Entscheidungsstichwort (Thema)
Frist für Absetzung eines Urteils
Leitsatz (redaktionell)
Begründet das Gericht seine Entscheidung mit erheblicher Verspätung, ist damit nicht notwendig eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG verbunden. Das Urteil müsste zwar nach § 310 Abs. 2 ZPO bereits am Tag der Verkündung in vollständig abgefaßter Form vorliegen. Eine fünfmonatige Verspätung stellt nur einen einfachrechtlichen Verfahrensfehler dar.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 310 Abs. 2, §§ 516, 552
Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 20.12.1995; Aktenzeichen 10 S 391/95) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des rechtlichen Gehörs in einem Mietprozeß. Im Rahmen einer Räumungsklage ordnete das Landgericht für den 20. Dezember 1995 einen Verkündungstermin an. Im Verkündungstermin erließ es das Berufungsurteil und gab der Räumungsklage unter Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung statt. Das Berufungsurteil wurde zunächst ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe zugestellt. Nachdem der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben hatte, wurde am 20. Mai 1996 ein vollständiges Urteil mit Tatbestand und Gründen zu den Akten gegeben und ausgefertigt. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt.
1. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht allein deswegen vor, weil das Landgericht seine Entscheidung mit erheblicher Verspätung begründet hat. Das Urteil hätte zwar nach § 310 Abs. 2 ZPO bereits am Tag der Verkündung in vollständig abgefaßter Form vorliegen müssen, so daß die fünfmonatige Verspätung einen einfachrechtlichen Verfahrensfehler darstellt. Damit ist aber nicht notwendig eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG verbunden.
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte in erster Linie dazu, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, daß ein Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfGE 65, 293 ≪295≫; stRspr). Der Nachweis für die mangelnde Berücksichtigung eines Parteivorbringens ergibt sich regelmäßig aus einem Vergleich des Sachvortrags mit der vom Gericht gegebenen Begründung. Der Nachweis für einen Gehörsverstoß gilt aber auch als erbracht, wenn das Gericht in seiner Begründung auf ein zentrales Vorbringen einer Partei nicht eingeht (BVerfGE 86, 133 ≪146≫; stRspr). Daher wird auch das völlige Fehlen einer vom Gesetz vorgeschriebenen Begründung als ausreichendes Indiz für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs angesehen werden müssen, sofern auf eine Begründung nicht ausnahmsweise verzichtet werden kann (vgl. BVerfGE 50, 287 ≪289 f.≫).
Daß eine Urteilsbegründung verspätet abgesetzt wird, stellt hingegen kein hinreichendes Indiz für mangelnde Berücksichtigung des Parteivorbringens dar. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die Urteilsbegründung so spät erfolgt, daß bei den entscheidenden Richtern jeder Erinnerungszusammenhang zwischen Beratung und Begründung verlorengegangen sein muß. Dieser Fall liegt jedoch nicht vor. Von einem völligen Fehlen des Erinnerungszusammenhangs kann jedenfalls innerhalb der den §§ 516, 552 ZPO entnommenen und vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anerkannten Fünfmonatsfrist nicht ausgegangen werden (Beschluß des Gemeinsamen Senats vom 27. April 1993, NJW 1993, S. 2603 ff.). Diese Frist wurde vom Landgericht eingehalten. Denn die Urteilsbegründung wurde am 20. Mai 1996 fertig gestellt, also genau fünf Monate nach Verkündung des Urteils am 20. Dezember 1995.
2. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus einzelne Gehörsverstöße und eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens rügt, kann auf die zutreffende Erwiderung der Gegner des Ausgangsverfahrens verwiesen werden. Die Kammer sieht in diesen Fragen von einer eigenen Begründung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG ab. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Seidl, Hömig, Steiner
Fundstellen
NJW 1996, 3203 |
NVwZ 1997, 158 |