Verfahrensgang
VG Gelsenkirchen (Vorlegungsbeschluss vom 26.04.2012; Aktenzeichen 6 K 3656/11) |
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Tatbestand
I.
Gegenstand der Vorlage ist die Verfassungsmäßigkeit der §§ 31, 32 des Hochschulrahmengesetzes in der Fassung vom 28. August 2004 (HRG – BGBl I S. 2298) sowie der landesrechtlichen Vorschriften, durch die der Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 (im Folgenden: Staatsvertrag 2008) ratifiziert und umgesetzt wurde.
1. Die 1987 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin) erwarb 2006 in Nordrhein-Westfalen ihr Abitur mit einer Durchschnittsnote von 3,2. Danach absolvierte sie eine Ausbildung zur Medizinisch-technischen Laborassistentin. Anschließend nahm sie eine entsprechende Berufstätigkeit auf. Zum Wintersemester 2011/12 bewarb sie sich zum wiederholten Male bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der Stiftung für Hochschulzulassung (im Folgenden: Beklagte), um die Zulassung zum Studium der Humanmedizin im ersten Fachsemester. Sie beantragte sowohl die Beteiligung an der Auswahl in der Wartezeitquote als auch im Auswahlverfahren der Hochschulen. Sonderanträge stellte sie nicht.
Mit Bescheid vom 12. August 2011 lehnte die Beklagte die Zulassung innerhalb der Wartezeitquote mit der Begründung ab, die maßgebliche Auswahlgrenze von 12 Wartesemestern sei verfehlt worden. Auch im Auswahlverfahren der Hochschulen blieb die Klägerin erfolglos. Sie erhob daraufhin Klage, mit der sie beantragte, die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides zu verpflichten, sie nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2011/12 zum Studium der Medizin entsprechend ihrem Antrag zuzulassen.
2. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die §§ 31, 32 HRG sowie die landesrechtlichen Vorschriften zur Ratifizierung und Umsetzung des Staatsvertrages 2008 mit dem Grundgesetz vereinbar sind, soweit sie für den Studiengang Humanmedizin ein Vergabeverfahren vorsehen, bei dem – nach Abzug einiger Vorabquoten – 20 % der Studienplätze allein nach dem Grad der Qualifikation, 60 % der Studienplätze maßgeblich nach dem Grad der Qualifikation und 20 % der Studienplätze nach Wartezeit vergeben werden und bei dem die für eine Zulassung in der Wartezeitquote erforderliche Anzahl an Wartesemestern regelmäßig die Dauer eines normalen Studiums übersteigt.
Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, die Regelungen verstießen gegen Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip.
a) Die Kammer sei der Überzeugung, dass das Zusammenspiel der beiden Hauptquoten „Abiturbestenquote” und „Auswahlverfahren der Hochschulen” den Anforderungen an ein hinreichend chancenoffenes Gesamtsystem nicht (mehr) genüge und dass es eines Ausgleichs bedürfe. Zwar komme die Einführung des „Auswahlverfahrens der Hochschulen” wegen der Vielfalt der Auswahlkriterien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, namentlich der Forderung nach einer Mehrgleisigkeit des Auswahlsystems, grundsätzlich entgegen und sei aus verfassungsrechtlicher Sicht positiv zu bewerten; denn je mehr verschiedene Auswahlkriterien angewandt würden, desto größer werde die Bandbreite der Bewerber, die über das eine oder andere Kriterium eine Chance hätten. Dieser Vorteil werde jedoch durch die Detailregelungen für die Bewerbung in dieser Quote erheblich entwertet. Denn könne sich der Bewerber im „Auswahlverfahren der Hochschulen” von vornherein nur bei maximal sechs Hochschulen bewerben und sei zudem die Zahl der denkbaren Wahlkombinationen wegen der massiven Beschränkung, denen die Bewerbung insbesondere über das Vorauswahlkriterium „Ortspräferenz” unterliege, stark reduziert, so stelle sich die Vielfalt der Auswahlkriterien für den Bewerber als ein eher theoretischer Vorteil dar, von dem er tatsächlich nur bedingt profitieren könne. Eine große Gruppe von Bewerbern bleibe trotz der Zusatzkriterien allein wegen der hohen Anforderungen an die Durchschnittsnote auch in dieser Hauptquote ohne Zulassungschance.
Allerdings sei die Kammer der Auffassung, „dass sich mit der Validität der Abiturnote als Indikator für den Studienerfolg durchaus die Heranziehung dieses Auswahlkriteriums als sachgerecht begründen” lasse. Es sei aus Sicht der Kammer daher nicht von vornherein zu beanstanden, wenn der Abiturnote bei der Hochschulzulassung ein überwiegendes Gewicht zukomme, etwa indem die ganz oder teilweise an dieses Kriterium anknüpfenden Quoten deutlich mehr als 50 % der zu vergebenden Studienplätze umfassten. Zugunsten des geltenden, um das „Auswahlverfahren der Hochschulen” erweiterten Vergabesystems insgesamt lasse sich im Übrigen auch anführen, dass es starre Grenzziehungen vermeide.
Dennoch bleibe die Durchschnittsnote ein problematisches Auswahlkriterium, das nach einem Korrektiv verlange. Es bestehe weitgehend Einigkeit, dass Abiturnoten für die Einschätzung der Qualifikation eines Bewerbers nur bedingt zuverlässig und sie untereinander nur eingeschränkt vergleichbar seien. Schon die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern sei nicht gegeben, wie die Unterschiede bei den mittleren Abiturnoten in den verschiedenen Bundesländern zeigten. Anders als bei der Abiturbestenquote gebe es im „Auswahlverfahren der Hochschulen” keine Länderquoten. Dieser Unterschied lasse sich aus Sicht der Kammer schwerlich begründen und stelle vor dem Hintergrund der Forderung nach einem objektiv sachgerechten Auswahlkriterium ein erhebliches Problem dar. Zudem seien Abiturnoten auch innerhalb der Länder wegen der Divergenzen des Schulniveaus und der schulischen Notengebung sowie wegen sonstiger Gegebenheiten nur eingeschränkt miteinander vergleichbar. Auch durch den Hinweis auf ein verändertes Verfassungsverständnis oder einen gewandelten Zeitgeist lasse sich die verfassungskräftige, vor allem aus dem Gleichheitssatz resultierende Forderung nicht relativieren, dass die vorhandenen Studienplätze nach sachgerechten Kriterien zu vergeben seien und die Zuspitzung auf ein einziges, seinerseits nicht restlos zuverlässiges und gerechtes Auswahlkriterium vermieden werden müsse.
Nach Lage der Dinge könne im derzeitigen Auswahlsystem nur die Auswahlmöglichkeit in der Wartezeitquote die Funktion des erforderlichen Korrektivs erfüllen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssten sich die Anforderungen an die Wartezeit auf ein noch zumutbares Maß beschränken. Nur in diesem Fall könne die Auswahlmöglichkeit in der Wartezeitquote die Zuspitzung auf die Durchschnittsnote in den anderen Hauptquoten ausgleichen. Nach Auffassung der Kammer sei die Grenze der Zumutbarkeit inzwischen überschritten, weil die erforderliche Wartezeit regelmäßig die Dauer eines normalen Studiums von sechs bis sieben Jahren übersteige und in Zukunft noch weiter anwachsen werde. Das Abstellen auf die Dauer eines normalen Studiums als verfassungsrechtliche Grenze sei zwar nicht zwingend begründbar, die Kammer halte diese Grenze aber für plausibel und sachgerecht. Auch die übrigen vom Bundesverfassungsgericht hierzu angestellten Überlegungen, wie die Gefahr einer sozialen Selektion und ein späteres Einstiegsalter für den Beruf, seien weiterhin tragfähig.
Die langen Wartezeiten seien auch keine vorübergehende Mangelerscheinung. Konkrete Bemühungen, gerade dem Problem des Studienplatzmangels im Fach Medizin und den steigenden Wartezeiten zu begegnen, seien nur begrenzt vorhanden. Soweit neue Medizinstudienplätze geschaffen würden, diene dies dazu, die zusätzliche Nachfrage aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge zu befriedigen, ohne dass erkennbar sei, dass dem seit Jahren bestehenden Engpass entgegengewirkt werden solle. Allerdings bestehe wohl kein grundrechtlicher Anspruch auf Schaffung neuer Medizinstudienplätze.
Der Verfassungsverstoß könne schließlich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden. Einer solchen Auslegung stehe der eindeutige Wortlaut der entsprechenden Vorschriften entgegen. Auch die in § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HRG, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Staatsvertrag 2008 enthaltene Härtefallregelung erlaube keine verfassungskonforme Interpretation, Studienbewerbern mit unzumutbar langen Wartezeiten einen Anspruch auf Zulassung zu verschaffen. Die Vorschriften setzten eine außergewöhnliche Härte voraus und erforderten damit, dass ein Bewerber im Einzelfall aufgrund seiner Lebensumstände durch die überlange Wartezeit in besonderer Weise betroffen werde. Der bloße Umstand, dass ein Bewerber sechs oder noch mehr Jahre lang auf einen Studienplatz gewartet habe, könne dagegen keine „Härte” im Sinne des Gesetzes darstellen, denn hierbei handele es sich nicht um ein in der Person des Bewerbers liegendes, sondern ein allgemeines, in der Konsequenz des Auswahlsystems liegendes Problem. Weiter sei die Härtefallregelung als Ausnahmebestimmung eng auszulegen und die diesbezügliche Quote eng – auf 2 % – begrenzt.
b) Die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften sei auch entscheidungserheblich.
Halte man die Bestimmungen für verfassungskonform, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Zulassung zum Medizinstudium. Mit ihrer Abiturnote von 3,2 erreiche sie die Auswahlgrenze bei der Abiturbestenquote, die im Wintersemester 2011/12 für Bewerber aus Nordrhein-Westfalen bei 1,1 gelegen habe, nicht. Auch in der Wartezeitquote genüge die von ihr angesammelte Wartezeit von 10 Halbjahren nicht, um die Auswahlgrenze zu erreichen, die im Wintersemester 2011/12 bei 12 Halbjahren gelegen habe. Individuelle Umstände, die einen Härtefall begründen könnten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Ob die Klägerin im „Auswahlverfahren der Hochschulen” hätte zugelassen werden müssen, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, weil ein entsprechender Anspruch nicht gegen die Beklagte geltend gemacht werden könne. Auch hier liege freilich auf der Hand, dass die Klägerin die Auswahlgrenzen nicht erreichen könne.
Gehe man von der Verfassungswidrigkeit der Normen aus, halte die Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Normenkontrolle der Klägerin die Chance offen, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist unzulässig; denn das vorlegende Gericht hat sie entgegen § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht hinreichend begründet.
1. Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Vorschriften nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschriften als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪76≫).
a) Das vorlegende Gericht muss hierzu darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Normen abhängt. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss nur dann, wenn die gerichtlichen Ausführungen auch erkennen lassen, dass eine eingehende Prüfung vorgenommen wurde. Ein Vorlagebeschluss muss aus sich heraus, ohne Beiziehung der Akten, verständlich sein und mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht bei Gültigkeit der Regelung zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 74, 236 ≪242≫). Die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage ist mithin eingehend darzulegen. Dazu muss der Vorlagebeschluss den entscheidungserheblichen Sachverhalt und eine umfassende Darlegung der die rechtliche Würdigung tragenden Erwägungen enthalten. Dabei verlangt § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, dass sich das vorlegende Gericht eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzt, die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigt (vgl. BVerfGE 47, 109 ≪114 f.≫; 105, 61 ≪67≫) und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingeht (BVerfGE 97, 49 ≪60≫; 105, 48 ≪56≫).
b) Ferner muss das Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher darlegen und deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist. Auch insoweit bedarf es einer Auseinandersetzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten sowie einer eingehenden, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darstellung der Rechtslage (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪77≫; 97, 49 ≪60≫). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab dabei nicht nur benennen, sondern auch die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darlegen. Insoweit kann es auch erforderlich sein, die Gründe zu erörtern, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind (vgl. BVerfGE 78, 201 ≪204≫; 81, 275 ≪277≫; 86, 71 ≪77 f.≫). Rechtsprechung und Schrifttum sind in die Argumentation einzubeziehen (vgl. BVerfGE 78, 165 ≪171 f.≫; 89, 329 ≪337≫).
2. Die Vorlage genügt diesen Anforderungen nicht. Das vorlegende Gericht hat mit seinen Ausführungen weder die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfragen (hierzu a) noch die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschriften (hierzu b) hinreichend aufgezeigt.
a) Das Gericht legt zunächst nicht hinreichend dar, warum ein Anspruch der Klägerin auf Zulassung nicht aus den bestehenden Vorschriften, nämlich der Härtefallregelung nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Staatsvertrag 2008 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ratifizierung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008, § 15 der Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen in Nordrhein-Westfalen (Vergabeverordnung NRW ≪VergabeVO NRW≫), abgeleitet werden kann.
aa) Nicht erkennbar ist bereits, dass sich das Gericht mit den zu dieser Härtefallklausel vertretenen Auffassungen in genügendem Umfang auseinandersetzt. Für seine nur sehr knapp begründete Ansicht, die Klausel müsse eng ausgelegt werden, bezieht es sich lediglich auf eigene Beschlüsse sowie zwei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen. Dazu, wie die Literatur diese Vorschriften interpretiert, enthält der Vorlagebeschluss keine Ausführungen.
Dass eine solche Auseinandersetzung mit den verschiedenen denkbaren Auslegungsmöglichkeiten hier entbehrlich wäre, weil schon aus systematischen Gründen nur eine enge Deutung der Vorschrift in Betracht kommt, wird nicht nachvollziehbar erläutert. Das Verwaltungsgericht führt insoweit nur aus, dass die Dauer der Wartezeit kein in der Person des Bewerbers liegendes, sondern ein allgemeines, in der Konsequenz des Auswahlsystems liegendes Problem sei, weil es eine große Anzahl Wartender betreffe. Eine solche Sichtweise ist freilich nicht zwingend. So kann man den Grund für die lange Wartezeit auch gerade in der unterdurchschnittlichen Abiturnote des jeweiligen Bewerbers, also in einem individuellen Gesichtspunkt, sehen. Genauso wenig ist zu erkennen, wieso es sich bei denjenigen, die selbst nach 12 Wartesemestern noch keine Zulassung erhalten haben, um eine „große Anzahl” handeln soll. Nach den Daten, die das vorlegende Gericht nennt, gab es im Wintersemester 2011/12 im Studiengang Humanmedizin 511 abgewiesene Bewerber mit einer derart langen Wartezeit. In diesem Semester hatten sich für dieses Fach allerdings 44.043 Personen beworben, so dass lediglich ein Anteil von 1,16 % an der Gesamtgruppe mehr als 12 Semester warten musste. In Anbetracht der geringen Zahl an Betroffenen erschließt sich auch nicht, weshalb die Begrenzung der Härtefallquote auf 2 % daran hindern könnte, langjährig Wartenden auf diesem Wege einen Studienplatz zukommen zu lassen, wie das Verwaltungsgericht anscheinend meint. Hiervon abgesehen ist auch nicht zu erkennen, dass sich die umfangmäßige Einschränkung der Quote aus einem formellen Gesetz und nicht bloß einer untergesetzlichen Norm – nämlich § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VergabeVO NRW – ergibt, so dass unklar bleibt, warum das vorlegende Gericht nicht selbst in der Lage war, die vermeintliche Hürde zu beseitigen.
Das Verwaltungsgericht durfte sich auch nicht damit begnügen, die fehlende Eignung einer großzügigeren Interpretation der Härtefallregelung damit zu begründen, dass die nicht im Rahmen der Härtefallquote vergebenen Plätze der Wartezeitquote hinzugerechnet werden (Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Staatsvertrag 2008), sich bei einer umfassenderen Ausschöpfung der erstgenannten Quote die für die letztgenannte Quote zur Verfügung stehenden Plätze also verringern. Vielmehr hätte das Gericht näher darlegen müssen, wieso es nicht trotzdem möglich ist, mit einer Zulassung notenschwacher Bewerber mit besonders langer Wartezeit über die Härtefallklausel einen aus seiner Sicht verfassungskonformen Zustand herzustellen. Denn auch wenn bei einem solchen Vorgehen Studierwillige mit günstigeren Noten, die nicht über die Quote der Abiturbesten zugelassen werden können, möglicherweise innerhalb der Wartezeitquote aufgrund der geringeren Platzanzahl erfolglos blieben, hätten diese Personen wegen ihrer Noten wiederum bessere Aussichten, im Auswahlverfahren der Hochschulen einen Studienplatz zu erlangen. Gerade auf die Annahme, dass Bewerber mit schlechten Noten in diesem Auswahlverfahren chancenlos seien und sich ihnen damit selbst auf diesem Wege keine Zulassungsmöglichkeit eröffne, hatte das Verwaltungsgericht die vermeintliche Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschriften maßgeblich gestützt.
bb) Hiervon abgesehen macht das Gericht nicht deutlich, unter welchen Voraussetzungen es das Bestehen eines Härtefalls bejaht und warum hier, unter Zugrundelegung seiner eigenen – engen – Norminterpretation, die Annahme einer „außergewöhnlichen Härte” ausscheidet. Es fehlt bereits an der Darlegung des angewandten rechtlichen Maßstabes. Die Kammer stellt nur fest, eine Härte könne im Einzelfall angenommen werden, wenn der Bewerber aufgrund seiner Lebensumstände durch die überlange Wartezeit in besonderer Weise getroffen werde. Bei welchen konkreten Konstellationen eine solche Situation anzunehmen ist, wird nicht aufgezeigt. Darüber hinaus bleibt auch der Sachverhalt, auf dessen Grundlage das Gericht hier einen Härtefall verneint hat, unklar. Der Vorlagebeschluss enthält insbesondere keine näheren Informationen zu den Lebensumständen der Klägerin, also ihrer familiären, finanziellen oder sozialen Lage. Mitgeteilt wird lediglich, dass sie eine Ausbildung zur Medizinisch-technischen Laborassistentin absolviert hat und in diesem Beruf arbeitet. Im Übrigen beschränkt sich die Kammer auf die pauschale Feststellung, für das Vorliegen eines Härtefalls sei nichts vorgetragen oder ersichtlich. Dies genügt jedoch insbesondere bei einem Verfahren nicht, in dem – wie im verwaltungsgerichtlichen Prozess – der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫).
b) Genauso wenig wird mit dem Vorlagebeschluss die Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen hinreichend plausibel erläutert.
Das vorlegende Gericht legt schon nicht nachvollziehbar dar, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die von ihm benannten Vorschriften unvereinbar sein sollen. Zwar geht es, im Anschluss an die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zutreffend davon aus, dass die Bewerberauswahl nach objektiv sachgerechten und individuell zumutbaren Kriterien (BVerfGE 33, 303 ≪338≫; 43, 291 ≪316 f.≫) zu erfolgen hat, weil es sich hierbei um eine objektive Zulassungsschranke bei der Ausbildungs- und Berufswahl im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG handelt. Aus den von ihm benannten Argumenten erschließt sich freilich nicht, warum das derzeitige Auswahlsystem diese Anforderungen nicht erfüllt. Das vorlegende Gericht erklärt zunächst ausdrücklich, es halte die einzelnen Auswahlkriterien für sich genommen für „sachgerecht”. Im Hinblick auf das Auswahlverfahren der Hochschulen wird dann kritisch angemerkt, dort komme der Abiturnote eine „überragende Bedeutung” zu. Dies führe allerdings nicht per se zur Verfassungswidrigkeit des Auswahlsystems, erfordere aber ein verfassungsrechtliches Korrektiv, das die Chancenoffenheit für eine größere Zahl von Bewerbern wahre. Ein solches Korrektiv könne nur die Wartezeitquote sein. Tragfähige Gründe für seine Folgerungen führt das Gericht jedoch nicht an. Solche Gründe ergeben sich weder in nachvollziehbarer Weise aus den im Vorlageschluss aufgeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts noch aus den sonstigen dort angestellten verfassungsrechtlichen Erwägungen.
aa) Das Verwaltungsgericht zeigt in seinem Beschluss zunächst nicht verständlich auf, welche Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts es rechtfertigen sollen, das derzeitige Auswahlsystem als verfassungswidrig einzustufen. Insoweit genügt es insbesondere nicht, umfangreiche Passagen aus verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu zitieren. Den Darlegungsanforderungen genügt ein Gericht bei einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG vielmehr erst, wenn es dartut, welche konkreten verfassungsrechtlichen Anforderungen es aus den genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ableitet.
(1) Hieran fehlt es. Das vorlegende Gericht beschränkt sich auf die Behauptung, das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, die Ungleichbehandlung grundsätzlich gleichberechtigter, nämlich hochschulreifer Bewerber aufgrund „weniger Zehntelpunkte bei der Abiturnote” könne „nicht ohne weiteres mit sachlichen Gründen von hinreichender Tragfähigkeit” gerechtfertigt werden und es für „problematisch” gehalten, die Auswahlentscheidung stark auf ein einzelnes Auswahlkriterium wie das der Durchschnittsnote zu konzentrieren. Diese pauschale Aussage ist als Grundlage für die verfassungsrechtliche Prüfung zu unspezifisch und lässt schon nicht hinreichend erkennen, aus welchen konkreten Umständen die Verfassungswidrigkeit hergeleitet werden soll.
(2) Zudem haben die angeführten Entscheidungen nicht den vom Vorlagegericht angenommenen Inhalt. In dem zitierten Abschnitt des Urteils des Ersten Senats vom 18. Juli 1972 (BVerfGE 33, 303 ≪350≫) beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht nur mit der (von ihm letztlich verneinten) Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, die Auswahl der Bewerber für ein zulassungsbeschränktes Studium „ausschließlich” nach dem auf Abiturnoten fußenden Leistungsprinzip vorzunehmen. Die Frage, inwieweit es in einem System wie dem Auswahlverfahren der Hochschulen, bei dem sich die Zulassung typischerweise nach mehreren Kriterien richtet, zulässig ist, einem einzelnen Merkmal wie der Abiturnote ein überwiegendes Gewicht einzuräumen, wird überhaupt nicht erörtert.
(3) Genauso wenig ist erkennbar, dass die Entscheidung vom 8. Februar 1977 (BVerfGE 43, 291) rechtliche Vorgaben enthält, aus denen eine mögliche Verfassungswidrigkeit des heutigen Auswahlsystems folgt. Das Verwaltungsgericht begründet vor allem nicht, inwiefern die dortigen Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts auf das nun geltende Auswahlsystem übertragbar sind. Anders als das derzeitige war das damalige System noch von einer strikten Zweiteilung geprägt: Abgesehen von den im Rahmen der Vorabbeziehungsweise Sonderquote zugelassenen Bewerbern gab es nur die Zulassung nach Leistung mit einem Anteil von 60 %, wobei grundsätzlich maßgebend die Abiturnote war, und die Zulassung nach Wartezeit mit einer Quote von 40 % (vgl. BVerfGE 43, 291 ≪299 ff., 317 ff.≫). Dies führte dazu, dass Bewerber, die keine deutlich überdurchschnittlichen Abiturnoten vorweisen konnten, ausschließlich über die Wartezeitquote eine Chance auf Erhalt eines Studienplatzes hatten. Dabei erforderte die Zulassung über die Note für den Studiengang Humanmedizin einen Mindestdurchschnitt von 1,7 und alle Bewerber mit ungünstigerer Note mussten bis zu sechs Jahre warten (s. nur BVerfGE 43, 291 ≪303≫). Als nicht sachgerecht und zumutbar erachtete es das Bundesverfassungsgericht insoweit vor allem, dass „auf der Schnittstelle von 1,7 und 1,8 darüber entschieden werden soll, wer sofort studieren kann oder aber bis zu sieben Jahren auf eine Zulassung zum Studium seiner Wahl warten muss” (BVerfGE 43, 291 ≪319≫). Das Verwaltungsgericht legt nicht dar, aus welchen tragenden Erwägungen des Urteils des Ersten Senats vom 8. Februar 1977 sich ergibt, dass auch Studierwillige mit deutlich schlechteren Noten als 1,7 oder 1,8 bei überfüllten Studiengängen binnen einer bestimmten Frist eine Chance auf Zuteilung eines Platzes haben müssen. Hiervon abgesehen führt das Gericht selbst aus, dass es aufgrund der Ergänzung des Systems durch das Auswahlverfahren der Hochschulen eine starre Notengrenze nicht mehr gibt und damit auch Bewerber, deren Noten nicht für eine Zulassung in der Abiturbestenquote ausreichen, noch eine Zulassungschance haben. Nach seinen Angaben gab es im Wintersemester 2011/12 immerhin fünf Universitäten, bei denen auch Bewerber, die lediglich eine Durchschnittsnote zwischen 2 und 3 aufwiesen, zugelassen wurden. Warum dies nicht reicht, um den verfassungsrechtlichen Erfordernissen gerecht zu werden, wird mit dem Vorlagebeschluss nicht hinreichend deutlich gemacht.
(4) Im Übrigen genügt das vorlegende Gericht den Darlegungsanforderungen auch dann nicht, sofern man seinem Ansatz, es sei verfassungswidrig, dass Bewerber mit einer Abiturnote von 2,5 oder schlechter auch im Auswahlverfahren der Hochschulen chancenlos blieben, folgte. Es wird schon nicht plausibel erläutert, dass sich die Notengrenze von 2,4 aus den rechtlichen Vorgaben ergibt, Bewerber mit einem schlechteren Notendurchschnitt also – ungeachtet ihres Abschneidens bei den weiteren Auswahlkriterien (wie Test, Auswahlgespräch oder sonstigen Wettbewerben) – von vornherein chancenlos sind. Denkbar ist nämlich auch, dass Bewerber mit einem schlechteren Abiturdurchschnitt als 2,4 im Auswahlverfahren der Hochschulen allein deswegen erfolglos geblieben sind, weil sie auch im Rahmen der anderen Kriterien weniger günstige Ergebnisse erzielt haben als jene Konkurrenten, die eine bessere Abiturdurchschnittsnote vorweisen konnten. Deswegen genügte es nicht, die Abiturnoten des jeweils schwächsten zugelassenen Bewerbers mitzuteilen; das Gericht hätte vielmehr anhand der maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen dartun müssen, dass bereits aufgrund der gesetzlich festgelegten Gewichtung der Maßstäbe zueinander ab einer bestimmten Abiturnote eine Zulassung faktisch ausschied.
Auch die hierfür notwendigen Ausführungen enthält der Vorlagebeschluss nicht. Das Verwaltungsgericht beschäftigt sich nur pauschal mit den Normen, die die Auswahl und Gewichtung der einzelnen Maßstäbe determinieren. Es weist lediglich allgemein auf die sowohl in Bundes- als auch Landesrecht (§ 32 Abs. 3 Satz 2 HRG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Staatsvertrag 2008 i.V.m. den jeweiligen Ratifizierungsgesetzen der Länder) enthaltene Regel hin, dass dem Grad der Qualifikation, also der Abiturnote, bei der Auswahlentscheidung ein „maßgeblicher Einfluss” gegeben werden muss. Bereits die Frage, wann konkret ein solcher „maßgeblicher Einfluss” in den verschiedenen denkbaren Konstellationen – also bei zwei, drei oder mehr Auswahlkriterien – vorliegt, und ob die Universitäten diese rechtliche Vorgabe überhaupt ordnungsgemäß umgesetzt haben, wird nicht näher erörtert. Auch auf die weiteren landesrechtlichen, teils sehr unterschiedlichen Bestimmungen, die Anzahl und Auswahl der anzuwendenden Auswahlmaßstäbe behandeln, geht das Gericht nicht hinreichend ein.
(5) Schließlich lässt sich auf Basis des Vorlagebeschlusses selbst bei Heranziehung der einschlägigen Bestimmungen nicht beurteilen, inwieweit die einzelnen Universitäten diese Normen zutreffend angewandt haben, ihre jeweiligen Auswahlverfahren also den rechtlichen Erfordernissen entsprachen. Denn das Verwaltungsgericht benennt lediglich die von den einzelnen Universitäten bei der Bewerberauswahl angewandten Maßstäbe, ohne (bis auf einen einzigen Fall) anzugeben, wie die Hochschulen diese Kriterien jeweils zueinander gewichtet haben. Schon deswegen bieten die in dem Beschluss aufgeführten Daten keine hinreichende Grundlage, die einen Schluss auf die mögliche Verfassungswidrigkeit des Gesamtsystems zulässt.
bb) Das Gericht legt des Weiteren auch nicht anhand eigenständiger, von der bisherigen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unabhängiger Maßstäbe dar, dass die Abiturnote, unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung, die ihr für das derzeitige Auswahlsystem zukommt, kein den grundrechtlichen Anforderungen genügendes Auswahlkriterium ist. Die vorlegende Kammer bildet bereits keine verständlichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe, sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe der für beziehungsweise gegen die Anwendung der Abiturnote sprechenden Gesichtspunkte. Es wird noch nicht einmal deutlich, ob das Verwaltungsgericht den „Studienerfolg” im Rahmen der Grundrechtsprüfung als ausreichenden Gesetzeszweck ansieht, um den Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Auch sonstige Ausführungen, insbesondere zum Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung, fehlen. Soweit, wohl im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG, der Mangel von Landesquoten im Auswahlverfahren der Hochschulen gerügt wird, setzt das Gericht sich weder mit dem – von ihm selbst als nachvollziehbar bezeichneten – Argument der Beklagten, eine Bildung von Länderquoten in diesem Verfahren sei organisatorisch kaum leistbar, auseinander, noch erörtert es, ob eine solche Quotenbildung überhaupt grundrechtlich geboten ist, wenn die Abiturnote in der Regel nur ein Auswahlkriterium unter mehreren ist. Angesichts der gewählten, wenig aussagekräftigen Formulierungen („aus Sicht des Gleichheitssatzes prekär”, „erhebliches Problem”) ergibt sich aus den gerichtlichen Darlegungen zudem nicht mit der notwendigen Klarheit, dass das Gericht selbst von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Bestimmungen überzeugt ist. Hinzu kommt, dass die Kammer sogar annimmt, dass sich „eine überwiegende Orientierung an der Durchschnittsnote als Auswahlkriterium bei der Studienzulassung rechtfertigen” lasse. Für die weitere Folgerung, es bedürfe dennoch eine Korrektivs in Form einer Erhöhung der Wartezeitquote, nennt das Gericht keine konkreten Argumente mehr, sondern verweist ausschließlich pauschal auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Weshalb die Abiturnote als Auswahlkriterium verfassungsrechtlich bedenklich und die Wartezeitquote vorzugswürdig sein sollte, erschließt sich auf Grundlage dieser Begründung gerade nicht.
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen
NJW 2013, 1945 |
NVwZ 2013, 61 |
WissR 2012, 365 |
HRZ 2013, 45 |