Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung des Versorgungskrankengeldes. Anrechnung des Brutto- oder Nettoentgelts. Arbeitseinkommen

 

Leitsatz (amtlich)

Auch wenn der Berechtigte durch eine stundenweise Tätigkeit während des Bezuges von Versorgungskrankengeld Arbeitsentgelt erhält, ist das Versorgungskrankengeld nach § 16f Abs 1 S 1 BVG zu kürzen.

 

Orientierungssatz

1. § 16f Abs 1 S 1 und Abs 2 BVG entspricht systematisch § 18 Abs 1 und 2 RehaAnglG. Deshalb sind auch die Kürzungsvorschriften im Zusammenhang mit der Lohnersatzfunktion des Versorgungskrankengeldes gesehen und in Anlehnung an die entsprechende Krankengeldregelung (§ 189 RVO) formuliert worden. Auch die Kürzungsvorschriften sollen dafür sorgen, daß dem Berechtigten während der Rehabilitation das erreichte Lohnniveau sorgenlos erhalten bleibt, daß ihm aber keine zusätzlichen Gewinnchancen geboten werden (vgl BSG vom 25.6.1985 9a RV 29/84).

2. Ist der Sachverhalt dadurch gekennzeichnet, daß in einem Teil der Arbeitszeit ambulante Heilbehandlung durchgeführt werden muß (§ 13 Abs 1 Nr 2 Alt 2 RehaAnglG = Arbeitsunfähigkeit gemäß § 16 Abs 2 Buchst b BVG), während der Berechtigte in der übrigen Arbeitszeit die Lohnarbeit fortsetzt, sieht das Gesetz nicht die Berechnung von Stundenübergangsgeld vor, sondern nur eine Berechnung für ganze Kalendertage. Dann läßt sich der "Lohnersatz" für die Maßnahme der Rehabilitation am besten durch den Abzug dessen vom ungekürzten Übergangsgeld errechnen, was der Berechtigte für den betreffenden Kalendertag an tatsächlich ausgezahltem Lohn erhält.

3. Durch eine Kürzung des Übergangsgeldes um 80 vH des Bruttoarbeitsentgelts kann der ausgefallene Lohn nicht ersetzt werden. Denn das Übergangsgeld seinerseits darf den Nettolohn nicht übersteigen (§ 13 Abs 2 RehaAnglG = § 16a Abs 1 S 1 BVG) und erreicht deswegen meistens nicht 80 vH des Bruttoarbeitsentgelts. Das Übergangsgeld dennoch in Anwendung des § 16f Abs 2 BVG zusätzlich um die gesetzlichen Abzüge zu kürzen, würde vielmehr bedeuten, dem Rehabilitanden ein finanzielles Opfer aufzuerlegen und der Rehabilitation deswegen eine abschreckende Wirkung zu verleihen. Es kommt daher nur eine Kürzung um das Nettoarbeitsentgelt iS von § 18 Abs 1 RehaAnglG gemäß § 16f Abs 1 S 1 BVG in Frage. Nur diese Regelung orientiert sich nach dem Sachzusammenhang am Lohnersatz.

4. Der Begriff Arbeitseinkommen in § 18 Abs 2 RehaAnglG und in § 16f Abs 2 BVG entspricht dem des § 15 SGB 4.

 

Normenkette

BVG § 16a Abs 1 S 1, § 16b Abs 1 S 1, § 16f Abs 1 S 1, § 16f Abs 1 S 2, § 16f Abs 2, § 16 Abs 2 Buchst b; RehaAnglG § 13 Abs 1 Nr 2 Alt 2, § 13 Abs 2, § 18 Abs 1 S 1, § 18 Abs 2; SGB 4 § 15

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.06.1983; Aktenzeichen L 7 V 85/82)

SG Detmold (Entscheidung vom 26.03.1982; Aktenzeichen S 18 V 260/81)

 

Tatbestand

Der Kläger war als Kraftfahrer beschäftigt (Stundenlohn 11,35 DM). Wegen eines durch Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) verursachten chronischen Geschwürleidens stand er auch in der umstrittenen Zeit vom 28. April bis zum 31. Juli 1980 in ambulanter ärztlicher Behandlung. An acht Tagen mußte er den Arzt während seiner Arbeitszeit aufsuchen. Für die deswegen versäumten Arbeitsstunden (14,55 Stunden) erhielt er von seinem Arbeitgeber keinen Lohn. Die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) zahlte dem Kläger deswegen nach den §§ 16 ff BVG Übergangsgeld (jetzt Versorgungskrankengeld), das sie auf Anweisung des Beklagten nach § 16a Abs 1 und 2 BVG berechnet und nach § 16f Abs 2 BVG gekürzt hatte (Auszahlungssumme für die versäumten Arbeitsstunden insgesamt 18,24 DM).

Als der Kläger sich gegen die Kürzung des Übergangsgeldes um 80 vH des Bruttolohnes für die noch geleisteten Arbeitsstunden (§ 16f Abs 2 BVG) wandte und stattdessen nur eine Kürzung um den Nettolohn gem 16f Abs 1 Satz 1 BVG verlangte, bestätigte der Beklagte die Höhe des ausgezahlten Übergangsgeldes und stellte mit Bescheid vom 27. Juli 1981 den Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld unter Berechnung nach § 16f Abs 2 BVG fest.

Dagegen hat das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, das Übergangsgeld für die umstrittenen acht Kalendertage "unter Kürzung um das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt nach § 16f Abs 1 Satz 1 BVG zu berechnen" (Urteil vom 26. März 1982). Die zugelassene Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 23. Juni 1983): Die vom Beklagten vorgenommene Berechnung des Übergangsgeldes nach § 16f Abs 2 BVG sei mit der Entstehungsgeschichte und dem Sinn der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 16f Abs 1 und 2 BVG. Die Sonderregelung des § 16f Abs 1 Satz 2 BVG gegenüber § 18 Abs 1 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881 -RehaAnglG-) lasse erkennen, daß der Gesetzgeber sowohl den Abs 1 als auch den Abs 2 des § 16f BVG anders regeln wollte als in den übrigen Rehabilitationsbereichen. Die drei Begriffe "Arbeitsentgelt" (Abs 1 Satz 1), "Einkünfte" (Abs 1 Satz 2) und "Arbeitseinkommen" (Abs 2) rechtfertigten nach gesetzessystematischen Gesichtspunkten die Auslegung, daß Abs 1 nur die Kürzung von Übergangsgeld vorsehe, das nichterwerbstätige Berechtigte erhielten, wogegen Abs 2 alle Berechtigten - Arbeitnehmer und Selbständige - erfasse, die noch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit nutzten. Arbeitseinkommen sei hier der Oberbegriff für Arbeitsentgelt und Einkünfte des Abs 1.

Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland schließt sich dem an.

Der Beklagte beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und die beigeladene AOK beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtenen Urteile für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, daß das dem Kläger zustehende Übergangsgeld jeweils nur um den Nettobetrag des Teillohnes gekürzt werden darf, den er für dieselbe Zeit erhalten hat.

Anzuwenden ist das BVG idF der Bekanntmachung vom 22. Juni 1976 (BGBl I, 1633), zuletzt geändert durch das Zehnte Gesetz über die Anpassung der Leistungen des BVG (10. Anpassungsgesetz-KOV -10. AnpG-KOV-) vom 10. August 1978 (BGBl I, 1217). Das Gesetz schreibt in § 16f Abs 1 Satz 1 BVG vor, daß das Übergangsgeld "um das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt" zu kürzen ist, wenn der Berechtigte während des Bezuges von Übergangsgeld Arbeitsentgelt erhält. Nach § 16f Abs 1 Satz 2 BVG sind die Einkünfte Selbständiger in Höhe von 80 vH der als Regellohn geltenden Beiträge zu kürzen. Dieselbe Kürzungsmethode schreibt § 16f Abs 2 BVG für den Fall vor, daß "der Berechtigte durch eine Tätigkeit während des Bezugs von Übergangsgeld Arbeitseinkommen" erzielt.

Die zuerst genannte Vorschrift trifft hier schon nach ihrem Wortlaut zu (ebenso Wilke/Wunderlich, BVG, 5. Aufl 1980, S 184; aA ohne Begründung: Werba in Vorberg/van Nuis, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, 4. Aufl 1984, Bd III, Anm zu § 16f Abs 2 und Rohr/Strässer, BVG, 6. Aufl 1985, Anm 1 und 4 zu § 16f BVG). Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger das Arbeitsentgelt trotz seiner Arbeitsunfähigkeit (vgl § 16 Abs 2 BVG) durch Arbeit - Teilzeitarbeit - erzielt hat. Denn diese Arbeit war keine Tätigkeit iS des § 16f Abs 2 BVG.

Zu Recht haben die Vorinstanzen dafür auch auf das RehaAnglG verwiesen, das mit der Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung, gesetzlichen Unfallversicherung, den gesetzlichen Rentenversicherungen, der Altershilfe für Landwirte, der Arbeitsförderung und der Kriegsopferversorgung auch die §§ 16 ff in das BVG eingefügt hat (vgl § 2 Abs 1 RehaAnglG). § 16f Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BVG ist wortgleich mit § 18 Abs 1 und 2 RehaAnglG und mit den durch das RehaAnglG neugefaßten Abs 1 und 2 des § 1241f Reichsversicherungsordnung (RV0), § 18f Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), § 40f Reichsknappschaftsgesetz (RKG) und § 59e Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Nach der Grundsatzregelung des § 18 RehaAnglG wird die Kürzungsvorschrift für Unselbständige in Abs 1 derjenigen für Selbständige in Abs 2 gegenübergestellt: "(1) Erhält der Behinderte während des Bezuges von Übergangsgeld Arbeitsentgelt, so ist das Übergangsgeld um das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt zu kürzen,..." "(2) Erhält der Behinderte durch eine Tätigkeit während des Bezuges von Übergangsgeld Arbeitseinkommen, so ist das Übergangsgeld um 80 vH des erzielten Arbeitseinkommens zu kürzen." Der Gesetzgeber des RehaAnglG verfolgte mit der Übergangsgeldregelung vor allem das Ziel, den Behinderten (Rehabilitanden) während der Rehabilitationsmaßnahme von einer Erwerbstätigkeit abzuhalten, damit er sich mit aller Kraft seiner Wiedereingliederung (§ 1 Abs 1 RehaAnglG) widmen könne (Begründung zum 2. Regierungsentwurf eines RehaAnglG - Gesetzesbegründung -, BT-Drucks 7/1237 zu § 18 S 61). Deshalb sind auch die Kürzungsvorschriften im Zusammenhang mit der Lohnersatzfunktion des Übergangsgeldes (im Versorgungsrecht durch das Gesetz vom 22. Dezember 1981 - BGBl I, 1497 - seit dem 1. Januar 1982 als Versorgungskrankengeld bezeichnet) gesehen und in Anlehnung an die entsprechende Krankengeldregelung (§ 189 RVO) formuliert worden. Auch die Kürzungsvorschriften sollen dafür sorgen, daß dem Berechtigten während der Rehabilitation das erreichte Lohnniveau sorgenlos erhalten bleibt, daß ihm aber keine zusätzlichen Gewinnchancen geboten werden (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des Senats vom 25. Juni 1985, 9a RV 29/84).

Dieser vom RehaAnglG vorgegebene Zweck der Übergangsgeldzahlung läßt sich in Fällen der vorliegenden Art in augenfälliger Weise einfach erreichen. Der Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß in einem Teil der Arbeitszeit ambulante Heilbehandlung durchgeführt werden muß (§ 13 Abs 1 Halbs 2 Alternative 2 RehaAnglG = Arbeitsunfähigkeit gem § 16 Abs 2 Alternative 2 BVG), während der Berechtigte in der übrigen Arbeitszeit die Lohnarbeit fortsetzt. Dafür sieht das Gesetz nicht die Berechnung von Stundenübergangsgeld vor, sondern nur eine Berechnung für ganze Kalendertage. Dann läßt sich der "Lohnersatz" für die Maßnahme der Rehabilitation am besten durch den Abzug dessen vom ungekürzten Übergangsgeld errechnen, was der Berechtigte für den betreffenden Kalendertag an tatsächlich ausgezahltem Lohn erhält.

Damit wird zugleich verdeutlicht, daß durch eine Kürzung des Übergangsgeldes um 80 vH des Bruttoarbeitsentgelts (einschließlich der gesetzlichen Abzüge) der ausgefallene Lohn nicht ersetzt werden kann. Denn das Übergangsgeld seinerseits darf den Nettolohn nicht übersteigen (§ 13 Abs 2 RehaAnglG = § 16a Abs 1 Satz 1 BVG) und erreicht deswegen - wie der Fall des Klägers zeigt - meistens nicht 80 vH des Bruttoarbeitsentgelts. Das Übergangsgeld dennoch in Anwendung des § 16f Abs 2 BVG zusätzlich um die gesetzlichen Abzüge zu kürzen, würde vielmehr bedeuten, dem Rehabilitanden ein finanzielles Opfer aufzuerlegen und der Rehabilitation deswegen eine abschreckende Wirkung zu verleihen. Zu Recht vertreten deshalb die Vorinstanzen entgegen der Meinung des Beklagten die Ansicht, daß hier nur eine Kürzung um das Nettoarbeitsentgelt iS von § 18 Abs 1 RehaAnglG gem § 16f Abs 1 Satz 1 BVG in Frage kommt. Nur diese Regelung orientiert sich nach dem Sachzusammenhang am Lohnersatz.

Auch der Gesetzeszusammenhang stimmt damit überein. Die Vorschrift über die Berechnung des Übergangsgeldes mit der Begrenzung auf die Höhe des Nettoarbeitsentgelts (§ 13 Abs 2 RehaAnglG = § 16a Abs 1 Satz 1 BVG) entspricht der das Nettoarbeitsentgelt erfassenden Kürzungsvorschrift für unselbständig Beschäftigte (§ 18 Abs 1 RehaAnglG = § 16f Abs 1 Satz 1 BVG). Das bringen auch die Gesetzesmaterialien eindeutig zum Ausdruck (Gesetzesbegründung, aaO, zu § 18 Abs 1 S 61). Auch die Vorschrift über die Berechnung des Übergangsgeldes für Selbständige (§ 16b Abs 1 BVG), die auf den steuerlichen Gewinn abstellt, korrespondiert sachgerecht mit der Kürzungsvorschrift des § 16f Abs 2 BVG (= § 18 Abs 2 RehaAnglG); das Gesetz verwendet hier den Begriff "Arbeitseinkommen" schon in dem Sinne, wie ihn § 15 Sozialgesetzbuch, 4. Buch, Sozialversicherung (SGB 4) später für die Sozialversicherung mit bindender Wirkung definiert (vgl Meyer, MittLVA Oberfr 1980, 41 ff, 76). Nach den Gesetzesmaterialien wurde diese Kürzungsvorschrift eigens für Selbständige geschaffen, die während der Rehabilitation aus einer Tätigkeit Arbeitseinkommen erzielen (Gesetzesbegründung, aaO, zu § 18 Abs 2 S 61). Zur Berücksichtigung der in der Kriegsopferversorgung bestehenden Besonderheiten bedurfte es dann nur noch zusätzlich der Regelung des § 16f Abs 1 Satz 2 BVG für nichterwerbstätige Selbständige (Gesetzesbegründung, aaO, zu Nr 5 - §§ 16 bis 16f BVG - S 75), der ebenfalls mit § 16b Abs 1 BVG sach- und zweckgerecht übereinstimmt. Danach muß es inhaltlich als bedeutungslos angesehen werden, daß § 16f Abs 1 Satz 2 BVG nicht systemgerecht dem Absatz 2 zugeordnet wurde, der im Unterschied zu Absatz 1 die Gruppe der Selbständigen betrifft.

Die genannten Motive des RehaAnglG stützen uneingeschränkt auch die Auslegung der umstrittenen Normen des BVG. Der Senat hat bereits entschieden, daß die Vorschriften im zweiten Abschnitt des RehaAnglG (§§ 9 bis 20) einen einheitlichen Leistungsrahmen aufstellen, der in die Einzelgesetze transformiert wurde. Dementsprechend wurden die Leistungsvorschriften in den für die einzelnen Rehabilitationsträger geltenden Gesetzen nach den Grundsätzen des zweiten Abschnittes ergänzt (Urteil des Senats vom 5. März 1981, 9 RV 28/80, in: Die Leistungen 1981, 208; auszugsweise veröffentlicht in USK 8140).

Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656539

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