Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 18.01.2006; Aktenzeichen IV ZR 310/04) |
OLG München (Urteil vom 16.12.2004; Aktenzeichen 19 U 4075/00) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen im Zusammenhang mit der rechtsirrtümlich unterlassenen Entscheidung eines Berufungsgerichts über die Zulassung der Revision im Zivilprozess.
1. Die Beschwerdeführerin machte in dem erbrechtlichen Ausgangsverfahren mit einem Streitwert von 1.000.000,- EUR Auskunftsansprüche aus einer Nacherbschaft in einem Erbfall aus dem Jahr 1930 geltend. Das Landgericht sprach ihr die Ansprüche zu. Auf die Berufung der Beklagten hob das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil mit Urteil vom 16. Dezember 2004 auf und wies die Klage wegen Verwirkung vollumfänglich ab. Eine Entscheidung über die Zulassung der Revision hielt das Oberlandesgericht angesichts der Beschwer von über 60.000,- DM für “nicht erforderlich”, weil es für den vorliegenden Fall rechtsirrig von der Fortgeltung des zum 31. Dezember 2001 außer Kraft getretenen § 546 ZPO a.F. ausging, wonach bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einer Beschwer von über 60.000,- DM die Revision zulassungsfrei war. Dabei übersah das Oberlandesgericht die Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 7 EGZPO. Danach ist § 546 ZPO a.F. nur dann weiter anzuwenden, wenn die letzte mündliche Verhandlung vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden ist bzw. im schriftlichen Verfahren der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, vor dem 1. Januar 2002 lag. Dies war vorliegend nicht der Fall; es bestand ein Schriftsatznachlass im schriftlichen Verfahren bis zum 29. Oktober 2004.
Das Oberlandesgericht hätte folglich nach § 543 ZPO eine Entscheidung über die Zulassung der Revision treffen müssen. Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass es die Revision in diesem Fall wegen der im Ausgangsverfahren im Mittelpunkt stehenden Frage der Verwirkung der Rechte der Beschwerdeführerin zugelassen hätte.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18. Januar 2006 zurück.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie des Willkürverbotes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe § 26 Nr. 7 EGZPO übergangen, die Zulassung der Revision unterlassen und ihr damit das Rechtsmittel genommen, das es ihr der Sache nach habe zugestehen wollen. Der Bundesgerichtshof habe diesen Verstoß wiederholt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG ist nicht gegeben. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist ohne Aussicht auf Erfolg.
Die unterbliebene Zulassung der Revision durch das Oberlandesgericht sowie die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof verletzen die Beschwerdeführerin weder in ihrem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch noch verstoßen sie gegen den Grundsatz des willkürfreien Verfahrens.
1. Zwar hat das Oberlandesgericht die einfach-rechtliche Rechtslage verkannt, indem es entgegen § 26 Nr. 7 EGZPO von der weiteren Anwendbarkeit des § 546 ZPO a.F. ausging und eine Entscheidung über die Zulassung der Revision aufgrund des gegebenen Werts der Beschwer für entbehrlich hielt. Doch wurde dieser Fehler durch die Prüfung der Revisionsvoraussetzungen durch den Bundesgerichtshof im Rahmen des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde noch im fachgerichtlichen Verfahren geheilt, so dass offen bleiben kann, ob vorliegend allein in der fehlerhaften Nichtberücksichtigung einer Gesetzesänderung überhaupt ein Grundrechtsverstoß zu sehen ist (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 30. Januar 1996 – 1 BvR 2388/95 –, NJW 1996, S. 1531).
Nach der dem geltenden Recht zugrunde liegenden Konzeption des Gesetzgebers ist das Rechtsmittel der Revision im Zivilprozess in jedem Fall von der vorherigen Prüfung der Revisionswürdigkeit abhängig (vgl. § 543 ZPO). Die Nichtzulassungsbeschwerde war vorliegend das den Vorgaben des Grundgesetzes genügende zivilprozessuale Mittel, um eine Entscheidung über die Zulassung der Revision noch im fachgerichtlichen Verfahren herbeizuführen. Dabei begegnet der Umstand, dass die Entscheidung über die Zulassung der Revision vom Bundesgerichtshof anstelle des nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dafür zuständigen Berufungsgerichts getroffen wurde, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGE 66, 331 ≪336≫; BGHZ 98, 41 ≪44≫). Dies gilt zumal angesichts des für beide Gerichte übereinstimmenden Prüfungsmaßstabs des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2006 – IX ZR 37/05 –, NJW-RR 2006, S. 791).
2. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, der Bundesgerichtshof habe der für das Ausgangsverfahren entscheidenden einfach-rechtlichen Frage der Verwirkung zu Unrecht keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 ZPO beigemessen, handelt es sich um eine genuine Frage des einfachen Rechts, die als solche einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich ist (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 89, 1 ≪10≫; 99, 145 ≪160≫). Das Bundesverfassungsgericht überprüft insofern lediglich, ob der Bundesgerichtshof willkürlich gehandelt oder die Anforderungen an die Zulassung der Revision in einer Weise überspannt hat, die auf eine grundlegende Verkennung der Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin, etwa der Garantie des wirkungsvollen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG, schließen ließe (vgl. BVerfGE 78, 88 ≪99≫; 96, 27 ≪39≫; 104, 220 ≪231 f.≫; BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 26. Januar 1993 – 2 BvR 1058 u. 1059/92 –, NVwZ 1993, S. 465; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 8. März 2001 – 1 BvR 1653/99 –, NVwZ 2001, S. 552).
Nach diesem Maßstab ist die Auffassung des Bundesgerichtshofs, der Rechtssache komme keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu, nicht zu beanstanden. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts befindet sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der auch erbrechtliche Ansprüche der Verwirkung zugänglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1977 – IV ZR 183/74 –, WM 1977, S. 688); im Weiteren stützt sie sich auf die Umstände des Einzelfalls. Vor diesem Hintergrund einer Einzelfallentscheidung auf der Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Einschätzung des Bundesgerichtshofs, grundsätzliche Bedeutung bestehe nicht, bereits einfach-rechtlich jedenfalls vertretbar und von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
NJW 2007, 1053 |
FamRZ 2006, 1662 |