Verfahrensgang
LAG Köln (Beschluss vom 14.11.2006; Aktenzeichen 8 SHa 4/06) |
LAG Köln (Beschluss vom 14.08.2006; Aktenzeichen 8 SHa 4/06) |
Tenor
- Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Köln vom 14. November 2006 – 8 SHa 4/06 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitgericht Köln zurückverwiesen.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
- Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslegung und Anwendung des § 78a Abs. 2 ArbGG. In dieser Vorschrift ist die Frist zur Erhebung der Anhörungsrüge im arbeitsgerichtlichen Verfahren geregelt.
I.
1. Die Beschwerdeführerin war bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens als Leiterin einer Einzelhandelsfiliale beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos wegen des Verdachts, die Beschwerdeführerin sei an einem Diebstahl beteiligt gewesen. Das Arbeitsgericht wies ihre Kündigungsschutzklage durch ein am 26. Juni 2006 zugestelltes Urteil ab. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2006 beantragte die Beschwerdeführerin beim Landesarbeitsgericht, ihr Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens zu bewilligen. Für den Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragte sie Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist. Außerdem erklärte sie, dass sie beabsichtige, “innerhalb der zur Verfügung stehenden Frist” den Entwurf einer Berufungsbegründung zur Verfügung zu stellen. Mit Schriftsatz vom 21. August 2006 reichte sie diese Begründung ein. Nach ihren Angaben am 23. August 2006 erhielt sie allerdings den angegriffenen Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 14. August 2006, mit dem der Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen wurde und dessen Übermittlung sich mit der Übermittlung der nachgereichten Begründung an das Landesarbeitsgericht überschnitten hatte. Zur Begründung der Entscheidung führte das Landesarbeitsgericht aus, dass die Überprüfung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels mangels einer eigenständigen Begründung im Prozesskostenhilfegesuch nur nach Maßgabe des erstinstanzlichen Sachvortrags beider Parteien und des hierzu ergangenen Urteils des Arbeitsgerichts habe erfolgen können. Diese Prüfung ergebe, dass das Arbeitsgericht zum zutreffenden Ergebnis gelangt sei, die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis rechtswirksam beendet.
Mit Schriftsatz vom 6. September 2006, beim Landesarbeitsgericht am selben Tag eingegangen, erhob die Beschwerdeführerin eine Anhörungsrüge und machte geltend, das Landesarbeitsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es ohne vorhergehenden Hinweis über ihre Ankündigung einer Begründung des Prozesskostenhilfeantrags hinweggegangen sei, so dass die später eingegangene Begründung nicht habe berücksichtigt werden können. Das Landesarbeitsgericht verwarf die Anhörungsrüge als unzulässig. Die zweiwöchige Notfrist des § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG sei versäumt. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gälten gemäß § 78a Abs. 2 Satz 3 ArbGG mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Der Beschluss vom 14. August 2006 sei am 18. August 2006 formlos zur Post gegeben worden. Damit gelte er mit dem 21. August 2006 als bekannt gegeben. Da die Beschwerdeführerin die Gründe für ihre Anhörungsrüge aus der Begründung des gerichtlichen Beschlusses ableite, löse die gesetzlich fingierte Bekanntgabe des Beschlusses die Kenntniserlangung von den Umständen der Verletzung rechtlichen Gehörs und die Frist zur Einlegung der Anhörungsrüge aus. Die Notfrist habe somit zwei Wochen nach dem 21. August 2006, also mit Ablauf des 4. September 2006 geendet. Damit erweise sich die am 6. September 2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Anhörungsrüge nicht als fristwahrend.
2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und von Art. 103 Abs. 1 GG. Aus den in der Anhörungsrüge genannten Gründen sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Das Landesarbeitsgericht habe die Anhörungsrüge jedenfalls nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Die Verfristung des Rechtsbehelfs habe nicht mit der gesetzlichen Fiktion der Bekanntgabe begründet werden dürfen, nachdem die Beschwerdeführerin mitgeteilt habe, dass ihr der Prozesskostenhilfebeschluss tatsächlich erst am 23. August 2006 zugegangen sei.
3. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Beklagte des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde erhalten.
II.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts über die Anhörungsrüge richtet.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Annahme eines Verstoßes gegen den für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪107 f.≫; 107, 395 ≪401 ff.≫) sind ebenso geklärt wie diejenigen eines Verstoßes gegen das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪408 ff.≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde gegen den die Anhörungsrüge verwerfenden Beschluss des Landesarbeitsgerichts ist zur Durchsetzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz und auf Gewährung rechtlichen Gehörs angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie ist insoweit offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung ihres Vorbringens mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden. Dementsprechend bedeutsam für den Rechtsschutz ist die Möglichkeit der Korrektur einer fehlerhaften Verweigerung rechtlichen Gehörs. Erst die Beseitigung eines solchen Fehlers eröffnet das Gehörtwerden im Verfahren. Dann steht der Weg zum Gericht nicht nur formal offen. Dies schafft einen wesentlichen Teil der Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber es den Beteiligten zumutet, die Entscheidung gegebenenfalls ohne weitere Korrekturmöglichkeit hinzunehmen. Nicht nur die individualrechtssichernde, sondern auch die über den Einzelfall hinausreichende objektivrechtliche Bedeutung der Gehörsgarantie ist eine wesentliche Grundlage der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und der Erwartung an die Bürger, sich zur Streitbeilegung auf das Gerichtsverfahren einzulassen. Art. 103 Abs. 1 GG steht daher in einem funktionalen Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie (vgl. BVerfGE 81, 123 ≪129≫), aufgrund derer die Gerichte durch ihre Auslegung und Anwendung des Prozessrechts den Beteiligten den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren dürfen (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫). Während die Rechtsschutzgarantie den Zugang zum Verfahren sichert, zielt Art. 103 Abs. 1 GG auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens: Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell ankommen, also wirklich gehört werden. Wenn ein Gericht im Verfahren einen Gehörsverstoß begeht, vereitelt es die Möglichkeit, eine Rechtsverletzung vor Gericht effektiv geltend zu machen (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪409≫).
Die nähere Ausgestaltung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG bleibt grundsätzlich den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen (vgl. BVerfGE 74, 228 ≪233≫; 89, 28 ≪35≫). Dabei können die einfachrechtlichen Gewährleistungen des rechtlichen Gehörs in den Verfahrensordnungen über das spezifisch verfassungsrechtlich gewährleistete Ausmaß an rechtlichem Gehör hinausreichen. Insoweit stellt eine Verletzung einfachrechtlicher Bestimmungen nicht zwangsläufig zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfGE 60, 305 ≪310 f.≫). Jedoch gebietet Art. 103 Abs. 1 GG, dass sowohl die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das sachangemessen ist, um dem in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden, und das den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 74, 228 ≪233≫). Die Verletzung einer entsprechenden Verfahrensbestimmung stellt deshalb zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der Verfahrensbestimmung die Bedeutung oder Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt hat (vgl. BVerfGE 74, 228 ≪233≫).
Nach dem Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 gehört es zu den rechtsstaatlichen Mindeststandards, dass eine gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör möglich ist (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪407≫). Ist noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben, das auch zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führen kann, ist dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung getragen. Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und ist der Fehler entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪410 f.≫).
§ 78a ArbGG soll die Einhaltung dieser spezifischen verfassungsrechtlichen Anforderungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren gewährleisten. Die Norm bewirkt bei behaupteten Gehörsverletzungen die Möglichkeit einer fachgerichtlichen Kontrolle, indem § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ArbGG die Anhörungsrüge als statthaften Rechtsbehelf vorsieht, wenn kein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung gegeben ist.
b) Daran gemessen verletzt der die Anhörungsrüge als unzulässig verwerfende Beschluss die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Er beruht auf einer verfassungsrechtlich erheblichen fehlerhaften Anwendung des § 78a Abs. 2 ArbGG. Diese fehlerhafte Rechtsanwendung hat im Ergebnis bewirkt, dass für die Beschwerdeführerin der verfassungsrechtlich gebotene fachgerichtliche Schutz vor Gehörsverletzungen nicht wirksam wurde.
Das Landesarbeitsgericht hat die Regelung der Frist zur Erhebung der Anhörungsrüge in § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG in rechtlich nicht vertretbarer Weise angewendet, indem es angenommen hat, dass die zweiwöchige Frist mit dem dritten Tag nach Aufgabe des von der Beschwerdeführerin angefochtenen Prozesskostenhilfebeschlusses zur Post begann. Dabei hat das Landesarbeitsgericht grundlegend verkannt, dass sich die von ihm herangezogene Fiktion des § 78a Abs. 2 Satz 3 ArbGG ausschließlich auf die Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung bezieht, die nur für die Jahresfrist des § 78a Abs. 2 Satz 2 ArbGG maßgebend ist. Die Zweiwochenfrist des § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG knüpft hingegen nicht an die Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung an, sondern beginnt mit der tatsächlichen subjektiven Kenntnis des Betroffenen von der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Diese Kenntnis kann durch die Fiktion, die angefochtene Entscheidung sei mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post bekannt gegeben worden, nicht ersetzt werden.
Diese Auslegung des § 78a Abs. 2 Sätze 1 bis 3 ArbGG entspricht dem eindeutigen Wortlaut und der Systematik der Fristenregelung, die in unterschiedlichen Regelungszusammenhängen einerseits an die Kenntnis und andererseits an die Bekanntgabe anknüpft. Sie wird zudem durch die Gesetzesmaterialien untermauert (vgl. zusammenfassend Natter, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts, Band 42, 2005, S. 101):
§ 78a ArbGG wurde durch das Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 eingeführt (BGBl I S. 3223). Die Vorschrift des § 78a Abs. 2 ArbGG entspricht wörtlich den zugleich geschaffenen oder geänderten Fristenregelungen der Anhörungsrüge in zahlreichen anderen Verfahrensordnungen. Die Regelung lehnt sich nach der Gesetzesbegründung an den entsprechenden § 321a Abs. 2 ZPO an (vgl. BTDrucks 15/3706, S. 21). Auf welchen Zeitpunkt es für den Fristbeginn ankommen soll, war im Gesetzgebungsverfahren umstritten. Der Bundesrat hatte angeregt, auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung an die beschwerte Partei abzustellen, weil er befürchtete, der Fristbeginn könne sich unter Umständen sehr weit hinausschieben, wenn man auf den in der Sphäre der Partei liegenden Umstand der Kenntnis abstellte (vgl. BTDrucks 15/3966, S. 6 f.). Der Vorschlag wurde jedoch verworfen (vgl. BTDrucks 15/4061, S. 25). Mit der Anknüpfung an die Kenntnis des Betroffenen von der Verletzung des rechtlichen Gehörs sollte sich die Vorschrift vielmehr an die entsprechenden Regelungen zu den Rechtsbehelfen der Wiedereinsetzung und der Wiederaufnahme anlehnen (vgl. BTDrucks 15/3706, S. 16). Daneben wollte der Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit in Satz 2 eine Ausschlussfrist von einem Jahr seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung vorsehen. Satz 3 sieht nach der Gesetzesbegründung für den Fall der formlosen Mitteilung insoweit eine Fiktion der Bekanntgabe vor, damit bisher nicht zuzustellende Entscheidungen nicht allein wegen einer möglichen Gehörsrüge zustellungspflichtig werden (vgl. BTDrucks 15/3706, S. 16).
Hiernach steht fest, dass der Tatbestand der subjektiven Kenntnis von der Gehörsverletzung im Hinblick auf den Beginn der Zweiwochenfrist des § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG und der Tatbestand der gegebenenfalls fingierten Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die Jahresfrist des § 78a Abs. 2 Satz 2 ArbGG nicht gleichgesetzt werden dürfen. Dementsprechend werden die jeweiligen die Frist auslösenden Umstände auch in der Kommentarliteratur zu den mit § 78a Abs. 2 ArbGG identischen Vorschriften anderer Verfahrensordnungen getrennt behandelt (vgl. nur Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 321a Rn. 23 ff.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 321a Rn. 14; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 152a Rn. 24 ff.; Berchtold, in: Hennig, SGG, Loseblatt ≪Stand: Mai 2006≫, § 178a Rn. 106 ff.; Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, Nachtrag zur 15. Aufl. 2003 ≪2005≫, § 29a Rn. 10 ff.).
Die gegenteilige, nicht näher begründete Auffassung des Landesarbeitsgerichts, nach der die Kenntnis im Sinne des § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG durch die Fiktion der Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung bewirkt werden soll, findet im geltenden Recht keine Stütze. Sie versperrt der Beschwerdeführerin ohne sachliche Rechtfertigung den Weg zu einer fachgerichtlichen Überprüfung ihrer Anhörungsrüge und verletzt sie daher in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz und in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
c) Der Beschluss beruht auch auf dieser Verfassungsrechtsverletzung, weil nicht auszuschließen ist, dass das Landesarbeitsgericht anderenfalls zu einem für die Beschwerdeführerin günstigen Ergebnis gekommen wäre. Hätte das Landesarbeitsgericht für den Fristbeginn nicht auf den Zeitpunkt der fingierten Bekanntgabe abgestellt, sondern auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntniserlangung, hätte die Beschwerdeführerin die Zweiwochenfrist des § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG jedenfalls dann nicht versäumt, wenn sie den mit der Anhörungsrüge angegriffenen Prozesskostenhilfebeschluss erst am 23. August 2006 erhalten hat. Dies müsste die Beschwerdeführerin glaubhaft machen. Dafür kann aber schon eine anwaltliche Versicherung ausreichen (vgl. Geimer/Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 294 Rn. 5). Bei einer Prüfung der Anhörungsrüge in der Sache – eine Einhaltung der Zweiwochenfrist unterstellt – ist ein für die Beschwerdeführerin günstiges Ergebnis nicht ausgeschlossen.
3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Landesarbeitsgerichts richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist dem Landesarbeitsgericht zunächst Gelegenheit zu geben, über die Anhörungsrüge zu befinden. Dies kann zur Folge haben, dass im Ergebnis sämtliche geltend gemachten Verfassungsrechtsverletzungen beseitigt werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 21. September 2006 – 1 BvR 308/03 –, NJW 2007, S. 137 ≪138≫).
Durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte soll dem Bundesverfassungsgericht ein geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪380≫). Zugleich entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪380≫). Sollte die Beschwerdeführerin infolge der auf ihre Anhörungsrüge ergehenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts weiterhin beschwert sein, ist sie durch die allein auf dem Subsidiaritätsgedanken beruhende Nichtannahme nicht gehindert, eine neue Verfassungsbeschwerde gegen die sie belastenden Entscheidungen einzulegen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.
Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 €. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen
NJW 2007, 2242 |
NZA 2007, 1124 |
EzA |