Verfahrensgang

BVerwG (Urteil vom 06.04.1995; Aktenzeichen 7 C 10.94)

VG Leipzig (Urteil vom 10.11.1993; Aktenzeichen 3 K 1179/92)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Entscheidungen in einem Verwaltungsstreitverfahren, in dem die Klage des Beschwerdeführers gegen einen zu seinen Lasten ergangenen Investitionsvorrangbescheid gemäß § 4 Abs. 5 des Gesetzes über den Vorrang für Investitionen bei Rückübertragungsansprüchen nach dem Vermögensgesetz (Investitionsvorranggesetz – InVorG) vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257, 1268) wegen fehlender Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen worden ist.

I.

Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens war ein im Beitrittsgebiet belegenes Grundstück, das seit 1988 im Grundbuch als Eigentum des Volkes ausgewiesen war. Die vorherigen Eigentümer meldeten im September 1990 einen Anspruch auf Rückübertragung an. Bevor darüber entschieden wurde, schloß die damalige Verfügungsberechtigte im Mai 1991 mit Dritten einen Mietvertrag über gewerblich genutzte Räume, die sich auf dem Grundstück befinden. Dies erlaubte ihr eine Investitionsbescheinigung, die auf der Grundlage des Investitionsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. April 1991 (BGBl I S. 994) erlassen worden war. Die Anmelder erhoben gegen die Bescheinigung Widerspruch. Während des Widerspruchsverfahrens veräußerten sie im September 1992 den angemeldeten Rückübertragungsanspruch an den Beschwerdeführer, der dies unter dem 6. Oktober 1992 dem zuständigen Amt zur Regelung offener Vermögensfragen anzeigte. Das Regierungspräsidium hatte zu diesem Zeitpunkt den Widerspruch der Antragsteller gegen die Investitionsbescheinigung bereits zurückgewiesen. Nach der Anzeige übersandte es den Widerspruchsbescheid auch an den Beschwerdeführer, der daraufhin Anfechtungsklage erhob.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil dem Beschwerdeführer die Klagebefugnis fehle. Die Revision des Beschwerdeführers gegen diese Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen (vgl. VIZ 1995, S. 412):

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht die Klagebefugnis des Beschwerdeführers verneint. Aus § 4 Abs. 5 InVorG ergebe sich, daß der Beschwerdeführer nicht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen könne, durch die Investitionsbescheinigung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Vorschrift enthalte einen materiellen Einwendungsausschluß und bewirke, daß der Zessionar eines vermögensrechtlichen Rückübertragungsanspruchs weder am Verwaltungsverfahren beteiligt noch zur Anfechtung des Investitionsvorrangbescheids berechtigt sei.

Das verstoße nicht gegen das Grundgesetz. § 4 Abs. 5 InVorG sei nicht am Eigentumsgrundrecht zu messen. Zwar könne der Erlaß eines Investitionsvorrangbescheids dazu führen, daß der Anspruch auf Rückübertragung des für die Investition benötigten Vermögenswerts entfalle; der Rückübertragungsanspruch werde jedoch nicht durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Der Gesetzgeber sei beim Erlaß des Investitionsvorranggesetzes allerdings an den allgemeinen Gleichheitssatz und– weil er die Ansprüche nach dem Vermögensgesetz aus Gemeinwohlgründen eingeschränkt habe – an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden gewesen. Diesen Anforderungen werde der Einwendungsausschluß zu Lasten des Zessionars in § 4 Abs. 5 InVorG aber gerecht. Der Abtretung des Rückübertragungsanspruchs an einen Erwerber, der nicht Angehöriger des Anmelders sei, lägen regelmäßig auf seiten sowohl des Anmelders als auch des Erwerbers wirtschaftliche Motive zugrunde. Die Wiedergutmachung geschehenen Unrechts als Ziel des Anspruchs setze sich mithin in der Person des Zessionars nicht fort, sondern entfalle mit der Abtretung. Soweit der Zessionar mit dem Erwerb des Anspruchs das Ziel verfolge, nach der Rückgabe des Vermögensgegenstandes selbst Investitionen vorzunehmen, unterscheide sich sein Interesse nicht wesentlich vom Interesse jedes anderen Investors, der den Gegenstand zu Investitionszwecken nutzen wolle. Dies rechtfertige es, den Zessionar wegen seines Vorhabens auf den allgemeinen Wettbewerb der Investoren und damit auf die Möglichkeit zu verweisen, einen Investitionsvorrangbescheid zu seinen Gunsten zu erwirken.

Der wirtschaftliche Hintergrund der Abtretung biete zugleich die Rechtfertigung dafür, daß dem Zessionar jede Einwendung gegen den Investitionsvorrangbescheid versagt sei. Solche Einwendungen führten mindestens zur Verzögerung des Vorhabens, was dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Förderung von Investitionen im Beitrittsgebiet zuwiderliefe. Die wirtschaftlichen Interessen des Zessionars seien durch die in § 16 Abs. 1 und 2 InVorG gewährten Ansprüche auf Herausgabe des Verkaufserlöses, auf Zahlung des Verkehrswerts oder – bei Vermietung oder Verpachtung – auf Herausgabe des an die Marktverhältnisse anzupassenden Miet- oder Pachtzinses angemessen gewahrt. Deshalb sei die getroffene Regelung nicht nur, gemessen am Ziel des Investitionsvorranggesetzes, geeignet und erforderlich, sondern dem Zessionar auch zumutbar.

Art. 19 Abs. 4 GG werde durch § 4 Abs. 5 InVorG ebenfalls nicht verletzt. Der Investitionsvorrangbescheid regele nicht die Rechtsstellung des Rückübertragungsberechtigten, sondern ermächtige den Verfügungsberechtigten, den Vermögensgegenstand abweichend von § 3 Abs. 3 VermG dem Investor für den festgestellten Investitionszweck zur Verfügung zu stellen. Der Berechtigte sei mithin durch den Bescheid nur als Dritter, nämlich insofern betroffen, als das zu seinem Schutz erlassene Verbot des § 3 Abs. 3 VermG entfalle. In solchen Fällen sei der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch in Anbetracht des Art. 19 Abs. 4 GG nicht gehindert, schon an den Erlaß des Verwaltungsakts unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit nachteilige Rechtsfolgen für den Dritten zu knüpfen, sofern dies – wie im Fall des § 4 Abs. 5 InVorG – aus sachgerechten Gründen geschehe.

Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG scheide schon deswegen aus, weil dieser nicht davor schütze, daß der Sachvortrag eines Betroffenen aus Gründen des materiellen Rechts außer Betracht bleibe.

II.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Urteile des Verwaltungs- und des Bundesverwaltungsgerichts. Er rügt eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.

§ 4 Abs. 5 InVorG hätte von den Ausgangsgerichten wegen Art. 14 und Art. 19 Abs. 4 GG so ausgelegt werden müssen, daß auch der Zessionar gerichtlich gegen einen Investitionsvorrangbescheid vorgehen könne. Die Auffassung, der Rückübertragungsanspruch sei nicht durch die Eigentumsgarantie geschützt, sei nicht haltbar. Nachdem dem Zedenten ein gesetzlicher Anspruch mit einem bestimmten Inhalt, insbesondere mit der Möglichkeit der Veräußerung, eingeräumt worden sei, habe der Gesetzgeber den Anspruch nicht nachträglich durch den Beteiligungsausschluß einschränken dürfen.

Auch Art. 19 Abs. 4 GG sei verletzt. So wie das Bundesverwaltungsgericht § 4 Abs. 5 InVorG auslege, könne der Investitionsvorrangbescheid nicht mehr gerichtlich angefochten werden. Der ursprüngliche Inhaber des Rückübertragungsanspruchs könne in das Investitionsvorrangverfahren nicht mehr eingreifen, weil er sich seines Anspruchs durch Zession begeben habe. Der Zessionar werde durch die genannte Vorschrift von allen Einwendungen ausgeschlossen. Der Restitutionsberechtigte werde durch den Investitionsvorrangbescheid auch in eigenen Rechten verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es zwar dem Gesetzgeber nicht generell verwehrt, Verwaltungsakten zu Lasten Dritter Tatbestandswirkung zu verleihen. Auf diese Weise dürfe der Rechtsschutz aber nicht willkürlich eingeschränkt werden. Es müßten vielmehr gewichtige Gründe für die Versagung des Rechtsschutzes sprechen. Daran fehle es hier.

III.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz für die Bundesregierung, das Sächsische Staatsministerium der Justiz für die Sächsische Staatsregierung und die Stadt Leipzig als Beklagte des Ausgangsverfahrens Stellung genommen. Sie vertreten übereinstimmend die Auffassung, daß die Auslegung des § 4 Abs. 5 InVorG in den angegriffenen Entscheidungen zutreffend sei und weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoße.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

1. Das ergibt sich, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, schon daraus, daß die insoweit erhobene Rüge unzulässig ist. Der Beschwerdeführer führt mit keinem Wort aus, weshalb sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein soll. Sein Vortrag genügt deshalb insoweit nicht den Mindestanforderungen, die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 und § 92 BVerfGG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde zu stellen sind.

2. Im übrigen sind die Annahmevoraussetzungen von der Sache her nicht erfüllt.

a) Die Verfassungsbeschwerde hat weder im Hinblick auf den geltend gemachten Verstoß gegen Art. 14 GG noch hinsichtlich der Rüge einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (vgl. näher zu diesem Erfordernis BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫).

Abgesehen davon, daß die Auslegung des § 4 Abs. 5 InVorG durch das Bundesverwaltungsgericht auslaufendes Recht betrifft, weil nach § 27 Satz 1 InVorG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Verlängerung der Frist in § 27 des Investitionsvorranggesetzes vom 18. Dezember 1998 (BGBl I S. 3818) Investitionsvorrangverfahren nur noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2000 eingeleitet werden können, sind die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

So sind Bedeutung und Reichweite des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten durch das Bundesverfassungsgericht hinreichend geklärt (vgl. etwa BVerfGE 83, 182 ≪194 f.≫ m.w.N.). Das gleiche gilt für die Frage, in- wieweit die verfassungsrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes es ausschließt, Verwaltungsakten Tatbestandswirkung für Drittbetroffene beizulegen (vgl. BVerfGE 83, 182 ≪196 ff.≫).

Vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden ist allerdings, ob Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallen, was das Bundesverwaltungsgericht im angegriffenen Revisionsurteil verneint hat. Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner bisherigen Rechtsprechung vom gegenteiligen Standpunkt ausgegangen, hat insoweit aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen (vgl. insbesondere BVerfGE 95, 48 ≪58≫). Auch im vorliegenden Verfahren kommt es auf die Beantwortung der genannten Frage nicht an. Es geht in ihm darum, ob § 4 Abs. 5 InVorG den Rechtsweg des Zessionars vermögensrechtlicher Ansprüche ausschließt, und damit in erster Linie um die Auslegung und Anwendung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Daneben hat, wie sich ohne weiteres dem Grundgesetz entnehmen läßt, Art. 14 GG hier keine eigenständige Bedeutung, weil er als die insoweit allgemeinere Grundrechtsverbürgung im Bereich der Rechtsverletzung durch die Exekutive keine umfassendere Rechtsweggewährleistung als die spezielle Norm des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält (vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 46 ≪Stand: Mai 1994≫). Ob vermögensrechtliche Ansprüche auf Restitution den Schutz der Eigentumsgarantie genießen, kann deshalb weiterhin offenbleiben.

b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Grundrechte aus Art. 14 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt.

aa) Die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen haben kein besonderes Gewicht (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Die angegriffenen Entscheidungen deuten weder auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hin noch beruhen sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen. Auch für eine krasse Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze ist nichts ersichtlich.

Die angegriffenen Entscheidungen sprechen dem Beschwerdeführer in Auslegung und Anwendung des § 4 Abs. 5 InVorG das Recht ab, sich gerichtlich gegen den Erlaß eines Investitionsvorrangbescheids zu wehren. Prüfungsmaßstab hierfür ist Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, der gerichtlichen Rechtsschutz garantiert, wenn jemand behauptet, durch die öffentliche Gewalt in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 83, 182 ≪194≫), und der insoweit, wie schon ausgeführt, als speziellere Norm Art. 14 Abs. 1 GG verdrängt.

Das Bundesverwaltungsgericht versteht in seinem Urteil § 4 Abs. 5 InVorG als materiellen Einwendungsausschluß zu Lasten des Erwerbers eines Rückübertragunganspruchs. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei nicht verletzt, weil der Investitionsvorrangbescheid nicht die Rechtsstellung des Rückübertragungsberechtigten regele, sondern nur den Verfügungsberechtigten ermächtige, den Vermögensgegenstand abweichend von dem Verbot des § 3 Abs. 3 VermG dem Investor für den festgestellten Investitionszweck zur Verfügung zu stellen. Der Berechtigte sei deshalb durch den Bescheid nur als Dritter, nämlich insofern betroffen, als das zu seinem Schutz erlassene Verbot des § 3 Abs. 3 VermG entfalle. Das Bundesverwaltungsgericht beruft sich dabei auf einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, in dem es um das sogenannte Pensionistenprivileg im Recht des Versorgungsausgleichs ging und in dem ausgeführt ist, daß der Gesetzgeber auch in Anbetracht der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht gehindert ist, bereits an den Erlaß des Verwaltungsakts unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit nachteilige Rechtsfolgen für Dritte zu knüpfen, sofern dies aus sachgerechten Gründen geschieht, und dann entsprechend die Klagebefugnis zu verneinen (vgl. BVerfGE 83, 182 ≪194 ff.≫).

Ob sich der Ausschluß des Zessionars vermögensrechtlicher Ansprüche vom gerichtlichen Verfahren mit dieser Begründung verfassungsrechtlich rechtfertigen läßt, ist im vermögensrechtlichen Schrifttum umstritten. Fraglich kann in der Tat sein, ob die Sachverhalte, die das Bundesverwaltungsgericht im Revisionsurteil miteinander verglichen hat, sich derart ähneln, daß die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts im Fall des Pensionistenprivilegs auf den Fall des § 4 Abs. 5 InVorG übertragen werden können. Das wird von denen verneint, die dem Bundesverwaltungsgericht entgegenhalten, daß § 4 Abs. 5 InVorG dem Zessionar nur die auf den Vorhabenplan des Anmelders bezogenen Rechte nehme. Der Zessionar verliere das Recht, nach § 5 Abs. 2 InVorG einen eigenen Vorhabenplan einzureichen, und den Anmeldervorzug nach § 7 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 InVorG wegen eines ebenso guten oder besseren eigenen Vorhabenplans. Alle übrigen Rechte, insbesondere auch die Klagebefugnis, blieben dem Zessionar aber erhalten (vgl. etwa Wolfers, Das Investitionsvorrangverfahren, 1996, Rn. 341 ff. m.w.N. in Fußn. 221). Demgegenüber haben die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Gesetzesauslegung und die Bezugnahme auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum Pensionistenprivileg in der Literatur aber auch Zustimmung gefunden (vgl. Frantzen, in: Kimme, Offene Vermögensfragen, § 4 InVorG Rn. 23b ≪Stand: Mai 1998≫; Scheidmann, VIZ 1997, S. 516 ≪518≫).

Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diesen Meinungsstreit zu Bedeutung und Reichweite der einfachrechtlichen Regelung des § 4 Abs. 5 InVorG zu entscheiden. Die Auslegung und Anwendung nichtverfassungsrechtlicher Vorschriften ist Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Korrigierend eingreifen könnte dieses hier deshalb, vom Fall der willkürlichen Rechtsanwendung abgesehen (vgl. dazu BVerfGE 18, 85 ≪96≫; 89, 1 ≪13 f.≫), nur dann, wenn die Auslegung des § 4 Abs. 5 InVorG durch das Bundesverwaltungsgericht Auslegungsfehler erkennen ließe, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 89, 1 ≪9 f.≫). Das ist jedenfalls nicht mit der für eine Annahme nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG erforderlichen Eindeutigkeit der Fall.

Stellt man für die Frage, ob die Auslegung des § 4 Abs. 5 InVorG gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstößt, darauf ab, daß die investitionsvorrangrechtliche Regelung nach dem Verständnis des Bundesverwaltungsgerichts einen materiellen Einwendungsausschluß darstellt, der die Rechtsstellung des Zessionars eines vermögensrechtlichen Restitutionsanspruchs von vornherein auf die Ansprüche nach § 16 Abs. 1 und 2 InVorG beschränkt, ist die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG überhaupt nicht berührt. Denn ein Verstoß gegen dieses Verfahrensgrundrecht setzt eine im Interesse des Einzelnen gewährte Rechtsposition voraus (vgl. BVerfGE 27, 297 ≪305≫), gewährleistet also nicht selbst den sachlichen Bestand oder den Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung; diese richtet sich vielmehr nach der Rechtsordnung im übrigen (vgl. BVerfGE 61, 82 ≪110≫; 83, 182 ≪194 f.≫).

Aber auch wenn man, wie es das Bundesverwaltungsgericht außerdem noch getan hat, darauf abhebt, daß der Investitionsvorrangbescheid nicht die Rechtsstellung des Rückübertragungsberechtigten regele, sondern nur den Verfügungsberechtigten ermächtige, den Vermögensgegenstand abweichend von dem Verbot des § 3 Abs. 3 VermG dem Investor für den festgestellten Investitionszweck zur Verfügung zu stellen, beruht die Gesetzesauslegung im angegriffenen Revisionsurteil nicht auf einer grundlegenden Verkennung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Zwar ist der Restitutionsberechtigte auch als Zessionar vom Investitionsvorrangbescheid – anders als der Pensionär in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall durch den Rentenbescheid – nicht nur mittelbar, sondern insoweit auch unmittelbar betroffen, als die Aufhebung der Verfügungssperre in § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG als Rechtsfolge jenes Bescheids direkt den Anspruch des Restitutionsberechtigten gegen den Verfügungsberechtigten auf Beachtung dieser Sperre erfaßt und zum Erlöschen bringt. Doch ist auf der anderen Seite unbestreitbar, daß dies zu dem einzigen Zweck geschieht, es dem Verfügungsberechtigten zu ermöglichen, den fraglichen Vermögenswert dem Investor für den festgestellten Investitionszweck zu überlassen. Insofern berührt der Investitionsvorrangbescheid allein die Rechtsbeziehung zwischen dem Verfügungsberechtigten und dem Investor und ist der Restitutionsberechtigte, vergleichbar dem Pensionär im Pensionistenfall, lediglich Dritter. Dem entspricht es, daß der Investitionsvorrangbescheid nur an den Verfügungsberechtigten und nicht an den Rückübertragungsberechtigten adressiert ist, dem der Bescheid allerdings ebenfalls zugestellt wird (vgl. § 9 InVorG).

Ist es vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlich zumindest nicht unvertretbar, daß sich das Bundesverwaltungsgericht im angegriffenen Revisionsurteil an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Pensionistenprivileg orientiert hat, so kann schließlich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch angenommen werden, daß die in dieser Entscheidung geforderten sachlichen Gründe für Regelungen der in Rede stehenden Art hier vorliegen. Mit der Vorschrift des § 4 Abs. 5 InVorG verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, Zessionare, die anders als viele Alteigentümer typischerweise kein ideelles, sondern nur ein materiellwirtschaftliches Interesse an dem Restitutionsobjekt haben, daran zu hindern, Investitionsverfahren und damit auch die Investitionstätigkeit in den neuen Bundesländern zu verzögern. Außerdem sollen Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden, die entstünden, wenn sich mögliche Investoren Rückübertragungsansprüche abtreten lassen, um in der Konkurrenz mit anderen Investoren das Anmelderprivileg des § 7 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 InVorG für sich reklamieren zu können und ein Klagerecht zu erhalten, das andere Investoren gegenüber Bescheiden zugunsten eines Mitkonkurrenten nicht haben (vgl. Mauer, in: Rodenbach/Söfker/Lochen, Investitionsvorranggesetz, § 12 Rn. 58 ≪Stand: Januar 1995≫). Das sind Gründe, die so gewichtig sind, daß sie die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene materielle Regelung mit ihren Konsequenzen für die Klagebefugnis der Zessionare zu rechtfertigen vermögen.

bb) Die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen betreffen den Beschwerdeführer auch nicht in existentieller Weise (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Der von ihm im Ausgangsverfahren angefochtene Investitionsvorrangbescheid hat der früheren Verfügungsberechtigten gestattet, einen Mietvertrag über Räume abzuschließen, die sich in dem Restitutionsobjekt befinden. Diesen Mietvertrag, der am 30. Juni 2001 endet, mußte der Beschwerdeführer im Zuge der Rückübertragung des fraglichen Grundstücks an ihn nach § 16 Abs. 2 Satz 1 und § 17 VermG übernehmen. Als Gegenleistung erhält er den Mietzins, der gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 InVorG an die örtliche Vergleichsmiete anzupassen ist. Wirtschaftlich entstehen dem Beschwerdeführer danach keine Verluste. Daß er die vermieteten Räume selbst anderweitig benötigt, hat er nicht vorgetragen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Hömig

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276114

VIZ 2000, 209

WM 2000, 246

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