Leitsatz (redaktionell)

Bei der Beurteilung des überwiegenden Unterhalts kommt es auf die Gegebenheiten zwischen dem Versicherten und jedem einzelnen Familienangehörigen an; dabei sind die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend, ohne daß Unterhaltsverpflichtung einerseits und Unterhaltsberechtigung andererseits eine Rolle spielen.

Sofern es sich bei sämtlichen Familienmitgliedern um erwachsene und berufstätige Personen handelt, kann jeweils von einem etwa gleichhohen Unterhaltsbedarf ausgegangen werden; er kann in der Weise ermittelt werden, daß das Gesamtfamilieneinkommen durch die Zahl der Familienmitglieder geteilt wird.

In einem Mehrpersonenhaushalt hat der Versicherte den überwiegenden Unterhalt eines Familienangehörigen nicht bestritten, wenn aus dessen eigenem Einkommen und den Unterhaltsbeiträgen anderer Familienangehöriger bereits die Hälfte oder ein noch größerer Teil seines Unterhaltsbedarfes gedeckt werden kann; von diesem Grundsatz ist in einem Mehrpersonenhaushalt auch bei der Prüfung des überwiegenden Unterhalts des Ehegatten auszugehen.

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Februar 1966 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger nach § 1241 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zustehenden Übergangsgeldes.

Die Beklagte ist bei der Berechnung des Übergangsgeldes davon ausgegangen, der Kläger habe vor Beginn seines Heilverfahrens nur für einen Familienangehörigen, nämlich seinen noch in der Ausbildung befindlichen Sohn, den überwiegenden Unterhalt geleistet. Entsprechend hat sie auch entschieden. Die Klage, die auf Festsetzung des Übergangsgeldes unter Berücksichtigung des Umstandes gerichtet war, daß der Kläger auch seine Ehefrau überwiegend unterhalten habe, blieb erfolglos. Die gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) eingelegte Berufung ist durch das angefochtene Urteil zurückgewiesen worden.

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) betrug das Durchschnittseinkommen des Klägers vor Beginn des Heilverfahrens 413,- DM netto monatlich. Seine Ehefrau, die halbtags berufstätig war, hatte ein Nettoeinkommen von 229,- DM monatlich, während der Sohn eine monatliche Studienbeihilfe von 140,- DM bezog. Die ebenfalls in dem gemeinsamen Haushalt lebende Tochter ist vom LSG in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt worden, weil sie sich bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 380,- DM selbst habe unterhalten können.

Hiernach hat das LSG einen Betrag von 542,- DM (413,- + 229,- abzüglich 100,- DM-Unterhaltszuschuß für den Sohn-)errechnet, welcher dem Kläger und seiner Ehefrau monatlich zur Verfügung stand. Hinzu kommt - nach der Auffassung des LSG - der Wert der Haushaltsführung durch die Ehefrau, vom Berufungsgericht beziffert auf 200,- DM, so daß sich die Gesamteinkünfte des Ehepaares auf 742,- DM stellten. Bei dieser finanziellen Situation hat es das LSG für ungerechtfertigt gehalten, überwiegenden Unterhalt der Ehefrau durch den Kläger anzunehmen. Der Kläger habe zwar noch vorgetragen, daß er die anfallenden Schneiderarbeiten für seine Familie verrichte; dieses Vorbringen sei jedoch nicht zu berücksichtigen, weil es insoweit an einer Substantiierung fehle.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat das Rechtsmittel eingelegt. Er rügt, das LSG habe den Wert der von ihm geleisteten Schneiderarbeit nicht berücksichtigt. Über den Wert dieser Arbeit hätte das Gericht Feststellungen treffen müssen. Dies hätte sicherlich zu der Annahme geführt, daß er den überwiegenden Unterhalt seiner Ehefrau getragen habe.

Demgemäß beantragt der Kläger,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

Die Höhe des Übergangsgeldes (§ 1241 I RVO) richtet sich nach der Zahl der von dem Betreuten überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen (§ 1241 II RVO i. V. m. den dort bezeichneten Beschlüssen der Organe des Trägers der Rentenversicherung). Nach den durch die Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß der Kläger ein monatliches Nettoeinkommen von 413,- DM, seine Ehefrau ein solches von 229,- DM und die Tochter von 380,- DM bezog, während der Sohn eine Studienbeihilfe von 140,- erhielt.

Bei diesem Sachverhalt kommt es nach der Meinung des erkennenden Senats nicht auf den Wert etwaiger Schneiderarbeiten des Klägers an. Dieser Wert könnte möglicherweise dann von Bedeutung sein, wenn die vom 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 13. Februar 1964 (BSG 20, 148 ff) vertretene Auffassung auch auf einen Fall wie den vorliegenden angewandt werden könnte. In diesem Urteil heißt es nämlich u. a., wird das Gesamteinkommen des Versicherten und seines Ehegatten zur Bestreitung des Familienunterhalts verwandt und der Haushalt von ihnen gemeinsam geführt, so hat der Versicherte seinen Ehegatten bisher überwiegend unterhalten, wenn er während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor Eintritt des Versicherungsfalls mehr als sein Ehegatte verdient und daher einen höheren Beitrag zum gemeinsamen Familienunterhalt geleistet hat. Der erkennende Senat teilt diese - für Ehepaarhaushalte vertretene - Ansicht nicht in Fällen der hier zu entscheidenden Art, in denen Mehrpersonenhaushalte zu beurteilen sind. Anders als in dem vom 3. Senat entschiedenen Fall handelt es sich vorliegend nicht um einen Zweipersonen-Haushalt und der Haushalt ist auch nicht von den Ehegatten gemeinsam geführt worden.

Für einen Mehrpersonenhaushalt gelten jedenfalls im Rahmen des § 1241 RVO andere Gesichtspunkte. Dies hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 23. August 1966 - 4 RJ 173/65 - bereits näher dargelegt; er hat dahingehend erkannt, daß in einem solchen Haushalt ein Familienangehöriger von dem Betreuten nicht überwiegend unterhalten wird, wenn aus seinem Beitrag oder dem Beitrag eines anderen zur gemeinsamen Haushaltsführung wenigstens die Hälfte des auf ihn entfallenden Unterhaltsaufwands gedeckt ist.

Es kommt hiernach auf die Gegebenheiten zwischen dem Versicherten und jedem einzelnen Familienangehörigen an; entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse, ohne daß Unterhaltsverpflichtung einerseits und Unterhaltsberechtigung andererseits eine Rolle spielen. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hat das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger seine Ehefrau nicht überwiegend unterhalten hat. Es mag zwar im Einzelfalle schwierig sein, den Unterhaltsbedarf der einzelnen Familienmitglieder zu ermitteln. Häufig wird es auf Schätzungen ankommen; sie führen jedoch in der Praxis meist zu durchaus brauchbaren Ergebnissen. Eine Schätzung ist dann verhältnismäßig einfach, wenn sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Unterhaltsbedarf der einzelnen Familienmitglieder wesentlich voneinander abweicht. So liegt es hier, wo alle am Haushalt beteiligten Personen erwachsen sind und im Berufsleben stehen und deshalb erwartungsgemäß einen etwa gleichen Unterhaltsbedarf haben. Von dem LSG sind in dieser Hinsicht keine Ermittlungen angestellt worden. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers bestand dazu auch keine Veranlassung. Den Unterhaltsbedarf der einzelnen Mitglieder der Familie des Klägers wird man daher im vorliegenden Fall auf die Weise ermitteln können, daß das Gesamtfamilieneinkommen durch die Zahl der Familienmitglieder geteilt wird. Dies führt in keinem Fall zu dem Ergebnis, daß die Ehefrau des Klägers von diesem überwiegend unterhalten worden ist. Dabei kann dahinstehen, ob von einem Dreipersonenhaushalt auszugehen ist oder ob es sich im Hinblick auf die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebende Tochter um einen Vierpersonenhaushalt handelt. Stets liegt die Klägerin mit ihrem Einkommen über der Hälfte ihres eigenen Unterhaltsbedarfs. Dies gilt selbst dann, wenn der Wert der vom Kläger etwa geleisteten Schneiderarbeit den Wert der Haushaltsführung durch seine Ehefrau erreichen sollte.

Da nach alledem die Beklagte bei der Festsetzung des Übergangsgeldes zu Recht die Ehefrau des Klägers nicht mitberücksichtigt hat, muß die Revision zurückgewiesen werden (§§ 170 Abs. 1, 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387459

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