Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung der Existenzgrundlage. Einheitswert
Leitsatz (amtlich)
1. Landwirtschaftlicher Unternehmer iS des § 1 GAL kann auch sein, wer sein Unternehmen als Liebhaberei ohne Gewinnabsicht betreibt.
2. Die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen in der Größe mindestens einer Existenzgrundlage ist auch dann der Landwirtschaft zuzuordnen, wenn sie der Haltung von Reitpferden dient.
Orientierungssatz
Die durch § 1 Abs 4 S 1 GAL begründete gesetzliche Vermutung ist unwiderleglich (vgl BSG vom 1977-03-08 11 RLw 2/76 = BSGE 43, 215); insoweit bleiben die steuerlichen Einheitswerte, solange sie nicht berichtigt sind, maßgebend.
Normenkette
GAL § 1 Abs 3 Fassung: 1972-07-26; KVLG § 65 Abs 3 Fassung: 1972-08-10; GAL § 1 Abs 4 Fassung: 1972-07-26; GAL § 1 Abs 4a Fassung: 1972-07-26; GAL § 1 Abs 4 S 1 Fassung: 1972-07-26
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.02.1980; Aktenzeichen L 10 Lw 1927/78) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 09.10.1978; Aktenzeichen S 4 Lw 1957/78) |
Tatbestand
Der eine Verpackungsmaschinenfabrik betreibende Kläger pachtete für die Zeit von September 1972 bis September 1984 etwa 10 ha Wiese und Weiden nebst Stallung und Scheune. Er hielt dort bis zu fünf Reitpferde und zog gelegentlich Fohlen. Die beklagte Landwirtschaftliche Alterskasse nahm den Kläger mit Wirkung vom 1. Januar 1974 in ihr Mitgliederverzeichnis auf und veranlagte ihn zugleich von diesem Zeitpunkt an zur Beitragszahlung; für die vorangegangene Zeit sah sie wegen Verjährung von Ansprüchen ab (Bescheid vom 29. September 1976, Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 1978).
Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben (Urteil vom 9. Oktober 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Februar 1980). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger sei landwirtschaftlicher Unternehmer iS des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL). Hierfür sei es unerheblich, daß er die Landwirtschaft als Liebhaberei und nicht mit Gewinnabsicht betreibe. Er bewirtschafte zum Zwecke der Pferdehaltung und -zucht den gepachteten Boden, indem er die Wiesen mit dem Pferdedünger und hinzugekauftem Kuhdünger düngen lasse; das Gras werde von den Pferden abgeweidet oder aber zu Heu gemacht. Insoweit reiche es für das übliche Bild eines landwirtschaftlichen Unternehmens aus, daß die Tiere zu einem nicht unbeträchtlichen Teil mit eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen gefüttert würden. Wenn der Kläger auch Hafer, Stroh und Kraftfutter habe kaufen müssen, so habe er doch in normalen Jahren das notwendige Gras und Heu selbst erzeugt. Das landwirtschaftliche Unternehmen stelle auch eine Existenzgrundlage iS des § 1 Abs 3 bis 4a GAL dar. Von dem gepachteten Land überschreite schon das im Eigentum des Verpächters stehende die von der Beklagten festgesetzte Mindesthöhe von 6.000,-- DM bis 1976 und 3.800,-- DM danach; der Einheitswert dieses Landes habe bis 1976 6.833,-- DM und danach 5.387,-- DM betragen. Nehme man das untergepachtete Land von mehr als 4 ha hinzu, so werde die Mindesthöhe bis 1976 um mehr als 6.000,-- DM und danach um mehr als 5.000,-- DM überschritten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe ihn zu Unrecht als landwirtschaftlichen Unternehmer iS des § 1 GAL angesehen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision konnte keinen Erfolg haben.
Nachdem während des Revisionsverfahrens der Kläger das Pachtverhältnis aufgehoben und die Beklagte mit Bescheid vom 22. September 1980 das Ende der Beitragspflicht zum 31. August 1980 festgestellt hat, sind streitig Mitgliedschaft und Beitragspflicht des Klägers zur Landwirtschaftlichen Alterskasse für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis zum 31. August 1980. Für diesen Zeitraum hat das LSG zu Recht Mitgliedschaft und Beitragspflicht bejaht und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. September 1976 abgewiesen.
Der Kläger ist landwirtschaftlicher Unternehmer iS des § 1 GAL. Er ist Unternehmer, da er hinsichtlich der gepachteten landwirtschaftlichen Nutzfläche Gewinn und Verlust trägt (§ 1 Abs 2 GAL). Daß beim Kläger das Tragen von Verlusten im Vordergrund steht, ist unerheblich. Unternehmer ist auch, wer sein Unternehmen als Liebhaberei ohne Gewinnabsicht betreibt. Das wird von der Revision auch nicht mehr angezweifelt.
Der Kläger ist entgegen der Ansicht der Revision auch landwirtschaftlicher Unternehmer. Zur landwirtschaftlichen Tätigkeit gehört die Bearbeitung des Bodens, die Aufzucht von Bodenerzeugnissen, die Verwertung dieser Bodenerzeugnisse, meist in Form der Aberntung, die Zucht und Pflege von Haustieren, der Verbrauch oder Verkauf der Produkte usw; das wesentliche Kennzeichen ist die Bodenbewirtschaftung; maßgebend ist allerdings stets der Blick auf die Gesamtheit der im Einzelfall vorgenommenen Tätigkeiten, wie der Senat in seinem Urteil vom 10. Mai 1979 (BSGE 48, 181, 182 f) ausgeführt hat. Da der Kläger die Wiesen gedüngt, Heu gewonnen oder das Gras von den Pferden hat abweiden lassen, zudem diese Pferde gehalten und Fohlen gezogen hat, ist ein landwirtschaftliches Unternehmen in diesem Sinne gegeben.
Der Senat hat allerdings in der angeführten Entscheidung (BSGE 48, 181) das dortige Unternehmen, obgleich in ihm ebenfalls der Boden bearbeitet und Pflanzen gezogen wurden, nicht der Landwirtschaft zugeordnet; daraus läßt sich aber nicht ableiten, daß auch im vorliegenden Falle eine "Landwirtschaft" verneint werden müsse. Der damalige Fall unterschied sich von dem vorliegenden dadurch, daß die dort aufgezogenen Pflanzen ausschließlich und unmittelbar der Wildäsung dienten; jenes Unternehmen hatte sich damit von dem sonst in der Landwirtschaft üblichen Bild so weit entfernt, daß sich hiernach insgesamt nicht mehr von einer Landwirtschaft sprechen ließ. Der Kläger beruft sich zu Unrecht auf diese Entscheidung. Er meint, das gelegentliche Ziehen von Fohlen sei unwesentlich gewesen; die verbleibende Nutzung der Grundstücke allein zur Haltung von Reitpferden stimme nicht mit dem nunmehr üblichen Bild eines landwirtschaftlichen Betriebes überein, bei dem die Feldarbeit nicht mit Pferden, sondern mit Traktoren erledigt werde. Bei gegebener Bodenbewirtschaftung ist es indes nicht notwendig, daß sich das Unternehmen vollständig in das übliche Bild der Landwirtschaft einfügt; nur wenn das Unternehmen trotz Bodenbewirtschaftung so weit wie in dem am 10. Mai 1979 entschiedenen Fall aus dem üblichen Erscheinungsbild der Landwirtschaft herausfällt, kann trotz Bodenbewirtschaftung die Zuordnung des Unternehmens zur Landwirtschaft verneint werden. Um einen solchen Fall handelt es sich bei der Haltung von Reitpferden - ob mit oder ohne Aufzucht von Fohlen - nicht. Das Pferd hat zwar seine Bedeutung für die landwirtschaftliche Feldbestellung eingebüßt. Die Landwirtschaft war jedoch nicht nur mit der Haltung von Arbeitspferden, sondern auch mit der Haltung von Reitpferden verbunden, wie die Tradition der ländlichen Reitervereine zeigt. In diesem Sinne ist durchaus die Pferdehaltung noch der Landwirtschaft zuzuordnen, ohne daß es auf die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall ankommt. Das Pferd steht immer noch der Landwirtschaft erheblich näher als die vom Jagdpächter gefütterten Wildtiere.
Das SG hatte gleichwohl ein landwirtschaftliches Unternehmen verneint, weil ein reiner Tierhalter- oder Tierzuchtbetrieb kein landwirtschaftliches Unternehmen sei. Das mag bei einer intensiven, nicht mehr auf eigener Bodenbewirtschaftung beruhenden Tierhaltung zutreffen, nicht jedoch hier, wo die Pferdehaltung und Fohlenaufzucht mit einer Bodenbewirtschaftung auf einer landwirtschaftlichen Fläche verbunden war, die eine Existenzgrundlage iS des GAL darstellte.
Das landwirtschaftliche Unternehmen des Klägers bildete unabhängig vom jeweiligen Unternehmer eine solche auf Bodenbewirtschaftung beruhende Existenzgrundlage (§ 1 Abs 3 GAL). Eine Existenzgrundlage ist nach § 1 Abs 4 GAL (idF vom 26. Juli 1972) insbesondere gegeben, wenn der Einheitswert die von der landwirtschaftlichen Alterskasse im Einvernehmen mit dem Gesamtverband festgesetzte Mindesthöhe erreicht. Maßgebend sind nach § 1 Abs 4a GAL die von den Steuerbehörden festgesetzten Einheitswerte, wie der Senat zu der vergleichbaren Vorschrift des § 65 Abs 3 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) bereits entschieden hat (SozR 5420 § 4 Nr 2). Hierzu hat das LSG festgestellt, daß der Einheitswert für die im Eigentum des Verpächters stehenden vom Kläger gepachteten 4,3028 ha in der Zeit bis zum 1. Januar 1977 mit 6.833,-- DM die bis zu diesem Zeitpunkt maßgebende Mindesthöhe von 6.000,-- DM und in der Zeit ab 1. Januar 1977 mit 5.387,-- DM die danach maßgebende Mindesthöhe von 3.800,-- DM überschritten habe; der Kläger habe darüber hinaus noch mehr als 4 ha landwirtschaftliche Grundstücke in Unterpacht gehabt. Damit ist eine Existenzgrundlage iS des § 1 GAL gegeben.
Hiergegen wendet die Revision zu Unrecht ein, daß die erwähnten Grundstücke, wie mehrfach unter Beweisantritt vorgetragen, wegen ihrer besonderen Lage und Beschaffenheit nicht geeignet seien, ein landwirtschaftliches Unternehmen zu tragen. Die behauptete eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit wäre nur dann bedeutsam, wenn aus diesem Grunde der steuerliche Einheitswert herabgesetzt worden wäre; das wird von der Revision jedoch nicht behauptet. Die Revision verkennt vielmehr, daß die durch § 1 Abs 4 Satz 1 GAL begründete gesetzliche Vermutung nicht widerleglich, sondern unwiderleglich ist (BSGE 43, 215, 216 = SozR 5850 § 1 Nr 2) und daß insoweit die steuerlichen Einheitswerte, solange sie nicht berichtigt sind, maßgebend bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen