Beteiligte
Rechtsanwältin Doris Tielsch |
Verfahrensgang
LG Kleve (Gerichtsbescheid vom 18.06.1999; Aktenzeichen 5 T 14/99) |
AG Geldern (Beschluss vom 18.12.1998; Aktenzeichen 17 C 121/98) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Kleve vom 18. Juni 1999 - 5 T 14/99 - und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Geldern vom 18. Dezember 1998 - 17 C 121/98 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Tragung von Gerichtskosten durch eine im Zivilrechtsstreit teilweise unterlegene Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde von seinen Vermietern vor dem Amtsgericht auf Zahlung von 911,78 DM in Anspruch genommen. Ihm wurde für diesen Rechtsstreit Prozesskostenhilfe ohne Verpflichtung zur Ratenzahlung bewilligt. Die Kläger zahlten bei Klageerhebung sowie im Laufe des Verfahrens insgesamt 1.310,00 DM an Gerichtskosten ein, wovon 1.100,00 DM Zeugen- und Sachverständigenvorschüsse betrafen. Das Amtsgericht gab durch Urteil der Klage teilweise statt und erlegte dem Beschwerdeführer 70 % der Kosten des Rechtsstreits auf.
Mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss setzte das Amtsgericht die von dem Beschwerdeführer an die Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.050,06 DM fest. Hiervon entfielen 884,30 DM auf die von den Klägern vorab verauslagten Gerichtskosten.
Der Beschwerdeführer legte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss sofortige Beschwerde ein, mit der er sich gegen die Berücksichtigung der Gerichtskosten trotz Bewilligung von Prozesskostenhilfe wandte. Das Landgericht wies das Rechtsmittel als unbegründet zurück: Nach § 123 ZPO habe der Beschwerdeführer den Klägern die Kosten in dem durch Urteil bestimmten Umfang zu ersetzen. Der Beschwerdeführer wäre wegen der ihm gewährten Prozesskostenhilfe nur dann von der Pflicht zur Erstattung der Gerichtskosten befreit worden, wenn diese Kosten noch nicht beglichen worden wären. Es finde sich keine gesetzliche Regelung, wonach Vorschusszahlungen rückabgewickelt werden müssten. § 2 Abs. 4 GKG sei weder direkt noch analog anwendbar. Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht auf die Vorschrift des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG berufen. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz sei nicht zu erkennen.
2. Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Die Regelung der §§ 123 ZPO, 58 Abs. 2 Satz 2 GKG führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung. Während ein unterlegener Kläger, dem Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, in keinem Fall Gerichtskosten zu tragen habe, müsse ein unterlegener Beklagter, dem Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, dem Gegner die von diesem verauslagten Gerichtskosten erstatten. Die darin liegende Schlechterstellung des mittellosen Beklagten gegenüber dem mittellosen Kläger sei durch keinerlei sachlichen Gründe zu rechtfertigen und daher willkürlich. Erst recht willkürlich sei, dass auf Grund der gesetzlichen Regelung danach differenziert werde, ob der Kläger bereits Prozesskostenvorschüsse geleistet habe oder nicht. Ob Kostenvorschüsse für Zeugen und Sachverständige angefordert und bezahlt würden, hänge von der Beweislast und weiteren Zufälligkeiten ab.
3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und die Kläger des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 99, 129 ≪139≫; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1999, S. 3187).
1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden keine Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Eine solche Grundrechtsverletzung kann nicht nur vom Gesetzgeber begangen werden. Sie liegt vielmehr auch dann vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 99, 129 ≪139≫).
b) Im Ausgangsverfahren haben die Gerichte § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG dahingehend ausgelegt, dass sich die Vorschrift nur auf im Zeitpunkt der Kostenentscheidung noch nicht bezahlte Gerichtskosten bezieht, nicht aber auf von dem Prozessgegner der mittellosen Partei bereits verauslagte Gerichtskosten. Diese Auslegung entspricht einer gefestigten Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Rpfleger 1989, S. 376; OLG Hamm, MDR 1994, S. 104; OLG Düsseldorf, MDR 1997, S. 106 f.). Sie führt jedoch zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von mittellosen Klägern und Beklagten, denen Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist.
aa) Ein unbemittelter Kläger, dem Prozesskostenhilfe (ohne Zahlungsanordnung nach § 120 ZPO) bewilligt worden ist, muss selbst dann, wenn er den Prozess verliert und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, regelmäßig keine Gerichtskosten zahlen. Dem Prozessgegner (Beklagten) muss er keine Gerichtskosten erstatten, weil dieser insoweit keinen Erstattungsanspruch nach § 123 ZPO hat. Denn der Beklagte ist gemäß § 122 Abs. 2 ZPO von der Zahlung der Gerichtskosten grundsätzlich befreit und wird vom Staat gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG auch nicht als Zweitschuldner in Anspruch genommen. Der Staatskasse muss der Kläger keine Gerichtskosten zahlen, weil er nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a ZPO von der Zahlung befreit ist.
Demgegenüber muss ein unbemittelter Beklagter, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, nach der von den Gerichten im Ausgangsverfahren vertretenen Auffassung im Unterliegensfall die Gerichtskosten tragen. In dieser Konstellation ist der (bemittelte) Kläger verpflichtet, die mit Einreichung der Klage fällige Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen (§§ 61, 65 GKG) sowie gegebenenfalls im Laufe des Rechtsstreits anfallende weitere Auslagenvorschüsse, insbesondere für Zeugen und Sachverständige (§§ 402, 379 Satz 2 ZPO, § 68 GKG), zu zahlen, weil § 122 Abs. 2 ZPO in diesem Fall nicht gilt. Obsiegt der Kläger, hat er nach der herrschenden Auffassung, die § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG nur auf noch nicht bezahlte Kosten anwendet, keinen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse hinsichtlich der bereits verauslagten Kosten. Die Erstattungspflicht des Beklagten nach § 123 ZPO umfasst deshalb auch diese Zahlungen.
bb) Zwischen einem unbemittelten Kläger und einem unbemittelten Beklagten bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Vielmehr lassen sich für die vorgenommene Differenzierung keine tragfähigen sachlichen Gründe finden. Insbesondere kann das Anliegen, eine mutwillige Prozessführung oder Manipulationen zu Lasten der Staatskasse zu verhindern, die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1999, S. 3187).
cc) Die ungerechtfertigte Schlechterstellung des mittellosen Beschwerdeführers gegenüber einem mittellosen Kläger hätten die Gerichte im Wege der verfassungskonformen Auslegung von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG vermeiden müssen.
Der Wortlaut von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG steht einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, dass auch die bereits vom Kläger verauslagten Gerichtskosten von der Vorschrift erfasst werden, nicht entgegen. § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG bestimmt, dass die Haftung eines anderen Kostenschuldners (durch die Staatskasse) nicht geltend gemacht werden soll, soweit einem Kostenschuldner, der auf Grund von § 54 Nr. 1 GKG (als Entscheidungsschuldner) haftet, Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Die Vorschrift unterscheidet mithin nicht zwischen Gerichtskostenansprüchen der Staatskasse, die vor oder nach der Kostenentscheidung geltend gemacht werden.
Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich nicht zwingend, dass die bereits verauslagten Gerichtskosten von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG nicht erfasst sein sollen. Vielmehr spricht die Gesetzesbegründung dafür, dass der Gesetzgeber mit § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG den Schutz der mittellosen Partei umfassend ausgestalten wollte (vgl. BTDrucks 7/2016, S. 79).
Der verfassungskonformen Auslegung steht auch nicht entgegen, dass sie eine Rückerstattungspflicht der Staatskasse hinsichtlich schon verauslagter Gerichtskostenvorschüsse gegenüber einem obsiegenden Kläger, dessen Prozessgegner Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, bedingt. Aus der fehlenden gesetzlichen Regelung eines solchen Rückerstattungsanspruchs der obsiegenden Partei kann nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe sie ausschließen wollen. Insoweit fehlt es in den Gesetzgebungsmaterialien an einem hinreichenden Anhaltspunkt. Es ist deshalb von einer Regelungslücke auszugehen, die durch analoge Anwendung von § 2 Abs. 4 GKG mit der Anerkennung eines entsprechenden Rückerstattungsanspruchs geschlossen werden kann (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1999, S. 3187).
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 543463 |
JurBüro 2001, 204 |