Verfahrensgang
Tenor
Die miteinander verbundenen Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Berechnung der Zahl der Arbeitsplätze eines Arbeitgebers im Rahmen der Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen und zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe bei Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht.
I.
1. Arbeitgeber sind grundsätzlich verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen und eine Ausgleichsabgabe zu zahlen, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen. In dem für die vorliegenden Verfassungsbeschwerden maßgeblichen Zeitraum ergaben sich diese Pflichten aus § 5 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz – SchwbG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl I S. 1421). Verpflichtet waren Arbeitgeber, die über mehr als 16 Arbeitsplätze verfügten, aber nicht auf wenigstens 6 vom Hundert davon schwerbehinderte Menschen beschäftigten. Die Ausgleichsabgabe betrug in den Jahren 1990 bis 2000 je Monat und unbesetztem Pflichtplatz 200 DM. Der Arbeitgeber konnte sie durch Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen mindern. Die Einnahmen aus der Abgabe durften nur für die Arbeits- und Berufsförderung schwerbehinderter Menschen verwendet werden. Auch Arbeitgeber konnten für solche Zwecke Leistungen beziehen (vgl. §§ 5 bis 12, § 55 SchwbG 1986). Die heute geltenden, dem Schwerbehindertengesetz von 1986 im Wesentlichen entsprechenden Regelungen sind in den §§ 71 bis 79 und § 140 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1046) enthalten.
2. Die Beschwerdeführerin ist ein international tätiges Frisörunternehmen, das in Deutschland mehr als eintausend Salons mit etwa 7.000 Mitarbeitern betreibt. Sie beziehungsweise ihre Rechtsvorgängerinnen wurden von 1991 bis 1998 zu Ausgleichsabgaben in Höhe von insgesamt etwa 1,8 Millionen DM herangezogen. Die zuständige Behörde legte hierbei die Anzahl der Arbeitsplätze im jeweiligen Gesamtunternehmen zu Grunde.
a) Die Beschwerdeführerin wandte gegen die Heranziehung zur Abgabe ein, bei der Ermittlung der Zahl der Arbeitsplätze sei ein betriebsbezogener, „funktionaler” Arbeitgeberbegriff maßgeblich. Es dürfe nicht auf das Unternehmen im Ganzen, sondern nur auf die einzelne Filiale abgestellt werden. In fast keinem Betrieb beschäftige sie aber 16 oder mehr Arbeitnehmer. Jede andere Auslegung des § 5 Abs. 1 SchwbG sei verfassungswidrig. Dies folge insbesondere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1990 (BVerfGE 81, 156 ff.). Dort seien ausdrücklich Kleinbetriebe und nicht etwa Kleinunternehmen von der Erstattungspflicht nach § 128 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ausgenommen worden. Entsprechend knüpften die Ausnahmen, die der Gesetzgeber in § 128 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 6 und 7 AFG in der Fassung des Gesetzes vom 18. Dezember 1992 (BGBl I S. 2044) eingefügt habe, an den einzelnen Betrieb und nicht an das Unternehmen an. Die dem zu Grunde liegenden Erwägungen gälten auch für die Ausgleichsabgabe. Die Privilegierung von Kleinunternehmen verstoße zudem gegen europäisches Gemeinschaftsrecht.
b) Die Rechtsbehelfe der Beschwerdeführerin hatten keinen Erfolg. In zwei Verfahren (1 BvR 1289/03 und 1290/03) erwirkte sie Berufungsurteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (NWVBl 2004, S. 67 f.). Die gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht zurück (Buchholz 436.61 § 5 SchwbG Nr. 2; BehindR 2003, S. 222). Es folgte dabei seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, ZfSH/SGB 1988, S. 368 und 1989, S. 650). In sieben weiteren Verfahren lehnten die zuständigen Oberverwaltungsgerichte die Anträge der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung gegen die erstinstanzlichen klagabweisenden Urteile ab.
3. Gegen diese Entscheidungen richten sich die Verfassungsbeschwerden. Im Verfahren 1 BvR 1785/01 wendet sich die Beschwerdeführerin zusätzlich gegen einen Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die Zulassung der Sprungrevision abgelehnt hat. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 457/04 betrifft ein verwaltungsgerichtliches Urteil zur Erhebung von Säumniszuschlägen wegen einer 1995 festgesetzten Ausgleichsabgabe. Gegen dieses Urteil hat die Beschwerdeführerin die Zulassung der Berufung beantragt.
Die Beschwerdeführerin rügt, die formale Auslegung des Arbeitgeberbegriffs in § 5 Abs. 1 SchwbG 1986 verletze sie in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 GG. Zur Begründung verweist sie auf ihren Vortrag in den Ausgangsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, ein Filialunternehmen wie sie könne auf Grund organisatorischer, technischer und wirtschaftlicher Sachzwänge keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Die Ausgleichsabgabe entfalte daher keinerlei Anreize. Deshalb sei die Belastung unverhältnismäßig. Außerdem werde sie gegenüber solchen Konzernverbünden diskriminiert, die ihre Filialen als selbstständige juristische Personen betrieben. Durch Herstellung einer derartigen Unternehmensstruktur könne sich ein Arbeitgeber der Beschäftigungspflicht entziehen; dies werde nur mit Hilfe des funktionalen Arbeitgeberbegriffs verhindert.
Entscheidungsgründe
II.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden sind nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie haben keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 457/04 ist nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unzulässig, weil über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung noch nicht entschieden und daher der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist. Ebenfalls unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1785/01, soweit sie sich gegen die Nichtzulassung der Sprungrevision richtet. Die Beschwerdeführerin hat hier nicht in einer §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG entsprechenden Weise dargelegt, aus welchen Gründen diese Entscheidung ihre Grundrechte verletzt.
2. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der §§ 5 Abs. 1, 11 Abs. 1 und 2 SchwbG hat das Bundesverfassungsgericht jüngst bestätigt (Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. Oktober 2004 ≪1 BvR 2221/03≫ im Anschluss an BVerfGE 57, 139 ≪153 ff.≫). § 5 Abs. 1 SchwbG verletzt aber auch in der Auslegung, die der Begriff des Arbeitgebers in dieser Vorschrift durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen erfahren hat, nicht Verfassungsrecht.
a) Die Vorschrift über den Umfang der Beschäftigungspflicht in § 5 Abs. 1 SchwbG ist eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie belastet die Beschwerdeführerin nicht unverhältnismäßig.
aa) Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe sollen Arbeitgeber unter anderem dazu anhalten, durch eigene Bemühungen wenigstens für einige Gruppen schwerbehinderter Menschen Arbeitsplätze bereitzustellen und gezielt nach solchen Arbeitnehmern zu suchen (vgl. BVerfGE 57, 139 ≪168≫; BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2004, a.a.O.).
Diese Anreizfunktion kann die angegriffene Regelung auch im Falle der Beschwerdeführerin erfüllen. Grundsätzlich ist jedes Unternehmen unabhängig von seiner Größe, seiner Struktur oder seinem Gegenstand in der Lage, schwerbehinderte Menschen einstellen. Die Erscheinungsformen körperlicher, geistiger und seelischer Behinderung (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) sind vielfältig. Viele behinderte Menschen können, gegebenenfalls nach Maßnahmen der Rehabilitation, in unterschiedlichen Berufen arbeiten (vgl. schon BTDrucks 7/1515, S. 5). Der Gesetzgeber durfte bei einer generalisierenden Betrachtung auch davon ausgehen, dass ein größeres Filialunternehmen schwerbehinderte Menschen beschäftigen kann. Da es über eine entsprechend große Anzahl von Arbeitsplätzen verfügt, kann es die am besten zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht geeigneten Standorte und Betriebe aussuchen. Im Vergleich zu anderen größeren Unternehmen mit wenigen Betriebsstätten verfügt es über bessere Möglichkeiten, schwerbehinderte Bewerber zu finden; es kann ihnen insbesondere einen wohnortnahen Arbeitsplatz anbieten. Die nötigen Aufwendungen für die Einrichtung behindertengerechter Arbeitsplätze sind einem größeren Unternehmen unabhängig von seiner Struktur auch zumutbar.
Die Beschwerdeführerin hat demgegenüber nicht in einer nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG ausreichenden Weise dargelegt, weshalb im Frisörgewerbe generell oder speziell in ihren Salons schwerbehinderte Menschen nicht beschäftigt werden könnten. Insbesondere hat sie nicht in substantiierter Form vorgetragen, dass ein Filialunternehmen, dessen Gegenstand über Frisörleistungen hinausgeht, keine geeigneten Arbeitsplätze im Organisations- und Verwaltungsbereich einzurichten vermag.
bb) In jedem Falle rechtfertigt die so genannte Ausgleichsfunktion die Geltung der Abgabepflicht für alle Unternehmen (vgl. BVerfGE 57, 139 ≪168≫). Arbeitgeber, die – aus welchen Gründen auch immer – keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen, leisten auf diese Weise einen Ausgleich zu Gunsten jener, die dies tun (vgl. BTDrucks 7/656, S. 20). Alle Arbeitgeber können, wenn sie solche Arbeitsplätze einrichten, Fördermittel in Anspruch nehmen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchwbG; § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB IX), die aus dem Aufkommen der Ausgleichsabgabe finanziert werden (§ 11 Abs. 3 SchwbG; § 77 Abs. 5 SGB IX). Ein größeres Unternehmen kann im Übrigen die Last der Ausgleichsabgabe wirtschaftlich eher tragen, wenn es die Beschäftigungsquote nicht erfüllt. Dies gilt auch, wenn es in Filialen organisiert ist.
cc) Der Beschwerdeführerin kann nicht darin gefolgt werden, die Regelung des § 5 Abs. 1 SchwbG sei nur verhältnismäßig, wenn sie ebenso wie § 128 Abs. 1 AFG (vgl. jetzt § 147 a Abs. 1 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB III≫ in der Fassung vom 24. März 1999, BGBl I S. 396) an den Begriff des Kleinbetriebs anknüpfe. Sie kann sich dabei insbesondere nicht auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (BVerfGE 81, 156 ≪184 ff.≫) berufen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 23. Januar 1990 zwar mehrfach den Begriff des Kleinbetriebs genannt, jedoch in dem hier interessierenden Zusammenhang ausgeführt, die Erstattungspflicht könne dann unverhältnismäßig sein, wenn sie „für den Arbeitgeber” eine besondere Härte darstelle oder wenn sie zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten „des Arbeitgebers” führe (vgl. a.a.O., S. 204, 205). Aus der erstattungsrechtlichen Bevorzugung von Kleinbetrieben in den genannten Vorschriften lassen sich Folgerungen für die verfassungsrechtlich gebotene Auslegung der hier zur Prüfung gestellten Regelung nicht ziehen. Sie gründet sich auf die besondere Situation einer wirtschaftlichen Krise einzelner Betriebe mit einem erheblichen Personalabbau.
b) Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist. Sie wird im Verhältnis zu keiner der von ihr benannten Vergleichsgruppen in verfassungswidriger Weise ungleich oder gleich behandelt.
aa) Die Beschwerdeführerin wird bei Zugrundelegung des so genannten formalen Arbeitgeberbegriffs anders behandelt als selbstständige Kleinunternehmen. Gerechtfertigt ist dies im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 100, 138 ≪174≫), weil sie auf Grund ihrer Größe eher in der Lage ist, Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen einzurichten und zu besetzen, und wegen ihrer entsprechenden Wirtschaftskraft die Abgabe gegebenenfalls leichter tragen kann.
Die Beschwerdeführerin wird weiter gegenüber solchen Konzernunternehmen ungleich behandelt, die ihre Betriebsstätten als selbstständige juristische Personen und damit als eigene Arbeitgeber im Sinne des § 5 Abs. 1 SchwbG ausgestaltet haben. Bei solchen Unternehmen wird die Zahl der für die Erhebung der Abgabe maßgeblichen Arbeitsplätze nach den einzelnen Betriebsstätten berechnet. Diese Differenzierung ist aber gerechtfertigt. Bei typisierender Betrachtungsweise kann auf solche selbstständigen Einheiten von Seiten der Konzernleitung weniger Einfluss genommen und daher nicht durch Ausübung des Direktionsrechts sichergestellt werden, dass alle Pflichtplätze besetzt werden. Ob und gegebenenfalls welche Folgerungen die Fachgerichte und gegebenenfalls der Gesetzgeber zu ziehen haben, wenn ein Unternehmen eine solche Struktur schafft, ohne den entsprechenden Einfluss auf die verbundenen Unternehmen zu verlieren, oder sich für diese Struktur entscheidet, um sich der Beschäftigungspflicht des § 5 Abs. 1 SchwbG zu entziehen, ist hier nicht zu entscheiden.
bb) Die Beschwerdeführerin wird ebenso behandelt wie andere größere Unternehmen, die nicht in Form eines Filialnetzes strukturiert sind. Diese Gleichbehandlung ist nach den dafür maßgeblichen Grundsätzen (vgl. BVerfGE 98, 365 ≪385≫) gerechtfertigt. Die oben genannten Erwägungen zur Zumutbarkeit der Beschäftigungspflicht und der Ausgleichsabgabe treffen auf Unternehmen in beiden Strukturformen gleichermaßen zu. In Bereichen, in denen Unterschiede zwischen Filialunternehmen und Unternehmen ohne Filialen bestehen, stellt auch das Schwerbehindertenrecht auf den Betrieb und nicht auf das Unternehmen ab. Es nimmt auf diese Weise Rücksicht auf Unternehmen wie das der Beschwerdeführerin. Dies gilt zum Beispiel für die Schwerbehindertenvertretung (§ 24 Abs. 1 Satz 1 SchwbG; § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen