kinder im angestrebten Revisionsverfahren. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen, ohne über die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung durch die Beklagte oder die bei ihr eingerichtete Pflegekasse zu befinden. Es ist nicht erkennbar, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide in Bezug auf die Berücksichtigung von Kindern Gegenstand des angestrebten Revisionsverfahrens sein könnte.
b) Hinweise darauf, dass das Berufungsurteil iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG im Grundsätzlichen abweichen würde, sind ebenfalls nicht erkennbar.
c) Schließlich ist auch ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen könnte, nicht zu erkennen. Selbst wenn ein solcher vorläge, ist nach der - verfassungsrechtlich gebilligten - ständigen Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 4 ff mwN, zuletzt BSG Beschluss vom 25.9.2023 - B 12 KR 6/23 BH) im Verfahren der PKH-Bewilligung ein über die unmittelbare Erfolgsaussicht des konkret angestrebten Rechtsmittels hinaus erweiterter Beurteilungsspielraum eröffnet, der es erlaubt, eine öffentlich-rechtliche Unterstützung bei der Beschreitung des Rechtswegs auch dann zu verweigern, wenn der Antragsteller in der Sache letztlich ohne Erfolg bleiben muss. Die soziale Vergünstigung der PKH soll nämlich - jedenfalls primär - dazu dienen, den mittellosen Prozessbeteiligten die Möglichkeit zu geben, materielle Ansprüche durchzusetzen. Zumindest bei Verfahrensfehlern ist daher grundsätzlich nicht nur auf die unmittelbare Erfolgsaussicht der beabsichtigten Beschwerde abzustellen, sondern auch darauf, ob die Rechtsverfolgung insgesamt Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl etwa BSG Beschluss vom 23.1.1998 - B 13 RJ 261/97 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 9.5.2007 - B 12 KR 1/07 B - juris RdNr 3 mwN). Daher ziehen selbst schwere Verfahrensfehler nicht zwingend die Bewilligung von PKH nach sich, wenn das Klagebegehren offensichtlich haltlos ist und ohne jeden Rückhalt im Gesetz verfolgt wird.
So liegt es hier. Die Rechtsverfolgung des Klägers erscheint aufgrund des mangels eingelegten Widerspruchs eingetretenen Bestandskraft des Bescheids vom 28.1.2022 offenkundig aussichtslos. Der Kläger hat sich - obwohl sowohl das SG in seinem PKH-Beschluss, Gerichtsbescheid und der Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als auch das LSG in seinem PKH-Beschluss und in dem hier angefochtenen Urteil darauf hingewiesen haben, dass ein Widerspruchsverfahren durchzuführen sei - geweigert, Widerspruch gegen die Bescheide vom 14. und 28.1.2022 einzulegen. Im Hinblick auf seinen diesbezüglich sehr dezidierten Vortrag war es dem SG und dem LSG verwehrt, die Klage oder eines der späteren Schreiben des Klägers als Widerspruch auszulegen und das Verfahren bis zur Entscheidung hierüber auszusetzen. Das gilt umso mehr, als der Kläger nach Erlass des Bescheids vom 28.1.2022, der den Bescheid vom 14.1.2022 ersetzt hat, bis zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG und dem damit verbundenen Antrag auf Bewilligung von PKH nichts mehr gegen die Beitragserhebung vorgebracht hat. Soweit der Kläger nunmehr geltend macht, er habe wegen des Vorverfahrens mit einem Mitarbeiter der Beklagten telefoniert, ist ein Widerspruch nicht anzunehmen. Ein Widerspruch ist schriftlich einzulegen (§ 84 Abs 1 Satz 1 SGG).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die von dem Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht der gesetzlichen Form, da dieses Rechtsmittel nur durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt werden kann (§ 73 Abs 4 SGG). Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist daher durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16180436 |