Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. März 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin befand sich vom 1. September 1970 bis zum 31. August 1973 bei ihrer Prozeßbevollmächtigten in Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin. Dafür bewilligte ihr die Beklagte Berufsausbildungsbeihilfe. Im dritten Ausbildungsjahr mußte die Klägerin, um an der Gehilfenprüfung teilnehmen zu können, einen von der Rechtsanwaltskammer veranstalteten Ausbildungskurs in Augsburg (A.) besuchen, der einmal wöchentlich, insgesamt an 31 Tagen, stattfand. Für die Fahrt von Lindau (L.) nach A. entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 899,– DM. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Erstattung dieser Kosten ab, weil für die Fahrkosten der Ausbildende aufzukommen habe (Bescheid vom 16. April 1973; Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 1973). Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 4. Dezember 1973 die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat am 6. März 1975 das angefochtene Urteil aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fahrkosten für die Teilnahme an dem Lehrgang zu erstatten. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin könne von der Beklagten Erstattung der Fahrkosten verlangen, denn diese Kosten seien von ihr und nicht von ihrer Prozeßbevollmächtigten zu tragen. Im Lehrvertrag vom 18. April 1970 habe die Prozeßbevollmächtigte keine dahingehende Verpflichtung übernommen. Diese Verpflichtung ergebe sich auch nicht aus dem Berufsbildungsgesetz (BBiG). Insbesondere habe sich die Prozeßbevollmächtigte des Lehrgangs in A. nicht zur Erfüllung ihrer eigenen Ausbildungsverpflichtung bedient. Die vor der Rechtsanwaltskammer durchgeführte Maßnahme habe den Zweck, für die Auszubildenden möglichst einheitliche Prüfungsvoraussetzungen zu schaffen, da erfahrungsgemäß nicht in allen Anwaltskanzleien alle Vorgänge in genügendem Maße vorkommen, die der Auszubildende am Schluß seiner Ausbildung kennen und selbständig bearbeiten können sollte. Die Maßnahme diene daher der Ergänzung des Prüfungswissens und der Ausfüllung von Ausbildungslücken sowie der Repetition und Prüfungsvorbereitung, nicht aber der Entlastung des Anwalts von seiner Ausbildungsverpflichtung. Daran ändere die Tatsache nichts, daß die Anwaltskammer die Übernahme der Kosten jetzt ihren Mitgliedern zur Standespflicht gemacht habe.
Mit der zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, der Ausbildende sei verpflichtet, dem Auszubildenden alle zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Dazu müsse er erforderlichenfalls Bildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte bereitstellen. Die Kosten für die Fahrt dorthin seien gleichsam Dienstreisekosten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. März 1975 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Dezember 1973 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und gemäß § 160 Abs. 1 des SGG zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Mit Recht hat das LSG das angefochtene Urteil des SG und die Bescheide des Arbeitsamts aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die geltendgemachten Fahrkosten zu erstatten. Der Anspruch der Klägerin ist gemäß § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in Verbindung mit der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (A-Ausbildung) vom 31. Oktober 1969 (ANBA 1970, 213) begründet.
Dahingestellt kann bleiben, ob es sich hier um Kosten der Fahrt zwischen der Unterkunft und der Ausbildungsstätte i. S. des § 13 Abs. 1 Nr. 7 A-Ausbildung handelt. Wenn der Ort des Lehrgangs bei der Rechtsanwaltskammer nicht als Ausbildungsstätte angesehen werden kann, wären jedenfalls die Fahrkosten durch die Ausbildung unvermeidbar entstanden (§ 14 A-Ausbildung). Die Klägerin war im Rahmen ihrer Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin nach den Feststellungen des LSG gehalten, den Lehrgang zu besuchen. Diese Kosten hatte die Klägerin und nicht ihre Prozeßbevollmächtigte als Ausbildende zu tragen.
Eine Pflicht der Ausbildenden zur Erstattung der Kosten für die Fahrten von L. nach A. kann – wie das LSG zu Recht ausgeführt hat – nicht dem BBiG entnommen werden. Allerdings hat der Ausbildende gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BBiG dafür zu sorgen, daß dem Auszubildenden alle im Ausbildungsberufsbild vorgesehenen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden (Kerkert, Berufsbildungsgesetz, § 6 Bem. 3). Wenn der Ausbildende diese Kenntnisse und Fertigkeiten im Betrieb nicht vermitteln kann, muß er gemäß § 22 Abs. 2 BBiG für eine ergänzende Ausbildungsmaßnahme außerhalb der Ausbildungsstätte sorgen (Herkert, aaO). Selbst für diesen Fall ist aber im BBiG nicht bestimmt, daß der Ausbildende etwa entstehende Fahrkosten zu erstatten habe. Ausdrücklich geregelt ist hingegen seine Pflicht, den Auszubildenden für Ausbildungsmaßnahmen, die außerhalb der Ausbildungsstätte durchzuführen sind und für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und an Prüfungen freizustellen (§ 7 BBiG) sowie seine Pflicht, ihm während der Zeit der Freistellung die Ausbildungsvergütung zu zahlen (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 BBiG). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in dieser Regelung eine Bestätigung dafür gesehen, daß der Ausbildende nach dem BBiG die Fahrkosten aus Anlaß des Berufsschulbesuchs nicht zu tragen habe. Dazu hat das BAG ausgeführt, der Gesetzgeber hätte eine derartige Pflicht im § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBiG regeln müssen, wenn er dem Ausbildenden solche Kosten hätte auferlegen wollen (AP § 6 BBiG Nr. 1). Hinsichtlich der in den gleichen Bestimmungen der §§ 7 und 12 Abs. 1 Nr. 1 BBiG geregelten Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte kann nichts anderes gelten (so für Maßnahmen nach § 22 Abs. 2 BBiG für den Regelfall Herkert, aaO, § 12 Bem. 9).
Die Pflicht der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zur Tragung der Kosten für die Fahrten von L. nach A. ergibt sich auch nicht aus dem Lehrvertrag. Ausdrücklich ist sie darin nicht geregelt. Nach § 4 Abs. 2 des Vertrages hat der Lehrherr den Lehrling zum Besuch der besonderen für Anwaltslehrlinge eingerichteten zusätzlichen Berufserziehung (Lehrgang, Übungsbüro usw.) anzuhalten. Der Vertrag enthält insoweit keine Lücke, die dahin auszufüllen wäre, daß der Ausbildende die Kosten der Fahrt zu solchen Lehrgängen zumindest in Fällen wie dem vorliegenden zu tragen hätte. Nach den Feststellungen des LSG sind die Kurse in A. nicht durchgeführt worden, um den Anwalt von seiner Ausbildungspflicht zu entlasten. Vielmehr hat die Anwaltskammer die Kurse eingerichtet, um die Prüfungsvoraussetzungen zu vereinheitlichen. Es ging also nicht darum, daß gerade die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten in vollem Umfange zu vermitteln. Nur allgemein liegt der Maßnahme nach den Feststellungen des LSG die Erfahrung zugrunde, daß nicht in allen Anwaltskanzleien alle Vorgänge in genügendem Maße vorkommen. Dies reicht aber für die hier fragliche Lückenausfüllung des Ausbildungsvertrages nicht aus. Wenn der Ausbildende den Ausbildungspflichten aus dem Vertrag nicht voll nachkommen kann, wird er nach dem Willen beider vertragschließenden Parteien möglicherweise als verpflichtet anzusehen sein, alle Kosten für die deshalb erforderliche Ausbildungsmaßnahme außerhalb der Ausbildungsstätte zu tragen; anders aber, wenn diese Maßnahmen durch Entscheidungen der zuständigen Stelle eingerichtet werden und für die Auszubildenden obligatorisch sind. Dann ist mangels ausdrücklicher Regelung im Ausbildungsvertrag nicht ohne weiteres anzunehmen, daß der einzelne Ausbildende etwaige Fahrkosten zu der Ausbildungsmaßnahme übernehmen wollte. Unerheblich ist dabei, daß im vorliegenden Falle die Prozeßbevollmächtigte Mitglied der Anwaltskammer und damit der zuständigen Stelle für die Berufsausbildung der Rechtsanwaltsgehilfen ist (§§ 87 Abs. 1, 44 BBiG) und weiterhin, daß nach den Feststellungen des LSG die eingeschränkte Eignung mancher Rechtsanwaltskanzleien Anlaß für die Maßnahme in A. war.
Die Ausfüllung der Lücke im Ausbildungsvertrag durch eine örtlich etwa bestehende Übung unter den Anwälten, die Fahrkosten nach A. zu tragen (vgl. BAG, aaO), scheidet nach den Feststellungen des LSG aus.
Hat aber die Klägerin die streitigen Fahrkosten selbst zu tragen, so sind sie ihr im Rahmen der Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe durch die Beklagte zu erstatten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Brocke, Bender, Dr. Danckwerts
Fundstellen