Leitsatz (amtlich)
Die von Vater und Mutter übereinstimmend erklärte Bestimmung des zum Bezug des Kindergeldes Berechtigten (BKGG § 3 Abs 3 S 1) wird unwirksam, wenn einer von ihnen seine Erklärung gegenüber der Kindergeldkasse widerruft. Dies gilt auch, wenn die Eltern sich im Rahmen eines im Ehescheidungsverfahren geschlossenen gerichtlichen Vergleichs über die Bestimmung geeinigt hatten.
Normenkette
BKGG § 3 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1964-04-14
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Revisionsinstanz sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger über den Monat April 1970 hinaus Kindergeld (Kg) für seine drei Kinder aus der seit dem 23. Juli 1966 geschiedenen Ehe mit der Beigeladenen zu zahlen hat.
Die Beigeladene hatte im Mai 1964 der Kindergeldkasse gegenüber schriftlich ihr Einverständnis damit erklärt, daß dem Kläger, ihrem damaligen Ehemann, das Kg für die gemeinsamen Kinder gewährt werde. Während des Scheidungsrechtsstreits schlossen die Eheleute am 21. Juni 1966 vor dem Landgericht Aachen einen Vergleich über die Übertragung der elterlichen Gewalt, die Wohnung und die Wohnungseinrichtung sowie über die Unterhaltsleistungen des Klägers an die Beigeladene für sie selbst und die drei Kinder. In der Unterhaltsregelung heißt es, das Kg solle weiterhin an den Kläger gezahlt werden. Durch Beschluß des Amtsgerichts Düren vom 17. Oktober 1966 wurde die elterliche Gewalt über die Kinder der Beigeladenen übertragen, bei der sie seit der Scheidung leben.
Am 9. März 1970 erklärte die Beigeladene gegenüber der Kindergeldkasse, sie widerrufe ihre Erklärung, mit der sie den Kläger zum Bezugsberechtigten bestimmt habe; sie wolle nunmehr selbst Antrag auf Kg stellen. Daraufhin entzog die Beklagte mit Bescheid vom 11. März dem Kläger das Kg mit Ablauf des Monats April 1970. Sein Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 28. April 1970 mit der Begründung zurückgewiesen, die Anspruchsvoraussetzungen für ihn seien mit dem Widerruf der Beigeladenen weggefallen; da das Sorgerecht für die Person der Kinder der Beigeladenen übertragen worden sei, stehe nunmehr ihr der Anspruch auf das Kg nach § 3 Abs. 3 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zu.
Das Sozialgericht (SG) Aachen hat die mit der Klage angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger das Kg vom 1. Mai 1970 an weiterzugewähren. In dem Urteil vom 2. November 1970 wird ausgeführt, die in dem Vergleich getroffene Bestimmung, daß der Kläger nach der Ehescheidung das Kg weiterhin erhalten solle, könne nicht durch einseitige Erklärung gegenüber der Kindergeldkasse aufgehoben werden, weil der gerichtliche Vergleich einem Urteil gleichstehe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das sozialgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung wird ausgeführt: Die Kindergeldkasse sei verpflichtet, Kg an den ihr von beiden Eltern benannten Elternteil zu zahlen. Da sie gegen Ungewißheit über die Person des Bezugsberechtigten geschützt werden müsse, dürfe sie an die ihr bekanntgegebene Bestimmung des Berechtigten nur so lange gebunden sein, als deren Fortbestand nicht zweifelhaft sei. Träten Zweifel auf, so müsse sie auf die in § 3 Abs. 3 Satz 2 BKGG bei fehlender Bestimmung durch die Eltern vorgesehene Regelung zurückgreifen dürfen. Diese gesetzliche Regelung sei also nicht nur in den Fällen maßgebend, in denen die Eltern den Berechtigten noch nicht bestimmt hätten, sondern auch dann, wenn sie sich nicht mehr über den Berechtigten einig seien und dies der Kindergeldkasse auch nur von einem Elternteil angezeigt werde. Dabei sei es ohne Bedeutung, ob die Vereinbarung darüber, welcher Elternteil anspruchsberechtigt sein solle, in einem gerichtlichen Vergleich oder in einer anderen Form getroffen worden sei. Die Beklagte werde durch den zwischen den früheren Eheleuten vor dem Landgericht geschlossenen Vergleich nicht verpflichtet. Sie sei lediglich durch die ihr bereits im Mai 1964 bekanntgegebene Erklärung der Eltern so lange gebunden gewesen, als ihr nicht angezeigt worden sei, daß ein Elternteil nicht mehr an der Bestimmung des Berechtigten festhalte. Durch die Widerrufserklärung der Beigeladenen vom 9. März 1970 sei die Kindergeldberechtigung des Klägers mit Ablauf des Monats April 1970 entfallen. Seitdem sei das Kindergeld gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 BKGG der Mutter zu gewähren, weil ihr die Sorge für die Person der Kinder allein zustehe.
Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung des § 3 Abs. 3 BKGG. Der den zweiten Satz dieser Vorschrift einleitenden Wendung "Solange sie diese Bestimmung nicht getroffen haben" sei zu entnehmen, daß sich die anschließende gesetzliche Regelung nur auf die Zeit vor einer entsprechenden Vereinbarung beziehe, nicht aber auf die Zeit einer nachträglich eingetretenen Uneinigkeit. Im übrigen widerspreche die Auffassung des LSG, daß die Beigeladene sich einseitig von der in dem gerichtlichen Vergleich getroffenen Vereinbarung über die Bezugsberechtigung für das Kindergeld habe lossagen können, der Vorrangstellung des Vormundschaftsgerichts, die sich insbesondere aus § 3 Abs. 4 BKGG ergebe. Nur das Vormundschaftsgericht könne den Vergleich abändern, den es durch den Beschluß vom 17. Oktober 1966 "sanktioniert" habe. Die in dem Vergleich getroffenen Vereinbarungen über die Unterhaltsleistungen des Vaters für die Kinder, die Bezugsberechtigung für das Kindergeld und die Übertragung der elterlichen Gewalt ständen zueinander in einem wohlabgewogenen Verhältnis, das nicht durch Herausnahme einer der Regelungen gestört werden dürfe. Die Beklagte sei nicht befugt, in diese Gesamtregelung einzugreifen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 2. November 1970 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Beigeladene ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet. Erfüllen Vater und Mutter - wie im vorliegenden Fall der Kläger und seine beigeladene frühere Ehefrau - die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kg nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 BKGG, so wird nach § 3 Abs. 3 Satz 1 BKGG das Kg demjenigen von ihnen gewährt, den sie - Vater und Mutter - zum Berechtigten bestimmen. Solange sie diese Bestimmung nicht getroffen haben, wird das Kg demjenigen gewährt, der das Kind überwiegend unterhält; es wird jedoch der Mutter gewährt, wenn ihr - wie hier - die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht (Satz 2). Außerdem kann nach Abs. 4 Satz 2 der Vorschrift in den vorgenannten Fällen das Vormundschaftsgericht unter Berücksichtigung des Wohles der Kinder auf Antrag - auch des Jugendamts - den Berechtigten bestimmen. Das Gesetz gibt also - von der Eingriffsmöglichkeit des Vormundschaftsgerichts abgesehen - dem übereinstimmenden Willen der Eltern hinsichtlich der Bezugsberechtigung grundsätzlich den Vorrang gegenüber objektiven Tatbeständen. Zur "Bestimmung" des Berechtigten sind gegenüber der Kindergeldkasse abzugebende übereinstimmende Erklärungen beider Elternteile über die Person des Anspruchsberechtigten erforderlich, aber auch ausreichend. Die Kindergeldkasse hat nicht zu prüfen, wie diese Übereinstimmung unter den Eltern zustandegekommen ist, insbesondere nicht, ob sie auf einer besonderen Vereinbarung unter den Eltern beruht und dieser entspricht. Kommt es hiernach für die Leistungspflicht der Kindergeldkasse aber allein auf den von beiden Elternteilen erklärten Willen an, so entfällt die "Bestimmung", wenn ihr gegenüber erklärt wird, daß eine Übereinstimmung nicht mehr bestehe. Da eine Übereinstimmung begriffsnotwendig nicht mehr vorliegt, wenn sich einer der beiden Elternteile davon gelöst hat, muß dazu die Erklärung eines Elternteils genügen. Es besteht kein Anlaß zu der Annahme, der Gesetzgeber habe unterstellen wollen, eine einmal erzielte Einigung bestehe so lange fort, bis Übereinstimmung über eine abändernde Bestimmung vorliege. Entgegen der Auffassung des Klägers kann den Einleitungsworten des § 3 Abs. 3 Satz 2 "Solange sie diese Bestimmung nicht getroffen haben" nicht entnommen werden, die gesetzliche Ersatzregelung sei nur für die Zeit gedacht, bevor die Eltern überhaupt eine Bestimmung getroffen hätten, nicht aber auch für die Zeit nach dem Wegfall einer Bestimmung, ein solcher Wegfall sei also nicht möglich. Das Wort "solange" aaO bezieht sich vielmehr auf jeden Zeitraum, für den keine wirksame Bestimmung vorliegt. Das ergibt sich aus dem Bericht des Ausschusses für Arbeit (s. BT-Drucks. IV/1961 S. 3), der diese Regelung in das Gesetz eingefügt hat. Hiernach soll sich die Rangfolge nur dann nach der Unterhaltsgewährung - also der Ersatzregelung des § 3 Abs. 3 Satz 2 BKGG - richten, wenn eine Einigung der Eltern "noch nicht oder nicht mehr" vorliegt. Die Möglichkeit des späteren Wegfalls einer Übereinstimmung in der Bestimmung des Berechtigten hat also der Gesetzgeber mit der Folge vorgesehen, daß auch dann die gesetzliche Ersatzregelung eintritt. Es kann auch allein Sinn der Vorschrift sein, daß der tatsächlich - noch - vorliegende übereinstimmende Wille der Eltern einer Regelung nach objektiven Tatbeständen gegenüber den Vorrang erhält. Schließlich entspricht es auch dem Bedürfnis der Kindergeldkasse nach klaren Verhältnissen, daß sie nicht in Streitigkeiten unter den Eltern über die Bezugsberechtigung hineingezogen wird. Widerruft ein Elternteil seine früher abgegebene Erklärung über die Bestimmung des Berechtigten, so liegt keine Übereinstimmung mehr vor; die Kindergeldkasse hat dann die vom Gesetzgeber für diesen Fall als objektiv gerechtfertigt angesehene Regelung anzuwenden.
Im vorliegenden Fall war die Erklärung der beigeladenen Mutter, daß sie die Bestimmung des Klägers zum Berechtigten widerrufe, auch nicht etwa deshalb unwirksam, weil nach dem unter den Eltern vor dem Scheidungsgericht geschlossenen Vergleich das Kg weiterhin an den Vater der Kinder gezahlt werden sollte. Für die Kindergeldkasse sind, wie ausgeführt wurde, nur die ihr gegenüber abgegebenen Erklärungen der beiden Elternteile, nicht aber eine unter ihnen hierüber getroffene Vereinbarung von Bedeutung. Daran ändert hier auch die Form der Vereinbarung als gerichtlicher Vergleich nichts. Was sonst nicht zulässig oder gültig wäre, erlangt auch durch die Form des Prozeßvergleichs keine Kraft (s. Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung - ZPO -, 19. Aufl., § 794 Anm. II 1 c). Zwar findet gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aus einem gerichtlichen Vergleich die Zwangsvollstreckung statt, jedoch findet gerade die Regelung über die Zwangsvollstreckung bei Verurteilungen zur Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 ZPO, nämlich durch Fiktion der Abgabe mit Rechtskraft des Urteils, auf Prozeßvergleiche keine Anwendung (s. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., § 894 Anm. 2 A; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., § 132 II 2 b). Selbst wenn die - den bisherigen Zustand ohnehin nur bestätigende - Regelung in dem Vergleich als Erklärung auch gegenüber der Kindergeldkasse aufgefaßt werden könnte, hätte sie für diese keine weitergehende Bedeutung als die bereits früher abgegebenen Erklärungen über die Bestimmung des Klägers als Kindergeldberechtigtem. Sie bekundet zwar den Fortbestand der Übereinstimmung, ohne damit aber die Möglichkeit eines späteren Fortfalls dieses Zustandes auszuschließen. Dem steht auch nicht, wie die Revision meint, entgegen, daß das Vormundschaftsgericht - wie im Vergleich vorgesehen - der Mutter die elterliche Gewalt über die Kinder zugesprochen hat. Die Einigung über die Anspruchsberechtigung für das Kg steht allenfalls im Zusammenhang mit der im Vergleich getroffenen Unterhaltsregelung, die nur im Verhältnis der Eltern untereinander gilt und deren Disposition unterliegt. Die Frage, ob eine spätere einseitige Lösung von der Einigung über den Kindergeldbezug mit dem Sinn und Zweck des Vergleichs in Einklang steht, ist von der Kindergeldkasse ebenso wenig zu prüfen wie die, ob der Vergleich überhaupt wirksam geworden oder noch wirksam ist. Nachdem eine Übereinstimmung unter den Eltern nicht mehr vorlag, hatte sie die für diesen Fall getroffene gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 3 Satz 2 BKGG anzuwenden.
Nach dieser Vorschrift wird - ohne Rücksicht auf die sonst maßgebliche Gewährung des überwiegenden Unterhalts - das Kg der Mutter gewährt, wenn ihr allein die Sorge für die Person des Kindes zusteht. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift sind weder von den Beteiligten erhoben worden, noch nach Ansicht des Senats begründet. Sie erspart der Verwaltung die in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht oft schwierige Prüfung der Frage, wer ein Kind überwiegend unterhält. Dabei konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, daß in den Fällen, in denen der Mutter allein das Personensorgerecht zusteht, diese das Kind tatsächlich versorgt, wenn auch der Vater den überwiegenden Unterhalt bestreitet. Eine im Einzelfall durch diese Regelung etwa eintretende Benachteiligung des Vaters kann durch Anordnung des Vormundschaftsgerichts nach § 3 Abs. 4 Satz 2 BKGG verhindert werden. Sollte gleichwohl die Ungleichbehandlung von Vätern und Müttern in dieser Regelung als sachlich nicht hinreichend gerechtfertigt erscheinen, so würde eine daraus resultierende Grundgesetzwidrigkeit nicht die - auch im Interesse der Kinder - sachlich gebotene Regelung selbst, sondern nur ihre Beschränkung auf die Mütter (Regelfall) betreffen; sie wäre dann in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift auch auf Väter (Ausnahmefall) anzuwenden. Bei der praktischen Bedeutung dieser Regelung erscheint die Annahme gerechtfertigt, daß der Gesetzgeber, hätte er ernsthafte Bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift gehabt, sie nicht weggelassen, sondern als für beide Elternteile geltend erlassen hätte.
Demgemäß steht seit dem 1. Mai 1970 das Kg nicht mehr dem Kläger, sondern der Mutter zu. Der angefochtene Bescheid idF des Widerspruchsbescheides ist daher nicht rechtswidrig; das LSG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen