Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßregelvollzug
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung der Bearbeitung von Anträgen auf gerichtliche Entscheidung gegen Maßnahmen im Maßregelvollzug.
1. Der Beschwerdeführer ist gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. In insgesamt fünf Verfahren, in denen er Anträge auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 109, 138 Abs. 2 StVollzG stellte, teilte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Heidelberg dem Beschwerdeführer mit, dass sie eine Bearbeitung ablehne, weil der Beschwerdeführer nicht bereit sei, die in seinen Anträgen enthaltenen Beleidigungen zurückzunehmen und sich dafür zu entschuldigen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde und rügt sinngemäß eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG.
2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
a) Es bedarf vorliegend keiner abschließenden Klärung der Frage, in welchen Ausnahmefällen ein Gericht die Bearbeitung eines gesetzlich normierten Rechtsbehelfs wegen darin enthaltener Beleidigungen ablehnen kann. Im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wird dies – von extremen Ausnahmefällen abgesehen – nur in Betracht kommen, wenn sich die Eingabe im Wesentlichen in Beleidigungen erschöpft und nicht ersichtlich ist, dass zugleich auch ein sachliches Anliegen verfolgt wird (OLG Düsseldorf, MDR 1993, S. 462; KG, NStZ 1998, S. 399; vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 1979, S. 1613; OLG Frankfurt, NStZ 1989, S. 296). Dies gilt umso mehr, wenn es sich um den Antrag einer in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Person handelt. Adäquates Mittel zur Sanktionierung von Beleidigungen ist das Strafrecht, nicht aber – über eine Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten – das Verfahrensrecht.
b) Hier steht einer Prüfung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache jedoch der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen, der Ausdruck in der Regelung des § 90 Abs. 2 BVerfGG gefunden hat. Hiernach gilt, dass ein Beschwerdeführer den Rechtsweg erschöpfen und darüber hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 68, 384 ≪388 f.≫; 74, 102 ≪113≫; 81, 97 ≪102≫). Das bedeutet, dass eine Grundrechtsverletzung im Interesse einer ordnungsgemäßen Vorprüfung der Beschwerdepunkte zunächst in dem mit der Beeinträchtigung unmittelbar zusammenhängenden sachnächsten Verfahren geltend gemacht werden muss (vgl. BVerfGE 59, 63 ≪83≫). Der sich aus § 90 Abs. 2 BVerfGG ergebende Grundsatz der Subsidiarität verlangt von dem Beschwerdeführer, dass er den Rechtsweg zu den Fachgerichten mit all denjenigen Rügen erschöpft, welche er sodann – soweit sie ergebnislos geblieben sind – zur Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu stellen gedenkt. Andernfalls wäre es den Fachgerichten nicht möglich, das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, indem sie verfassungsrechtlichen Rügen – soweit sie begründet sind – Rechnung tragen oder sich mit ihnen – soweit sie unbegründet sind – inhaltlich auseinander setzen (vgl. BVerfG, NJW 1992, S. 1498).
Rechtsmittelinstanz in Maßregelvollzugsangelegenheiten ist das Oberlandesgericht. §§ 116 Abs. 1, 138 Abs. 2 StVollzG normieren insoweit, dass gegen gerichtliche Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern die Rechtsbeschwerde zulässig ist. Ein förmlicher Beschluss liegt hier zwar nicht vor. Ob auch gegen ein gerichtliches Untätigbleiben im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Anrufung der Rechtsmittelinstanz möglich und geboten ist (hierfür BayVGH, NVwZ 2000, S. 693; BayVGH, BayVBl 1978, S. 212 ≪213≫; offen lassend Brandenburgisches VerfG, NVwZ 1997, S. 785; VGH Mannheim, NJW 1984, S. 993; ablehnend dagegen BayVerfGH, NJW 1991, S. 2895 ≪2896≫; OVG Bremen, NJW 1984, S. 992 f.), kann aber offen bleiben, denn die Mitteilung an den Beschwerdeführer, Anträge nicht zu bearbeiten, stellt – unabhängig von der gewählten Form – nicht eine Untätigkeit, sondern eine „Entscheidung” dar (vgl. auch VGH München, NVwZ-RR 1997, S. 501 f.). Zum Begriff der „Entscheidung” zählt jeder Ausspruch, der die Rechtsstellung eines Beteiligten unmittelbar berührt. Die vom Gericht gewählte Form ist für diese Qualifizierung unerheblich, wenn der Entscheidungsinhalt so deutlich zum Ausdruck kommt, als ob die Entscheidung förmlich ergangen wäre. Maßgebend ist dann nicht die vom Gericht gewählte Art der Entscheidung, sondern die Form, in der sie richtigerweise hätte ergehen müssen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Einl. Rn. 122, 123).
Vorliegend kam der Entscheidungsinhalt der an den Beschwerdeführer gerichteten Mitteilung, über seine Anträge keine Sachentscheidung zu treffen, ebenso deutlich zum Ausdruck wie bei einer förmlichen Abweisung der Anträge als unzulässig im Beschlusswege. Die Rechtsstellung des Beschwerdeführers wird durch die Versagung einer sachlichen Prüfung unmittelbar berührt. Die Mitteilungen der Strafvollstreckungskammer an den Beschwerdeführer stellen damit gerichtliche „Entscheidungen” dar. Die Anrufung des Oberlandesgerichts im Wege der Rechtsbeschwerde nach §§ 116, 138 Abs. 2 StVollzG ist daher nicht offensichtlich unzulässig und deshalb dem Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zumutbar (vgl. BVerfGE 91, 93 ≪106≫; 70, 180 ≪185≫; 68, 376 ≪381≫; 16, 1 ≪2 f.≫). Ausnahmen vom Gebot der Rechtswegerschöpfung im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sind hier nicht erkennbar.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 635246 |
NJW 2001, 3615 |
NStZ 2001, 616 |