Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 15.09.1997; Aktenzeichen (1) 2 StE 2/93 (19/93)) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nach § 345 Abs. 1 StPO durch das Tatgericht.
I.
1. Wegen Mordes verurteilte das Kammergericht den Beschwerdeführer am 10. April 1997 nach einer 246 Tage währenden Hauptverhandlung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Gegen die Verurteilung legte der Beschwerdeführer am 10. April 1997 Revision ein. Die für den Beginn der Monatsfrist zur Begründung der Revision nach § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO maßgebliche Zustellung des Urteils ist bislang nicht erfolgt, so daß die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO derzeit noch nicht in Lauf gesetzt ist.
2. Mit Schriftsatz vom 18. August 1997 beantragte der Beschwerdeführer, die Frist zur Begründung der Revision “angemessen zu verlängern”, weil die “starre Begrenzung der Revisionsbegründungsfrist… durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken” begegne. Insgesamt erscheine eine Verlängerung der Frist “um zusätzliche drei Monate, also auf insgesamt vier Monate ab Zustellung des Urteils” als angemessen.
Mit Beschluß vom 15. September 1997 wies das Kammergericht diesen Antrag zurück. Bei der Frist des § 345 Abs. 1 StPO handele es sich um eine gesetzliche Notfrist mit der Folge, daß eine Verlängerung auch bei umfangreichen und schwierigen Sachen nicht möglich sei. Soweit der Beschwerdeführer gegen die strikte Anwendung des § 345 Abs. 1 StPO verfassungsrechtliche Bedenken erhebe, schließe sich der Senat der Ansicht des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof an, wonach sich aus Art. 103 Abs. 1 GG keine Bedenken gegen die in § 345 Abs. 1 StPO getroffene Regelung ergäben. Auch der Anspruch auf ein faires Verfahren und der Gleichheitssatz geböten nicht eine im Sinne des Antrags des Beschwerdeführers erweiterte Auslegung und Anwendung des § 345 Abs. 1 StPO.
II.
Mit seiner fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde wiederholt der Beschwerdeführer im wesentlichen seinen Sachvortrag im Rahmen seiner Antragsschrift vom 18. August 1997 und rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 103 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 2, Art. 3 Abs. 1 sowie seines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf ein faires Verfahren.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist bereits nicht zulässig erhoben worden.
Der Beschwerdeführer hat schon die konkrete Möglichkeit, durch die angegriffene Entscheidung in seinen Grundrechten beeinträchtigt zu sein, entgegen §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG nicht hinreichend substantiiert dargetan (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 28, 17 ≪19≫ und 81, 347 ≪355≫). Sein Vortrag ergibt nicht, daß die Frist des § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO den Zugang zur Revision bei Großverfahren allgemein oder im konkreten Fall in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwerte. Die Erfahrungen der strafprozessualen Praxis, die ihren Niederschlag in der gesetzlichen Regelung und der Rechtsprechung der Strafgerichte gefunden haben, sprechen dafür, daß die Revisionsbegründungsfrist auch in langwierigen und umfangreichen Strafverfahren, wie etwa komplizierten Wirtschaftsstrafsachen oder Verfahren wegen NS-Verbrechen, regelmäßig zur Anfertigung der Revisionsbegründung ausreicht. Der Beschwerdeführer legt nichts dar, was diese vom Gesetzgeber geteilte Einschätzung als verfassungsrechtlich fehlerhaft ausweist.
Auch Gründe dafür, weshalb die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO gerade im Falle des Beschwerdeführers zur Begründung seiner Revision – etwa mit der nach dem Gesetz (§ 344 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz StPO) nicht auszuführenden sogenannten allgemeinen Sachrüge – nicht ausreichen könnte, sind nicht vorgetragen. Weder die Dauer der Hauptverhandlung noch die Anzahl der in ihr gestellten Beweisanträge oder gar der Umfang der Verfahrensakten und der (erwartete) Umfang der schriftlichen Urteilsgründe legen die Vermutung nahe, der Beschwerdeführer könne dadurch an der rechtzeitigen Fertigung einer fundierten Revisionsrechtfertigung gehindert werden. Im übrigen setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht mit der Frage auseinander, ob in einem Fall, in dem die Revision aus Gründen, die der Angeklagte nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet werden konnte, ausnahmsweise die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine genügende Abhilfe ermöglichen könnten. Eine vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Willkürverbot des Grundgesetzes überprüfbare verfassungswidrige Auslegung der einschlägigen Vorschrift des Art. 6 Abs. 3b MRK ist ebenfalls nicht dargetan (vgl. zum entsprechenden Gewährleistungsgehalt des Art. 6 Abs. 3 MRK Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1996, Art. 6, Rn. 181 m.w.N.).
Nach Ablauf der Einlegungsfrist für die Verfassungsbeschwerde sind die aufgezeigten Begründungsmängel nicht mehr zu beheben (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪19≫).
Mit der Nichtannahme erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Kruis, Winter
Fundstellen