Verfahrensgang
AG Kempten (Urteil vom 09.12.1998; Aktenzeichen 4 C 926/98) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 9. Dezember 1998 – 4 C 926/98 – verletzt Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags wegen vermeintlich unterbliebener Zahlung eines Auslagenvorschusses.
I.
1. Im Ausgangsverfahren nahm der Beschwerdeführer die Beklagte, ein Umzugsunternehmen, auf Schadensersatz in Höhe von 916 DM wegen Beschädigung einer Einbauspüle bei einem Umzug in Anspruch. Mit Beschluß vom 12. Oktober 1998 ordnete das Amtsgericht die Vernehmung zweier vom Beschwerdeführer benannter Zeugen durch das zuständige Rechtshilfegericht an und machte die Einvernahme der Zeugen von der Zahlung eines Auslagenvorschusses in Höhe von insgesamt 300 DM bis spätestens 1. November 1998 abhängig. Der Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdeführers reichte am 31. Oktober 1998 einen Verrechnungsscheck über 300 DM bei Gericht ein, der am 4. November 1998 gutgeschrieben wurde.
Am 10. November 1998 teilte die Geschäftsstelle dem zuständigen Richter auf dessen Anfrage mit, der Auslagenvorschuß sei nicht einbezahlt worden. Der Richter bestimmte daraufhin Verhandlungstermin auf den 25. November 1998, zu dem die Parteivertreter geladen wurden. Im Termin erschien für die Klägerseite niemand. Der Prozeßvertreter der Beklagten beantragte Klageabweisung. Das Gericht protokollierte den Hinweis, die Zeugenvernehmung habe wegen fehlender Vorschußzahlung nicht durchgeführt werden können, und bestimmte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 9. Dezember 1998.
Mit am 4. Dezember 1998 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 3. Dezember 1998 bat der Prozeßvertreter des Beschwerdeführers darum, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Dem Schreiben waren Belege beigefügt, aus denen die Einzahlung des Vorschusses hervorging.
Am 9. Dezember 1998 verkündete das Amtsgericht ein klageabweisendes Endurteil: Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, die behauptete Beschädigung der Einbauspüle durch die Beklagte nachzuweisen. Seinem Beweisangebot habe nicht nachgegangen werden können, weil er den festgesetzten Vorschuß nicht geleistet habe.
Nach der Verkündung fertigte der zuständige Richter einen Vermerk, dessen Inhalt er den Parteivertretern mitteilen ließ. Hierin führte er aus, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung werde abgelehnt. Der Scheck zur Zahlung des Kostenvorschusses sei erst am 4. November 1998 und damit nach Fristablauf eingelöst worden. Einwendungen gegen die nicht erfolgte Vernehmung hätten im Termin am 25. November 1998 vorgetragen werden können.
2. Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Das Gericht habe eine Vernehmung der Zeugen aus Gründen, die im Prozeßrecht keine Stütze mehr fänden, abgelehnt. Es sei ersichtlich irrtümlich davon ausgegangen, daß der Vorschuß nicht einbezahlt worden sei. Selbst wenn man davon ausgehen sollte, daß die Einreichung des Schecks nicht rechtzeitig erfolgt sei, so hätte der kurzfristige Aufschub bis zur Gutschrift des Betrags am 4. November 1998 das Verfahren nicht verzögert. Es sei rechtlich und tatsächlich nicht nachvollziehbar, weshalb das Gericht den Verhandlungstermin vom 25. November 1998 anberaumt habe, anstatt die Zeugen durch das Rechtshilfegericht vernehmen zu lassen. Anschließend habe das Gericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß das Amtsgericht der Klage stattgegeben hätte, wenn die Zeugen vernommen worden wären.
3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Sie verstoße gegen das Subsidiaritätsprinzip. Der Beschwerdeführer habe im Ausgangsverfahren die Gelegenheit ungenutzt gelassen, nach Erhalt der Ladung zum Termin vom 25. November 1998 und in diesem Termin den offensichtlichen Irrtum des Gerichts über die Einzahlung des Kostenvorschusses aufzuklären und so eine mögliche Verletzung seines Rechts auf Gehör zu verhindern. Zwar habe der Beschwerdeführer den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Schriftsatz vom 3. Dezember 1998 vortragen lassen. Das Amtsgericht sei jedoch nicht verpflichtet gewesen, die bereits geschlossene mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Selbst wenn man unterstelle, daß das Gericht bei der Urteilsfindung den Schriftsatz vom 3. Dezember 1998 nicht zur Kenntnis genommen habe, beruhe die angegriffene Entscheidung nicht auf diesem möglichen Gehörsverstoß. Denn angesichts der nachvollziehbaren Begründung in dem nach der Verkündung des Urteils gefertigten Vermerk fehlten jegliche Anhaltspunkte dafür, daß das Gericht bei früherer Kenntnis die mündliche Verhandlung wieder eröffnet hätte.
Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde nicht geäußert.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 69, 141 ≪143 ff.≫; 69, 145 ≪148 ff.≫).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Ihr steht nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser Grundsatz gebietet zwar, daß der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, um es gar nicht erst zu dem Verfassungsverstoß kommen zu lassen oder um die geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 81, 97 ≪102 f.≫; stRspr). Dem Beschwerdeführer sind im vorliegenden Fall jedoch keine Versäumnisse in dieser Richtung anzulasten. Insbesondere hat er das Amtsgericht mit dem Schriftsatz vom 3. Dezember 1998 auf dessen Irrtum über die Einzahlung des Vorschusses hingewiesen. Die Säumnis des Beschwerdeführers im Termin vom 25. November 1998 war für die geltend gemachte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, die sich auf das Verhalten des Gerichts nach diesem Termin bezieht, nicht ursächlich.
2. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozeßgrundrecht sicherstellen, daß die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozeßordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, daß das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt läßt. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozeßrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 69, 141 ≪143 f.≫ m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hält die angegriffene Entscheidung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat die unter Beweis gestellten Behauptungen des Beschwerdeführers zur Beschädigung der Einbauspüle für erheblich angesehen, die Durchführung der Beweisaufnahme aber aus Gründen abgelehnt, die im Zivilprozeßrecht keine Stütze mehr finden.
Gemäß § 379 Satz 2 ZPO unterbleibt bei einer nicht fristgerechten Einzahlung des Vorschusses für eine Beweisaufnahme die Zeugenladung nur, wenn die Zahlung nicht so zeitig nachgeholt wird, daß die Vernehmung durchgeführt werden kann, ohne daß dadurch nach der freien Überzeugung des Gerichts das Verfahren verzögert wird. Die Nicht- oder nicht rechtzeitige Einzahlung des Vorschusses führt also nicht ohne weiteres dazu, daß die Partei mit dem Beweismittel ausgeschlossen ist. Das Gericht kann, wenn es dem Beweisantrag nicht stattgeben will, diesen vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO zurückweisen, also nur dann, wenn die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht (vgl. BGH, NJW 1980, S. 343 ≪344≫; Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl. 1999, § 379 Rn. 7; BVerfGE 69, 145 ≪149 f.≫).
Das Amtsgericht hat sich in dem angegriffenen Urteil mit den einschlägigen zivilprozessualen Vorschriften und deren Voraussetzungen in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern die Nichtdurchführung der Beweisaufnahme allein mit der – unzutreffenden – Feststellung begründet, der Beschwerdeführer habe den Vorschuß nicht geleistet. Daß dies nicht den Tatsachen entsprach, hätte das Gericht dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 3. Dezember 1998 entnehmen können. Diesen Schriftsatz hat es jedoch, obwohl er mehrere Tage vor der Urteilsverkündung eingegangen war, erst in dem später gefertigten Vermerk berücksichtigt. Die dortige Erwägung, der zur Zahlung des Vorschusses eingereichte Scheck sei erst nach Fristablauf eingelöst worden, ist ebenfalls nicht geeignet, die unterbliebene Durchführung der Beweisaufnahme zu rechtfertigen. Denn selbst wenn man für die Rechtzeitigkeit des Zahlungseingangs nicht auf die – noch innerhalb der gesetzten Frist erfolgte – Einreichung des Schecks bei Gericht, sondern auf das Datum der Gutschrift abstellt, ist nicht ersichtlich, inwiefern eine solche geringfügige Verspätung eine Verzögerung des Rechtsstreits im Sinne des § 379 Satz 2 ZPO zur Folge gehabt hätte und worin eine grobe Nachlässigkeit des Beschwerdeführers gemäß § 296 Abs. 2 ZPO liegen könnte. Zudem ist insoweit auch in formeller Hinsicht eine ausdrückliche Ermessensentscheidung des Gerichts überhaupt unterblieben (vgl. BVerfGE 69, 145 ≪150≫). Das Gericht hätte aufgrund des Schriftsatzes vom 3. Dezember 1998 gemäß § 156 ZPO die mündliche Verhandlung wieder eröffnen und die bereits angeordnete Zeugenvernehmung durch das Rechtshilfegericht veranlassen müssen. Daß es dies unterlassen hat, deutet auf eine grundsätzliche Verkennung der Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG hin.
c) Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Amtsgericht anders entschieden hätte, wenn das zuständige Rechtshilfegericht die von dem Beschwerdeführer benannten Zeugen vernommen hätte. Damit beruht die Entscheidung auch auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG.
3. Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 1276225 |
NJW 2000, 1327 |
MittRKKöln 2000, 170 |