Verfahrensgang
OLG Rostock (Beschluss vom 25.09.2007; Aktenzeichen 12 U 13/06) |
AG Neubrandenburg (Urteil vom 24.10.2006) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Enteignungen der sogenannten Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949.
1. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 3. sind Erben eines Betroffenen der Bodenreform, die Beschwerdeführerin zu 4. ist eine zwischen den Beschwerdeführern zu 1. bis 3. bestehende Gesellschaft des bürgerlichen Rechts.
a) Die Verfassungsbeschwerde richtet sich erstens gegen jeweils zwei Gerichtsentscheidungen des Amtsgerichts Neubrandenburg und des Oberlandesgerichts Rostock zum Grundstücksrecht. Der Beschwerdeführer zu 1. und die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. sowie eine aus beiden bestehende Gesellschaft des bürgerlichen Rechts wurden in zwei Verfahren vor dem Amtsgericht Neubrandenburg auf Grundstücksherausgabe verklagt. Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) hatte den Beklagten die nach Ansicht der Beschwerdeführer restitutionsbelasteten Grundstücke befristet bis September 2005 verpachtet und im Anschluss an die Kläger der Ausgangsverfahren veräußert. Diese wurden daraufhin im Januar beziehungsweise im März 2006 als Eigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke im Grundbuch eingetragen. Die Beklagten weigerten sich, die streitgegenständlichen Grundstücke herauszugeben. Weil die Grundstücke restitutionsbelastet seien, sei das dingliche Verfügungsgeschäft der BVVG nichtig; die Kläger seien daher nicht Eigentümer.
Das Amtsgericht Neubrandenburg verurteilte die Beklagten jeweils zur Herausgabe des Grundstücks. Die Berufungen hiergegen wies das Oberlandesgericht Rostock mit zwei Beschlüssen nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Die Eigentumsvermutung des § 891 BGB sei nicht widerlegt worden. Es finde in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Stütze, eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen, verfügungsbefugte juristische Personen von der Übereignung restitutionsbelasteter Grundstücke abzuhalten. Eine vom Beklagten zu 1. jeweils erhobene Eventual-Zwischenfeststellungswiderklage werde mit dem Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO wirkungslos. Wenn die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorlägen, könne das Berufungsgericht nicht durch eine mit der Berufung erhobene Klageerweiterung oder Widerklage gezwungen werden, mündlich zu verhandeln.
b) Zweitens wenden sich die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. gegen das Unterlassen des Gesetzgebers, „die Restitution im Sinne einer Rehabilitierung wegen der immateriellen Aspekte einer politischen Verfolgung und einer Rückgabe der im Zusammenhang damit eingezogenen Vermögenswerte” geregelt zu haben.
c) Schließlich beantragen die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3., der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Mecklenburg-Vorpommern, dem Landkreis D. und der Gemeinde I. im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, über die Grundstücke zu verfügen, die ehemals zu den näher bezeichneten Gütern gehörten.
2. a) Im Hinblick auf die Gerichtsentscheidungen rügen die Beschwerdeführer zunächst eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG und Art. 35 der Artikel der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zum Recht der Staatenverantwortlichkeit (Anlage zur Resolution Nr. 56/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen) sowie Art. 26 des Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl 1973 II S. 1534). Sowohl die schuldrechtlichen als auch die dinglichen Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit den Grundstücksveräußerungen seien wegen Verletzung von zwingendem Völkerrecht gemäß § 134 BGB nichtig. Die Gerichtsentscheidungen versagten den Beschwerdeführern den ihnen zustehenden völkerrechtlichen Restitutionsanspruch. Ferner würden die Beschwerdeführer im Vergleich mit den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung oder der „Waldheimer Prozesse” benachteiligt.
Der Beschwerdeführer zu 1. macht darüber hinaus eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip geltend. Das Oberlandesgericht Rostock habe ihm im Verfahren 12 U 15/06 durch einen Übertragungsfehler bei der Höhe des Streitwerts unmöglich gemacht, den Bundesgerichtshof anzurufen. Ferner habe das Oberlandesgericht fehlerhaft die mündliche Verhandlung über die Eventual-Zwischenfeststellungswiderklage abgelehnt und die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO bejaht.
b) Durch das gesetzgeberische Unterlassen sehen sich die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. ebenfalls in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG und Art. 35 der Artikel der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zum Recht der Staatenverantwortlichkeit sowie Art. 26 des Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19. Dezember 1966 und Art. 3 Abs. 3 GG verletzt. Der Gesetzgeber habe kein Gesetz erlassen, welches die völkerrechtlich begründeten Restitutionsansprüche für die Opfer politischer Verfolgung zum Gegenstand habe.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Weder kommt ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
a) Sofern die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen rügen, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland keiner aus dem Völkerrecht abgeleiteten Pflicht zur Restitution der von der Boden- oder Industriereform Betroffenen unterliegt (vgl. BVerfGE 112, 1 ≪32≫). Sofern die Beschwerdeführer geltend machen, der Restitutionsausschluss erschöpfe sich für die Opfer der Boden- und Industriereform nicht in einem reinen Vermögensunrecht, sondern perpetuiere eine Kollektivstrafe und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gibt dies keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Denn die Beschwerdeführer tragen keine neuen Tatsachen vor, die der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht ebenfalls schon zugrunde gelegen hätten. Der Restitutionsausschluss verstößt auch nicht gegen Gleichheitsrechte. Die verfassungsrechtliche Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren, beinhaltet keine höheren Anforderungen als Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 112, 1 ≪38≫). Außerdem ist es verfassungskonform, dass den Opfern rassischer, politischer, religiöser oder weltanschaulicher Verfolgung während der nationalsozialistischen Herrschaft – anders als den Opfern der Boden- und Industriereform – ein Restitutionsanspruch nach dem Vermögensgesetz (Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, als fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik übergeleitet zum 3. Oktober 1990, neu gefasst am 9. Februar 2005, BGBl I S. 205) zusteht (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪45≫). In gleicher Weise verstößt es auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn den Opfern der „Waldheimer Prozesse” gemäß § 1 Abs. 2 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet, neu gefasst am 17. Dezember 1999, BGBI I S. 2664) die strafrechtliche Rehabilitierung ermöglicht wird, grundsätzlich aber nicht den Opfern der Boden- und Industriereform. Die „Waldheimer Prozesse” waren politisch motivierte Strafverfahren ohne rechtsstaatliche Garantien, in denen hohe Freiheits- und Todesstrafen verhängt wurden (vgl. dazu z.B. Fricke, Politik und Justiz in der DDR, 1979, S. 205 ff.; Werkentin, Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, 1995, S. 174 ff.). Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, diese Prozesse generell als rehabilitierungswürdige Maßnahmen politischer Verfolgung zu werten, nicht aber die nur vordergründig als politische Reinigungsaktion getarnte Verstaatlichung der Wirtschaft in der Boden- und Industriereform (dazu von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949, 1996, S. 91 f.).
Gleiches gilt auch im Hinblick auf die gerügte Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz. Der mögliche Übertragungsfehler bei der Höhe des Streitwerts beeinträchtigt die Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschwerdeführers zu 1. schon deswegen nicht, weil die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gemäß § 522 Abs. 3 ZPO generell unanfechtbar ist. Sofern der Beschwerdeführer zu 1. die unrichtige Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO rügt, stellt er keinen Bezug zu verfassungsrechtlich verbürgten Rechtspositionen her. Eine willkürliche Rechtsanwendung ist nicht zu erkennen. Die Entscheidung, nicht mündlich zu verhandeln, ist rechtlich nachvollziehbar (vgl. Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 522 Rn. 37). Gleiches gilt für die Annahme des Oberlandesgerichts, dass die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt seien.
b) Die Rüge des gesetzgeberischen Unterlassens durch die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. ist bereits unzulässig. Gesetzgeberisches Unterlassen kann nur bei völliger Untätigkeit des Gesetzgebers gerügt werden. Hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die nach Ansicht des Beschwerdeführers verfassungswidrig ist, weil sie beispielsweise nur bestimmte Personenkreise begünstigt, so ist die Verfassungsbeschwerde allein gegen diese gesetzliche Vorschrift zulässig (vgl. BVerfGE 29, 268 ≪273≫; 56, 54 ≪71≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 1999 – 1 BvR 2164/98 –, NJW 1999, S. 3478 ≪3479≫). Vorliegend hat der Gesetzgeber Restitution und Rehabilitierung von Betroffenen der Boden- und Industriereform jedoch umfänglich in Art. 143 Abs. 3 GG, im Einigungsvertragsgesetz (Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 23. September 1990, BGBl II S. 885), im Ausgleichsleistungsgesetz (Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können vom 27. September 1994, neu gefasst am 13. Juli 2004, BGBl I S. 1665) sowie im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und im Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (vom 23. Juni 1994, neu gefasst am 1. Juli 1997, BGBl I S. 1620 – VwRehaG) geregelt.
2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen