Verfahrensgang
AG Zwickau (Beschluss vom 29.04.2008; Aktenzeichen 014 UR II 00328/08) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Zwickau vom 29. April 2008 – 014 UR II 00341/08, 014 UR II 00329/08, 014 UR II 00328/08 – verletzen die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 3 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sachen werden an das Amtsgericht Zwickau zurückverwiesen.
Der Freistaat Sachsen hat den Beschwerdeführerinnen die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Versagung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG).
I.
1. Die Beschwerdeführerinnen beantragten beim Amtsgericht jeweils erfolglos Beratungshilfe insbesondere für die Begründung ihrer Widersprüche gegen Bescheide wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zum einen ging es um die Frage der Anrechnung einer Lohnzahlung, zum anderen um die Anrechnung von Kindergeld. Die zuständige Rechtspflegerin wies die Anträge unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Amtsgerichts zurück, wonach es zumutbar sei, dass sich Rechtsuchende selbst und ohne anwaltliche Hilfe an die zuständige Arbeitsgemeinschaft (ARGE) wendeten.
Die Erinnerungen wurden mit richterlichem Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Ein vernünftiger Bemittelter hätte keine anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen, sondern selbst bei der Behörde vorgesprochen und Gründe vorgetragen. Ein Bescheid werde von Amts wegen kostenlos einer Prüfung unterzogen, ohne dass es rechtlicher Ausführungen bedürfe. Eine anwaltliche Begründung sei nicht erforderlich.
2. Mit den Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 sowie sinngemäß von Art. 20 Abs. 1 GG. Sie tragen insbesondere vor, dass sie als unbemittelte Rechtsuchende gegenüber bemittelten Rechtsuchenden ungleich behandelt werden.
3. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz, dem die Verfassungsbeschwerden gemäß § 94 Abs. 2 BVerfGG zugestellt wurden, hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an und gibt ihnen statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerden maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt.
2. Die Verfassungsbeschwerden erweisen sich danach als begründet. Die angegriffenen richterlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen in ihrem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG).
Es wird insoweit auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08, juris – verwiesen, wonach die vom Amtsgericht befürwortete Auslegung des Beratungshilfegesetzes, dass es einem Rechtsuchenden zumutbar sei, selbst kostenlos Widerspruch einzulegen und dabei die Beratung derjenigen Behörde in Anspruch zu nehmen, die zuvor den Ausgangsverwaltungsakt erlassen hat, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird.
Das Amtsgericht hat keine Umstände angeführt, die die Notwendigkeit fremder Hilfe hier in Frage stellen könnten. Die Verweisung auf die Beratung durch dieselbe Behörde, deren Entscheidung die Beschwerdeführerinnen angreifen wollen, überschreitet die Grenze der Zumutbarkeit.
III.
Die angegriffenen Entscheidungen werden gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Die Sachen werden an das Amtsgericht zurückverwiesen, das erneut über die Erinnerungen zu entscheiden hat. Dabei obliegt ihm auch die Würdigung, wie viele Angelegenheiten im Sinne des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vorliegen.
Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof
Fundstellen