Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.04.1995; Aktenzeichen 9 U 86/92) |
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.05.1992; Aktenzeichen 2/2 O 44/91) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die minderjährige, im Februar 1985 geborene Beschwerdeführerin erkrankte infolge „Dauernuckelns” eines von der Beklagten des Ausgangsverfahrens vertriebenen Instant-Tee-Getränks aus ebenfalls von der Beklagten vertriebenen Plastiksaugerflaschen an Karies in Form des sog. „Baby-Bottle-Syndroms”. Sie machte Produkthaftungsansprüche geltend und nahm die Beklagte auf Schadensersatz (Schmerzensgeld und Ersatz für zusätzlichen Betreuungsaufwand) in Anspruch, hatte damit jedoch weder in erster noch in zweiter Instanz Erfolg. Das Oberlandesgericht schloß sich zur Begründung seines Berufungsurteils vom 19. April 1995 der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs an, wonach die seit Dezember 1982 verwandten Warnhinweise der Beklagten ausreichend seien (Urteil vom 31. Januar 1995, – VI ZR 27/94 –, NJW 1995, S. 1286). Die früher verwandten Hinweise hatte die Rechtsprechung hingegen als unzulänglich erachtet und eine Verletzung der Instruktionspflichten angenommen (vgl. BGHZ 116, 60).
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts und macht insbesondere geltend, daß die Gerichte zu Unrecht auch die neuen Warnhinweise als ausreichend erachtet hätten. Sie rügt u.a. eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten angezeigt (§§ 93 a Abs. 2, 90 Abs. 1 BVerfGG).
Die Feststellung und rechtliche Würdigung des Sachverhalts ist Sache der Fachgerichte. Sie ist der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen.
Das Bundesverfassungsgericht kann nur insoweit korrigierend eingreifen, als Verfassungsrecht verletzt ist. Das ist hier nicht der Fall. Die angegriffenen Entscheidungen sind nachvollziehbar, keinesfalls aber willkürlich (Art. 3 Abs. 1 GG). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sie in Verkennung der Bedeutung und Tragweite von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin ergangen sind. Insbesondere ist eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. GG nicht erkennbar.
In den angegriffenen Entscheidungen wird an die Grundsätze angeknüpft, die die fachgerichtliche Rechtsprechung in bezug auf die einem Warenhersteller obliegenden Instruktionspflichten aufgestellt hat. Dabei berücksichtigt diese Rechtsprechung insbesondere Art und Ausmaß der Gefahr, die von einer Ware für den Verbraucher ausgeht oder jedenfalls ausgehen kann, und stellt daran anknüpfend unterschiedlich hohe Anforderungen an die Ausgestaltung etwaiger Warnhinweise (vgl. die Nachweise in BGHZ 116, 60 ≪65 f.≫). Gegen ein solches gewissermaßen abgestuftes Anforderungsprofil an die Belehrungspflicht ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern. Insbesondere erscheint es als sachgerecht, um so höhere Anforderungen an die Gestaltung von Warnhinweisen zu stellen, je gewichtiger die Gefahr für Gesundheit und Leben ist. Für eine derartige Differenzierung streitet unter anderem der Aspekt, daß ansonsten – wollte man stets und unabhängig vom Ausmaß der Gefahr die bestmögliche und auffälligste Art der Warnung zu fordern – die Gefahr bestünde, daß der Verbraucher angesichts eines Übermaßes ins Auge fallender Warnhinweise Warnungen vor besonders schweren, z.B. lebensbedrohlichen Gefahren gar nicht mehr wahrnähme.
Bei der Anwendung dieser Grundsätze im Ausgangsverfahren haben die Gerichte die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. GG) verletzt. Anhaltspunkte dafür, daß die Fachgerichte verkannt hätten, daß die Beschwerdeführerin Beeinträchtigungen von Körper und Gesundheit geltend gemacht hat, sind nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. In den angegriffenen Entscheidungen werden sowohl die Schädigungen am Gebiß der Beschwerdeführerin als auch die von ihr vorgetragenen seelischen Folgewirkungen angemessen dargestellt. Das Oberlandesgericht hat sich darüber hinaus, indem es sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezogen hat, auch dessen Bewertung der drohenden Gesundheitsschäden als „erheblich” zu eigen gemacht.
Daß bei der Anwendung der vom Bundesgerichtshof entwickelten – an der Möglichkeit „erheblicher” Gesundheitsbeeinträchtigungen orientierten – Maßstäbe Art und Ausmaß des „Baby-Bottle-Syndroms” in verfassungsrechtlich relevanter Weise verkannt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht, das sich die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs uneingeschränkt zu eigen gemacht hat, folgt in seiner Begründung dessen von plausiblen und sachgerechten Erwägungen getragenen Einschätzung, daß der in Rede stehende Warnhinweis ausreichend sei. Dabei ist nicht unberücksichtigt geblieben, daß die Auffälligkeit dieses Hinweises gemindert ist etwa durch die Aufbringung auf der Rückseite sowie die farbige Gestaltung der Banderole; die Gerichte haben es aber genügen lassen, daß der Hinweis vom übrigen Text, insbesondere den allgemeinen Gebrauchshinweisen, getrennt und mit der unterstrichenen Überschrift „Wichtige Hinweise” versehen sei, und maßgeblich darauf abgestellt, daß er „jedenfalls groß genug und nicht versteckt aufgedruckt” (OLG-Urteil, Seite 9; desgl. BGH NJW 1995, S. 1286 ≪1287≫) sei. Wenn sie daraus folgern, daß die – unter näherer Darlegung als auch inhaltlich ausreichend erachteten (vgl. BGH a.a.O.) – Hinweise geeignet seien, einen erwachsenen Verwender auf die möglichen Gesundheitsgefahren aufmerksam zu machen, so ist hiergegen von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.
Das Oberlandesgericht durfte es von Verfassungs wegen mit dem Bundesgerichtshof auch für unerheblich halten, wieviele Verbraucher von der – nach der, wie dargelegt, verfassungsrechtlich unbedenklichen Auffassung der Gerichte – hinreichend gegebenen Möglichkeit der Kenntnisnahme tatsächlich Gebrauch machen (der BGH ≪a.a.O.≫ hat erwogen, daß möglicherweise nur 20 vom Hundert der Verbraucher Gebrauchsanleitungen zu lesen pflegen, wenn dem Produkt das Image der Ungefährlichkeit anhafte). Jedenfalls ist nicht ersichtlich, inwiefern es von Verfassungs wegen geboten gewesen wäre, die Folgen nachlässigen Verhaltens des Einzelnen – auch wenn er diese Nachlässigkeit mit einer großen Mehrheit teilt – anderen aufzubürden, indem man diesen erhöhte Pflichten auferlegt. Andererseits wäre es freilich bedenklich, wenn an den Verbraucher völlig überzogene oder praktisch nicht erfüllbare Anforderungen gestellt würden. Davon kann aber nicht die Rede sein, wenn ihm – wie hier – nahegelegt wird, einen nach den Feststellungen der Fachgerichte hinreichend großen, separaten und durch die Überschrift „Wichtige Hinweise” hervorgehobenen Text zu lesen. Damit werden die Anforderungen an die elterliche Mitverantwortung für die Gesundheit ihrer Kinder nicht überspannt.
Von einer Begründung der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der weiteren Rügen, die eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ebenfalls nicht rechtfertigen, wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Seidl, Grimm, Haas
Fundstellen
Haufe-Index 1134536 |
NJW 1997, 249 |
NVwZ 1997, 261 |
ZIP 1996, 2168 |
LRE, 15 |
VersR 1998, 58 |
PharmaR 1997, 45 |
LMuR 1997, 26 |