Leitsatz (amtlich)
Die angestellten Ringleiter landwirtschaftlicher Beratungsringe sind nicht in der Landwirtschaft beschäftigt und daher nicht Pflichtmitglieder der Landkrankenkasse.
Normenkette
RVO § 235 Fassung: 1956-06-12, § 417 Fassung: 1924-12-15, § 776 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. März 1961 wird zurückgewiesen, soweit es die Beigeladenen zu 1 bis 5 und 7 bis 11 betrifft.
Die Klägerin hat den Beigeladenen zu 1 bis 5 und 7 bis 11 die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Beigeladenen waren und sind zum Teil auch jetzt noch Ringleiter der landwirtschaftlichen Beratungsringe Dannenberg West, Dannenberg Ost, Lüchow, Clenze, Schnega, Trebel, Lemgo, Waddeweitz und Gatow. Die Beratungsringe sind in der Form von eingetragenen Vereinen Zusammenschlüsse von selbständigen Landwirten und landwirtschaftlichen Betriebsleitern eines bestimmten Bezirks zur Förderung ihrer Einzelbetriebe, zur Erhöhung der Erzeugung und zur Steigerung und Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Betriebe. Nach den Satzungen soll dieses Ziel u. a. erreicht werden durch eine umfangreiche betriebswirtschaftliche Einzelberatung der Mitglieder sowie durch die Vermittlung von Forschungs-, Fortschritts- und Erfahrungsergebnissen an diese. Für die technische Leitung sind die vom Vorstand der Beratungsringe angestellten Ringleiter verantwortlich. Ihnen obliegt vor allem auch - unter Beachtung der Anordnungen und Richtlinien der Landwirtschaftskammer - die Einzelberatung der Vereinsmitglieder; darüber hinaus sind sie verpflichtet, auf Sprechabenden und an bäuerlichen Versammlungen mitzuwirken. Sämtliche beigeladenen Ringleiter sind als Angestellte ihrer Vereine der beklagten Barmer Ersatzkasse als Mitglied beigetreten.
Die klagende Landkrankenkasse (LKK) macht geltend, die Beigeladenen seien in der Landwirtschaft beschäftigt und daher bei ihr pflichtversichert, ohne sich hiervon auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Ersatzkasse nach § 517 der Reichsversicherungsordnung (RVO) befreien lassen zu können. Nachdem eine Einigung mit der beklagten Ersatzkasse nicht erzielt werden konnte, hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Lüneburg Feststellungsklage erhoben. Dieses hat mit Urteil vom 25. Juni 1959 entschieden, daß die Beigeladenen Pflichtmitglieder der Klägerin seien und nicht berechtigt seien, sich hiervon zu befreien. Es führt in der Begründung seines Urteils aus, die Beigeladenen verrichteten Tätigkeiten, die nach § 915 Abs. 1 Buchst. c RVO aF von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung (UV) umfaßt würden. Daher müßten sie auch für die Krankenversicherung (KrV) als "in der Landwirtschaft" beschäftigt angesehen werden. Die Bestimmungen des Rechts der KrV erläuterten den Begriff der Landwirtschaft nicht selbst, sondern verwiesen auf die Vorschriften der UV. Die Beigeladenen seien demnach Pflichtmitglieder der klagenden LKK.
Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen am 14. März 1961 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es ist der Auffassung, die beigeladenen Ringleiter seien nicht in der Landwirtschaft beschäftigt und könnten sich deshalb trotz der Vorschrift des § 434 RVO gemäß § 517 RVO von der Mitgliedschaft bei der gesetzlichen Krankenkasse befreien lassen. Der Begriff der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen sei zwar, wie das SG zu Recht angenommen habe, in der UV und in der KrV der gleiche. Danach liege eine Beschäftigung in der Landwirtschaft im Sinne des § 434 RVO jedoch nur dann vor, wenn sie
a) in einem Betrieb der Landwirtschaft oder
b) in einem landwirtschaftlichen Nebenbetrieb oder
c) in einem Unternehmen erfolge, das auf Grund einer Bestimmung nach § 915 Abs. 2 RVO (aF) als landwirtschaftliches Unternehmen zu gelten habe.
Die Ringleiter seien aber weder in einem landwirtschaftlichen Betrieb noch in einem landwirtschaftlichen Nebenbetrieb beschäftigt. Die Beratungsringe könnten auch nicht nach § 915 Abs. 2 RVO aF als landwirtschaftliche Unternehmen angesehen werden, da sie nicht - wie etwa die Milchkontrollvereine durch die Bekanntmachung des Reichsversicherungsamtes (RVA) vom 22. März 1938, AN 1938, 133 - landwirtschaftlichen Unternehmen gleichgestellt worden seien. Andere Vorschriften, auf die sich die Klägerin noch berufen könne, bestünden nicht. Soweit die Ringleiter insbesondere vorübergehend zur Sicherung, Überwachung, Förderung oder Erhaltung der landwirtschaftlichen Erzeugung mit ausdrücklicher Zustimmung der zuständigen Verwaltungsbehörde tätig werden, könne eine solche Tätigkeit zwar unter Unfallversicherungsschutz nach den §§ 915 Abs. 1 c, 537 Nr. 8 RVO (aF) stehen. Die insoweit durch die landwirtschaftliche UV geschützten Personen seien aber nicht zwangsläufig auch Mitglieder der LKK. Einen solchen Grundsatz kenne die RVO nicht.
Das LSG hat in seinem Urteil die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Die Klägerin hat Revision eingelegt mit dem Antrage,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 14. März 1961 aufzuheben und festzustellen, daß die Beigeladenen Mitglieder der für sie zuständigen Landkrankenkasse sind.
Die Revision ist der Auffassung, die landwirtschaftlichen Versuchsringleiter seien unstreitig nach § 915 Abs. 1 c RVO aF bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gegen Unfall versichert. Daraus ergebe sich zwingend ihre Krankenversicherungspflicht bei der LKK.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die nach ihrer Ansicht zutreffenden Ausführungen des LSG.
Die Beigeladenen zu 1, 3 und 4 sowie 6 bis 11 haben sich diesen Anträgen und Ausführungen angeschlossen. Der Beigeladene zu 6) ist inzwischen gestorben, seine Erben sind bisher nicht bekannt.
Die Beigeladenen zu 2 und 5 (... ...) sind nicht mehr als Ringleiter tätig, sie haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif, soweit nicht daran der verstorbene Beigeladene zu 6) beteiligt ist. Insoweit ist das Verfahren unterbrochen (§ 68 SGG i. V. m. § 249 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Hinsichtlich der übrigen Beigeladenen konnte die form- und fristgerecht eingelegte und kraft Zulassung statthafte Revision keinen Erfolg haben. Das LSG hat aus im wesentlichen zutreffenden Gründen unter Aufhebung des angefochtenen sozialgerichtlichen Urteils die erhobene Feststellungsklage abgewiesen.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob die bei den Beratungsringen angestellten Ringleiter als in der Landwirtschaft Beschäftigte im Sinne des § 235 Abs. 1 RVO angesehen werden können oder aber unter § 417 RVO fallen, wonach als in der Landwirtschaft beschäftigt auch gilt, wer u. a. in landwirtschaftlichen Nebenbetrieben beschäftigt wird.
Wie der Senat in BSG 14, 78 näher dargelegt hat, ist der Begriff der Landwirtschaft in der gesetzlichen KrV und in der gesetzlichen UV grundsätzlich derselbe. Für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung in der Landwirtschaft vorliegt, kommt es entscheidend auf die Zugehörigkeit zu einem landwirtschaftlichen Betrieb an (BSG 10, 85, 87; 14, 78, 79; 17, 22, 23). Zu den landwirtschaftlichen Unternehmen, die von der landwirtschaftlichen UV erfaßt werden, gehören in erster Linie die bisher in § 915 Abs. 1 Buchst. a RVO aF genannten Unternehmen. Diese sind nunmehr in § 776 Abs. 1 Nr. 1 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) aufgeführt, der mit Wirkung vom 1. Juli 1963 in Kraft getreten ist (Art. 4 § 16 Nr. 1 UVNG). Nach der Rechtsprechung des früheren RVA, der sich der Senat angeschlossen hat, liegt ein landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne des Krankenversicherungsrechts grundsätzlich nur dann vor, wenn der Unternehmer über Grund und Boden verfügt, der zum Zwecke der Gewinnung organischer Naturerzeugnisse bearbeitet wird. Danach gehören die mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Beratungsringe, auch wenn ihnen im wesentlichen Landwirte angehören, nicht dazu; landwirtschaftliche Betriebe in diesem Sinne sind die Beratungsringe nicht. Zwar sind sie mit der Landwirtschaft wirtschaftlich eng verbunden. Sie sind aber deshalb keine landwirtschaftlichen Betriebe (Unternehmen) im Sinne der angeführten Vorschriften, weil sie sich nicht selbst mit der Bodenbewirtschaftung befassen. Diese obliegt vielmehr den von ihnen betreuten Landwirten.
Die beigeladenen Ringleiter fallen aber auch nicht unter die hier allein noch in Betracht kommende Nr. 1 des § 417 RVO. Die Beratungsringe zählen nicht zu den hier genannten landwirtschaftlichen Nebenbetrieben im Sinne des Unfallversicherungsrechts. Ein der landwirtschaftlichen UV unterliegender Nebenbetrieb liegt nach dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes nur dann vor, wenn der Unternehmer des landwirtschaftlichen und des anderen Betriebes personengleich sind (BSG 17, 22, 24). Eine solche Personengleichheit ist zwischen dem von einem eingetragenen Verein betriebenen Beratungsring und seinen Mitgliedern selbst dann nicht gegeben, wenn ihm nur Landwirte angehören. Er dient zwar wiederum der Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft seiner Mitglieder, er besitzt aber eigene Rechtspersönlichkeit und betreibt ein von den landwirtschaftlichen Betrieben seiner Mitglieder rechtlich unabhängiges eigenes Unternehmen.
Schließlich hat das LSG es zu Recht abgelehnt, die Beratungsringe etwa aus sonstigen Gründen als landwirtschaftliche Unternehmen anzusehen. Der nur unter besonderen Voraussetzungen bestehende und eingeschränkte Versicherungsschutz nach § 915 Abs. 1 Buchst. c RVO aF bei vorübergehenden Tätigkeiten für versicherte Unternehmer machte die damit Versicherten ohnehin nicht zu in der Landwirtschaft beschäftigten Personen, weil sie nicht in landwirtschaftlichen Betrieben tätig sind. Der somit allein noch in Betracht kommende und vom LSG herangezogene § 915 Abs. 2 RVO aF schrieb zwar vor, daß das RVA bestimmen kann, welche Unternehmenszweige als landwirtschaftliche Unternehmen gelten. Wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, war jedoch ein entsprechender Gleichstellungserlaß, anders als für die Milchkontrollvereine - BSG 14, 78, 80 -, nicht ergangen. Nach altem Recht konnten deshalb die Beratungsringe schon aus diesem Grunde nicht unter § 915 Abs. 2 RVO fallen.
Allerdings hat sich die Rechtslage jetzt durch § 776 Abs. 1 Nr. 4 RVO idF des UVNG geändert. Diese Vorschrift ist, obwohl sie erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils ergangen ist, gleichwohl in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen (BGHZ 9, 101; 24, 159; 36, 348; BSG 3, 95, 103), zumal die Beteiligten auch um die Feststellung streiten, ob die Beigeladenen etwa jetzt erst bei der Klägerin versichert sind (BSG 8, 252, 259). Danach umfaßt die landwirtschaftliche UV nunmehr auch Unternehmen zum Schutz und zur Förderung der Landwirtschaft einschließlich der landwirtschaftlichen Selbstverwaltung und ihrer Verbände (§ 359 Abs. 1 Nr. 5). Hierunter könnten an sich landwirtschaftliche Beratungsringe fallen. In der amtlichen Begründung zum Entwurf des UVNG (BT-Drucks. IV/120 S. 70 zu § 773) heißt es jedoch hierzu: "Neu sind ferner die Nummern 4 und 5; die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften für die hier genannten Unternehmen ergibt sich aus der Natur der Sache". Danach war mit der Einfügung der genannten Nummer 4 die Einbeziehung eines bisher nicht zur landwirtschaftlichen UV gehörenden Personenkreises in diese beabsichtigt. Der Begriff der Beschäftigung in der Landwirtschaft im Sinne des Krankenversicherungsrechts (Beschäftigung in einem landwirtschaftlichen Betrieb oder Nebenbetrieb) ist dadurch aber nicht geändert worden; er kann auch nach dem Inkrafttreten des UVNG nur im Sinne des alten Rechts ausgelegt werden. Es besteht kein Anhalt für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung der UV zugleich den Zuständigkeitsbereich der LKK verändern wollen. Dementsprechend sieht erst der Regierungsentwurf zum Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz (BR-Drucks. Nr. 363/59) in § 271 RVO vor, daß Mitglieder der LKK ihres Beschäftigungsortes diejenigen Versicherungspflichtigen sind, die in Unternehmen beschäftigt sind, die von der landwirtschaftlichen UV umfaßt werden. Diese geplante Neuregelung des Mitgliederkreises der LKK können die Gerichte nicht durch eine entsprechende gesetzliche Auslegung der zur Zeit noch gültigen §§ 235, 417 RVO vorwegnehmen, wie der Senat in 3 RK 44/60 vom 28. April 1964 (SozR § 235 RVO Nr. 3) bereits ausgesprochen hat. Es ist somit nicht möglich, die Unternehmen zur Förderung der Landwirtschaft im Sinne des § 776 Abs. 1 Nr. 4 RVO nF bereits jetzt als landwirtschaftliche Betriebe oder Nebenbetriebe im Sinne der KrV anzusehen.
Somit erweist sich das angefochtene Urteil sowohl für die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht als auch für die spätere als zutreffend, so daß die Revision als unbegründet zurückzuweisen ist, ohne daß es noch darauf angekommen wäre, ob alle Beigeladenen noch jetzt Ringleiter sind oder nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen