Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung des Stromeinspeisungsgesetzes
Beteiligte
Professor Dr. Fritz Ossenbühl |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin ist ein Energieversorgungsunternehmen in Schleswig-Holstein, das sich im Wesentlichen mit der Stromverteilung befasst. Nach Änderung des Stromeinspeisungsgesetzes vom 7. Dezember 1990 durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998 begehrt sie im Anschluss an ihre Verfassungsbeschwerde vom 25. September 1996 (2 BvR 1828/01) die Feststellung der Nichtigkeit des § 3 Abs. 2 Stromeinspeisungsgesetz (StrEsG) insoweit, als er für Strom aus Windkraft eine Vergütung vorsieht, die über die vermiedenen Kosten der Energieversorgungsunternehmen hinausgeht. § 2 StrEsG verpflichtet die Energieversorgungsunternehmen, den in ihrem Versorgungsgebiet erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen und den eingespeisten Strom nach § 3 StrEsG zu vergüten. Gemäß § 2 Satz 2 StrEsG 1998 trifft die Abnahme- und Vergütungspflicht für Strom aus Erzeugungsanlagen, die sich nicht im Versorgungsgebiet eines Netzbetreibers befinden, dasjenige Unternehmen, zu dessen für die Einspeisung geeignetem Netz die kürzeste Entfernung vom Standort der Anlage besteht. Gemäß § 3 Abs. 2 StrEsG beträgt die Vergütung für Strom aus Windkraft mindestens 90 v.H. des Durschnittserlöses je Kilowattstunde aus der Stromabgabe von Energieversorgungsunternehmen an alle Letztverbraucher.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Neuregelung von 1998 im Bereich der Windkraft nicht mit einer neuen, gegenwärtigen Beschwer für die Beschwerdeführerin verbunden war.
a) Ihrem Wortlaut nach ist die angegriffene Regelung des § 3 Abs. 2 StrEsG bei der Gesetzesänderung von 1998 unverändert geblieben. Allein die Tatsache, dass diese Bestimmung in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen und bestätigt wurde, setzt die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht erneut in Lauf (BVerfGE 80, 137 ≪149≫ m.w.N.; stRspr). Es kommt vielmehr darauf an, ob sich aus dieser Regelung durch die Änderung anderer Bestimmungen des Gesetzes für die Beschwerdeführerin eine neue belastende Wirkung ergibt; nur dann beginnt die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG neu zu laufen (BVerfGE 12, 10 ≪24≫; 45, 104 ≪119≫; 78, 350 ≪356≫). Außerdem muss es sich dabei um eine gegenwärtige Beschwer handeln. Nicht ausreichend ist, wenn die Beschwerdeführerin von der Bestimmung irgendwann in der Zukunft („virtuell”) betroffen sein könnte (BVerfGE 1, 97 ≪102≫; 74, 297 ≪320≫). Gegenwärtig ist die Beschwer auch, wenn sie den Normadressaten mit Blick auf seine künftige Wirkung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird (BVerfGE 74, 297 ≪320≫; 97, 157 ≪164≫; 102, 197 ≪207≫).
b) aa) Eine neue Beschwer für die Beschwerdeführerin durch die Gesetzesänderung von 1998 kommt zum einen durch die Erstreckung des Anwendungsbereichs des Gesetzes auf Strom aus Biomasse (§ 1 Satz 1 StrEsG 1998) in Betracht. Jedoch beschränkt sich der Antrag der Beschwerdeführerin darauf, § 3 Abs. 2 StrEsG insoweit für nichtig zu erklären, als er Strom aus Windkraft betrifft, so dass die Vergütungspflicht für Strom aus Biomasse hiernach keine in diesem Verfassungsbeschwerde-Verfahren beachtliche Beschwer begründen kann.
bb) Zum anderen kommt als neue Beschwer die Erweiterung der Abnahmepflicht auf solche Erzeugungsanlagen in Betracht, die sich nicht im Versorgungsgebiet eines Netzbetreibers befinden und zu denen die Beschwerdeführerin im Vergleich zu anderen Unternehmen die kürzeste Entfernung hat (§ 2 Satz 2 StrEsG 1998). Von § 2 StrEsG 1990 war der Fall, dass eine Erzeugungsanlage nicht im Versorgungsgebiet eines Energieversorgungsunternehmens liegen könnte, nicht erfasst. Die Neuregelung sollte insoweit eine Klarstellung sein (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs, BTDrucks 13/5357, S. 5). Laut Stellungnahme der Bundesregierung (BTDrucks 13/5357, S. 7) ist damit die Abnahmepflicht für Offshore-Anlagen geregelt; so sieht es auch die Beschwerdeführerin.
Bislang hat in der Bundesrepublik Deutschland die Windkraftnutzung auf See jedoch noch nicht begonnen. Die Windenergieprojekte auf See sind noch mit erheblichen technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Die Vorbereitungsphase, in der Untersuchungen an den möglichen geeigneten Standorten stattfinden sollen, wird voraussichtlich noch bis zum Jahr 2003 dauern. Mit dem Bau und Betrieb erster Pilot-Windparks auf See ist erst ab 2003/2004 zu rechnen (vgl. Tabelle 2, in: Windenergienutzung auf See, Positionspapier des BMU, Stand: 25. Mai 2001). Die Beschwerdeführerin kann deshalb seit der Neuregelung von 1998 durch Offshore-Anlagen nicht belastet gewesen sein.
Heute steht fest, dass das Stromeinspeisungsgesetz von 1998 für Offshore-Anlagen nie gegolten hat und auch nicht mehr gelten wird. Denn am 1. April 2000 ist dieses Gesetz außer Kraft getreten und durch das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien (EEG) vom 29. März 2000 (BGBl I S. 305) ersetzt worden. § 7 EEG regelt nunmehr die Vergütungspflicht für Strom aus Windkraft, wobei die Vergütung nicht mehr aus dem Durchschnittserlös berechnet wird, sondern in absoluten Pfennigbeträgen angegeben ist (zur Vergütung für Strom aus Offshore-Anlagen vgl. § 7 Abs. 1 S. 4 EEG). Diese in ihrer Struktur geänderte Vergütungsregelung hat die Beschwerdeführerin nicht angegriffen.
Eine neue Beschwer durch das Stromeinspeisungsgesetz von 1998, die für die Beschwerdeführerin im Bereich der Windkraft allein in der Erstreckung der Abnahmepflicht auf Offshore-Anlagen in Betracht kam, hat sich im zeitlichen Geltungsbereich des angegriffenen Gesetzes damit nicht als gegenwärtige aktualisiert. Allein wegen einer rein „virtuellen” Beschwer kann die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung aus Gründen der Rechtssicherheit nicht erneut zur Disposition gestellt werden.
2. Die Verfassungsbeschwerde hat auch insoweit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, als die Beschwerdeführerin rügt, die Neuregelung sei nicht im Sinne des Art. 93 Abs. 3 EGV (a.F.) notifiziert worden. Dabei kann offen bleiben, ob das Unterlassen der Notifizierung die Beschwerdeführerin überhaupt in ihren Grundrechten verletzen kann. Denn inzwischen steht durch die Entscheidung des EuGH vom 13. März 2001 (NVwZ 2001, S. 665) fest, dass die Regelung der Abnahme- und Vergütungspflicht keine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 92 Abs. 1 Satz 1 EGV (a.F.) darstellt, so dass eine Notifizierung nicht erforderlich ist.
3. Soweit die Beschwerdeführerin erstmals unter dem Aspekt der Verletzung des Art. 14 GG die Abnahmepflicht rügt, scheitert die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde auch daran, dass nach deren Begründung nicht die Regelung selbst, sondern nur deren Auslegung durch die Zivilgerichte, vor allem durch das Landgericht Itzehoe, verfassungswidrig sein soll. Wenn, wie die Beschwerdeführerin meint, § 2 StrEsG sich verfassungskonform auslegen lässt (S. 58 f., 65 der Verfassungsbeschwerde), die Zivilgerichte dies aber nicht tun, so ist eine Verfassungsbeschwerde gegen die (letztinstanzliche) Entscheidung der Zivilgerichte und nicht unmittelbar gegen das Gesetz zu richten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Broß, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 743214 |
NVwZ-RR 2002, 321 |
DVBl. 2002, 548 |