Leitsatz (amtlich)

Der Kinderzuschuß zur Rente des Versicherten ist für eine Zeit zwischen der Vollendung des 18. und des 25. Lebensjahres auch dann zu zahlen, wenn das Kind die Schulausbildung wegen einer Schwangerschaft unterbrechen muß.

 

Normenkette

RKG § 60 Abs. 3 Fassung: 1964-08-17, § 67 Fassung: 1964-08-17; RVO § 1262 Abs. 3 Fassung: 1964-08-17, § 1267 Abs. 1 Fassung: 1964-08-17

 

Tenor

Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26. April 1971 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für die Revisionsinstanz zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem verstorbenen Ehemann der Klägerin in der Zeit vom 1. Mai 1969 bis zum 30. September 1969 der Kinderzuschuß zur Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit zustand.

Der Ehemann der Klägerin bezog von der Beklagten seit dem 1. Mai 1962 die Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 4. Mai 1966 gewährte die Beklagte dem Versicherten den Kinderzuschuß für die am 9. Juni 1947 geborene Tochter Angela über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus, weil die Tochter des Versicherten seit dem Sommersemester 1966 als Studierende an der Sporthochschule immatrikuliert war. Die Tochter des Versicherten ließ sich für das Sommersemester 1969 vom Studium beurlauben, weil sie ein Kind erwartete. Die Beklagte stellte daraufhin die Zahlung des Kinderzuschusses zum 1. Mai 1969 ein und teilte dies dem Versicherten schriftlich mit. Der Widerspruch des Versicherten blieb ohne Erfolg.

Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) gewährte die Beklagte dem Versicherten mit Bescheid vom 15. Dezember 1969 den Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Oktober 1969 an, weil die Tochter des Versicherten, die am 13. Juni 1969 entbunden hatte, das Studium im Oktober 1969 wieder aufgenommen hatte. Der Versicherte starb am 13. Juli 1970. Seine Ehefrau setzte das durch seinen Tod unterbrochene Verfahren fort.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 26. April 1971 unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Juni 1969 und des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1969 verurteilt, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes den Kinderzuschuß für die Tochter Angela zur Rente ihres verstorbenen Ehemannes auch für die Zeit vom 1. Mai 1969 bis zum 30. September 1969 zu zahlen und darüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Das SG hat die Berufung zugelassen. In den Urteilsgründen ist das SG davon ausgegangen, die Tochter des Versicherten sei in der streitigen Zeit voll immatrikuliert geblieben. Gestützt auf eine Stellungnahme des Chefarztes Dr. A hat das SG angenommen, die Tochter des Versicherten habe sich für das Sommersemester 1969 berechtigt beurlauben lassen, ohne das Studium abzubrechen. Ihr sei die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Bestreitung ihres Unterhalts in diesen Semestermonaten, die den Versicherten von den erhöhten Aufwendungen für seine Tochter hätte entlasten können, nicht zumutbar gewesen. Zwar sei eine Schwangerschaft keine Krankheit, jedoch stelle sie einen besonderen körperlichen Zustand dar, der es ebenso wie in dem vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fall der krankheitsbedingten Unterbrechung der Ausbildung rechtfertige, die Zeit in die Ausbildung mit einzubeziehen.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der Sprungrevision angefochten und eine schriftliche Einverständniserklärung der Klägerin beigefügt. Sie ist der Ansicht, Schul- bzw. Berufsausbildung sei dann nicht anzunehmen, wenn ein Student sich aus anderen als Krankheitsgründen während eines ganzen Semesters beurlauben lasse. Grund für die Beurlaubung sei im vorliegenden Fall eine komplikationslose Schwangerschaft gewesen, die nicht einer Krankheit gleichzustellen sei. In einem solchen Falle könne die Fortsetzung der Ausbildung ebensowenig angenommen werden wie in dem Fall, in dem ein Student sich während eines oder mehrerer Semester beurlauben lasse, um zwischenzeitlich - etwa zum Zwecke der Finanzierung des weiteren Studiums - einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist im Verfahren vor dem BSG nicht vertreten.

II

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten hat keinen Erfolg, denn das SG hat die Beklagte mit Recht zur Gewährung des Kinderzuschusses für die streitige Zeit vom 1. Mai 1969 bis zum 30. September 1969 verurteilt.

Nach § 60 Abs. 3 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) wird der Kinderzuschuß zur Rente über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus bis längstens zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet. Das Studium an der Sporthochschule K ist eine Schulausbildung in diesem Sinne. Die Tochter des Versicherten ist auch in der streitigen Zeit an der Sporthochschule K voll immatrikuliert gewesen, so daß formell das Ausbildungsverhältnis fortbestand. Sie hat sich jedoch wegen der am 13. Juni 1969 erfolgten Geburt ihres Kindes für das Sommersemester 1969 beurlauben lassen, so daß sie auch nicht an den Vorlesungen und Übungen teilnahm und das Semester nicht auf die Ausbildung angerechnet wurde. Obwohl also die Ausbildung tatsächlich nicht fortgesetzt, sondern unterbrochen wurde, ist diese Zeit der Ausbildung zuzurechnen. Das BSG hat bereits mit überzeugender Begründung entschieden, daß die krankheitsbedingte Unterbrechung der Schul- oder Berufsausbildung nicht zum Wegfall der verlängerten Waisenrente führt (vgl. SozR Nrn. 16 und 42 zu § 1267 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Die Gründe, die zu diesen Entscheidungen geführt haben, gelten nicht nur für die Waisenrente, sondern auch für den Kinderzuschuß. Sie können auch nicht auf den Fall der krankheitsbedingten Unterbrechung der Ausbildung beschränkt bleiben, sondern treffen ebenso für die durch eine Schwangerschaft erzwungene Unterbrechung der Ausbildung zu. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß die Schwangerschaft keine Krankheit ist. Wie das SG zutreffend hervorgehoben hat, ist sie aber ein besonderer körperlicher Zustand, der zu ähnlichen Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit wie eine Krankheit führen kann. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG hat dieser Zustand die Tochter des Versicherten in der streitigen Zeit gehindert, ihr Studium fortzusetzen. Es konnte ihr auch nicht zugemutet werden, während dieser Zeit ihren Lebensunterhalt durch eine Berufstätigkeit zu verdienen. Deshalb kann der Beklagten auch nicht darin gefolgt werden, daß der vorliegende Fall ebenso zu betrachten sei, wie ein Fall, in dem sich ein Student während eines ganzen Semesters oder mehrerer Semester zum Zwecke der Finanzierung des weiteren Studiums durch eine Erwerbstätigkeit beurlauben läßt. Da die Tochter des Versicherten auf dessen Unterhaltsleistung weiterhin angewiesen blieb und der Kinderzuschuß gerade dazu dient, dem Rentenempfänger die Unterhaltsleistung zu ermöglichen, ist es gerechtfertigt, den Kinderzuschuß auch für eine Zeit der Unterbrechung des Studiums zu gewähren, während der das Kind wegen des körperlichen Zustands nicht in der Lage ist, das Studium fortzusetzen oder seinen Unterhalt selbst zu erwerben. Der Senat hatte nicht zu entscheiden, ob eine komplikationslose Schwangerschaft in jedem Fall eine Beurlaubung vom Studium und damit die Einbeziehung dieser Zeit in die Schulausbildung rechtfertigt. Das gilt nach den nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des SG, an die der Senat nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden ist, jedenfalls für eine Sportstudentin und insbesondere für die Tochter des Versicherten während der streitigen Zeit.

Der Senat hat die danach unbegründete Sprungrevision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669747

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