Verfahrensgang

BayObLG (Beschluss vom 11.03.1997; Aktenzeichen 5St RR 89/96)

BayObLG (Beschluss vom 03.07.1996; Aktenzeichen 3St RR 68/96)

AG Landsberg a. Lech (Urteil vom 02.05.1996; Aktenzeichen 3 Ds 101 Js 535/89)

AG München (Urteil vom 06.02.1996; Aktenzeichen 8540 Cs 115 Js 4834/89)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1 wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Urteil des Amtsgerichts Landsberg am Lech vom 2. Mai 1996 – 3 Ds 101 Js 535/89 – und der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. März 1997 – 5St RR 89/96 – verletzen den Beschwerdeführer zu 2 in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer zu 2 die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen erneute strafgerichtliche Verurteilungen der Beschwerdeführer wegen Beleidigung der Bundeswehr und einzelner Soldaten, nachdem vorangegangene Verurteilungen wegen derselben Taten durch das Bundesverfassungsgericht (Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 221/92 betreffend die Beschwerdeführerin zu 1 und Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 1980/91 betreffend den Beschwerdeführer zu 2) aufgehoben worden waren (BVerfGE 93, 266 ≪310 f., 307 ff.≫).

I.

Verfahren 1 BvR 1656/96

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin zu 1 angezeigt (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 10. Oktober 1995 ausgeführt, dass eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) nicht zu beanstanden ist, wenn ihr eine Verletzung der Ehre einzelner Soldaten oder der Angehörigen bestimmter Streitkräfte durch die darauf bezogene Äußerung „Soldaten sind Mörder” zu Grunde liegt (BVerfGE 93, 266 ≪297, 312≫). In den angegriffenen Entscheidungen haben die Strafgerichte die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Auslegung und Anwendung des § 185 StGB beachtet.

 

Entscheidungsgründe

II.

Verfahren 1 BvR 643/97

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers zu 2 aus Art. 5 Abs. 1 GG angezeigt ist.

1. Im Senatsbeschluss vom 10. Oktober 1995 ist der Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers im Wesentlichen darin gesehen worden, dass die Gerichte ihre Annahme, einzelne Soldaten oder die Bundeswehr insgesamt seien beleidigt worden, nicht hinreichend begründet haben (BVerfGE 93, 266 ≪307 ff.≫). Anhand der vom Amtsgericht nunmehr gegebenen Begründung ist weiterhin nicht nachvollziehbar, das Flugblatt habe auf einzelne Soldaten oder spezifisch die Bundeswehr gezielt und die Deutung sei ausgeschlossen, es ginge um eine nachhaltige Kritik am Soldatentum allgemein, wenn auch unter Einschluss der Bundeswehr (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪296≫).

Das Amtsgericht stützt die Bezugnahme auf die Bundeswehr auf den Zusatz im Flugblatt „auch bei der Bundeswehr”, obwohl das Bundesverfassungsgericht schon festgestellt hat, dass dieser nicht ergebe, gerade die Soldaten der Bundeswehr seien gemeint (BVerfGE 93, 266 ≪308≫). Soweit das Amtsgericht auf die Verteilung des Flugblatts aus Anlass einer Karikaturenausstellung der Bundeswehr verweist, verkennt es, dass in den Karikaturen des Flugblatts nur allgemeine Kürzel für Soldatentum und Militarismus eingesetzt werden. Die Benutzung des – schon im Jahre 1813 gestifteten, in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr vergebenen – Eisernen Kreuzes ist kein Gegenindiz. Es wird nicht bereits dadurch inhaltlich auf die Bundeswehr bezogen, dass es, wie das Bayerische Oberste Landesgericht betont, auch bei der Bundeswehr getragen wird. Der Hinweis auf die in dem Flugblatt enthaltene Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung erlaubt ebenfalls keinen eindeutigen Schluss auf eine Ausrichtung des Flugblatts gerade auf die Bundeswehr. Im Übrigen hat das Amtsgericht bei seiner Bezugnahme auf die Ausführungen zum „Soldatenhandwerk” auch die auf den vorliegenden Fall bezogene Aussage des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 10. Oktober 1995 unberücksichtigt gelassen, dass für eine Bestrafung die Feststellung nicht ausreicht, die Soldaten der Bundeswehr bildeten eine Teilgruppe aller Soldaten (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪302≫). Es hat insofern den Fehler wiederholt, den das Bundesverfassungsgericht schon im Jahre 1995 beanstandet hat.

Darüber hinaus hat das Amtsgericht in einer nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Weise angenommen, die an sich gebotene Abwägung des jeweiligen Gewichts der Beeinträchtigung der im vorliegenden Fall berührten Interessen scheide schon deshalb aus, weil mit dem Flugblatt eine „polemische Diffamierung” von Soldaten erfolge. Insofern hat das Amtsgericht die Rechtsfigur der Schmähkritik verkannt.

Da das Bayerische Oberste Landesgericht den Erwägungen des Amtsgerichts gefolgt ist, leidet sein Beschluss an denselben Mängeln. Der Begriff der Schmähkritik wird zudem in einem anderen, nämlich weiteren Sinne verwendet, als es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht.

2. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gerichte bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Vorgaben zu anderen Ergebnissen gekommen wären, beruhen die angegriffenen Entscheidungen auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Sie sind daher aufzuheben; zudem ist die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

III.

Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1267201

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