Verfahrensgang
OVG Berlin (Beschluss vom 25.09.2009; Aktenzeichen 1 L 65.09) |
VG Berlin (Beschluss vom 01.07.2009; Aktenzeichen 1 K 74.09) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welcher Rechtsweg für eine gegen die Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (künftig: Entschädigungseinrichtung) gerichtete Untätigkeitsklage eröffnet ist.
I.
1. Die Beschwerdeführerin beteiligte sich in den Jahren 1999 und 2005 an dem sogenannten P. Managed Account der P. GmbH (künftig: P.), einem Wertpapierhandelsunternehmen im Sinne des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes (EAEG).
Am 15. März 2005 stellte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei der P. den Entschädigungsfall im Sinne des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes fest (§ 1 Abs. 5 EAEG); auf einen parallel gestellten Insolvenzantrag wurde am 1. Juli 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. eröffnet. Mit Schreiben vom 10. Mai 2005 meldete die Beschwerdeführerin bei der Entschädigungseinrichtung ihre Entschädigungsansprüche in Höhe von rund 11.000 EUR an. Eine Entscheidung über diesen Entschädigungsantrag hat die Entschädigungseinrichtung bislang noch nicht getroffen.
Im August 2008 forderte die Beschwerdeführerin die Entschädigungseinrichtung auf, nunmehr über ihren Antrag zu entscheiden. Die Entschädigungseinrichtung stellte daraufhin für September 2008 eine Teilentschädigung in Aussicht, meldete sich in der Folgezeit aber nicht mehr bei der Beschwerdeführerin. Diese erhob daraufhin am 24. März 2009 beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage.
Durch seinen mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss erklärte das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht. Zur Begründung stützte sich das Verwaltungsgericht darauf, dass die Rechtswegzuweisung an die Zivilgerichte in § 3 Abs. 4 EAEG nicht nur für Klagen auf Zahlung einer Entschädigung, sondern auch für Untätigkeitsklagen gegen die Entschädigungseinrichtung gelte, mit denen eine Entscheidung über die Berechtigung und Höhe der Entschädigung erwirkt werden solle. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das Oberverwaltungsgericht durch seinen hier ebenfalls angegriffenen Beschluss zurück und schloss sich der Argumentation des Verwaltungsgerichts an.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts sowie gegen die „andauernde Unterlassung von Verwaltungstätigkeit” der Entschädigungseinrichtung hinsichtlich des von ihr gestellten Entschädigungsantrages. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 EMRK.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Die Verweisung des Ausgangsverfahrens an die Zivilgerichtsbarkeit ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Auch richterliche Maßnahmen und Entscheidungen können die Garantie des gesetzlichen Richters verletzen. Allerdings führt nicht schon jede bloß fehlerhafte Anwendung einfachgesetzlicher Zuständigkeitsvorschriften zu einer verfassungswidrigen Entziehung des gesetzlichen Richters. Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist vielmehr erst dann überschritten, wenn die fehlerhafte Auslegung einer Zuständigkeitsnorm offensichtlich unhaltbar ist. Hiervon kann nur die Rede sein, wenn sich das Gericht bei der Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪48 f.≫; 29, 198 ≪207≫; 82, 159 ≪194≫; 82, 286 ≪299≫; 86, 133 ≪143≫).
b) Gemessen an diesem Maßstab bestehen gegen die angegriffenen Entscheidungen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Beide Ausgangsgerichte haben sich ausführlich mit der Zuständigkeitsregelung des § 3 Abs. 4 EAEG auseinandergesetzt. Danach ist für Streitigkeiten über Grund und Höhe des Entschädigungsanspruchs der Zivilrechtsweg gegeben. Die Fachgerichte haben in ihren Entscheidungsgründen dargelegt, warum diese Sonderzuständigkeit nicht nur gegen die Entschädigungseinrichtung gerichtete Zahlungsklagen, sondern auch die hier erhobene Untätigkeitsklage erfasse. Die Erwägungen beider Gerichte erweisen sich als plausibel; sie sind schon im Blick auf den Wortlaut der Zuständigkeitsregelung ersichtlich gut vertretbar und werden auch durch die Einwände der Verfassungsbeschwerde nicht entkräftet. Die von der Verfassungsbeschwerde angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 124, 321) betrifft eine andere, mit der hier gegebenen nicht vergleichbaren Fallgestaltung; sie steht deshalb der Annahme eines einheitlichen Rechtsweges zu den Zivilgerichten für Untätigkeits- und Zahlungsklage gegen die Entschädigungseinrichtung aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegen.
2. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen ferner nicht das Recht der Beschwerdeführerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
Die Beschwerdeführerin verkennt, dass die von ihr in Bezug genommenen zivilgerichtlichen Verfahren, in denen es zu einer Aussetzung nach § 148 ZPO gekommen war, eine andere Zielrichtung hatten, als sie nunmehr von ihr mit der erhobenen Untätigkeitsklage verfolgt wird. Hintergrund der in anderen Zivilverfahren ergangenen Aussetzungsbeschlüsse war, dass die befassten Zivilgerichte im Hinblick auf den vor ihnen geltend gemachten Zahlungsanspruch von einer Vorgreiflichkeit der Entscheidung der Entschädigungseinrichtung über die Entschädigung ausgingen. Dass eine entsprechende Handhabung auch für ihre an ein Zivilgericht verwiesene Untätigkeitsklage konkret zu besorgen wäre, wird von der Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert vorgetragen.
Die Verfassungsbeschwerde lässt zudem eine Auseinandersetzung damit vermissen, dass die Beschwerdeführerin selbst im Fall einer Aussetzung des Verfahrens über ihre hier vorrangig auf Bescheidung gerichtete Klage nach § 148 ZPO die Möglichkeit hätte, diese Aussetzung mit der sofortigen Beschwerde nach § 252 ZPO anzugreifen (vgl. BAG, NZA 2009, S. 1436; KG, MDR 2008, S. 283). Selbst bei einer bloßen Nichtbearbeitung des gerichtlichen Verfahrens – ohne förmliche Aussetzung – wäre die Möglichkeit einer Untätigkeitsbeschwerde eröffnet, die das hier zur Entscheidung berufene Kammergericht als grundsätzlich statthaft anerkennt (vgl. KG, NJW-RR 2005, S. 374).
3. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Untätigkeit der Entschädigungseinrichtung beanstandet (vgl. dazu § 5 Abs. 4 EAEG), ist der Rechtsweg zur zuständigen Fachgerichtsbarkeit nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Eine rechtskräftige Entscheidung über die von der Beschwerdeführerin erhobene Untätigkeitsklage in der Sache liegt nicht vor. Insoweit ist es geboten und der Beschwerdeführerin auch zumutbar, dass sie vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde umfassend von den einfachrechtlich eröffneten Rechtsbehelfen Gebrauch macht, wenn diese nicht offensichtlich unzulässig sind (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪381≫; stRspr). Es ist nicht erkennbar, dass es der Beschwerdeführerin auch auf dem – hier nach den angegriffenen Beschlüssen eröffneten – Zivilrechtsweg offensichtlich nicht möglich sein sollte, bei einer andauernden, durch rechtlich erhebliche Gründe nicht gerechtfertigten Untätigkeit der Entschädigungseinrichtung ihr Rechtsschutzziel wirksam zu verfolgen. So kann dem Vortrag der Beschwerdeführerin insbesondere nicht entnommen werden, dass neben einer Zahlungsklage, die bei anderen Anlegern bereits abgewiesen worden oder zur Aussetzung des Verfahrens geführt haben soll, auch im Wege einer auf Bescheidung gerichteten allgemeinen Leistungsklage oder einer Beschwerde gegen eine etwaige Aussetzungsentscheidung hier kein wirksamer Rechtsschutz zu erlangen wäre. Das gilt zumal auch im Blick darauf, dass der Entschädigungseinrichtung in § 5 Abs. 4 EAEG die unverzügliche Prüfung der angemeldeten Ansprüche vorgeschrieben ist und Fristen für die Erfüllung geprüfter Ansprüche vorgegeben sind.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen